Urteil vom 25.03.2003 -
BVerwG 1 D 25.02ECLI:DE:BVerwG:2003:250303U1D25.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 25.03.2003 - 1 D 25.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:250303U1D25.02.0]

Urteil

BVerwG 1 D 25.02

In dem Disziplinarverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht, 1. Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 25. März 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
M a y e r ,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht
H e e r e n ,
Regierungshauptsekretärin Beate G r a a f - S a u e r
und Postbetriebsassistent Reinhard W e b e r
als ehrenamtliche Richter
sowie
Regierungsdirektor ...
für den Bundesdisziplinaranwalt,
Assessorin ...,
als Verteidigerin,
und
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

  1. Die Berufung des Regierungshauptsekretärs
  2. ... gegen das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer XVI - ... -, vom 12. Juni 2002 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

I


1. In dem ordnungsgemäß eingeleiteten Disziplinarverfahren hat der Bundesdisziplinaranwalt nach Durchführung einer Untersuchung den am ... in ... geborenen Beamten angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er
in drei Fällen im Zeitraum März bis Juni 1999 als zuständiger Rechnungsführer für die Soldaten der 2. Luftwaffensicherungsstaffel (2. LwSichStff) und der Nachschub- und Transportstaffel (NuTStff) der Flugbereitschaft BMVg in ... von länger dienenden Wehrpflichtigen zurückgezahltes Entlassungsgeld in Höhe von insgesamt 4 200 DM unterschlagen hat.
2. Das Bundesdisziplinargericht hat den Beamten durch Urteil vom 12. Juni 2002 aus dem Dienst entfernt und ihm einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 50 v.H. seines erdienten jeweiligen Ruhegehalts auf die Dauer von sechs Monaten bewilligt. Es hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Ende Februar 1999 wurden dem Obergefreiten ... V. 1 500 DM als Entlassungsgeld ausgezahlt. Da er anschließend seinen Wehrdienst freiwillig verlängerte, musste er das Geld zurückzahlen. Obwohl der Beamte als Zahlungsbeauftragter nicht bestellt war und Zahlgeschäfte nur in den dafür vorgesehenen Räumen stattfinden dürfen, forderte er den Soldaten telefonisch auf, den Betrag an ihn zurückzuzahlen. Am 3. März 1999 erschien der Soldat im Staffelgeschäftszimmer und händigte dem Beamten 1 500 DM in bar aus. Er erhielt die Kopie einer Annahmeanordnung als Quittung. Der Beamte zahlte das Geld nicht bei der Zahlstelle oder der Bundeswehrkasse ein, sondern behielt es für sich. Es existieren weder Eintragungen in der Haushaltsüberwachungsliste noch im Berechnungs- und Jahresnachweis.
Auch der Obergefreite ... B. musste ein ihm im April 1999 gezahltes Entlassungsgeld in Höhe von 1 500 DM zurückzahlen. Auch diesen forderte der Beamte telefonisch auf, ihn zu diesem Zweck in seinem Büro aufzusuchen und ihm den Betrag in bar zu übergeben. Das geschah am 5. Mai 1999. Der Soldat erhielt hierfür eine Quittung. Der Beamte lieferte auch diesen Geldbetrag nicht in der Zahlstelle ab, sondern verwendete ihn für eigene Zwecke. Im Berechnungs- und Jahresnachweis ist die Rückzahlung zwar eingetragen, nicht jedoch in der Haushaltsüberwachungsliste.
