Beschluss vom 27.04.2007 -
BVerwG 7 B 2.07ECLI:DE:BVerwG:2007:270407B7B2.07.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.04.2007 - 7 B 2.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:270407B7B2.07.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 2.07

  • Sächsisches OVG - 15.06.2006 - AZ: OVG 3 B 428/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. April 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und Guttenberger
beschlossen:

  1. Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Juni 2006 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Gegenstand des Verfahrens ist u.a. die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, im Krematorium ihres Eigenbetriebs „Städtisches Friedhofs- und Bestattungswesen Dresden“ die bei der Verbrennung anfallende Asche auch in die auf Kosten der Hinterbliebenen bereitgestellten Eingefäßurnen der Marke FLORALAT abzufüllen.

2 Die Klägerin produziert und verkauft diese aus nachwachsenden, biologisch abbaubaren Rohstoffen bestehenden Eingefäßurnen. Die Beklagte lehnt deren Einsatz in ihrem Eigenbetrieb ab, weil die Urnen nicht in die im Zuge des Neubaus des Krematoriums neu angeschaffte Aschemühle passten; eine Umfüllung der Asche außerhalb der Aschemühle sei nicht möglich.

3 Die zum Verwaltungsgericht erhobene Klage ist ohne Erfolg geblieben. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Beklagte sei zwar grundsätzlich verpflichtet, der Klägerin die Teilhabe am Wettbewerb zu ermöglichen. Dies finde seine Grenze dort, wo das Produkt der Klägerin mit der konkreten Einrichtung der Beklagten und deren Organisation nicht in Einklang gebracht werden könne. Die Beklagte habe die Verwendung der Urne der Klägerin ablehnen dürfen, weil diese in die Aschemühle nicht ohne das Risiko der Beschädigung eingesetzt werden könne. Die Klägerin könne nicht verlangen, dass eine manuelle Abfüllung außerhalb der Aschemühle erfolge. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

4 Die Beschwerde ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung an die Vorinstanz begründet, § 133 Abs. 6 VwGO.

5 Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Gebot der freien Beweiswürdigung verpflichtet dazu, bei Bildung der Überzeugung von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt auszugehen (Urteil vom 18. Mai 1990 - BVerwG 7 C 3.90 - BVerwGE 85, 155 <158> m.w.N.). So darf das Tatsachengericht insbesondere nicht wesentliche Umstände übergehen, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In einem solchen Fall fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts und zugleich für die Überprüfung seiner Entscheidung darauf, ob die Grenze einer objektiv willkürfreien, die Natur- und Denkgesetze sowie allgemeine Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschritten ist (stRspr, Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 m.w.N.). Dabei kann die Frage, ob ein Urteil auf einem Verfahrensfehler beruht, nur dem Urteil selbst entnommen werden; nachträgliche Erklärungen beteiligter Richter, sie hätten im Ergebnis ebenso entschieden, läge ein Verfahrensfehler nicht vor, sind unbeachtlich (Urteil vom 29. März 1968 - BVerwG 4 C 27.67 - BVerwGE 29, 261 <268>). Ebenso verhält es sich, wenn derart nachträgliche Bekundungen in einem Nichtabhilfebeschluss niedergelegt werden.

6 Ein solcher Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz ist dem Oberverwaltungsgericht unterlaufen. Das Oberverwaltungsgericht hat bei seiner Überzeugungsbildung wesentliche Umstände des Sachverhalts ausgeblendet. Insbesondere hätte sich dem Oberverwaltungsgericht die Prüfung aufdrängen müssen, ob ohne wesentliche Störung des Betriebsablaufs und ohne Änderung der Organisation die aus der Aschemühle in eine Metallaschekapsel der Beklagten verfüllte Asche unter der (neuen) Absaugvorrichtung in die FLORALAT-Urne der Klägerin umgefüllt werden könnte.

7 Das Oberverwaltungsgericht ist in seinem Urteil davon ausgegangen, dass im Rahmen der Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe - hier der Einäscherung Verstorbener - die Wettbewerber den gleichen Anspruch auf eine Verwendung ihres Produktes in der öffentlichen Einrichtung und damit auf Teilhabe am Wettbewerb hätten, Art. 3 GG i.V.m. Art. 12 GG. Damit sei die Beklagte grundsätzlich verpflichtet, die zur Abfüllung der Leichenasche angelieferten Urnen anzunehmen und im Rahmen des Abfüllvorgangs zu nutzen. Allein aus sachlichen Gründen könne die Verwendung einzelner Produkte abgelehnt werden. Um ihrer Neutralitätspflicht gegenüber den Wettbewerbern gerecht zu werden, könne die Beklagte die Nutzung von Produkten nur dann ablehnen, wenn diese nicht mit der konkreten Einrichtung oder deren Organisation in Einklang gebracht werden könnten. Die Beklagte müsse hierfür aber insbesondere die Organisation des Eigenbetriebes nicht wesentlich verändern; lediglich geringfügige Änderungen, die weder einen großen personellen noch materiellen oder organisatorischen Aufwand verursachten, seien ihr zuzumuten.

