Beschluss vom 26.01.2006 -
BVerwG 6 B 88.05ECLI:DE:BVerwG:2006:260106B6B88.05.0

Beschluss

BVerwG 6 B 88.05

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 30.09.2005 - AZ: 3 LB 15/04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Januar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H a h n und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. September 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 645 € festgesetzt.

Gründe

1 1. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2 Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann. Wird wie hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt oder die Entscheidung, von der die Berufungsentscheidung abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO beschränkt.

3 a) Der in erster Linie geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte ist nicht gegeben. Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz im Sinne der genannten Vorschrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem ebensolchen Rechtssatz abgerückt ist, der von einem der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellt worden ist. Dabei müssen die Rechtssätze sich grundsätzlich auf dieselbe Rechtsnorm beziehen. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt in diesem Zusammenhang, dass in der Beschwerdebegründung ausgeführt wird, dass und inwiefern das Berufungsgericht seine Entscheidung auf einen in der genannten Weise widersprechenden Rechtssatz gestützt hat.

4 aa) Die Klägerin führt den Beschluss vom 3. Mai 1995 - BVerwG 1 B 222.93 - (Buchholz 451.45 § 113 HwO Nr. 2 = GewArch 1995, 425) an und entnimmt ihm, dass Kammerbeiträge wesentlichen Verschiedenheiten der Mitglieder Rechnung tragen müssten und Beiträge im Verhältnis der Beitragspflichtigen vorteilsgerecht sein müssten; der Vorteilsbegriff könne auch dann erfüllt sein, wenn der Nutzen der von der Kammer finanzierten Tätigkeit nicht messbar sei, sondern weitgehend nur vermutet werden könne, insbesondere keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen darstelle. In dem Urteil vom 26. Januar 1993 - BVerwG 1 C 33.89 - (BVerwGE 92, 24 <25, 27>) habe das Bundesverwaltungsgericht die Vorteile nach den Aufgaben der betreffenden Kammer abstrakt bestimmt. Demgegenüber habe das Oberverwaltungsgericht folgenden Rechtssatz aufgestellt: "Darüber hinaus war die Beklagte hier ausnahmsweise auch aus einem anderen Grund nicht verpflichtet, bei der Bestimmung des für die Beitragsbemessung maßgebenden Nutzens der Kammertätigkeit (vorrangig) auf die Aufgabenbeschreibung abzustellen. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Beitragssatzung befand sich die Beklagte mitten in der Errichtungsphase. Während dieser Phase hatte sie ihren Geschäftsbetrieb im eigentlichen Sinne noch nicht - allenfalls in äußerst geringem Maße - aufgenommen, so dass es zur Wahrnehmung der ihr gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Hauptsatzung obliegenden Aufgaben noch nicht - allenfalls in äußerst geringem Maße - gekommen war".

5 Mit diesem und dem weiteren Vorbringen in diesem Zusammenhang wird eine Divergenz nicht dargelegt. Selbst wenn in der angeführten Passage des angefochtenen Urteils ein Rechtssatz im Sinne einer Umschreibung normativer Voraussetzungen aufgestellt sein sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht damit von den angeführten Rechtssätzen in den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen ist. Das Berufungsgericht führt vielmehr eingangs der angeführten Stelle aus, dass bei der Bestimmung des für die Beitragsbemessung maßgeblichen Nutzens der Kammertätigkeit grundsätzlich auf die im Heilberufegesetz und der Hauptsatzung der Beklagten normativ festgelegten Aufgaben abzustellen sei. Nur unter den besonderen Umständen der vorliegenden Konstellation (Fehlen einer Hauptsatzung, Errichtungsphase) müsse nicht "(vorrangig)" auf die Aufgabenbeschreibung abgestellt werden, sondern dürften die von ihm angeführten Erwägungen Gewicht erlangen.