Der Gefreite W. musste ebenfalls das ihm im Juni 1999 gezahlte Entlassungsgeld in Höhe von 1 200 DM zurückzahlen. Er gab dieses Geld in der 26. Kalenderwoche, vermutlich am 1. Juli 1999, auf ausdrückliche telefonische Anforderung durch den Beamten, an diesen zurück. Der Beamte lieferte diesen Betrag nicht ab, noch vermerkte er die Rückzahlung im Berechnungs- und Jahresnachweis und in der Haushaltsüberwachungsliste. Er legte das Geld in einem Briefumschlag in das Handschuhfach seines Autos. In der Zeit vom 27. bis 30. Juli 1999 war er krank und wurde vertreten. Als sein Vertreter von dem Gefreiten W. das Entlassungsgeld zurückfordern wollte, wies dieser darauf hin, dass er es bereits persönlich dem Beamten übergeben habe. Zur Rede gestellt, behauptete der Beamte zunächst, das Geld in der Zahlstelle abgegeben zu haben, später jedoch, die Einzahlung vergessen zu haben. Er holte sie am 4. August 1999 bei der Zahlstelle des Bundesverteidigungsministeriums nach. Bei den weiteren Nachforschungen wurden auch die beiden ersten Fälle aufgedeckt.
Der Beamte hat diesen Sachverhalt vor dem Bundesdisziplinargericht eingeräumt. Er habe die beiden ersten Geldbeträge zur Begleichung von Schulden verwendet, damit nicht noch mehr gepfändet werde. Auch mit dem dritten Geldbetrag habe er Schulden bezahlen wollen. Kurz zuvor sei der Gerichtsvollzieher bei ihm gewesen und habe ihm für die Zahlung eine Frist gesetzt. Mit dem dritten Geldbetrag habe er das aus der Welt schaffen wollen. Warum er das Geld zunächst im Handschuhfach gelassen habe, wisse er nicht mehr. Er habe damals auch gesundheitliche Probleme gehabt. Seit einer Magentumoroperation im Jahr 1994 müsse er regelmäßig behandelt werden. 1999 habe er sich auch psychisch in einer schwierigen Situation befunden, weil er seine neue Familie mit seinen finanziellen Schwierigkeiten aus erster Ehe nicht habe belasten wollen. Das habe auch zu Bluthochdruck und ähnlichen Beeinträchtigungen geführt. Nach der Aufdeckung der Verfehlungen habe er eine psychotherapeutische Behandlung begonnen, die er aber nach der Abordnung zum Streitkräfteunterstützungskommando abgebrochen habe.
Das Bundesdisziplinargericht hat die Handlungsweise des Beamten als Verstoß gegen die ihm obliegenden Pflichten zur uneigennützigen Verwaltung seines Amtes sowie zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 54 Sätze 2 und 3 BBG) gewertet. Er habe hierdurch ein vorsätzliches Dienstvergehen gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begangen, das wegen seiner Schwere zur Entfernung des Beamten aus dem Dienst habe führen müssen. Ein von der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund liege nicht vor. Dies gelte auch für eine auswegslose wirtschaftliche Notlage. Hierauf könne sich der Beamte schon deshalb nicht berufen, weil er das veruntreute Geld nicht zur Sicherung des Lebensbedarfs seiner Familie, sondern zur Begleichung von Schulden verwendet habe.
3. Gegen dieses Urteil hat der Beamte eine auf das Disziplinarmaß beschränkte Berufung eingelegt und die Verhängung einer milderen Disziplinarmaßnahme beantragt. Das Rechtsmittel wird im Wesentlichen wie folgt begründet:
Bei ihm habe eine psychische Ausnahmesituation vorgelegen, die durch die sich zuspitzende finanzielle Situation im Frühjahr 1999 und der damit verbundenen ständigen Besuche des Gerichtsvollziehers begründet worden sei. Darüber hinaus habe er sich in einer finanziellen Notlage befunden, die durch seine erste Ehefrau herbeigeführt worden sei. Auf Veranlassung seiner früheren Ehefrau habe er sich zu Gunsten ihres Bruders verschuldet, der dann seinen Verbindlichkeiten nicht nachgekommen sei. Durch diese Schulden sei es im Frühjahr 1999 zu zahlreichen Pfändungen gekommen.
Die Verhängung der Höchstmaßnahme sei auch aufgrund des Verhaltens des Vertreters des Bundesdisziplinaranwalts im Untersuchungsverfahren nicht nachvollziehbar. Dieser habe sich dahin geäußert, dass es im Rahmen des anhängigen Disziplinarverfahrens nicht bis zum "Äußersten" kommen werde. Dies habe er dahin verstanden, dass er nicht mit einer Entfernung aus dem Dienst rechnen müsse.

