Urteil vom 23.11.2006 -
BVerwG 1 D 17.05ECLI:DE:BVerwG:2006:231106U1D17.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 23.11.2006 - 1 D 17.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:231106U1D17.05.0]

Urteil

BVerwG 1 D 17.05

  • VG Hamburg - 25.02.2005 - AZ: VG 31 D 86/04

In dem Disziplinarverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht, Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 23. November 2006,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Heeren,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz,
Bundesbahnoberamtsrat Mast
und Regierungshauptsekretärin Thul
als ehrenamtliche Richter
sowie
Regierungsdirektor ...
als Vertreter der Einleitungsbehörde
und
...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Die Berufung des Oberwerkmeisters ... gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ... vom 25. Februar 2005 wird auf seine Kosten verworfen.

Gründe

I

1 1. Mit einer dem Beamten am 31. Oktober 2003 durch Niederlegung zugestellten Anschuldigungsschrift vom 22. Oktober 2003 hat der Bundesdisziplinaranwalt dem Beamten vorgeworfen, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er
1. in zwei Fällen Arztrechnungen aus den Jahren 1993 und 1996 in Höhe von 2 583,28 DM trotz Erstattungsleistungen der KVB nicht beglichen habe,
2. am 16. April 1996 seinen Dienst als Aufsichtsbeamter ungenehmigt verspätet angetreten habe, sodass dadurch ein Güterzug in der Abfahrt verspätet worden sei,
3. am 20. April 1996 seinen Dienst als Aufsichtsbeamter ungenehmigt vorzeitig verlassen und dadurch erhebliche betriebliche Schwierigkeiten verursacht habe,
4. es nach seiner im Juli 1996 erfolgten Ehescheidung unterlassen habe, die Veränderung seines Familienstandes rechtzeitig anzuzeigen, sodass ihm 1 281,96 DM brutto an Familienzuschlag zuviel gewährt worden sei,
5. im Jahre 1995 eine Rechnung des Zahnarztes J., H., in Höhe von 7 545,20 DM trotz Erstattung von der KVB von 5 884,18 DM lediglich in Höhe von 3 624,75 DM beglichen habe,
6. eine aus Februar 1997 datierende weitere Arztrechnung des Zahnarztes J. über 860,09 DM nicht bezahlt, sondern den von der KVB hierfür erstatteten Betrag in Höhe von 678,31 DM anderweitig verwendet habe,
7. am 16. Januar 1999 und am 25. Januar 1999 seinen Dienst als Aufsichtsbeamter verspätet angetreten habe,
8. am 21. März und 31. März 1999 seinen Dienst als Aufsichtsbeamter beim Bahnhof X. der DB ... schuldhaft verspätet angetreten habe,
9. eine Rechnung des Dr. ... B. über insgesamt 373,80 DM nicht beglichen und es zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen habe kommen lassen, obwohl ihm die KVB hierfür einen Betrag von 336,42 DM erstattet habe,
10. am 18. Februar 2000 zu einem vereinbarten Bahnarzttermin ohne Angabe von Gründen nicht erschienen sei, obwohl er von seiner Organisationseinheit - damals: der DB ..., Niederlassung Z., heute: DB ..., Geschäftsstelle H. - hierzu per Einschreiben mit Rückschein aufgefordert worden sei,
11. ungeachtet einer weiteren schriftlichen Aufforderung, deren Erhalt er durch seine Unterschrift quittiert habe, zu einem für den 31. März 2000 festgelegten Bahnarzttermin, wiederum ohne Angabe von Gründen, nicht erschienen sei,
12. einen weiteren bahnärztlichen Untersuchungstermin am 18. Mai 2000 trotz schriftlicher Aufforderung zum Erscheinen nicht wahrgenommen habe,
13. vom 22. September bis zum 26. September 2000 ohne ärztliche Dienstunfähigkeitsbescheinigung seinem Dienst - Personalleihe bei Firma T. - ferngeblieben sei,
14. eine Rechnung des Dr. B., H., vom 28. September 2000 in Höhe von 57,68 DM trotz Erstattung von der KVB nicht beglichen und Rechnungen des Dr. A. vom 23. Dezember 1999, 5. September und 9. November 2000 in Gesamthöhe von 1 039,62 DM trotz wiederholter Mahnungen erst am 21. Februar 2001 bezahlt habe,
15. am 14. März 2001 und am 21. März 2001 ohne Genehmigung schuldhaft seinem Dienst ferngeblieben sei,
16. eine Rechnung des Dr. ... L. vom August 2000 über insgesamt 526,61 DM für medizinische Hilfeleistungen nicht beglichen und es zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen habe kommen lassen,
17. am 1. August, 15. August, 22. Oktober 2001 abermals seinem Dienst ohne Angabe von Gründen ferngeblieben sei,
18. am 12. Februar, 26. März und 23. April 2002 vereinbarte Bahnarzttermine ohne Rechtfertigungsgrund nicht wahrgenommen habe,
19. in der Zeit vom 27. Mai bis zum 20. Juni 2002 seinem Dienst ohne Vorlage eines Dienstunfähigkeitszeugnisses ferngeblieben sei.