6 Das Berufungsgericht konnte außerdem deshalb nicht von Rechtssätzen in den angeführten Entscheidungen abweichen, weil sich der Beschluss vom 3. Mai 1995 mit den Voraussetzungen für einen Sonderbeitrag für Handwerkskammermitglieder zur Finanzierung der betrieblichen Ausbildung befasst und das Urteil vom 26. Januar 1993 eine einkommensabhängige Beitragsbemessung betrifft, welche die Klägerin im vorliegenden Falle gerade vermisst. Dass das Oberverwaltungsgericht in Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG von einem Rechtssatz in den genannten Entscheidungen abweicht, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Das Berufungsgericht hat vielmehr wegen der Besonderheit der Beitragserhebung für die Errichtungsphase der Beklagten rechtliche Erwägungen angestellt, die in den von der Klägerin herangezogenen Entscheidungen nicht veranlasst waren.

7 bb) Die außerdem geltend gemachte Abweichung von dem Urteil vom 25. November 1971 - BVerwG 1 C 48.65 - (BVerwGE 39, 100 <103>) ist ebenfalls nicht den Anforderungen gemäß dargelegt. Dort hat das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Prüfung einer Verletzung des Kammermitglieds in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG die von der Klägerin angeführte Passage zur Beschreibung der Kammeraufgaben für die Gruppe der beamteten Ärzte und der geringen Intensität der Bindungen dieser Mitglieder durch die Kammertätigkeit verwendet. Ein Zusammenhang mit der vorliegenden Problematik wird durch die Klägerin nicht dargelegt, außerdem fehlt es an der Darlegung eines widerstreitenden Rechtssatzes.

8 b) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage verleiht der Sache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung. Die Klägerin hält die Frage für klärungsbedürftig, ob eine berufsständische Kammer bei Erlass ihrer Beitragssatzung die Beiträge gegebenenfalls nach Maßgabe der ihr zugewiesenen gesetzlichen Aufgaben differenzieren muss, auch wenn sie sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Errichtungsphase befindet. Diese Frage kann nicht abstrakt beantwortet werden, weil sie sich vorrangig nach dem jeweils zur Anwendung kommenden Kammerrecht beantwortet, das hier nicht revisibles Landesrecht ist. Soweit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit als korrigierender Maßstab heranzuziehen ist, führt die Frage nicht auf eine noch nicht geklärte Problematik. Vielmehr sind die Grundsätze der Beitragserhebung, soweit sie sich verallgemeinern lassen, bereits in zahlreichen Entscheidungen und namentlich in dem von der Klägerin angeführten Beschluss vom 3. Mai 1995 und in dem weiteren Beschluss vom 30. September 1998 - BVerwG 1 B 94.98 - (GewArch 1999, 23) dargestellt. Die dort umschriebene Vorteilsgerechtigkeit muss nicht dadurch verletzt sein, dass während der Errichtungsphase einer Kammer das Fehlen messbarer Unterschiede in der Aufgabenwahrnehmung für sonst unterscheidbare Gruppen von Berufsangehörigen bei der Beitragsbemessung berücksichtigt wird.

9 Überdies bezieht sich die aufgeworfene Frage auf inzwischen ausgelaufenes Recht. Wie die Klägerin selbst mit Schriftsatz vom 11. Januar 2005 vorgetragen hat, hat die Beklagte für das Beitragsjahr 2005 fünf Beitragsklassen einzuführen beschlossen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Rechtsfragen bei auslaufendem Recht trotz anhängiger Fälle regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung, da die Zulassungsvorschrift des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur eine für die Zukunft geltende Klärung herbeiführen soll. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Klärung noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung ist. Für das Vorliegen einer solchen Sachlage ist der Beschwerdeführer darlegungspflichtig. Es müssen Anhaltspunkte für eine erhebliche Zahl von Altfällen dargetan und ersichtlich sein (Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9). Daran fehlt es. Der Hinweis der Klägerin darauf, dass sich die aufgeworfene Rechtsfrage "auf den Erlass der ersten Beitragssatzung der Psychotherapeutenkammer Ost auswirken wird", genügt dafür nicht. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, gleichsam gutachterlich Rechtsfragen zu beurteilen, die sich in Bezug auf eine andere Kammer möglicherweise ebenfalls stellen. Abgesehen davon ist nicht erkennbar, dass eine erst noch zu gründende Kammer ihre Beitragssatzung an derjenigen der Beklagten orientieren wird.

10 2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.