Verfahrensinformation

Die Kläger verlangen die Erstattung von Kosten des Widerspruchs gegen ihre Einberufung zum Wehrdienst. Nachdem sie von ihrer bevorstehenden Einberufung Kenntnis erlangt hatten, stellte sie jeweils einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Darüber hinaus legten sie gegen den Einberufungsbescheid Widerspruch ein. Das zuständige Kreiswehrersatzamt hob im Hinblick auf den gestellten Anerkennungsantrag den Einberufungsbescheid auf und erklärte den Widerspruch für erledigt. Die Kläger sind der Ansicht, das Kreiswehrersatzamt habe ihrem Widerspruch stattgeben müssen und sei infolgedessen verpflichtet, die ihnen im Widerspruchsverfahren entstandenen Anwaltskosten zu erstatten. Die Verwaltungsgerichts Darmstadt und Frankfurt haben den Klagen stattgegeben. Gegen diese Urteile richten sich die vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revisionen der Kläger.


Beschluss vom 14.11.2002 -
BVerwG 6 B 21.02ECLI:DE:BVerwG:2002:141102B6B21.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.11.2002 - 6 B 21.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:141102B6B21.02.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 21.02

  • VG Darmstadt - 14.02.2002 - AZ: VG 1 E 548/95(2)

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. November 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht B ü g e und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Darmstadt über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 14. Februar 2002 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Sie kann zur Klärung der Frage beitragen, ob und in welcher Weise die Grundsätze aus dem Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 4 C 6.95 - (BVerwGE 101, 64) zum Wahlrecht der Behörde zwischen stattgebender Widerspruchsentscheidung und Rücknahme des angefochtenen Bescheides auf Wehrpflichtsachen übertragen werden können, wenn ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Einberufungshindernis zwischen Herausgabe und Zustellung des Einberufungsbescheides auftritt, gegen den anschließend Widerspruch eingelegt wird.
Rechtsmittelbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 6 C 25.02 fortgesetzt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, einzureichen.
Für den Revisionskläger besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Der Revisionskläger muss sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften ferner durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. In derselben Weise muss sich jeder Beteiligte vertreten lassen, soweit er einen Antrag stellt.

Urteil vom 26.03.2003 -
BVerwG 6 C 25.02ECLI:DE:BVerwG:2003:260303U6C25.02.0

Urteil

BVerwG 6 C 25.02

  • VG Darmstadt - 14.11.2002 - AZ: VG 1 E 548/95(2)

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. März 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r sowie die Richter am Bundes-verwaltungsgericht Dr. H a h n , Dr. G e r h a r d t ,
B ü g e und Dr. G r a u l i c h
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 14. Februar 2002 wird aufgehoben.
  2. Die Klage wird abgewiesen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

