Beschluss vom 24.06.2002 -
BVerwG 2 WDB 5.02ECLI:DE:BVerwG:2002:240602B2WDB5.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.06.2002 - 2 WDB 5.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:240602B2WDB5.02.0]

Beschluss

BVerwG 2 WDB 5.02

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schwandt als Vorsitzender,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
am 24. Juni 2002
b e s c h l o s s e n :

  1. 1. Die Beschwerde des Soldaten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 10. April 2002 - .../01 - wird zurückgewiesen.
  2. 2. Der Antrag des Soldaten, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird zurückgewiesen.
  3. 3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Soldaten auferlegt.

Gründe

I

Die ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd verurteilte den Soldaten am 21. Februar 2002 wegen eines Dienstvergehens zur Herabsetzung in den Dienstgrad eines Feldwebels unter Herabsetzung der Wiederbeförderungsfrist auf zwei Jahre. Ausweislich des Protokolls der erstinstanzlichen Hauptverhandlung erhielt der Soldat eine mündliche und eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung.

Gegen diese dem Soldaten am 1. März 2002 zugestellte Entscheidung legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 2. April 2002, der erst am 3. April 2002 beim Bundesverwaltungsgericht einging, Berufung in vollem Umfang ein, die er im Einzelnen begründete.

Mit Beschluss vom 10. April 2002 wies der Vorsitzende der ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd die Berufung des Soldaten als unzulässig zurück. Zur Begründung führte er aus: Gemäß § 115 WDO sei die Berufung gegen das Kammerurteil bis zum Ablauf eines Monats nach seiner Zustellung zulässig; demnach habe die Berufungsfrist mit Ablauf des 2. April 2002 geendet. Da die an das Bundesverwaltungsgericht gerichtete Berufung dort erst am 3. April 2002 eingegangen sei, sei sie verspätet eingelegt worden und gemäß § 117 WDO durch den Vorsitzenden der Truppendienstkammer als unzulässig zu verwerfen.

Gegen diese Entscheidung, die dem Soldaten am 22. April 2002 und dem Verteidiger am 12. April 2002 zugestellt wurde, hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 23. April 2002, der am 25. April 2002 beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen ist, Beschwerde erhoben und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gegen das Kammerurteil vom 21. Februar 2002 beantragt und zur Begründung vorgetragen:

Das Kammerurteil sei den damaligen anwaltlichen Vertretern des Soldaten am 4. März 2002 zugestellt worden, die mit Schreiben vom 26. März 2002, das am folgenden Tag bei dem Verteidiger eingegangen sei, mitgeteilt hätten, dass das Urteil am 4. März 2002 dem ehemaligen Verteidiger zugestellt worden sei und die Berufungsfrist am 4. April 2002 ende. Die Berufung gegen das Kammerurteil sei unter dem 2. April 2002 gefertigt und unter dem 3. April 2002 an das Bundesverwaltungsgericht - 2. Wehrdienstsenat - gefaxt worden. Frau M. K., eine Angestellte der ehemaligen Prozessbevollmächtigten, habe die Berufungsfrist entsprechend dem Eingang des Urteils in der dortigen Kanzlei auf den 4. April 2002 notiert, und dabei sei versäumt worden, Rücksprache mit dem Soldaten zu halten, um zu eruieren, wann diesem das Urteil zugestellt worden sei. Die Fristversäumnis sei somit allein durch Verschulden einer ansonsten absolut zuverlässigen Angestellten der ehemaligen Prozessbevollmächtigten verursacht worden. Zur Glaubhaftmachung dieses Vortrags werde auf die eidesstattliche Versicherung der Frau M. K. vom 16. April 2002 Bezug genommen. Den Soldaten treffe an dem Fristversäumnis kein Verschulden; er habe am 4. März 2002 in der Kanzlei der ehemaligen Verteidiger angerufen und mitgeteilt, dass ihm das Urteil nun vorliege. Seine Verteidigerin, Frau Rechtsanwältin T., sei irrtümlich davon ausgegangen, dass die Urteilszustellung am selben Tage erfolgt sei, und habe es versäumt, durch ausdrückliche Nachfrage beim Soldaten sicherzustellen, dass das Urteil nicht, wie vorliegend, bereits vorher, nämlich am 1. März 2002, zugestellt worden sei. Zur Glaubhaftmachung werde insoweit auf die eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwältin T. vom 18. April 2002 Bezug genommen. Ein weiterer Mitarbeiter der ehemaligen Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt Sch., habe am 4. März 2002 die Eingänge in der Kanzlei verfügt und dabei die Berufungsfrist auf den 4. April 2002 notiert, da er davon ausgegangen sei, dass das Kammerurteil an den Soldaten nicht früher als an die Kanzlei des Verteidigers zugestellt worden sei; insoweit werde zur Glaubhaftmachung auf die eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts Sch. vom 18. April 2002 Bezug genommen. Somit sei festzustellen, dass die Fristversäumnis nicht vom Soldaten verursacht worden sei, den im Übrigen auch kein Mitverschulden treffe; daher sei dem Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben.

