Beschluss vom 24.03.2004 -
BVerwG 1 DB 2.04ECLI:DE:BVerwG:2004:240304B1DB2.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.03.2004 - 1 DB 2.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:240304B1DB2.04.0]

Beschluss

BVerwG 1 DB 2.04

  • VG Karlsruhe - 24.11.2003 - AZ: BDiG II BK 2/03

In dem Verfahren hat der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. März 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht H e e r e n und den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Dr. M ü l l e r
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des früheren Beamten wird der Beschluss des Bundesdisziplinargerichts, Kammer II - ... -, vom 24. November 2003 aufgehoben.
  2. Dem früheren Beamten wird ab dem 1. Januar 2004 für weitere sechs Monate ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 45 v.H. des erdienten Ruhegehalts bewilligt.
  3. Die Kosten des Verfahrens und die dem früheren Beamten hierin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

I


Durch Urteil des Bundesdisziplinargerichts vom 3. Dezember 1999 - BDiG II VL 8/99 - wurde der frühere Beamte wegen eines Dienstvergehens aus dem Dienst entfernt. Gleichzeitig wurde ihm gemäß § 77 BDO ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 75 v.H. des erdienten Ruhegehalts auf die Dauer von sechs Monaten bewilligt. In den Gründen dieses Urteils heißt es zu dem Unterhaltsbeitrag u.a., dass der frühere Beamte eines solchen Unterhaltsbeitrags nicht unwürdig und auch bedürftig sei. Angesichts seiner wirtschaftlichen Verhältnisse halte die Kammer den gesetzlichen Höchstbetrag für erforderlich. Die von dem früheren Beamten hiergegen eingelegte Berufung wurde durch Urteil des beschließenden Senats vom 29. August 2001 - BVerwG 1 D 8.00 - zurückgewiesen. In diesem Urteil heißt es u.a., dass es mit dem bewilligten Unterhaltsbeitrag sein Bewenden habe. Damit erhielt der frühere Beamte zunächst von September 2001 bis einschließlich Februar 2002 den vom Bundesdisziplinargericht bewilligten Unterhaltsbeitrag.
Antragsgemäß bewilligte das Bundesdisziplinargericht mit Beschluss vom 25. April 2002 - BDiG II BK 4/02 - dem früheren Beamten für die Zeit von März bis einschließlich Dezember 2002 und durch Beschluss vom 29. Januar 2003 - BDiG II BK 7/02 - für die Zeit von Januar bis einschließlich Dezember 2003 einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 75 v.H. des erdienten Ruhegehalts. In den Gründen des Beschlusses vom 29. Januar 2003 heißt es u.a., wegen seiner nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit sei der frühere Beamte ausnahmsweise berechtigt gewesen, von den ansonsten gebotenen Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle abzusehen. Sollte er entgegen der Prognose seines Arztes auch im nächsten Bewilligungszeitraum arbeitsunfähig sein, müsse er dies durch Vorlage entsprechender ärztlicher Bescheinigungen nachweisen. Weiter heißt es in dem Beschluss, die Richtigkeit dieser Bescheinigungen sei von einem Amtsarzt zu bestätigen.
Mit Schriftsatz vom 25. August 2003 hat der frühere Beamte erneut die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags ab dem 1. Januar 2004 für weitere zwölf Monate mit der Begründung beantragt, seine finanziellen und gesundheitlichen Verhältnisse hätten sich nicht geändert. Zum Nachweis seiner Erkrankung legte er Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seines behandelnden Arztes Dr. S., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vor. Eine amtsärztliche Bestätigung über die Richtigkeit dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen reichte er nicht ein. Auf Anforderung des Bundesdisziplinargerichts legte er eine psychiatrische Stellungnahme seines Arztes Dr. S. vom 6. Oktober 2003 vor, in der es heißt, krankheitsbedingt bestehe weiterhin Dienstunfähigkeit, deren Verlauf nicht absehbar sei.
