Beschluss vom 26.01.2005 -
BVerwG 7 B 156.04ECLI:DE:BVerwG:2005:260105B7B156.04.0

Beschluss

BVerwG 7 B 156.04

  • VG Chemnitz - 19.08.2004 - AZ: VG 9 K 1066/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Januar 2005
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y , H e r b e r t und
K r a u ß
beschlossen:

  1. Der Antrag des Klägers, den Notar Hans P. zu dem Verfahren beizuladen, wird abgelehnt.
  2. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 19. August 2004 wird aufgehoben.
  3. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht Chemnitz zurückverwiesen.
  4. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  5. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 94 589 € festgesetzt.

Der Kläger beansprucht aus abgetretenem Recht die Auskehr des Erlöses aus der investiven Veräußerung eines Mietwohngrundstücks, auf dessen Eigentum seine Rechtsvorgängerinnen, die 1906 geborene Frau K. und die 1910 geborene Frau S., Ende 1982 verzichtet hatten. Frau K. und Frau S. traten den von ihnen angemeldeten Rückübertragungsanspruch Ende 1992 mit notariellem Kaufvertrag an eine aus dem Kläger und dem Rechtsanwalt Wolfgang S. bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts ab. Als Gegenleistung wurden ein bei Grundbucheintragung der Käufer fälliger Kaufpreis von 40 000 DM sowie die Einräumung eines unentgeltlichen lebenslangen Wohnrechts im Nachbarhaus vereinbart; bei Ablehnung des Rückübertragungsanspruchs sollten beide Parteien vom Vertrag zurücktreten können. Seit 1993 ist der Kläger Alleininhaber des Gesellschaftsvermögens. Im Juli 1994 erwarb er das Grundstück aufgrund eines investiven Kaufvertrags mit der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zum Kaufpreis von 185 000 DM. Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen lehnte den Anspruch auf Erlösauskehr ab. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage abgewiesen, weil die Abtretung des Rückübertragungsanspruchs und der ihr zugrunde liegende Kaufvertrag wegen besonders groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung sittenwidrig seien.
Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers hat mit dem Ergebnis Erfolg, dass das angegriffene Urteil gemäß § 133 Abs. 6 VwGO aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wird.
1. Der Beiladungsantrag ist abzulehnen, weil ein Fall der notwendigen Beiladung (§ 65 Abs. 2 VwGO) nicht gegeben ist und eine Beiladung im Verfahren über die Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision ihren wesentlichen Zweck nicht erfüllen kann (Beschluss vom 20. Oktober 2000 - BVerwG 7 B 58.00 - Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 136).
2. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beschwerde hält für klärungsbedürftig, ob bei der Beurteilung eines groben Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung der Wert des Restitutionsanspruchs mit dem Wert des Grundstücks identisch sei. Die Frage hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Sie lässt sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles beantworten. Dabei kommt es insbesondere auf die jeweilige Vertragsgestaltung an. Der Wert des Rückübertragungsanspruchs in Bezug auf ein Grundstück knüpft an den Wert des Grundstücks an. Mit diesem muss der Wert des Rückübertragungsanspruchs nicht immer, kann er jedoch identisch sein (vgl. BGH, VIZ 1997, 105). Eine solche Übereinstimmung ist namentlich dann anzunehmen, wenn der Käufer und Zessionar des Rückübertragungsanspruchs durch die Vertragsgestaltung das wirtschaftliche Risiko ausgeschlossen hat, das der Erwerb eines in seinem Bestand ungewissen Rechts bedeutet hätte. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, lässt sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise klären. Davon abgesehen besteht nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts kein ernstlicher Zweifel daran, dass der Wert des Rückübertragungsanspruchs im vorliegenden Fall mit dem Grundstückswert übereinstimmte. Das ergibt sich bereits daraus, dass den Zessionaren für den Fall der Ablehnung des Rückübertragungsanspruchs ein vertragliches Rücktrittsrecht zustand. Angesichts dessen bestand für sie nicht das Risiko, die vereinbarte Gegenleistung auch dann erbringen zu müssen, wenn sie das Eigentum an dem Grundstück nicht erwarben. Der Kaufpreis war nach der Vertragsgestaltung ohnedies erst bei Eintragung der Zessionare als Eigentümer fällig. In Bezug auf das Wohnrecht hatten sich die Zedentinnen zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung verpflichtet, falls eine Vertragspartei zurücktreten sollte. Die bloße Möglichkeit, die Zahlung einer Entschädigung für das ausgeübte Nutzungsrecht der Zedentinnen nicht durchsetzen zu können, rechtfertigt in Bezug auf den Wert des Restitutionsanspruchs keinen Abschlag vom Grundstückswert.
