Beschluss vom 27.05.2002 -
BVerwG 7 B 3.02ECLI:DE:BVerwG:2002:270502B7B3.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.05.2002 - 7 B 3.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:270502B7B3.02.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 3.02

  • VG Berlin - 10.08.2001 - AZ: VG 31 A 148.98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Mai 2002
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
Dr. F r a n ß e n und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht G ö d e l und K l e y
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. August 2001 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 196 719 € (entspricht 384 750 DM) festgesetzt.

Die Kläger beanspruchen die Rückübertragung eines Hausgrundstücks nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen - VermG -. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen, weil die Beigeladenen das Haus und das dafür verliehene dingliche Nutzungsrecht redlich erworben hätten und die Rückübertragung daher nach § 4 Abs. 2 VermG ausgeschlossen sei.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil ist begründet.
Allerdings kommt der Rechtssache weder die behauptete rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu noch liegen die geltend gemachten Abweichungen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) vor. Die Kläger rügen jedoch zu Recht, dass dem angefochtenen Urteil eine fehlerhafte Überzeugungsbildung und damit ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO zugrunde liegt.
1. Die Kläger möchten in einem Revisionsverfahren die Frage geklärt wissen, "ob ein und dieselbe Erklärung des Leiters der Abteilung Wohnungspolitik beim Magistrat einmal als formlose wohnungspolitische Unbedenklichkeitserklärung und das andere Mal zugleich als Grundstücksverkehrsgenehmigung ausgelegt" werden könne. Sie beziehen sich in diesem Zusammenhang auf das Urteil einer anderen Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. November 2000 - VG 22 A 339/97 (VIZ 2001, 559 <560>). Dort wird in der Tat der gleich lautende Wortlaut der Erklärung wiedergegeben, ohne dass allerdings in den Entscheidungsgründen Fragen des Grundstücksverkehrs auch nur erwähnt würden. Dies kann jedoch auf sich beruhen, denn der von den Klägern geltend gemachte Klärungsbedarf besteht nicht. Er wäre nur anzunehmen, wenn sich die von ihnen aufgeworfene Frage über ihren Fall hinausweisend in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten ließe. So verhält es sich jedoch nicht. Die Auslegung derartiger Willenserklärungen richtet sich maßgeblich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls.
2. Die Kläger sehen eine Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und insbesondere von dessen Urteilen vom 16. Oktober 1997 - BVerwG 7 C 7.97 - (Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 50), vom 29. Januar 1998 - BVerwG 7 C 47.96 - (Buchholz a.a.O. Nr. 53) sowie vom 27. Januar 2000 - BVerwG 7 C 39.98 - (Buchholz 428 § 4 Abs. 3 VermG Nr. 2) darin, dass das Verwaltungsgericht einen Erwerb des volkseigenen Eigenheims trotz fehlender Grundstücksverkehrsgenehmigung bejaht habe. Diese Rüge verkennt, dass das Verwaltungsgericht in der Bescheinigung des Magistrats von Berlin vom 18. Juli 1989 eine solche, wenngleich unter Verstoß gegen die gesetzlichen Zuständigkeitsvorschriften erteilte Genehmigung gesehen hat.
Die mit den Ausführungen in Nr. 8 der Beschwerdebegründung geltend gemachte weitere Divergenzrüge ist ebenfalls nicht begründet. Die Kläger beanstanden, dass das Verwaltungsgericht von den Prüfungsgrundsätzen, die der beschließende Senat in seinem Urteil vom 27. Januar 2000 - BVerwG 7 C 39.98 - (a.a.O.) bei Verstößen gegen die Vorschriften der Wohnraumlenkung entwickelt habe, abgewichen sei. Die diesbezüglichen Darlegungen der Kläger ergeben jedoch lediglich einen Subsumtionsmangel. Damit wird eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargetan; notwendig wäre die Bezeichnung eines dem angegriffenen Urteil zugrunde liegenden Rechtssatzes gewesen, der dem herangezogenen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht. Auch die unter Nr. 9 der Beschwerdebegründung gerügte Divergenz zum Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. April 2001 - BVerwG 8 B 73.01 - (VIZ 2001, 542 <543>) greift nicht durch, weil es an der Gegenüberstellung divergierender Rechtssätze mangelt.
Schließlich liegt auch die auf S. 20 des Begründungsschriftsatzes unter Nr. 11 (richtig: 12) geltend gemachte Divergenz zu der Entscheidung des beschließenden Senats vom 7. Juli 1995 - BVerwG 7 B 177.95 - (Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 21) nicht vor. In diesem Beschluss hat der Senat hervorgehoben, dass ein Aushandeln des Verkaufsgeschäfts in "nicht üblicher Form" und das Fehlen der persönlichen Auseinandersetzung mit dem noch nicht ausgereisten Vertragspartner jedenfalls dann den Erwerber unredlich mache, wenn dieser im Bewusstsein einer staatlichen Bevormundung des anwesenden Veräußerers handele und so die alleinige staatliche Steuerung des Verkaufsvorgangs zum eigenen Vorteil nutze. Es reicht also für die Annahme einer Unredlichkeit des Käufers nicht aus, dass der Staat den Verkaufsvorgang selbst steuert; der Erwerber muss vielmehr die Ausschaltung des Veräußerers mit dem er wegen dessen Anwesenheit selbst verhandeln könnte, bewusst zu seinem Vorteil nutzen. So hat es sich hier jedoch nicht verhalten. Die Beigeladenen haben das Haus nicht direkt von den Klägern erworben; das Verwaltungsgericht hat lediglich in einer Alternativüberlegung die Rechtsgeschäfte zwischen den Klägern und dem Staat sowie dem Staat und den Beigeladenen zugunsten der Kläger als Einheit betrachtet und auf dieser Grundlage untersucht, ob ein Fall des § 4 Abs. 3 Buchst. c VermG bejaht werden könne.