2 2. Das Verwaltungsgericht ... hat durch Urteil vom 25. Februar 2005 entschieden, dass der Beamte unter Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags auf die Dauer von sechs Monaten in Höhe von 75 v.H. des bei Rechtskraft des Urteils erdienten Ruhegehalts aus dem Dienst entfernt wird. Es hat die angeschuldigten Sachverhalte als erwiesen angesehen und dem Beamten in allen Anschuldigungspunkten - mit Ausnahme des Punktes 4 - vorsätzlich begangene Dienstpflichtverletzungen zur Last gelegt. Durch sein Verhalten habe sich der Beamte in einer Weise als unzuverlässig erwiesen, die ihn für ein weiteres Verbleiben im öffentlichen Dienst untragbar mache.

3 Das Urteil ist dem Beamten am 5. April 2005 durch Niederlegung zugestellt worden.

4 3. Hiergegen hat der Beamte durch seinen damaligen Verteidiger beim Verwaltungsgericht ... am 4. Mai 2005 Berufung eingelegt. Das Verwaltungsgericht ging entsprechend der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung von der Berufungszuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts ... aus und legte diesem die Akten vor. Dieses stellte am 17. November 2005 seine instanzielle Unzuständigkeit fest und legte die Akten dem Bundesverwaltungsgericht vor.

5 In seinem Berufungsschriftsatz vom 4. Mai 2005 an das Verwaltungsgericht ... trägt der Verteidiger vor, der Beamte habe ihm bei Auftragserteilung am Vormittag des 3. Mai 2005 glaubhaft versichert, dass ihm die Anschuldigungsschrift vom 22. Oktober 2003 sowie die vorangegangenen Ausdehnungsbeschlüsse und die Verfügung vom 5. Februar 1998 ebenso wie das Urteil vom 25. Mai 2005 nicht bekannt geworden seien. Durch Vermittlung seiner Gewerkschaft, der das Urteil von der Einleitungsbehörde per Telefax zugeleitet worden sei, habe der Beamte erstmals am 21. April 2005 von dem Urteil erfahren. Auch die Ladung zur Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 25. Februar 2005 sei dem Beamten niemals bekannt geworden. Der Beamte habe schon im Jahre 2002 bei der Staatsanwaltschaft ... Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Diebstahls von Postsendungen aus seinem Briefkasten eingereicht. Das daraufhin von der Staatsanwaltschaft gegen Unbekannt eingeleitete Verfahren sei unter dem 18. Oktober 2002 eingestellt worden.

6 Durch Verfügung des Vorsitzenden des Senats für Disziplinarsachen, bei dem das Verfahren seinerzeit anhängig war, wurde die Berufungsbegründungsfrist bis zum 23. Juni 2005 verlängert.

7 Mit Schriftsatz vom 5. Juli 2005 teilt der Verteidiger mit, sein Mandant (der Beamte) stehe auf dem Standpunkt, dass er zu den Einzelheiten der Anschuldigungsschrift erst dann Stellung zu nehmen brauche, wenn ihm die beantragte Prozesskostenhilfe gewährt worden sei.

8 Mit Beschluss vom 7. Juli 2005 hat das ... Oberverwaltungsgericht dem Beamten für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm Rechtsanwalt Dr. ... S. zur Vertretung beigeordnet.