Auch die von der Beschwerde für klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob ein Vertrag sittenwidrig sei oder aus einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung auf eine verwerfliche Gesinnung des Zessionars geschlossen werden könne, wenn als Gegenleistung für die Abtretung des Restitutionsanspruchs außer einem hinter dem Grundstückswert zurückbleibenden Kaufpreis auch ein lebenslanges Wohnrecht vereinbart worden sei, rechtfertigt die Zulassung der Grundsatzrevision nicht. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass der wirtschaftliche Wert des eingeräumten Wohnrechts nicht bestimmbar sei, weil der Beginn seiner Laufzeit in dem Vertrag nicht geregelt worden sei; überdies könne dem Wohnrecht mit Blick auf das fortgeschrittene Alter der Zedentinnen kein wirtschaftlicher Wert zukommen, der das auffällige Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung entfallen lasse. Angesichts dessen würde sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Davon abgesehen ist die Frage, soweit sie einer Verallgemeinerung fähig ist, anhand der vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zu beantworten, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Da der wirtschaftliche Wert eines Wohnrechts maßgeblich auch durch die Lebenserwartung des Berechtigten bestimmt wird, kann der Wert eines Wohnrechts im fortgeschrittenen Alter so gering zu veranschlagen sein, dass er für die Sittenwidrigkeit eines Vertrags über die Abtretung eines Restitutionsanspruchs, dessen Wert der Kaufpreis um mehr als das Vierfache unterschreitet, nicht kausal ist; denn von einem besonders groben Missverhältnis, das den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung zulässt, ist bereits dann auszugehen, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung (vgl. BGH, NJW 1992, 899).
3. Das Urteil beruht jedoch auf der von der Beschwerde gerügten Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO). Wie sich aus den Erwägungen des Verwaltungsgerichts zum wirtschaftlichen Wert des Wohnrechts unter Berücksichtigung des Alters der Zedentinnen bei Vertragsschluss ergibt, war die Frage, welche Dauer der Ausübung des Wohnrechts zu erwarten war, nach seiner Rechtsauffassung für die Entscheidung nicht unerheblich. Es hätte deshalb - gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen - klären müssen, welcher Wert dem Wohnrecht nach der anzunehmenden Dauer seiner Ausübung tatsächlich zukam; mit seinen mehr oder weniger spekulativen Erwägungen zu dieser Frage durfte es sich nicht begnügen. Eine solche Klärung musste sich dem Verwaltungsgericht nach dem Vorbringen des Klägers in dessen Schriftsätzen vom 13. Februar und vom 6. Mai 2004 aufdrängen. In diesen Schriftsätzen hat der Kläger Ausführungen zum Jahreswert des Wohnrechts und zur bei Vertragsschluss anzunehmenden Lebenserwartung der Zedentinnen gemacht. Träfen diese Behauptungen zu, könnte nicht mehr ohne weiteres von einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ausgegangen werden. Dieser Klärung konnte sich das Verwaltungsgericht nicht ohne weiteres mit Blick darauf entziehen, dass es den Beginn der Laufzeit für nicht bestimmt hielt. Da die Ausübung des Wohnrechts dem Vertrag zufolge mit der Herstellung der Wohnung und dem Abschluss der Renovierungsarbeiten beginnen sollte, hätte das Verwaltungsgericht - falls notwendig, nach weiteren Sachverhaltsermittlungen - zumindest nachvollziehbar darlegen müssen, warum sich seiner Auffassung nach aus diesen Umständen der Beginn der vom Kläger geschuldeten Leistung nicht entnehmen ließ. Im Hinblick darauf, dass es bisher an einem nachvollziehbaren Standpunkt des Gerichts zum Beginn der wirtschaftlichen Bemessbarkeit des Wohnrechts fehlt, durfte es jedenfalls bei der Prüfung, ob der wirtschaftliche Wert des Wohnrechts das besonders grobe Missverhältnis zwischen dem Wert des Rückübertragungsanspruchs und dem vertraglich geschuldeten Kaufpreis ausgleichen konnte, nicht ungeklärt lassen, mit welchem Betrag dieser Wert anzusetzen war. Namentlich durfte es hierbei ohne Darlegung von Gründen, aus den sich der gerichtliche Sachverstand für die Beurteilung dieser Frage ergab, nicht eine angebliche Lebenserwartung von 73,6 Jahren zugrunde legen und aus der Tatsache, dass die Zedentinnen dieses Alter bei Vertragsschluss bereits weit überschritten hatten, auf einen für die Wertrelation vernachlässigbaren Wert des Wohnrechts schließen. Da die Aufklärungsrüge des Klägers begründet ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob auch der behauptete Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vorliegt.
Der Senat nimmt den dem Verwaltungsgericht unterlaufenen Verfahrensfehler zum Anlass, gemäß § 133 Abs. 6 VwGO durch Beschluss zu entscheiden. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.