3. Die Kläger rügen jedoch zu Recht, dass der Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Vergabe des Hauses an die Beigeladenen habe den materiellen Kriterien der Wohnraumlenkungsverordnung entsprochen, eine fehlerhafte Überzeugungsbildung und damit ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO zugrunde liegt.
Das Verwaltungsgericht hat aufgrund des Ende 1989 beginnenden mehrmonatigen Aufenthaltes der damals in G. wohnhaften Mutter des Beigeladenen in dem erworbenen Haus und aufgrund der Erläuterungen, die der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht dazu gegeben hat, die Überzeugung gewonnen, dass von vornherein geplant gewesen sei, das Anwesen dauerhaft mit vier Personen zu beziehen, obwohl dieser Einzug nicht allein von den Beteiligten, sondern ebenso von einer staatlichen Aufenthaltsgenehmigung abhing. Es hat deshalb die so genannten Belegungsnormative als eingehalten betrachtet, weil im Zeitpunkt des Hauskaufs das Dachgeschoss noch nicht ausgebaut gewesen sei und daher das erworbene Haus vier Zimmer für den beabsichtigten Bezug von vier Personen aufgewiesen habe.
Diese Betrachtungsweise blendet wesentliche Sachverhaltselemente aus. Der geplante Einzug der Mutter des Beigeladenen war sowohl nach dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge als auch nach den Erklärungen des Beigeladenen und der von ihm vorgelegten Bestätigung seines Bruders vom 6. August 2001 (Bl. 209 Bd. II der VG-Akte) untrennbar verbunden mit dem Ausbau des Dachgeschosses.
In dem an den Oberbürgermeister gerichteten Vorschlag des Leiters der Abteilung Wohnungspolitik des Magistrats von Berlin vom 5. Juli 1989, das Einfamilienhaus an die Beigeladenen zu vergeben, war nur von drei mit Wohnraum zu versorgenden Personen die Rede (Bl. 93 d.A. 8950 B I). Auch in dem Antrag des Beigeladenen auf Erwerb des Hauses vom 14. September 1989 (Bl. 17 d.A. 744 123731) fehlt jeder Hinweis darauf, dass seine in der Bundesrepublik wohnende Mutter künftig zu seinem Haushalt gehören sollte, obwohl eine solche Angabe im Hinblick auf die Vorschriften über die Wohnraumlenkung und die allgemein bekannten Belegungsnormative nahe gelegen hätte. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Beigeladene ausweislich der Sitzungsniederschrift bekundet, dass seine Mutter bei ihrem Aufenthalt in dem erworbenen Haus zunächst im Zimmer seiner Tochter gewohnt habe. Diese habe sich allerdings zu diesem Zeitpunkt im Abiturschuljahr befunden und während des Abiturs selbst wieder ihr Zimmer bezogen, so dass sich seine Mutter zurück zu seinem Bruder begeben habe. Anschließend sei sie jedoch wiedergekommen, so dass seine Tochter erneut aus ihrem Zimmer ausgezogen und im Schlafzimmer ihrer Eltern übernachtet habe. Dies sei natürlich im Hinblick auf ihr Alter kein Zustand gewesen. Deswegen hätten sie - die Beigeladenen - sich entschlossen, den Boden auszubauen. Während dieser Zeit habe seine Mutter wegen der Bauarbeiten nicht im Hause bleiben sollen. Es sei jedoch vorgesehen gewesen, dass sie anschließend wieder zurückkommen sollte. Der Bruder des Beigeladenen hat in seiner Erklärung vom 6. August 2001 bestätigt, dass seine Mutter in der Zeit von Dezember 1989 bis Mitte 1990 mehrere Monate bei seinem Bruder in Berlin gelebt habe und dass sie gern ständig dort gewohnt hätte, wenn ausreichender Wohnraum vorhanden gewesen wäre.
Das Verwaltungsgericht hat diese Umstände, aus denen sich mit hinreichender Deutlichkeit ergibt, dass der dauerhafte Einzug der Mutter in das erworbene Haus mit dem Ausbau des Dachgeschosses stehen und fallen sollte, unberücksichtigt gelassen und ist so zu der Feststellung gelangt, die Beigeladenen hätten vier Räume mit vier Personen beziehen wollen. Eine solche selektive Wahrnehmung der entscheidungserheblichen Tatsachen ist mit einer ordnungsgemäßen richterlichen Überzeugungsbildung nicht zu vereinbaren. Die angegriffene Entscheidung beruht auch auf diesem Verfahrensfehler; denn die Bewertung des Verwaltungsgerichts, es liege kein die Redlichkeit ausschließender Regelfall des § 4 Abs. 3 a VermG vor, ist maßgeblich darauf gestützt worden, dass die Belegungsnormative und damit die materiellen Anforderungen der Wohnraumlenkungsverordnung eingehalten worden seien.
