Beschluss vom 27.01.2012 -
BVerwG 5 B 2.12ECLI:DE:BVerwG:2012:270112B5B2.12.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.01.2012 - 5 B 2.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:270112B5B2.12.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 2.12

  • VG Stuttgart - 25.01.2010 - AZ: VG 13 K 1486/09
  • VGH Baden-Württemberg - 11.08.2011 - AZ: VGH 2 S 1214/11

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Januar 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer und Dr. Häußler
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 11. August 2011 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 428,90 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Zulassungsgründe der Grundsatzbedeutung, der Divergenz und des Verfahrensmangels gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

3 Eine ausreichende Darlegung (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Frage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. z.B. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO <n.F.> Nr. 26 = NJW 1997, 3328). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht.

4 Die von ihr aufgeworfene Frage,
„inwiefern das Gericht ohne ärztliche Stellungnahme die Gleichwertigkeit von medizinischen Methoden entscheidend bestätigen kann“ (Beschwerdebegründung S. 2),
ist in dieser Form einer rechtsgrundsätzlichen Klärung bereits nicht zugänglich, weil es dabei ausschlaggebend auf die Würdigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles ankommt. Überdies legt die Beschwerde nicht dar, in Anwendung welcher Rechtsnorm des revisiblen Rechts sich die Frage stellen soll, ob und welche Rechtsmeinungen hierzu vertreten werden und warum die Frage einer höchstrichterlichen Klärung bedürfen soll.

5 2. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Divergenz zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

6 a) Eine Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (bzw. eines der anderen in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte) aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O. m.w.N.). Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerde nicht.

7 Sie bringt vor, dass das Wesen eines Sachverständigengutachtens darin bestehe, „Wertungen zu treffen, Schlussfolgerungen zu ziehen und Hypothesen aufzustellen, wozu das Gericht mangels Sachkunde nicht in der Lage“ sei, und dass „die Pflicht zur Einschaltung eines Sachverständigen“ von den obersten Gerichten - insoweit zitiert die Beschwerde neben Entscheidungen des Bundesgerichtshofs auch solche des Bundesverwaltungsgerichts (Beschlüsse vom 30. August 1993 - BVerwG 2 B 106.93 - juris Rn. 2 und vom 15. Juni 2009 - BVerwG 2 B 38.09 - juris Rn. 7) - mehrfach bestätigt worden sei (Beschwerdebegründung S. 2).

8 Soweit die Beschwerde dabei auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Bezug nimmt, geht dies im Hinblick auf die Aufzählung der Gerichte in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO fehl. Soweit sie sich auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bezieht, zeigt sie bereits nicht hinreichend auf, im Hinblick auf welche revisible Rechtsnorm das Bundesverwaltungsgericht welchen abstrakten Rechtssatz aufgestellt haben soll, von dem das Berufungsgericht abgewichen sein soll. Überdies legt die Beschwerde nicht dar, dass das Berufungsgericht in der angegriffenen Entscheidung einen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden (abstrakten) Rechtssatz aufgestellt hat. Sie beschränkt sich vielmehr auf die sinngemäße Behauptung, das Berufungsgericht habe es im konkreten Fall fehlerhaft unterlassen, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt jedoch den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O. m.w.N.).

9 3. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen. Der von der Beschwerde behauptete Verfahrensmangel lässt sich nicht feststellen.

10 Die Beschwerde macht geltend, die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens durch das Berufungsgericht verletze „das Gebot eines fairen Prozesses und des rechtlichen Gehörs als Verfahrensgrundrechte“, weil „die medizinische Wertung des Gerichts zur Gleichwertigkeit zweier unterschiedlicher Operationsmethoden“ entscheidend gewesen sei. Das Berufungsgericht habe auch nicht ausgeführt, wie es zur eigenen Sachkunde komme (Beschwerdebegründung S. 3).

11 Damit legt die Beschwerde weder eine Verletzung des im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden Grundsatzes des fairen Verfahrens, der nur eingreift, soweit keine speziellere verfassungsrechtliche Gewährleistung existiert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09 - juris Rn. 116 m.w.N.), noch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) dar. Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Der Kläger hätte dementsprechend, um eine Verletzung dieses Grundsatzes darzutun, schlüssig darlegen müssen, dass sein Vorbringen vom Berufungsgericht entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (vgl. Beschluss vom 8. Juni 2010 - BVerwG 5 B 53.09 - juris; BVerfG, u.a. Beschlüsse vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <146> und vom 1. Februar 1978 - 1 BvR 426/77 - BVerfGE 47, 182 <187 f.>). Dies hat er jedoch nicht ansatzweise dargetan.