II


Die Berufung hat keinen Erfolg.
Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, d.h. auch nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen (vgl. zum Übergangsrecht z.B. Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - <NVwZ 2002, 1515>).
Das Rechtsmittel ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt. Der Senat ist daher an die Tat- und Schuldfeststellungen des Bundesdisziplinargerichts sowie an die disziplinarrechtliche Würdigung als innerdienstliches Dienstvergehen gebunden; er hat nur noch über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
Die Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme durch die Vorinstanz ist nicht zu beanstanden.
Das Bundesdisziplinargericht hat zutreffend festgestellt, dass der Beamte durch die Verwendung zurückgezahlter Entlassungsgelder für eigene Zwecke ein Zugriffsdelikt begangen hat, das nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich zur einseitigen Auflösung des Beamtenverhältnisses und damit zur Entfernung aus dem Dienst führt. Ein Zugriffsdelikt liegt vor, wenn ein Beamter dienstlich erlangtes oder anvertrautes Geld unterschlägt (stRspr; z.B. Urteil vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 D 31.01 - BVerwGE 116, 308 = Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 28). Davon ist hier auszugehen. Auch wenn der Beamte zur Entgegennahme der zurückgezahlten Entlassungsgelder nicht berechtigt war, so hat er doch durch die Entgegennahme dieser ihm anvertrauten Gelder dienstlichen Gewahrsam begründet. Die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses ist bei einem Zugriff auf derartige Gelder nur möglich, wenn ein in der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund vorliegt. Dies ist hier nicht der Fall.
Der Milderungsgrund des Handelns in einer unverschuldeten ausweglosen wirtschaftlichen Notlage zur Tatzeit kann dem Beamten nicht zugebilligt werden. Selbst wenn eine objektive Notlage tatsächlich vorgelegen hätte, so setzt ihre Anerkennung als Milderungsgrund voraus, dass der Zugriff auf dienstlich anvertrautes Geld zu dem Zweck erfolgte, den für den Beamten und seine Familie notwendigen Lebensunterhalt und sonstige unabweisbare Lebensbedürfnisse sicherzustellen. Eine Veruntreuung zur Begleichung von Schulden kann allenfalls dann den Milderungsgrund erfüllen, wenn es sich um solche Schulden handelt, deren Nichterfüllung den Beamten von den für den Lebensbedarf notwendigen Leistungen abschneiden würde (vgl. Urteil vom 8. Juni 1994 - BVerwG 1 D 72.93 -). Um derartige Schulden handelt es sich vorliegend erkennbar nicht. Der Beamte hat bzw. wollte das Geld für Schulden verwenden, damit nicht noch mehr gepfändet werde. Dabei aber ging es nach den Angaben des Beamten in der Verhandlung vor dem Senat ausschließlich um Bargeld. Zu Sachpfändungen ist es nie gekommen. Danach war die Rückzahlung der Schulden auf diese Weise überhaupt nicht erforderlich. Aufgrund der Pfändungsfreigrenzen war er vor Pfändungen weiterer Geldbeträge sicher.
Eine psychische Ausnahmesituation lag ebenfalls nicht vor. Eine solche Situation wird in aller Regel hervorgerufen durch den plötzlichen unvorhergesehenen Eintritt eines Ereignisses, das gemäß seiner Bedeutung für die besonderen Lebensverhältnisse des Betroffenen bei diesem einen seelischen Schock auslöst, der seinerseits zu der Begehung des Dienstvergehens führt. Hierfür ist nichts ersichtlich. Pfändungen waren bei dem Beamten bereits seit 1986 gleichsam an der Tagesordnung. Auch das Auftreten eines Gerichtsvollziehers war nicht geeignet, bei dem Beamten einen seelischen Schock auszulösen.
Die Äußerung des Beauftragten des Bundesdisziplinaranwalts, es werde nicht zu dem "Äußersten", das heißt nicht zu einer Dienstentfernung kommen und mit der er den Beamten möglicherweise beruhigen wollte, stellt für die Disziplinargerichte keinen Hinderungsgrund dar, eine derartige Maßnahme auszusprechen, wenn sie unumgänglich ist. Derartige Äußerungen vermögen die Gerichte nicht zu binden.
Mit dem vom Bundesdisziplinargericht bewilligten Unterhaltsbeitrag hat es sein Bewenden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 114 Abs. 1 Satz 1 BDO.