9 Der Verteidiger hat mit Schriftsatz vom 11. August 2005 die Auffassung vertreten, dieser Beschluss eröffne ihm eine weitere Monatsfrist zur Begründung der Berufung. Mit dem Beamten habe er am 3. Mai 2005 ein ausführliches Gespräch geführt und mit ihm verabredet, dass dieser ihm nach Zuleitung der Anschuldigungsschrift eine schriftliche Stellungnahme zu den Beschuldigungen zuleiten werde. Nach vielfältigen Kontaktbemühungen seinerseits habe er den betroffenen Beamten nicht wiedergesehen. Er habe dem Beamten auf die Mailbox gesprochen, er werde einen Antrag auf Erstellung eines Sachverständigengutachtens stellen, dass der Beamte psychisch krank und wegen dieser Krankheit nicht in der Lage sei, seine Rechte ordnungsgemäß wahrzunehmen. Im Interesse des betroffenen Beamten werde behauptet, der Beamte sei psychisch erkrankt und ohne Verschulden nicht in der Lage, „entsprechend seiner als für ihn angemessenen Erkenntnis zu handeln“. Deshalb werde beantragt, zu eben dieser Frage ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen. Im Postscriptum zu diesem Schriftsatz heißt es, nach Diktat habe der Beamte angerufen und schriftliche Stellungnahme in den nächsten Tagen in Aussicht gestellt.

10 Nach Eingang der Akten beim Bundesverwaltungsgericht hat der Verteidiger im Schriftsatz vom 4. Januar 2006 erneut seine vergeblichen Bemühungen geschildert, mit dem Beamten Kontakt aufzunehmen. Der Beamte habe lediglich am 16. November 2005 in seiner Abwesenheit eine handschriftliche Stellungnahme mit der Überschrift „Einige Erklärungen zur Anschuldigungsschrift“ in seiner Kanzlei abgegeben. Diese werde hiermit vorgelegt.

11 Mit Beschluss vom 23. März 2006 hat der Senat den Beschluss des ... Oberverwaltungsgerichts über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufgehoben, weil der Beamte die ihm auferlegten Raten nicht gezahlt hat, und hat den Antrag, den Verteidiger als Pflichtverteidiger zu bestellen, abgelehnt. In den Gründen seines Beschlusses hat der Senat u.a. auch darauf hingewiesen, dass der Einbehalt der Dienstbezüge durch den Dienstherrn nicht in einem Ausmaß erfolgen dürfe, das dem Beamten die Verteidigung im Disziplinarverfahren unmöglich mache.

12 Mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2006 teilt der Verteidiger mit, er nehme das Mandat nicht mehr wahr.

II

13 Das gerichtliche Disziplinarverfahren ist auch nach Inkrafttreten des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002 nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen (§ 85 Abs. 1, 3 und 5 BDG; zum Übergangsrecht: Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ 2002, 1515).

14 Die Berufung des Beamten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ... vom 25. Februar 2005 ist gemäß § 85 Abs. 1 Nr. 1, § 83 BDO als unzulässig zu verwerfen, weil der Beamte die Berufung nicht innerhalb der Jahresfrist gemäß § 24 Abs. 2 BDO in einer den Anforderungen des § 82 BDO entsprechenden Weise begründet hat. Die Jahresfrist lief aufgrund der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung des Verwaltungsgerichts.

15 Gemäß § 82 BDO muss der Berufungsführer angeben, inwieweit das erstinstanzliche Urteil angefochten wird und welche Änderungen beantragt werden. Er muss darlegen, welche tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des erstinstanzlichen Gerichts er aus welchen Gründen für fehlerhaft hält. Sein Vortrag muss das Berufungsgericht in die Lage versetzen, die Beanstandungen zu werten und hierüber zu befinden (Beschlüsse vom 24. Januar 1995 - BVerwG 1 D 4.95 - Buchholz 235 § 82 BDO Nr. 1 und vom 2. Juni 1998 - BVerwG 1 D 19.98 - juris). Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des damaligen Verteidigers des Berufungsführers in dessen Schriftsätzen vom 4. Mai 2005, vom 11. August 2005 und vom 4. Januar 2006 nicht.