I


Mit Bescheid vom 1. November 1994 berief das Kreiswehrersatzamt D. den Kläger zum 2. Januar 1995 zur Ableistung des Grundwehrdienstes ein. Der Bescheid wurde am 9. November 1994 per Einschreiben abgesandt. Am 11. November 1994 stellte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten per Telefax einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Am 18. November 1994 legte der Bevollmächtigte namens des Klägers Widerspruch gegen den Einberufungsbescheid vom 1. November 1994 ein. Das Kreiswehrersatzamt D. hob mit Bescheid vom 29. November 1994 den Einberufungsbescheid auf. Unter "Grund" wurde ausgeführt: "Ihr Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Ihr Widerspruch vom 18.11.1994 ist damit erledigt."
Der Kläger legte am 6. Dezember 1994 gegen den Bescheid vom 29. November 1994 Widerspruch ein. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Bescheid helfe dem mit Schriftsatz vom 18. November 1994 eingelegten Widerspruch ab und habe daher eine Kostenentscheidung zu enthalten. Soweit diese fehle, sei der Bescheid rechtswidrig.
Die Wehrbereichsverwaltung IV wies mit Bescheid vom 16. Februar 1995 den Widerspruch vom 6. Dezember 1994 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Einberufungsbescheid sei nicht aufgrund des Widerspruchs, sondern wegen des Antrages auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer widerrufen worden. Mit dem Widerruf des Einberufungsbescheides sei auch der nicht begründete Widerspruch erledigt gewesen. Dies habe das Kreiswehrersatzamt zutreffend festgestellt. Eine für den Kläger günstige Kostenlastentscheidung hätte nur getroffen werden müssen, wenn der Widerspruch voraussichtlich erfolgreich gewesen wäre. Eine solche positive Entscheidung habe jedoch nicht getroffen werden können, da keinerlei Gründe in dem Widerspruchsschreiben angeführt worden seien. Das Kreiswehrersatzamt D. habe mit seinem "qualifizierten Schweigen" die richtige Entscheidung getroffen.
Auf die rechtzeitig erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, den Bescheid des Kreiswehrersatzamtes D. vom 29. November 1994 dahingehend zu ergänzen, dass notwendige Aufwendungen im Widerspruchsverfahren erstattet werden und die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt: Zu beurteilen seien die Voraussetzungen des § 72 VwGO und § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Gegenstand des Widerspruchsverfahrens sei der Einberufungsbescheid vom 1. November 1994 gewesen, gegen den der Kläger am 18. November 1994 Widerspruch erhoben habe. Dem Kreiswehrersatzamt habe - nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. April 1996 - BVerwG 4 C 6.95 - BVerwGE 101, 64 - eine Wahlbefugnis über die Art der Verfahrensbeendigung zugestanden, um zwischen Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und effektivem Rechtsschutz im Einzelfall einen angemessenen Ausgleich zu finden. Die Wahlbefugnis sei nicht rechtmäßig ausgeübt worden. Die Behörde sei der Auffassung gewesen, dass der Einberufungsbescheid deshalb rechtswidrig gewesen sei, weil vor dessen Wirksamwerden nach § 43 Abs. 1 VwVfG der Antrag des Klägers auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer bei dem Kreiswehrersatzamt eingegangen sei. Bei dieser Sachlage, bei der von der Begründetheit des Widerspruchs auszugehen gewesen sei, hätte das Kreiswehrersatzamt nachvollziehbare Ermessenserwägungen anstellen müssen, um zu begründen, weshalb es dem Widerspruch nicht abgeholfen, sondern den Einberufungsbescheid widerrufen und das Widerspruchsverfahren als erledigt angesehen habe. Da das Kreiswehrersatzamt solche Erwägungen nicht angestellt habe, habe es seine Wahlmöglichkeit nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass eine Rücknahme des Einberufungsbescheides außerhalb des anhängigen Widerspruchsverfahrens einzig dem Ziel gedient habe, eine dem Kläger günstige Kostenentscheidung zu vermeiden; für eine andere Betrachtungsweise fehle jeglicher Anhaltspunkt.
Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Revision vor: Nach den tatsächlichen Feststellungen im Urteil sei davon auszugehen, dass es sich bei der streitigen Behördenentscheidung nicht um eine Abhilfeentscheidung gemäß § 72 VwGO handele, die mit einer Kostenentscheidung zu versehen gewesen sei. Eine solche sei ungeachtet dessen auch deswegen nicht zu treffen gewesen, weil sich das Widerspruchsverfahren durch Stellung des Antrages auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zwischen Ausgang und fiktivem Zugang des Einberufungsbescheides erledigt habe. Es bestehe kein rechtlich relevanter Zusammenhang zwischen der Rücknahmeentscheidung und dem vorangegangenen Widerspruch. Der Widerspruch selbst sei erkennbar nicht der Anlass für die Entscheidung der Beklagten gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt ergänzend aus: Der von der Beklagten angezweifelte rechtlich relevante Zusammenhang zwischen dem Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer und der Rücknahme des Einberufungsbescheides lasse sich schon deswegen nicht bestreiten, weil die Beklagte im Aufhebungsbescheid selbst darauf ausdrücklich Bezug genommen habe.