Durch Beschluss vom 24. November 2003 lehnte das Bundesdisziplinargericht den Antrag auf erneute Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags ab und führte zur Begründung u.a. aus, es könne offen bleiben, ob und inwieweit der frühere Beamte, der eines Unterhaltsbeitrags nicht unwürdig sei, einen solchen bedürfe; denn eine erneute Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags scheitere daran, dass er eine - unterstellte - Bedürftigkeit selbst zu vertreten habe. Der frühere Beamte habe den ihm erteilten Belehrungen über seine Verhaltenspflichten im Hinblick auf eine mögliche Weitergewährung des Unterhaltsbeitrags im vorangegangenen Bewilligungszeitraum nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Für die Zeit ab dem 10. März 2003 könne eine Neubewilligung nicht auf die vorgelegten privatärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gestützt werden. Es bestünden bereits Bedenken, ob aus diesen Bescheinigungen der Schluss gezogen werden könne, der frühere Beamte sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, sich intensiv um einen neuen Arbeitsplatz zu bemühen. Letztlich könne dies jedoch dahingestellt bleiben, da er mit Beschluss vom 29. Januar 2003 für den Fall der weiteren Krankschreibung ausdrücklich dazu aufgefordert worden sei, sich die Richtigkeit ärztlicher Krankschreibungen von einem Amtsarzt bestätigen zu lassen. Dieser Verpflichtung sei er nicht nachgekommen.
Hiergegen hat der frühere Beamte rechtzeitig Beschwerde eingelegt und diese wie folgt begründet:
Er habe sich auch im Jahre 2003 in dauernder ärztlicher Behandlung befunden. Angesichts seiner dauernden Arbeitsunfähigkeit habe für ihn ausnahmsweise keine Verpflichtung bestanden, sich um einen neuen Arbeitsplatz zu bemühen, da dies aufgrund seiner Erkrankung bereits aus Rechtsgründen gar nicht möglich gewesen sei. Durch seine Arbeitsunfähigkeit habe er dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden und sei daher unvermittelbar gewesen. Bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit habe er nicht damit rechnen können, einen Arbeitsplatz zu finden, wie dies auch bereits im Beschluss des Bundesdisziplinargerichts vom 29. Januar 2003 festgestellt worden sei. Er selbst könne einen Amtsarzt nicht mit einer Untersuchung beauftragen. Dies könne nur durch Anordnung einer Behörde geschehen, welche ihm zusätzlich einen geeigneten Amtsarzt benennen müsse, da ihm ein solcher nicht bekannt sei. Inzwischen habe eine solche Untersuchung stattgefunden.
Der frühere Beamte legt eine Bescheinigung des Landratsamts R. - Gesundheitsamt - vom 1. März 2004 vor, die folgenden Wortlaut hat:
"Obengenannter wurde am 25.02.2004 hier amtsärztlich untersucht.
Auf Grund des Untersuchungsbefundes sowie vorliegender fachärztlicher Befunde ergibt sich folgende Beurteilung:
Die Ihnen bekannte psychische Erkrankung hat sich noch nicht vollkommen zurückgebildet. Es besteht deshalb weiterhin eine Behandlungsbedürftigkeit, die gegenwärtig in ambulanter Form durch jeweils monatliche Vorstellung bei Herrn Dr. S., B., und bei Herrn E., A., erfolgt.
Aus diesem Grund wird amtsärztlicherseits Arbeitsunfähigkeit attestiert.
Die weitere Prognose des Krankheitsverlaufs erscheint jedoch günstig. So ist vorstellbar, dass bei weiter anhaltendem günstigen Genesungsprozess in 2 bis 3 Monaten mit der Wiederherstellung von Arbeitsfähigkeit gerechnet werden kann.
Zur Wahrscheinlichkeitssteigerung der Erreichung dieses Therapiezieles empfahlen wir Herrn X. eine unverzügliche Durchführung einer mehrwöchigen stationären Rehabilitationsbehandlung in einer geeigneten Klinik. Eine solche Therapiemaßnahme hatte Herr Dr. S. bereits im letzten Jahr empfohlen, was jedoch von Herrn X. wegen des Ausmaßes der finanziellen Eigenbeteiligung abgelehnt wurde."
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich zur Auslegung des § 85 BDG geäußert.

II


Die Beschwerde ist gemäß § 110 Abs. 6 i.V.m. § 79 BDO zulässig.
Das Verfahren auf Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags gemäß § 110 Abs. 2 BDO fällt nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002 als Annex-Verfahren zum abgeschlossenen förmlichen Disziplinarverfahren, welches hinsichtlich des Ausspruchs zum Unterhaltsbeitrag der Sache nach fortgesetzt wird, unter die Fortführungsklausel des § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG (Beschluss vom 15. Januar 2002 - BVerwG 1 DB 34.01 - ZBR 2002, 436 = DÖD 2002, 97 =
DokBer B 2002, 95). Dies hat zur Folge, dass das Neubewilligungsverfahren - als ein zunächst nach § 85 Abs. 7 Satz 2 BDG an das Verwaltungsgericht übergegangenes Verfahren - im Beschwerdeverfahren nach dem bisherigen Recht der Bundesdisziplinarordnung "fortzuführen" ist.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Die Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags richtet sich nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes (materiellrechtlich) ebenfalls nach den Vorschriften der Bundesdisziplinarordnung (§§ 110, 77), wenn - wie hier - die Erstbewilligung auf § 77 BDO beruhte (Senatsbeschluss vom 15. Januar 2002 a.a.O.).
Nach § 110 Abs. 2 Satz 2 BDO kann ein Unterhaltsbeitrag erneut bewilligt werden, wenn die Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 Satz 1 BDO vorliegen. Danach muss der frühere Beamte nach seiner wirtschaftlichen Lage der Unterstützung bedürftig und ihrer nicht unwürdig sein. So liegt es hier. Das Bundesdisziplinargericht hat in seinem vom Senat bestätigten Urteil dargelegt, dass der frühere Beamte eines Unterhaltsbeitrags nicht unwürdig ist. Er ist auch in Höhe von 45 v.H. des erdienten Ruhegehalts bedürftig.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat der frühere Beamte seine Bedürftigkeit auch nicht selbst zu vertreten (§ 110 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 2. Halbsatz). Er ist seinen Verhaltenspflichten inzwischen im erforderlichen Umfang nachgekommen.
Nach dem Zweck des Unterhaltsbeitrags als Übergangsleistung setzt zwar eine erneute Bewilligung voraus, dass sich der frühere Beamte in ausreichendem Maß um die Aufnahme einer anderweitigen Erwerbstätigkeit bemüht hat. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand von der Verurteilung des früheren Beamten müssen höhere Anforderungen an seine Darlegungs- und Nachweispflicht sowie an die Intensität seines Bemühens um eine das Auskommen sichernde Einkommensquelle gestellt werden (vgl. Beschluss vom 5. Oktober 2000 - BVerwG 1 DB 18.00 - Buchholz 235 § 110 BDO Nr. 7 = ZBR 2001, 211 = DÖD 2001, 150).
Diese strengeren Voraussetzungen gelten indes nur dann, wenn der frühere Beamte dem Arbeitsmarkt zumindest eingeschränkt zur Verfügung steht; denn Bewerbungen eines arbeitsunfähigen Bewerbers sind in aller Regel von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wegen seiner (nunmehr auch) vom Amtsarzt nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit, die auch für das Kalenderjahr 2003 zugrunde gelegt werden kann, war der frühere Beamte daher ausnahmsweise berechtigt, von den ansonsten gebotenen Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle abzusehen.
Auf die Notwendigkeit einer a m t s ä r z t l i c h e n Bestätigung war der frühere Beamte in dem Beschluss vom 29. Januar 2003 - BDiG II BK 7/02 - zur Recht hingewiesen worden. Dies wird der frühere Beamte ggf. auch künftig zu berücksichtigen haben. Das Verlangen einer amtsärztlichen Überprüfung ist nicht unbillig, zumal nachdem dem früheren Beamten bereits über einen längeren Zeitraum eine Arbeitsunfähigkeit attestiert worden war. Dem Gutachten eines Arztes mit öffentlich-rechtlichem Status kommt, was die Objektivität des Gutachters anlangt, in der Regel ein erhöhter Beweiswert zu. Im Vergleich mit dem jeweils behandelnden (Privat-)Arzt verfügt der Amtsarzt über eine gewisse Ferne zu dem Probanden, was der Objektivität seines Gutachtens zugute kommt. Die für eine solche Begutachtung erforderliche behördliche Anordnung wird durch eine entsprechende Anforderung in einem Gerichtsbeschluss ersetzt.
Nach dem Gutachten des Gesundheitsamts vom 1. März 2004 ist der frühere Beamte auch gegenwärtig noch arbeitsunfähig und sollte unverzüglich eine mehrwöchige stationäre Rehabilitationsbehandlung in einer geeigneten Klinik durchführen. Ebenfalls unverzüglich nach dieser Behandlung und deren Erfolg ist der frühere Beamte zur Wahrung etwaiger weiterer Ansprüche gehalten, sich alsbald und fortlaufend zu bewerben und dies zu dokumentieren, sofern ihm nicht der örtlich zuständige Amtsarzt - insoweit wirkt der Hinweis in dem disziplinargerichtlichen Beschluss vom 29. Januar 2003 fort - aus anderen Gründen weiterhin Arbeitsunfähigkeit bescheinigt.
Die Höhe des Unterhaltsbeitrags wird durch § 77 Abs. 1 Satz 2 BDO begrenzt und errechnet sich im konkreten Fall nach den Angaben des früheren Beamten im Schriftsatz vom 9. September 2003 und dessen Anlagen. Maßgebend für den Bedarf des verheirateten früheren Beamten sind die jeweils geltenden Sozialhilfesätze für Baden-Württemberg (297 € + 238 €), die berücksichtigungsfähigen Kosten für die Wohnung (730 €), für die Krankenkasse (332 €) sowie für Telefon, Auto und Sachversicherung (300 €). Schuldverbindlichkeiten bleiben unberücksichtigt, da ein dis-ziplinarischer Unterhaltsbeitrag grundsätzlich nicht der Finanzierung und Tilgung von Schulden dient (vgl. Beschluss vom 14. Februar 2002 - BVerwG 1 DB 3.02 - m.w.N.). Danach ist ein monatlicher Gesamtbedarf von 1 867 € anzusetzen, der um den Rentenbetrag der Ehefrau (vgl. dazu auch Beschluss vom 14. Februar 2002 a.a.O.) in Höhe von 1 278 € zu reduzieren ist. Das ergibt als Differenzbetrag einen Bedarf von 589 €. Dieser Betrag stellt ca. 45 v.H. des erdienten Ruhegehalts dar (75 v.H. entsprachen bisher ca. 1 024 €).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 113 ff. BDO.