Der Vorsitzende der ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat der Beschwerde vom 29. April 2002 nicht abgeholfen und im Hinblick auf den Antrag auf Wiedereinsetzung die Unzuständigkeit der ... Kammer angenommen, da andernfalls das Bundesverwaltungsgericht präjudiziert würde, und die Akten mit Schreiben vom 29. April 2002 dem Senat vorgelegt.

Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält sowohl die Beschwerde des Soldaten als auch den Antrag des Verteidigers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zwar für zulässig, aber jeweils für unbegründet und ist mit Schriftsatz vom 14. Mai 2002 dem Vorbringen des Verteidigers im Einzelnen entgegengetreten. Hierzu hat der Verteidiger nochmals mit Schriftsatz vom 23. Mai 2002 Stellung genommen.

II

1. Die Beschwerde ist zulässig (§ 114 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 WDO), aber unbegründet.

Der Beschluss des Vorsitzenden der ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 10. April 2002 und die Nichtabhilfeentscheidung des Kammervorsitzenden vom 29. April 2002 sind nicht zu beanstanden. Die Berufung des Soldaten ist gemäß § 117 Satz 1 WDO zu Recht als unzulässig verworfen worden, da der Berufungsschriftsatz vom 2. April 2002 nicht innerhalb der bis zum 2. April 2002 laufenden Berufungsfrist, sondern erst am 3. April 2002 beim Bundesverwaltungsgericht gemäß § 116 Abs. 1 Satz 2 WDO, mithin verspätet eingelegt worden ist.

Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschlüsse vom 14. November 1978 - BVerwG 2 WD 33.77 <BVerwGE 63, 155 [f.]> und vom 24. Mai 2000 - BVerwG 2 WDB 3.00 , 4.00 -<NZWehrr 2001, 77>) kommt es für den Lauf der Berufungsfrist auf die Zustellung des Urteils an den betroffenen Soldaten, nicht auf die an den Verteidiger an. Denn § 111 Abs. 2 WDO erfordert eine Zustellung unmittelbar an den Soldaten; das gilt auch dann, wenn dieser seinem Verteidiger Vollmacht zur Entgegennahme von Zustellungen erteilt hat.

Da das angefochtene Kammerurteil dem Soldaten am 1. März 2002 gegen Empfangsbekenntnis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 WDO rechtswirksam zugestellt worden ist, hätte die Berufung spätestens am 2. April 2002, dem Dienstag nach den Osterfeiertagen, bei Gericht eingelegt werden müssen; sie ist jedoch erst am folgenden Tag, dem 3. April 2002, beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen und damit verspätet.

2. Der Antrag des Verteidigers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 23. April 2002 ist zwar zulässig, da er am 25. April 2002 beim Bundesverwaltungsgericht innerhalb der Frist von zwei Wochen gemäß § 91 Abs. 1 Satz 2 WDO i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO gestellt worden ist, nachdem der Beschluss vom 10. April 2002 dem Verteidiger am 12. April 2002 zugegangen war.

Der Wiedereinsetzungsantrag hat aber keinen Erfolg. Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 44 StPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Bei der Prüfung der Frage, ob den Angeschuldigten oder Beschuldigten an einer Fristversäumung gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 StPO ein Verschulden trifft, ist es den Gerichten zwar regelmäßig verwehrt, ihm die Versäumnisse seines Verteidigers zuzurechnen (vgl. dazu BVerwGE 60, 253 [257, 299, 300]; BVerfG NJW 1994, 1856 m.w.N.). Das gilt aber nur dann, wenn der Antragsteller nicht durch eigenes Verschulden zur Versäumung der Frist beigetragen hat (BGHSt 25, 89 [92 f.]). Der Fall ist hier gegeben.

Die frühere Verteidigerin Rechtsanwältin T. hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung bekundet, dass sie seit dem 1. Oktober 1986 in der Kanzlei Dr. H., K. und Partner tätig sei und wegen eines Beratervertrages mit dem Deutschen Bundeswehrverband seitdem zahlreiche Soldaten in disziplinargerichtlichen Verfahren vor den Truppendienstgerichten vertreten habe, insbesondere ihr daher im vorliegenden Falle bestens bekannt gewesen sei, dass der Lauf der Berufungsfrist mit der Zustellung des Urteils an den Mandanten und nicht mit dem Zugang des Urteils im Büro der Kanzlei beginne. Des Weiteren hat sie ausgeführt, dass sie es sich zur „absoluten Übung gemacht habe“, die Mandanten hierauf mündlich nach erfolgter Urteilsverkündung ergänzend hinzuweisen und sie aufzufordern, sich nach Zugang des Urteils bei ihnen telefonisch mit dem Kanzleibüro in Verbindung zu setzen; so sei es auch im Falle des Soldaten geschehen, der am 4. März 2002, einem Montag, im Büro angerufen und mitgeteilt habe, dass ihm das Urteil nun vorliege. Sie selbst habe sich den Vorwurf zu machen, wohl irrtümlich davon ausgegangen zu sein, dass die Urteilszustellung am selben Tage erfolgt sei. Durch ausdrückliche Nachfrage hätte sie jedoch sicherstellen können und müssen, dass das Urteil nicht, wie hier geschehen, bereits vorher, nämlich am Freitag, dem 1. März 2002 zugestellt worden sei. Aufgrund dieses Telefonats habe sie dann absprachegemäß den Deutschen Bundeswehrverband angeschrieben und hierbei den Fristablauf auf den 4. April 2002 bezogen. Hierbei sei zu bedenken, dass ihr zu diesem Zeitpunkt das Urteil noch gar nicht vorgelegen habe, da sie selbst die Eingänge des Büros und die Fristenverfügung nicht vornehme, sondern dies stets durch ihre Kollegen, im vorliegenden Fall durch Rechtsanwalt Sch., erfolgt sei. Dieser habe die Berufungsfrist ebenfalls auf den 4. April 2002 notiert, da er - unzutreffend - den Fristbeginn mit dem Eingang des Kammerurteils in der Kanzlei berechnet habe. Wegen ihres eigenen Vermerks im Schreiben an den Deutschen Bundeswehrverband und wegen der von dem Kollegen Sch. jeweils auf den 4. April 2002 eingetragenen Frist habe die in der Kanzlei tätige Mitarbeiterin Frau K. ihrerseits keine Veranlassung gesehen, einen möglichen früheren Fristablauf in Erwägung zu ziehen, sondern mit Schreiben vom 26. März 2002 die vermeintlich erst am 4. April 2002 ablaufende Berufungsfrist auch dem in der Berufungsinstanz tätigen Rechtsanwalt W. W. mitgeteilt.

Demzufolge hatte der Senat davon auszugehen, dass jedenfalls die frühere Verteidigerin, die Rechtsanwältin T., durch ihr Verhalten bei der kanzleiinternen Berechnung der Berufungsfrist schuldhaft gehandelt hat, zumal da sie durch ein Schreiben der Geschäftsstelle der ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 26. Februar 2002 mit dem ausdrücklichen Zusatz darauf hingewiesen worden ist, „dass dem Soldaten eine Ausfertigung des Kammerurteils mit fristbestimmender Wirkung zugestellt wurde.“

Auch der derzeitige Verteidiger des Soldaten hätte Anlass gehabt, die Angaben des Rechtsanwalts Sch. im Schreiben vom 26. März 2002 schon deshalb nachzuprüfen, weil dessen Hinweis („durch Urteil vom 21.02.2002, das uns am 04. März 2002 zugestellt worden ist, wurde in der Sache entschieden... Die Berufungsfrist endet am 4. April 2002“) nicht erkennen ließ, ob die Vorschrift des § 111 Abs. 2 WDO bei der Fristberechnung beachtet worden war; der derzeitige Verteidiger konnte sich - ohne eigene Überprüfung einer solchen Fristberechnung - nicht ohne weiteres darauf verlassen, dass die Angaben eines früheren Verteidigers zur Fristberechnung zutreffend waren. Dafür gibt es weder einen gültigen Erfahrungssatz noch einen generellen Vertrauensschutz. Vielmehr obliegt es jedem Rechtsmittelführer, die Frage der Einhaltung einer gesetzlichen Frist vor Einlegung eines Rechtsmittels selbstständig zu prüfen. Er kann sich jedenfalls zu seiner Entlastung nicht darauf berufen, dass aus - von ihm nicht überprüften - schriftlichen Äußerungen eines Kollegen, der im Rahmen der vom Soldaten erteilten Prozeßvollmacht tätig war, für ihn nicht erkennbar gewesen sei, dass dessen Fristberechnung von einer falschen Voraussetzung ausgegangen sei.

Dieses fehlerhafte Verhalten seiner Bevollmächtigten muss sich der Soldat zurechnen lassen, weil ihn ein Mitverschulden an der Fristversäumnis trifft. Denn er war mündlich wie schriftlich, nämlich bei der Verkündung und Zustellung des Urteils, über Dauer, Beginn und Lauf der Rechtsmittelfrist belehrt worden. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. a.a.O.) ist auch ein anwaltlich vertretener Soldat bei der Beachtung prozessualer Vorschriften nicht von allen Sorgfaltspflichten freigestellt. Im vorliegenden Fall hätte er schon anlässlich des Telefonats mit seiner früheren Verteidigerin am 4. März 2002 diese nicht nur darüber unterrichten können, sondern auch informieren müssen, dass das gegen ihn ergangene Kammerurteil vom 21. Februar 2002 ihm schon am 1. März 2002 zugestellt worden war. Des Weiteren hätte er sich jedenfalls vor Ablauf der Rechtsmittelfrist vergewissern können und müssen, ob der Verteidiger unter Beachtung des Fristbeginns am 1. März 2002 rechtzeitig Berufung einlegen würde oder schon eingelegt hatte. Beides hat er jedoch versäumt, ohne dass dafür hinreichende Gründe ersichtlich geworden sind.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 139 Abs. 2 WDO.