8 Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung ist das Oberverwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte nicht gehalten war, die Abfüllvorrichtung an der neuen Aschemühle umzubauen oder umbauen zu lassen, um das Risiko der Beschädigung der im Gegensatz zu der Metallaschekapsel der Beklagten größeren FLORALAT-Urnen auszuschließen. Wenn das Oberverwaltungsgericht aber die weitere Variante der (manuellen) Befüllung der Urnen der Klägerin verneint, weil dies nicht dem üblichen Betriebsablauf entspreche und organisatorische Veränderungen erfordere, zumal die Beklagte im Krematorium nicht über einen erforderlichen Sortiertisch mit Absauganlage verfüge, so übergeht dies vom Sachverständigen in seinem Gutachten vom 21. September 2005 festgestellte Tatsachen. Demgemäß wird die Asche unmittelbar nach dem Verbrennen der Leiche per Hand in einen anderen Raum transportiert und dort unter einer Absaugung, die lose an die Raumabsaugung angeschlossen ist, von metallischen Gegenständen befreit. Erst danach wird die Asche in den Vorratsbehälter der Aschemühle umgefüllt, anschließend homogenisierend gemahlen und in die jeweilige Aschekapsel oder Urne abgefüllt (S. 2 f. des Gutachtens). Das Oberverwaltungsgericht hätte somit prüfen müssen, ob trotz der nunmehr vorhandenen Absauganlage ein Umfüllen der Asche aus der Metallaschekapsel in eine andere Urne ausscheide, weil durch diesen zusätzlichen Arbeitsschritt unzumutbare Veränderungen in der Ablauforganisation des Krematoriums erforderlich sind und dies gegebenenfalls auch nicht durch die Erhebung weiterer (wohl eher geringer) Gebühren ausgeglichen werden kann. Zugleich hätte sich das Oberverwaltungsgericht zu den Einlassungen der Beklagten im Erörterungstermin vom 29. September 2004 zu verhalten, die damals (vor Errichtung des neuen Krematoriums mit einer Absauganlage) darauf hingewiesen hat, dass bei einem Umfüllen von Asche toxischer Staub frei werde und dies eine Absauganlage erfordere. Des Weiteren wird das Oberverwaltungsgericht auch noch über die bisher offen gelassenen Fragen befinden müssen, ob die FLORALAT-Urne der Klägerin im Krematorium gelagert und von dort versandt werden kann, Fragen, die der Betriebsleiter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht zumindest nicht verneint hat.

9 Die Einlassung des Oberverwaltungsgerichts in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 30. August 2006, dass es nicht entscheidungstragend auf das Vorhandensein eines Sortiertisches mit Absauganlage angekommen sei, sondern allein das manuelle Abfüllen bereits dem üblichen Betriebsablauf widerspreche und organisatorische Veränderungen auslöse, steht im Widerspruch zu den Gründen des Urteils. Danach sind der Beklagten geringfügige Änderungen ohne großen personellen, materiellen oder organisatorischen Aufwand zuzumuten.

10 Der damit vorliegende Verfahrensfehler kann sich auch auf die angefochtene Entscheidung ausgewirkt haben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Oberverwaltungsgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es die in Rede stehenden Umstände in der erforderlichen Weise bedacht hätte.

11 Ob das Oberverwaltungsgericht auch, wie die Beschwerde vorträgt, gegen die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) sowie gegen die Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) verstoßen und somit weitere Verfahrensfehler begangen hat, kann offenbleiben. Der Senat macht vielmehr von der durch § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Befugnis Gebrauch, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. An dieser Verfahrensweise ist der Senat nicht deswegen gehindert, weil die Beschwerde neben der begründeten Verfahrensrüge, aber im Zusammenhang mit ihr, auch den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht. Da der Verfahrensfehler aller Voraussicht nach auch im Falle der Revisionszulassung insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht zwingen würde, bleibt der Zweck der Grundsatzrevision davon unberührt, dass der beschließende Senat im Interesse der Prozessökonomie von der Ermächtigung des § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch macht (Beschluss vom 26. Juni 2000 - BVerwG 7 B 26.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 15 m.w.N.).

12 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.