Der Senat nimmt den dem Verwaltungsgericht unterlaufenen Verfahrensfehler zum Anlass, das angefochtene Urteil nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Bei seiner erneuten Befassung mit der Sache wird das Verwaltungsgericht insbesondere zu prüfen haben, ob es sich bei der Vergabe des Hauses an die Beigeladenen um eine erkennbar unangemessene Überversorgung mit Wohnraum handelte. Dabei wird das Gericht nicht daran vorbeigehen können, dass insoweit nicht nur die Zahl der Räume von Bedeutung ist, sondern nach § 10 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über die Lenkung des Wohnraumes - WLVO - vom 16. Oktober 1985 auch die Größe, Struktur und der Bauzustand des verfügbaren Wohnraumes zu berücksichtigen waren. Bei der Prüfung der subjektiven Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG wird auch zu berücksichtigen sein, dass frühere Anträge der Beigeladenen auf Zuweisung einer größeren Wohnung vom Rat der Bezirksverwaltung T. - wie sich aus einer mit Anwaltsschriftsatz vom 22. April 1994 im Verwaltungsverfahren vorgelegten Aufstellung des Beigeladenen zu 2 ergibt - mit dem Hinweis abgelehnt worden waren, sie seien mit der bisherigen Wohnung, die 2 1/2 Räume und eine Wohnfläche von 52 m2 aufgewiesen habe, nach den staatlichen Richtlinien ausreichend mit Wohnraum versorgt. Insofern kann die Zuweisung eines Hauses mit vier Zimmern für drei Personen und einer Wohnfläche, die nach Angabe der Kläger 180 m2 betrug, Rückschlüsse darauf zulassen, ob den Beigeladenen eine Überversorgung mit Wohnraum zumindest erkennbar war.
4. Angesichts der vorstehend dargelegten Erwägungen erübrigt es sich, auf die weiteren von den Klägern vorgebrachten Verfahrensrügen näher einzugehen. Der Senat bemerkt jedoch in diesem Zusammenhang für die weitere Behandlung der Streitsache durch das Verwaltungsgericht Folgendes: Sofern das Verwaltungsgericht erneut das Schreiben des Magistrats vom 18. Juli 1989 "aufgrund seines klaren Wortlauts aus Sicht eines objektiven Empfängers in der Lage der Beigeladenen" als Genehmigung nach der GVVO 1977 würdigen will, wird es zu berücksichtigen haben, dass in diesem Schreiben als Erwerbsgegenstand das Einfamilienhaus auf dem Grundstück N.straße 14 in Berlin-T. genannt wird. Am 18. Juli 1989 wollten jedoch die Beigeladenen nach ihrem eigenen Vorbringen nicht das Einfamilienhaus, sondern das Wohngrundstück kaufen. Das Einfamilienhaus hätten ihnen die Klägerin und der staatliche Treuhänder auch gar nicht verkaufen können. Des Weiteren wird das Verwaltungsgericht auch den Umstand zu würdigen haben, dass sich nach der Rechtspraxis der DDR eine Genehmigung nach der GVVO 1977 stets auf ein bereits getätigtes Erwerbsgeschäft - sei es einen Grundstückskauf, sei es einen Hauskauf - bezog, während die Bescheinigung vom 18. Juli 1989 ein erst in Aussicht genommenes Erwerbsgeschäft betraf, dessen wesentliche Konditionen, insbesondere der Kaufpreis, noch gar nicht abschließend festlagen. Das Verwaltungsgericht wird diese Auffälligkeiten unter dem Blickwinkel zu prüfen haben, ob die Beigeladenen um die darin liegenden Abweichungen von einer ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis wussten oder hätten wissen müssen (vgl. § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG).
Im Hinblick auf die Ausführungen des Beigeladenen zu 2 in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, er habe beim Besuch der von ihm um einen Kredit angegangenen Sparkasse ein von einem Herrn R. unterzeichnetes Schreiben der Abteilung Wohnungspolitik beim Magistrat der Stadt Berlin "in der Hand gehabt", aus dem hervorgegangen sei, dass er das Haus erwerben könne, wird des Weiteren zu prüfen sein, ob es sich dabei um die bei den Magistratsakten befindliche Bescheinigung vom 18. Juli 1989 handelt. Diese stellt ein an die Beigeladenen gerichtetes Originalschreiben dar. Das Verwaltungsgericht wird aufzuklären haben, wie dieses Schreiben, das seiner Adressierung nach eigentlich im Besitz der Beigeladenen hätte sein müssen und diese in die Lage versetzt hätte, in ihrem Erwerbsantrag das Datum der Wohnraumzuweisung anzugeben, in die Magistratsakte geraten ist.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG.