Beschluss vom 27.09.2002 -
BVerwG 7 B 107.02ECLI:DE:BVerwG:2002:270902B7B107.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.09.2002 - 7 B 107.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:270902B7B107.02.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 107.02

  • VG Berlin - 04.06.2002 - AZ: VG 25 A 295.96

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. September 2002
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht
G ö d e l , K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 13 131 € festgesetzt.

Die Klägerin beansprucht die Rückübertragung eines Flurstücks, das als Teilfläche eines insgesamt 8 388 m² großen, in Ost-Berlin gelegenen Grundstücks im Jahr 1955 auf der Grundlage der Aufbauverordnung für den Wohnungsbau in Anspruch genommen wurde. Ihr Antrag blieb vor den Verwaltungsbehörden erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil das Flurstück von keiner Schädigungsmaßnahme betroffen sei. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen erhobene Beschwerde, die nur noch die Rückübertragung einer Grundstücksfläche von 191 m² zum Gegenstand hat, hat keinen Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die als Zulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beschwerde hält für klärungsbedürftig, "ob eine entschädigungslose Enteignung im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG vorliegen kann, wenn Vermögenswerte nur durch Beschränkung des Eigentums in Anspruch genommen wurden und insoweit eine Entschädigung festgesetzt wurde und diese Vermögenswerte später faktisch in Volkseigentum überführt worden sind". Die Frage rechtfertigt die Zulassung der Grundsatzrevision schon deswegen nicht, weil sie einen Sachverhalt voraussetzt, den das Verwaltungsgericht nicht festgestellt hat. Das Verwaltungsgericht hat keine - zeitweilige oder dauernde - Nutzungs- oder Verfügungsbeschränkung angenommen, sondern die Inanspruchnahme des Flurstücks als Entziehung des Eigentums im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 2 der Aufbauverordnung gewürdigt. Es ist davon ausgegangen, dass sich die Inanspruchnahme als erster Schritt einer Eigentumsentziehung dargestellt habe, die nur deshalb noch nicht vollendet gewesen sei, weil Volkseigentum erst durch In-Kraft-Treten des Entschädigungsgesetzes vom 25. April 1960 habe begründet werden können. Zu diesem Ergebnis ist das Verwaltungsgericht durch Auslegung des Inanspruchnahmebescheids gelangt, der entsprechend § 7 Abs. 1 Satz 1 der Anordnung zur Durchführungsverordnung zum Aufbaugesetz vom 27. August 1951 bestimmte, dass die "sich aus dem Eigentum ergebenden Befugnisse bis zur endgültigen Regelung gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 der Aufbauverordnung auf den Träger der Aufbaumaßnahme" übergingen. Mit Blick auf die Bezugnahme dieser Vorschrift auf das Entschädigungsgesetz, das in seinem § 16 Abs. 2 Satz 1 den Übergang der durch Entzug des Eigentums in Anspruch genommenen Grundstücke in das Eigentum des Volkes anordnete, hat das Verwaltungsgericht in der als Eigentumsbeschränkung bezeichneten Maßnahme eine vorläufige Regelung gesehen, die die faktische Enteignung der Eigentümer nicht in Frage gestellt habe. Eine Nutzungs- oder Verfügungsbeschränkung sei nur bei zeit- oder teilweisem Bedarf in Betracht gekommen. Habe sich die Maßnahme auf eine dauerhafte und umfassende Nutzung gerichtet, sei der vollständige Eigentumsentzug geboten gewesen.
Hiernach wurden die Eigentümer bereits durch die Inanspruchnahme des Flurstücks vollständig und endgültig aus ihrem Eigentum verdrängt; anders als die Beschwerde meint, bestand die als Eigentumsbeschränkung bezeichnete Regelung lediglich darin, dass mit der Inanspruchnahme die "sich aus dem Eigentum ergebenden Befugnisse" vorläufig auf den Träger der Aufbaumaßnahme und erst mit In-Kraft-Treten des Entschädigungsgesetzes endgültig auf den Rechtsträger des Volkseigentums übergingen. Bei Inanspruchnahme eines Grundstücks zum Zweck des Wohnungsbaus wurde das Eigentum regelmäßig entzogen, um eine Wertsteigerung des privaten Grundstücks durch Investitionen aus volkseigenen Mitteln auszuschließen. Damit lag der typische Fall einer Entziehung des Eigentums vor, wie er in § 9 Abs. 1 Satz 2 der Aufbauverordnung und wortgleich in § 14 Abs. 2 des Aufbaugesetzes geregelt war. Angesichts dessen würde die von der Beschwerde aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren nicht zu entscheiden sein. Gleiches gilt für die weitere Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen in einer der Verfügungsbeschränkung des Eigentümers nachfolgenden faktischen Enteignung eine unlautere Machenschaft (§ 1 Abs. 3 VermG) zu sehen ist.
2. Die Revision ist auch nicht wegen Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Die behauptete Abweichung von dem Beschluss des Senats vom 11. November 1996 - BVerwG 7 B 274.96 - (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 94) ist bereits nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gebotenen Weise bezeichnet. Die Beschwerde macht geltend, das Verwaltungsgericht habe den in der Divergenzentscheidung aufgestellten Rechtssatz, dass eine Verletzung von Vorschriften des Enteignungsverfahrens eine unlautere Machenschaft darstellen könne, wenn die Enteignungsbehörde damit die Absicht verfolgt habe, den Zugriff auf das Eigentum überhaupt erst zu ermöglichen, "nicht angewandt". Ein derartiger Rechtsanwendungsfehler könnte, selbst wenn er gegeben wäre, keine Divergenz begründen. Eine Divergenz im Sinne des Zulassungsgrunds setzt voraus, dass die Vorinstanz einen Rechtssatz aufgestellt hat, der einem der bezeichneten Divergenzentscheidung zugrunde liegenden Rechtssatz widerspricht. Die Beschwerde legt nicht dar, dass diese Voraussetzung erfüllt ist. Abgesehen davon ist auch der behauptete Rechtsanwendungsfehler nicht ersichtlich. Die Annahme der Beschwerde, der durch den Magistrat von Groß-Berlin erlassene Inanspruchnahmebescheid habe bewusst nur eine (Verfügungs-)Beschränkung des Eigentums vorgenommen, um die bei einem Eigentumsentzug erforderliche Zustimmung des Oberbürgermeisters zu umgehen, ist spekulativ. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es trotz Zustimmung des Ministeriums der Finanzen zu der vom Magistrat verfügten Inanspruchnahme eines derartigen Umwegs bedurft hätte, um auf das Eigentum an dem Flurstück zugreifen zu können. Auch die an anderer Stelle behauptete Abweichung von dem Urteil des Senats vom 28. April 1998 - BVerwG 7 C 28.97 - (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 152) ist nicht ordnungsgemäß dargelegt; die Beschwerde bezeichnet keinen vom Verwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatz, der der Divergenzentscheidung widerspricht.
3. Auch der geltend gemachte Verfahrensfehler führt nicht zur Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Beschwerde rügt, das Verwaltungsgericht sei ohne die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen davon ausgegangen, dass die in der Sowjetunion lebenden Miterben bei der Inanspruchnahme des Flurstücks wirksam vertreten gewesen seien, weil der staatliche Verwalter und das Finanzministerium für sie gehandelt hätten. Das stehe in Widerspruch zu der Feststellung des Gerichts, dass für die Rechtsvorgängerin der in der Sowjetunion lebenden Miterben erst seit 1963 ein staatlicher Verwalter eingesetzt gewesen sei. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass das angegriffene Urteil auf dem behaupteten Verfahrensfehler beruhen kann.
Die Beschwerde verkennt, dass sich die vorinstanzliche Feststellung zum staatlichen Verwalter nicht auf die Erbanteile der in der Sowjetunion lebenden Miterben, sondern auf den Erbanteil der in West-Berlin lebenden Miterbin bezieht; von dem behaupteten Widerspruch kann daher keine Rede sein. Die den Erbanteilen der russischen Miterben entsprechende Berechtigung an dem Flurstück unterlag nach der Verordnung über die Verwaltung und den Schutz ausländischen Eigentums in Groß-Berlin vom 18. Dezember 1951 der staatlichen Verwaltung. Den einschlägigen Verwaltungsakten lässt sich entnehmen, dass die Vereinigung Volkseigener Grundstücksverwaltungen vor der Inanspruchnahme des Flurstücks mit Schreiben vom 27. September 1955 beim Ministerium der Finanzen - Verwaltung und Schutz des ausländischen Eigentums - um Zustimmung zu der beabsichtigten Inanspruchnahme des ausländischen Anteils ersuchte; das Ministerium stimmte der Inanspruchnahme mit Schreiben vom 5. Oktober 1955 zu. Ferner ergibt sich aus einem Schreiben der Vereinigung Volkseigener Grundstücksverwaltungen an das Ministerium der Finanzen vom 19. Februar 1954 aus Anlass der Inanspruchnahme einer weiteren Teilfläche des in Rede stehenden Grundstücks, dass das Grundstück von der Berliner Volkseigenen Wohnungsverwaltung (BWV) Friedrichshain verwaltet wurde. Schließlich geht aus den Verwaltungsakten hervor, dass der Inanspruchnahmebescheid vom 30. November 1955 neben anderen der Abteilung Finanzen - Verwaltung Staatliches Eigentum - und der BWV Friedrichshain bekannt gegeben wurde. Sämtliche Verwaltungsvorgänge waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht. Angesichts dessen entbehrt der Vorwurf der Beschwerde, die entsprechenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts beruhten auf Vermutungen und seien nicht auf Tatsachen gestützt, der tatsächlichen Grundlage.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG; dabei legt der Senat den im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15. Juli 2002 ermittelten Verkehrswert des Flurstücks sowie den im Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin vom 15. November 1996 an das Verwaltungsgericht angegebenen Erbanteil zugrunde.