II


Die Revision hat Erfolg. Das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Klage ist als Verpflichtungsklage (§ 42 VwGO) zulässig. Der stattgebende erstinstanzliche Ausspruch, den der Kläger im Revisionsverfahren verteidigt, ist dem Wortlaut von § 80 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 VwVfG nachgebildet. Beide genannten Vorschriften setzen die Notwendigkeit einer Kostengrundentscheidung zugunsten des Erstattungsberechtigten voraus (s. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwVfG i.V.m. §§ 72, 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO), die vom Verwaltungsgericht nicht in den Urteilsausspruch aufgenommen worden ist, obwohl sie vom Kläger sinngemäß begehrt war. Ein dahingehendes Begehren ist unbedenklich. Der Widerspruchsführer kann die Behörde auf eine positive Kostengrundentscheidung klageweise in Anspruch nehmen; in diesem Rahmen erstreckt sich die gerichtliche Prüfung auch darauf, ob die Behörde überhaupt verpflichtet war, eine Kostenentscheidung zu treffen (vgl. BVerwGE 62, 296, 298; 77, 268, 270; 101, 64, 68).
2. Die Verpflichtungsklage ist jedoch unbegründet, denn der Kläger hat entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts keinen Anspruch auf eine Kostengrundentscheidung zu seinen Gunsten und die zugleich erstrebten weitergehenden Feststellungen zur Kostenerstattungspflicht der Beklagten. Der vom Verwaltungsgericht angenommene Ermessensfehler trägt das angefochtene Urteil nicht.
Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Kostengrundentscheidung ist § 72 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Die danach erforderliche Abhilfeentscheidung ist nicht ergangen. Der Widerspruchsführer ist zwar so zu stellen, als wäre eine Abhilfeentscheidung ergangen, wenn die Voraussetzungen dafür vorgelegen haben (a) und die an ihrer Stelle getroffene Entscheidung für einen Rücknahmebescheid gemäß § 48 VwVfG treuwidrig war (b). An letzterem fehlt es hier aber.
a) Die Voraussetzungen zum Erlass einer Abhilfeentscheidung gemäß § 72 VwGO lagen allerdings vor, denn der Widerspruch des Klägers war zulässig und begründet.
aa) Der Kläger hat mit seinem Telefaxschreiben vom 18. November 1994, das an demselben Tage beim Kreiswehrersatzamt einging, dem Einberufungsbescheid vom 1. November 1994 in zulässiger Weise widersprochen. Der Einberufungsbescheid war am 12. November 1994 und damit vor der Einlegung des Widerspruchs wirksam geworden, weil er am 9. November 1994 per Einschreiben an den Kläger abgesandt worden war und somit gemäß § 4 Abs. 1 VwZG am dritten Tag nach Absendung als zugestellt galt. Er war auch nicht etwa wegen des am 11. November 1994 gestellten Antrages des Klägers auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer als von vornherein gegenstandslos oder unbeachtlich anzusehen. Zwar steht nach § 3 Abs. 2 KDVG der Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer unter den dort näher beschriebenen Voraussetzungen der Heranziehung zum Wehrdienst entgegen. Doch nimmt diese Vorschrift dem gleichwohl ergangenen Einberufungsbescheid nicht seine Wirksamkeit, sondern berechtigt den Wehrpflichtigen allenfalls zur Anfechtung des Bescheides wegen Rechtswidrigkeit der Heranziehung zum Wehrdienst. Ähnliches gilt nach § 29 Abs. 1 Nr. 7 WPflG für einen nach der Einberufung gestellten Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, weil nach dieser Vorschrift ein aufgrund der Wehrpflicht Wehrdienst leistender Soldat erst nach seiner Anerkennung aus dem Wehrdienst zu entlassen ist; bis zur Unanfechtbarkeit seiner Anerkennung bleibt er zum Dienst verpflichtet (vgl. Steinlechner/Walz, Wehrpflichtgesetz, 6. Aufl. 2003, § 29 Rn. 21). Eine Erledigung des gegen den Einberufungsbescheid gerichteten Widerspruchsverfahrens ist somit erst durch den Aufhebungsbescheid vom 29. November 1994 eingetreten.