12 Auch wenn die Beschwerde im Hinblick auf ihre Rüge der Verletzung eines fairen Verfahrens dahin verstanden wird, dass sie insoweit einen - hier allein in Betracht kommenden - Verstoß gegen den Aufklärungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend machen will, genügt sie damit nicht den Darlegungsanforderungen. Wer die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht erhebt, obwohl er - durch eine nach § 67 Abs. 1 VwGO postulationsfähige Person sachkundig vertreten - in der Vorinstanz keinen förmlichen Beweisantrag gestellt hat (vgl. § 86 Abs. 2 VwGO), muss, um den gerügten Verfahrensmangel prozessordnungsgemäß zu bezeichnen, substanziiert darlegen, warum sich dem Tatsachengericht aus seiner für den Umfang der verfahrensrechtlichen Sachaufklärung maßgebenden materiellrechtlichen Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in der aufgezeigten Richtung hätte aufdrängen müssen (vgl. Beschlüsse vom 2. März 1978 - BVerwG 6 B 24.78 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 164 S. 43 f., vom 19. August 1997 a.a.O. sowie vom 3. November 2006 - BVerwG 5 B 40.06 - juris); die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um - vermeintliche - Versäumnisse eines Prozessbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen von förmlichen Beweisanträgen, zu kompensieren (vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 und vom 10. Oktober 2001 - BVerwG 9 BN 2.01 - Buchholz 401.65 Hundesteuer Nr. 7).

13 Zwar behauptet die Beschwerde, das Berufungsgericht habe die Bewertung, ob die beiden unterschiedlichen Operationsmethoden des Kniegelenks gleichwertig seien, nicht aus eigener Sachkunde heraus beurteilen können (Beschwerdeschrift S. 3). Ihre Ausführungen erschöpfen sich jedoch darin, der rechtlichen und tatsächlichen Würdigung durch das Berufungsgericht (UA S. 10) eine davon abweichende Bewertung entgegenzusetzen. Damit ist aber nicht dargetan, dass und warum, d.h. aufgrund welchen Vortrags im erst- oder zweitinstanzlichen Verfahren oder sonstigen Akteninhalts, das Berufungsgericht auch ohne förmlichen Beweisantrag zu der Erkenntnis hätte kommen müssen, dass die genannte Frage derart schwierig zu beurteilen war, dass es hierüber nicht aufgrund eigener Sachkunde entscheiden konnte.

14 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat das Tatsachengericht nämlich grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob es sich selbst die für die Aufklärung und Würdigung des Sachverhalts erforderliche Sachkunde zutraut. Dieses Ermessen überschreitet das Gericht erst dann, wenn es sich eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde zuschreibt und sich nicht mehr in den Lebens- und Erkenntnisbereichen bewegt, die den ihm angehörenden Richtern allgemein zugänglich sind (vgl. Urteil vom 6. November 1986 - BVerwG 3 C 27.85 - BVerwGE 75, 119 <126 f.>; Beschlüsse vom 5. Januar 2006 - BVerwG 10 B 85.05 - juris Rn. 6 und vom 13. Januar 2009 - BVerwG 9 B 64.08 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 Nr. 372 m.w.N.). Für diese Annahme legt die Beschwerde nichts Substanzielles dar. Sie setzt sich nicht hinreichend damit auseinander, dass das Berufungsgericht sowohl die medizinischen Aussagen in der vom Kläger vorgelegten „Ergänzung zur Honorarvereinbarung bei Durchführung einer Abrasionsarthroplastik“, welche der die Operation durchführende Arzt verfasst hat, als auch das ebenfalls vom Kläger vorgelegte fachorthopädische Gutachten vom 23. Juli 2004 ausgewertet hat. Allein aus dem pauschalen und nicht weiter substanziierten Vorbringen der Beschwerde, eine „Bezugnahme auf die Abrechnung des Operateurs“ sei nicht zulässig (Beschwerdebegründung S. 3), lässt sich nicht folgern, dass sich das Berufungsgericht eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde zugeschrieben hat. Die Ausführungen der Beschwerde erschöpfen sich der Sache nach in einer Kritik der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung durch das Berufungsgericht im Einzelfall. Damit ist ein Verfahrensfehler nicht dargetan.

15 4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

16 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.