Beschluss vom 24.11.2014 -
BVerwG 9 BN 3.14ECLI:DE:BVerwG:2014:241114B9BN3.14.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.11.2014 - 9 BN 3.14 - [ECLI:DE:BVerwG:2014:241114B9BN3.14.0]

Beschluss

BVerwG 9 BN 3.14

  • VGH Kassel - 10.06.2014 - AZ: VGH 5 C 716/14.N

In der Normenkontrollsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. November 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Buchberger und Dr. Bick
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Juni 2014 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 1. Die allein auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Dabei kommt die Zulassung der Revision nur bezüglich solcher Rechtsfragen in Betracht, auf die gemäß § 137 Abs. 1 VwGO eine Revision gestützt werden kann. Die Beschwerde muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung der aufgeworfenen, bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage(n) des Bundesrechts oder einer der in § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO genannten Vorschriften führen kann (stRspr; vgl. u.a. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26).

3 Dies lässt die Beschwerdebegründung nicht erkennen. Es wird nicht dargelegt, dass die aufgeworfene Frage,
welche rechtliche Bedeutung einer in einer Satzung oder per Gesetz beschlossenen Aussetzung auf bestimmte Zeit (befristete Aussetzung) beizumessen ist,
in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsbedürftig ist und ihre Klärung eine über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung hat.

4 Die aufgeworfene Frage zielt auf § 13 der Satzung des Antragsgegners über die Erhebung einer Jagdsteuer vom 11. November 1991 in der Fassung der Änderungssatzung vom 15. November 2011, durch den die Jagdsteuersatzung für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2016 außer Kraft gesetzt worden ist, und auf dessen Auswirkung auf die am 7. Mai 2013 neu erlassene Jagdsteuersatzung des Antragsgegners, mithin auf die Anwendung von - grundsätzlich nicht revisiblen - landesrechtlichen Regelungen. Soweit die Beschwerde vorträgt, die Aussetzungsregelung stehe dem Neuerlass der Satzung innerhalb des Aussetzungszeitraums zwingend entgegen, da ansonsten das „Vertrauen der Bürger“ verletzt würde, beruft sie sich zwar der Sache nach auf einen Verstoß gegen Bundesrecht, nämlich den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Grundsatz des Vertrauensschutzes. Die Beschwerde legt aber nicht - wie es bei landesrechtlichen Vorschriften erforderlich ist - dar, dass die Auslegung dieser gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von fallübergreifender Bedeutung aufwirft (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 7. März 1996 - BVerwG 6 B 11.96 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 7).

5 Hiervon abgesehen ist ein grundsätzlicher Klärungsbedarf in Bezug auf Fragen des Vertrauensschutzes im Zusammenhang mit der Änderung von Steuergesetzen bzw. Steuersatzungen auch nicht erkennbar. Vielmehr ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von folgenden Grundsätzen auszugehen: Unter Vertrauensschutzgesichtspunkten bedarf der Normgeber einer besonderen Rechtfertigung, wenn er die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert (zur Abgrenzung von der prinzipiell unproblematischen Fallgruppe der erstmaligen Regelung eines bisher ungeregelten Sachverhalts vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 2003 - 1 BvR 558/99 - BVerfGE 109, 96 <121 f.>). Normen mit echter Rückwirkung, die nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreifen („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“), sind grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Dagegen sind Normen mit unechter Rückwirkung, die auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft derart einwirken, dass Rechtsfolgen zwar erst nach der Verkündung der Norm eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“), in den Grenzen des Vertrauensschutzes und des Verhältnismäßigkeitsprinzips grundsätzlich zulässig. Im Steuerrecht liegt eine echte Rückwirkung nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert; demgegenüber ist die Änderung eines Steuergesetzes mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen. Für rückwirkende Regelungen innerhalb eines Veranlagungszeitraums gelten dabei allerdings im Verhältnis zu sonstigen Fällen unechter Rückwirkung gesteigerte Anforderungen, da sie den Fällen echter Rückwirkung nahe stehen. Abgesehen von diesem Sonderfall kann eine unechte Rückwirkung zu beanstanden sein, wenn zu der - für sich nicht schutzwürdigen - allgemeinen Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten (BVerfG, Beschlüsse vom 7. Juli 2010 - 2 BvL 14/02 u.a. - BVerfGE 127, 1 <16 ff.> und vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 - BVerfGE 132, 302 Rn. 41 ff. m.w.N.). Unter Umständen kann danach auch die vorzeitige Aufhebung bzw. Verkürzung befristeter Gesetze unzulässig sein (Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 91, Stand November 2006, m.w.N.).

6 Nach diesen Grundsätzen ist es im vorliegenden Fall entgegen dem Beschwerdevorbringen eindeutig und bedarf keiner Klärung in dem erstrebten Revisionsverfahren, dass einer Regelung wie der am 7. Mai 2013 neu erlassenen Jagdsteuersatzung des Antragsgegners eine echte Rückwirkung ebenso wenig zukommt wie eine Rückwirkung, die der echten Rückwirkung deshalb nahe steht, weil die fragliche Rechtsänderung (schon) den laufenden Veranlagungszeitraum betrifft. Denn nach der angegriffenen Neuregelung begann die Jagdsteuerpflicht, die vierteljährlich entsteht, erst mit dem dem Erlasszeitpunkt nachfolgenden Quartal (§ 2 Abs. 2, § 3 Abs. 2 der Jagdsteuersatzung).

7 Unbeschadet dieser hier nicht einschlägigen Fallgestaltungen stehen Rechtssicherheit und Vertrauensschutz nach den vorbezeichneten Grundsätzen in einem Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip, das eine Bindung eines künftigen Normgebers durch einen früheren - ebenso wie eine Selbstbindung desselben - Normgebers an sich verbietet. Hat der Normgeber „beachtliche Gründe“, bestehende Rechtslagen zu ändern, darf er das Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage enttäuschen. Wie das beschriebene Spannungsverhältnis aufzulösen ist, ob also beachtliche Vertrauensschutzgesichtspunkte auf Seiten des Bürgers - insbesondere getroffene Dispositionen - bzw. gewichtige Änderungsgründe auf Seiten des Normgebers vorliegen, und wie diese konkret zu gewichten sind, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab und entzieht sich einer grundsätzlichen Klärung.

8 2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.