bb) Der Widerspruch gegen den Einberufungsbescheid war infolge des Antrages auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer auch begründet. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 KDVG ist eine Einberufung zum Wehrdienst vom Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer an erst zulässig, wenn der Antrag unanfechtbar oder rechtskräftig abgelehnt oder zurückgenommen worden ist. Mit dem vom Kläger am 11. November 1994 gestellten Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer trat somit eine Einberufungssperre ein, die zur Rechtswidrigkeit des am 12. November 1994 wirksam gewordenen Einberufungsbescheides führte. Dies gilt auch für den Fall, dass der Kläger, bei der Stellung des Anerkennungsantrages bereits Kenntnis von dem Einberufungsbescheid hatte. Die in § 3 Abs. 2 Satz 1 KDVG vorgesehene Einberufungssperre als Folge des Antrages auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer wird nämlich auch dann ausgelöst, wenn der Antrag erst in Reaktion auf den tatsächlichen Empfang des am vorangehenden Tag als Einschreiben bei der Post aufgegebenen Einberufungsbescheides gestellt wird (Urteil vom 3. Juli 1987 - BVerwG 8 C 28.85 - Buchholz 448.6 § 3 KDVG Nr. 3).
b) Der Kläger ist jedoch nicht so zu stellen, als wäre eine Abhilfeentscheidung ergangen, weil die an ihrer Stelle von der Beklagten getroffene Entscheidung für einen Rücknahmebescheid gemäß § 48 VwVfG nicht treuwidrig war.
aa) Erkennt die Behörde nach eingelegtem Widerspruch, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig und zugleich deswegen der Widerspruch Erfolg versprechend ist, so stehen ihr grundsätzlich zwei Verfahrensarten zu Gebote: Sie kann dem Widerspruch unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach § 72 VwGO abhelfen und damit das Widerspruchsverfahren zugunsten des Widerspruchsführers formell abschließen. Sie kann aber auch in einem eigenständigen Verwaltungsverfahren außerhalb des Widerspruchsverfahrens den als rechtswidrig erkannten Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zurücknehmen; auch damit ist der Verwaltungsakt aufgehoben (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG). Beide Verfahrensweisen tragen dem Anliegen des Widerspruchsführers in der Sache Rechnung. Sie unterscheiden sich der Form nach sowie hinsichtlich der kostenrechtlichen Nebenfolgen. Während § 72 VwGO für die Abhilfeentscheidung einen Kostenausspruch vorschreibt, der in der Regel nach Maßgabe von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zugunsten des Widerspruchsführers auszufallen hat, ist Vergleichbares für die Rücknahme eines belastenden Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht vorgesehen.
bb) Die Wahlfreiheit der Behörde zwischen beiden Verfahrensweisen steht unter dem Vorbehalt, dass der auch im öffentlichen Recht geltende Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) einzuhalten ist. Wählt die Behörde den Weg der Rücknahme nach § 48 VwVfG ausschließlich deswegen, weil sie bei erkannter Erfolgsaussicht des Widerspruchs den Widerspruchsführer um den zu erwartenden Kostenanspruch bringen will, so fällt ihr ein Formenmissbrauch zur Last mit der Folge, dass die behördliche Formenwahl nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unbeachtlich ist. In dieselbe Richtung weist der in § 162 Abs. 1 BGB angelegte Rechtsgedanke, wonach niemand aus einem von ihm treuwidrig verhinderten Ereignis Vorteile soll ziehen dürfen (vgl. Beschluss vom 18. Mai 1993 - BVerwG 4 B 65.93 - Buchholz 406.11 § 30 BauGB Nr. 33; Urteil vom 25. Oktober 1996 - BVerwG 8 C 24.96 - BVerwGE 102, 194, 199). Unterlässt die Behörde daher treuwidrig die Abhilfeentscheidung nach § 72 VwGO, ohne die der Kostenerstattungsanspruch des Widerspruchsführers nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ausscheidet, dann ist sie im Hinblick auf die Kosten so zu stellen, als wäre die Abhilfeentscheidung ergangen (vgl. Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 4 C 6.95 - BVerwGE 101, 64, 72).
cc) Entscheidet sich die Behörde trotz von ihr erkannter Zulässigkeit und Begründetheit des Widerspruchs für den Weg der Rücknahme nach § 48 VwVfG, so handelt sie nur dann im Sinne der vorangegangenen Ausführungen rechtsmissbräuchlich, wenn ihr gute Gründe für diese Verfahrensweise nicht zur Seite stehen. Solche Gründe liegen hier vor:
Wie die Beklagte zu Recht hervorhebt, ist das die Rechtswidrigkeit der Einberufung bewirkende Ereignis - der Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer - erst eingetreten, nachdem das Kreiswehrersatzamt sich des Einberufungsbescheides mit dessen Absendung bereits entäußert hatte. Die Beklagte ist mithin durch den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erst zu diesem Zeitpunkt und kurz vor der Zustellung des Einberufungsbescheides und dem dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers ins Unrecht gesetzt worden. Es war daher von vornherein zu erwarten, dass das Kreiswehrersatzamt den schon abgesandten Einberufungsbescheid unabhängig von einem Rechtsbehelf des Klägers aufheben würde. Ein solcher Vorgang kommt einem Ereignis nahe, welches nach eingelegtem Widerspruch zur Erledigung des angefochtenen Verwaltungsakts und damit zugleich des Widerspruchsverfahrens führt. Erledigt sich aber der Widerspruch, so war dieser nicht erfolgreich im Sinne von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG mit der Folge, dass es an der wesentlichen Voraussetzung für den Kostenerstattungsanspruch des Widerspruchsführers fehlt (vgl. Urteil vom 18. April 1996 a.a.O. S. 68).
Das die Rechtswidrigkeit der Einberufung auslösende Ereignis lag hier auch nicht im behördlichen Verantwortungsbereich, sondern in demjenigen des Widerspruchsführers, so dass auch insoweit §§ 162, 242 BGB keine Wertung zugunsten des Klägers gebieten. Zwar trägt grundsätzlich die Behörde die Verantwortung dafür, dass die von ihr erlassenen Bescheide der Rechtsordnung entsprechen; dies gilt auch im Hinblick auf etwaige Rechtswidrigkeitsgründe, die unmittelbar vor dem Wirksamwerden des Bescheides ohne die Möglichkeit einer rechtzeitigen Reaktion der Behörde eintreten. Doch darf im vorliegenden Fall nicht außer Acht bleiben, dass der Kläger seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erst im Zeitraum zwischen Absendung des Einberufungsbescheides und Eintritt der Zustellungsfiktion beantragt hat. Der Kläger hat mithin den Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, der ihn vor der Heranziehung zum Wehrdienst bewahren sollte, sehr spät gestellt. Der Antrag eines ungedienten Wehrpflichtigen soll vierzehn Tage vor der Musterung eingereicht werden (§ 2 Abs. 4 Satz 1 KDVG). Eine spätere Antragstellung ist zwar nicht ausgeschlossen, dies schon gar nicht, wenn die Gründe dafür erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten. Wie sich aus § 3 Abs. 2 Satz 2 KDVG ergibt, mutet der Gesetzgeber aber demjenigen Wehrpflichtigen eine Verschlechterung seiner Rechtsstellung zu, der mit seinem Antrag erst auf eine Einberufung reagiert. Ein solcher Kriegsdienstverweigerer hat der Einberufung zunächst Folge zu leisten. Er kann auch nicht im vereinfachten Verfahren vor dem Bundesamt anerkannt werden (§ 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 KDVG). Er muss sich vielmehr dem Verfahren vor dem Ausschuss stellen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 KDVG), dessen Prüfung sich u.a. dem Umstand der späten Antragstellung widmen wird. Aus alledem wird die Vorstellung des Gesetzgebers ersichtlich, wonach der Wehrpflichtige sich in der regelmäßig nicht knapp bemessenen Zeit zwischen Musterung und Einberufung Gewissheit darüber verschaffen soll, ob ihm sein Gewissen die Ableistung des Wehrdienstes verbietet. Dem hat der Kläger mit seiner Antragstellung nach Absendung, aber vor Zustellung des Einberufungsbescheides nur noch "so gerade eben" Rechnung getragen. Anhaltspunkte dafür, dass die Gewissensgründe für seine Kriegsdienstverweigerung erst zwischen Absendung des Einberufungsbescheides und der Zustellung eingetreten sind, können seinem Vorbringen nicht entnommen werden. Die späte Antragstellung, die im Hinblick auf die gesetzliche Regelfolge des § 3 Abs. 2 KDVG in buchstäblich letzter Sekunde erfolgte, liegt in seinem Verantwortungsbereich. Er hätte den Zeitraum zwischen Musterung (September 1993) und Absendung des Einberufungsbescheides (November 1994) schon länger für eine Antragstellung nutzen können. Dann wäre er nicht einberufen worden, so dass das kostenträchtige Widerspruchsverfahren unterblieben wäre.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.