Beschluss vom 25.03.2009 -
BVerwG 10 B 68.08ECLI:DE:BVerwG:2009:250309B10B68.08.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.03.2009 - 10 B 68.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:250309B10B68.08.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 68.08

  • Hessischer VGH - 04.09.2008 - AZ: VGH 4 UE 155/06.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. März 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:

  1. Der Klägerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin ..., ..., beigeordnet.
  2. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. September 2008 wird verworfen.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 166 VwGO, §§ 114 ff., 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

2 Die auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde der Beklagten ist unzulässig. Sie legt den geltend gemachten Zulassungsgrund nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dar.

3 Die Beschwerde macht geltend, das Berufungsgericht gehe im Rahmen seiner Prognoseerstellung von dem Grundsatz aus, eine hinreichende Sicherheit vor Verfolgung setze voraus, dass Übergriffe gleichsam überhaupt nicht mehr vorkämen oder aber in jedem Fall vom Staate sanktioniert würden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 8. Februar 1989 - BVerwG 9 C 29.87 ) genüge jedoch auch bei dem abgesenkten Prognosemaßstab nicht die abstrakte, theoretische Möglichkeit einer fortdauernden Verfolgungsgefahr, sondern es müssten konkrete Anhaltspunkte im Einzelfall vorliegen, die ernsthafte Zweifel an der künftigen Sicherheit belegen könnten. Die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichts zeichneten sich durch wenig konkrete Belege für einen noch nicht gänzlichen Entfall der Foltergefahr aus. Zudem erscheine die Prognose im vorliegenden Fall als willkürliche (Gnaden-)Entscheidung, völlig aus der Luft gegriffen und sei daher in Wirklichkeit pure Spekulation.

4 Mit diesem Vorbringen und den weiteren Ausführungen der Beschwerde ist eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargetan. Diese setzt vielmehr die Bezeichnung eines inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatzes voraus, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung unter anderem des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Daran fehlt es hier. Das bloße Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung solcher Rechtssätze genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328).

5 Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung den für Vorverfolgte geltenden herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u.a. - BVerfGE 54, 341 <360>) und des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169) zugrunde gelegt. Die Beschwerde benennt auch mit dem Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und das Urteil vom 8. Februar 1989 (BVerwG 9 C 29.87 ) keinen abweichenden Rechtssatz aus der Entscheidung des Berufungsgerichts, sondern wendet sich gegen die aus ihrer Sicht unzutreffende Prognoseerstellung des Berufungsgerichts mit Blick auf die Situation in der Türkei. Damit kann sie die Zulassung der Revision nicht erreichen. Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht unter lediglich formaler Bezugnahme auf die Maßstäbe des Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgerichts in der Sache abweichende abstrakte Kriterien angewandt habe. Das ist auch nicht erkennbar, denn der Verwaltungsgerichtshof hat konkret für die Person der Klägerin ausgeführt, warum bei einer Rückkehr in die Türkei der Einsatz - politisch motivierter - subtiler Methoden der Folter anlässlich einer Überstellung an die politische Abteilung der Polizei nicht mit der erforderlichen hinreichenden Sicherheit auszuschließen ist. Ob in dem Herkunftsland ein Risiko der Folter besteht, wie hoch es ist und ob es sich in der Person des Asylbewerbers zu realisieren vermag, sind typischerweise - und so auch hier - Fragen der Sachverhalts- und Beweiswürdigung, bei der das Berufungsgericht zu anderen Ergebnissen gekommen ist als sie die Beklagte für richtig hält. Mit ihrem Vorbringen wendet sich die Beschwerde letztlich im Gewande der Divergenzrüge gegen die dem Tatsachengericht vorbehaltene Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, ohne die behauptete Maßstabsabweichung darzutun; damit kann sie die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht erreichen.

6 Der pauschale Hinweis auf die „Vermutungsumkehrung“ nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie rechtfertigt auch keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Der vom Berufungsgericht angewandte Maßstab der hinreichenden Verfolgungssicherheit führt nach der Rechtsprechung des Senats regelmäßig zu dem gleichen Ergebnis wie die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Vorlagebeschluss des Senats vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - juris Rn.14).

7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wurden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 RVG.