Beschluss vom 27.06.2007 -
BVerwG 4 B 25.07ECLI:DE:BVerwG:2007:270607B4B25.07.0

Beschluss

BVerwG 4 B 25.07

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 22.03.2007 - AZ: OVG 7 A 1258/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juni 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und Dr. Jannasch
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. März 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

3 a) Der Verfahrensmangel einer Verletzung des § 88 VwGO ist nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt.

4 Die Beschwerde wirft dem Berufungsgericht vor, den in der mündlichen Verhandlung gestellten Hauptantrag nicht so verstanden zu haben, wie dies nach dem Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren geboten gewesen wäre. Sie behauptet, aus dem Vortrag des Klägers im Berufungsrechtszug ergebe sich, dass der Hauptantrag inhaltlich nicht weiterreichen solle als der an den Beklagten gerichtete Antrag vom 13. Juli 2004.

5 Der Kläger hatte beim Beklagten beantragt, den Beigeladenen aufzugeben, dass Reisebusse nicht nach 22.00 Uhr Gäste des Gasthofs Sch. im Bereich der St.-Elisabeth-Straße wieder einladen dürfen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat er den Hauptantrag gestellt, den Beklagten zu verpflichten, gegenüber den Beigeladenen sicherzustellen, dass nach 22.00 Uhr kein Omnibusverkehr durch den Gaststättenbetrieb der Beigeladenen veranlasst wird. Der Unterschied in den Anträgen besteht darin, dass der Antrag vom 12. Juli 2004 auf die Unterbindung des Busabfahrtsverkehrs in der St.-Elisabeth-Straße und der Abholung von Gästen des Gaststättenbetriebs gerichtet ist, der Hauptantrag im Berufungsverfahren dagegen auf die Unterbindung des Busverkehrs schlechthin. Ein Verstoß gegen § 88 VwGO, der das Gericht verpflichtet, das Rechtsschutzziel nach dem Klageantrag und dem gesamten Parteivorbringen zu ermitteln, könnte danach nur vorliegen, wenn sich aus dem Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren mit hinreichender Deutlichkeit ergäbe, dass beide Anträge trotz ihrer unterschiedlichen Formulierung auf ein identisches Ziel gerichtet sind. Dass dies so sei, ist nicht in der gebotenen Weise dargelegt. Die Beschwerde zeichnet nicht im Einzelnen nach, was sie im Berufungsrechtszug zur Begründung ihres Hauptantrags vorgetragen hat, sondern beschränkt sich auf den unsubstantiierten Hinweis, „nach dem im gesamten Verfahrensablauf gemachten Sachvortrag“ sei es dem Kläger stets (nur) um die Unterbindung des nächtlichen Abtransports der Busreisegäste des Gasthofs der Beigeladenen gegangen. Und dass sich dem Berufungsvortrag entnehmen lasse, der Kläger habe den Busverkehr nach 22.00 Uhr nicht generell, sondern nur insoweit verhindern wollen, als dieser in der St.-Elisabeth-Straße abgewickelt wird, wird nicht einmal behauptet. Um festzustellen, ob und inwieweit der in der Berufungsverhandlung gestellte Hauptantrag mit der Berufungsbegründung übereinstimmt oder von ihr abweicht, müsste der Senat die vorinstanzliche Akte selbst durchsehen. Dies ist indes, wie sich aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ergibt, nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts.

6 b) Die Abweisung der Berufung im Hauptantrag als unzulässig ist nicht unter Missachtung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) und unter Verletzung der Hinweispflicht aus § 86 Abs: 3 VwGO erfolgt. Zu Unrecht hält die Beschwerde dem Berufungsgericht vor, den Kläger nicht auf die Bedenken gegen die Zulässigkeit seines Hauptantrages aufmerksam gemacht zu haben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (vgl. Beschlüsse vom 28. Dezember 1999 - BVerwG 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 und vom 25. August 2004 - BVerwG 9 BN 2.04 - NVwZ 2004, 1510). Für das Vorliegen eines Ausnahmefalls, nämlich das Abstellen des Gerichts auf einen rechtlichen Gesichtspunkt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte, hat die Beschwerde nichts vorgetragen.

7 c) Irrig sieht die Beschwerde auch darin einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, § 86 Abs. 3 VwGO, dass das Berufungsgericht dem Kläger nicht den Hilfsantrag nahegelegt hat, den Beklagten zu verpflichten, eine Verfügung des Inhalts gegenüber den Beigeladenen zu erlassen, dass Reisebusse nicht nach 22.00 Uhr Gäste des Gasthofs Sch. im Bereich der St.-Elisabeth-Straße wieder einladen dürfen, bzw. ihren Hauptantrag nicht entsprechend ausgelegt hat. Der Vorsitzende hat zwar die Pflicht, auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken. Rechtsberatung ist ihm aufgrund seiner Neutralitätspflicht aber verboten (Geiger in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 86 Rn. 48). Er darf daher nicht für einen Beteiligten Partei ergreifen und ihm den Weg zum effektivsten Rechtsschutz weisen. Wie ein Beteiligter einen Prozess führt, ist letztlich seine Sache. Die in § 86 Abs. 3 VwGO normierte Pflicht beinhaltet - richtig verstanden - keine Beratungs-, sondern Formulierungshilfe (Beschluss vom 9. November 1976 - BVerwG 5 B 80.76 - NJW 1977, 1465). Ihrer bedurfte der Kläger nicht, da weder seinem Haupt- noch seinem Hilfsantrag Unklarheiten anhaften.

8 2. Das Beschwerdevorbringen führt auch nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.

9 Die Fragen,
ob bei Vorliegen einer Baugenehmigung für ein Bauvorhaben, in der die Durchführung immissionsschutzrechtlich relevanten Busan- und -abfahrtsverkehrs zum Betriebsgrundstück in der Nachtzeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr nicht ausdrücklich genehmigt ist, eine diesbezügliche Negativwirkung entfaltet, dass die Durchführung von betrieblich veranlasstem Busan- und -abfahrtsverkehr zum Betriebsgrundstück zur Nachtzeit generell unzulässig ist und dieser halb ein Nachbar im Falle dennoch stattfindenden nächtlichen Busan- und -abfahrtsverkehr gegenüber der zuständigen Bauaufsichtsbehörde einen uneingeschränkten immissionsschutzrechtlichen Anspruch auf bauaufsichtsbehördliche Untersagung und Einschreiten gegen zur Nachtzeit stattfindenden Busan- und -abfahrtsverkehr hat,
und
ob es für die bauordnungsrechtliche Gewährleistung eines nachbarlichen immissionsrechtlichen Schutzanspruchs gegen betrieblich veranlassten Busan- und -abfahrtsverkehr zur Nachtzeit zulässig und ausreichend ist, den Abfahrtsbereich der Busse nur bezüglich eines konkret benannten Teilbereichs des öffentlichen Verkehrsraums zu untersagen, wenn davon ausgegangen wird, dass die höchstzulässigen Immissionsrichtwerte nicht durch Busgeräusche, sondern durch in die Busse einsteigende Gäste hervorgerufen wird,
würden sich in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Da der Hilfsantrag darauf gerichtet ist, das Abstellen von Bussen in einem räumlich beschränkten Bereich zu verhindern, könnten die Fragen nur im Rahmen des Hauptantrages von Bedeutung sein. Insoweit steht ihrer Beantwortung aber die Abweisung der Berufung als unzulässig entgegen, die mangels durchgreifender Gründe für die Zulassung der Revision vom Kläger hinzunehmen ist.

10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.