16 In dem Schriftsatz vom 4. Mai 2005 findet sich die Behauptung, der Beamte habe weder die Anschuldigungsschrift vom 22. Oktober 2003 noch die Ladung zur erstinstanzlichen Hauptverhandlung am 25. Februar 2005 erhalten. Dem Beamten seien „seit vielen Jahren vielfach offenbar von einem Mitbewohner des Hauses“ Schriftstücke aus dem Briefkasten entwendet worden. Dieses Vorbringen stellt keine zureichende Berufungsbegründung dar, weil es nicht aus sich heraus verständlich ist. Es wird weder erklärt, wie es Dritten ohne Briefkastenschlüssel möglich sein kann, auf den Inhalt des Briefkastens des Beamten zuzugreifen, noch, warum der Beamte angeblich den viele Jahre andauernden Missstand nicht beseitigt hat. Der kursorische Charakter des Vorbringens wird durch die nachfolgenden Ausführungen des damaligen Verteidigers deutlich, er bitte um die Verlängerung der Frist für die „Einreichung der Berufungsbegründung“, denn er müsse vor Fertigung der Berufungsbegründung mit dem Beamten sprechen. Die „Einreichung einer Berufungsbegründung“ sollte also erst noch folgen.

17 In dem Schriftsatz vom 11. August 2005 hat der damalige Verteidiger erklärt, der Beamte könne aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht entsprechend der für ihn angemessenen Erkenntnis handeln. Auch dieses Vorbringen genügt als Berufungsbegründung nicht. Es lässt nicht erkennen, aufgrund welcher tatsächlichen Gegebenheiten die vom Verwaltungsgericht angenommene Schuldfähigkeit für die Anschuldigungszeiträume in Zweifel gezogen werden soll. Die weiteren Ausführungen lassen den Schluss zu, dass der Verteidiger die Bemerkungen offensichtlich gemacht hat, weil er davon ausgegangen ist, der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist stehe kurz bevor. Er hat ausführlich seine vergeblichen Bemühungen dargestellt, mit dem Beamten in Kontakt zu treten. Im Anschluss daran hat der Verteidiger das Vorliegen einer psychischen Erkrankung „im Interesse des betroffenen Beamten“ behauptet, um abschließend im Postscriptum mitzuteilen, dass der Beamte sich nun doch gemeldet und weitere Informationen angekündigt habe.

18 Schließlich stellt auch die dem Schriftsatz des Verteidigers vom 4. Januar 2006 beigefügte handschriftliche Auflistung des Beamten keine ordnungsgemäße Berufungsbegründung dar. Wie sich aus der Überschrift „Einige Erklärungen zur Anschuldigungsschrift“ ergibt, beziehen sich die schriftlichen Ausführungen des Beamten nicht auf das erstinstanzliche Urteil. Im Übrigen lassen die Ausführungen des damaligen Verteidigers erkennen, dass er die Auflistung des Beamten eingereicht hat, obwohl er sie für unzureichend hielt, es ihm aber immer noch nicht gelungen war, mit diesem ein weiteres Mal in Kontakt zu treten.

19 Der damalige Verteidiger hat die dargestellten Ausführungen in den drei Schriftsätzen ersichtlich nur gemacht, weil er wegen des fehlenden Kontaktes zu dem Beamten außer Stande war, eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung zu erstellen, ohne auf die möglichen Ursachen der Kommunikationsprobleme einzugehen.

20 Im Übrigen ist nach Lage der Akten nicht erkennbar, dass die Berufung in der Sache Erfolgsaussichten gehabt hätte.

21 Mit dem von der Vorinstanz bewilligten Unterhaltsbeitrag hat es sein Bewenden, weil die Einleitungsbehörde keinen Änderungsantrag gestellt hat (vgl. § 80 Abs. 4 BDO). Sollte eine Weiterbewilligung erforderlich sein, so setzt diese den Nachweis des intensiven Bemühens um eine neue Beschäftigung entsprechend den Hinweisen in dem Urteil des Verwaltungsgerichts, die denen des Bundesverwaltungsgerichts entsprechen, voraus.

22 Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 1 Satz 1 BDO.