Beschluss vom 27.12.2004 -
BVerwG 1 B 85.04ECLI:DE:BVerwG:2004:271204B1B85.04.0

Beschluss

BVerwG 1 B 85.04

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 29.04.2004 - AZ: OVG 4 LB 101/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Dezember 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und R i c h t e r
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. April 2004, soweit es die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG betrifft, einschließlich der hierauf bezogenen Kostenentscheidung aufgehoben. Insoweit wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  2. Im Übrigen wird die Beschwerde der Beigeladenen verworfen.
  3. Die Beigeladene trägt die Hälfte der Kosten des Beschwerdeverfahrens. Im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Die Entscheidung über die restlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Beschwerde ist nur insoweit zulässig und begründet, als das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Beigeladenen auch mit dem Hilfsantrag auf Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG abgewiesen hat. Im Übrigen ist die Beschwerde - hinsichtlich der Zurückweisung der Berufung zu dem Begehren auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG - unzulässig.
1. Soweit sich die Beschwerde gegen die Ablehnung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 4 AuslG wendet, erhebt sie lediglich eine Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), ohne jedoch diese den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend darzulegen. Die Beschwerde erschöpft sich mit Ausführungen in der Art einer Berufungsbegründung in einer Kritik an der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, ohne eine bestimmte klärungsfähige und klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu formulieren und aufzuzeigen. Eine rechtliche Grundsatzfrage lässt sich weder dem Vortrag zu einer "Ungleichbehandlung zum Nachteil der Beigeladenen" entnehmen, weil sie "als einziges Familienmitglied" infolge der Unterlassung eines Antrags auf Familienasyl kein politisches Asyl erhalten habe, noch ergibt sie sich aus dem Vorbringen dazu, dass sich aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK "unmittelbar" sowie aus Art. 16 Abs. 1 der UN-Kinder-Konvention bereits im Jahre 1992 ein Abschiebungshindernis ergeben habe. Von einer weiteren Begründung wird insoweit abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
2. Auch soweit die Beschwerde weiter rügt, ihr stehe aus humanitären Gründen ein Abschiebungshindernis zur Seite (Beschwerdebegründung S. 4 f.), wird eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht bezeichnet. Aus dem Beschwerdevorbringen hierzu ergibt sich aber sinngemäß, dass die Beigeladene das Berufungsurteil auch deshalb angreift, weil es das Berufungsgericht unterlassen habe, ihre persönliche Situation bei der Rückkehr in die Türkei am Maßstab des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG anhand des von ihr hierzu unterbreiteten Sachvortrags (Rückkehr als syrisch-orthodoxe Christin und ledige allein erziehende Mutter eines im Februar 2004 geborenen Kindes ohne Familienoberhaupt in der Türkei und ohne Chance, sich eine Existenz aufzubauen, zumal sie die türkische Sprache nur bruchstückhaft spreche) zu prüfen. Damit macht die Beigeladene der Sache nach eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) geltend. Insoweit ist die Beschwerde begründet, weil das Berufungsgericht zu § 53 Abs. 6 AuslG lediglich eine extreme allgemeine Gefahrenlage in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG verneint, aber nicht geprüft - und demgemäß bisher auch keine hierauf bezogenen Tatsachen festgestellt - hat, ob der Beigeladenen aus den angeführten individuellen Gründen eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (in unmittelbarer Anwendung) droht, wenn sie in die Türkei zurückkehrt.
Zur Vermeidung von Missverständnissen bemerkt der Senat: Soweit sich die Beigeladene darauf beruft, dass sie ohne ihre Familie ("Familienoberhaupt") zurückkehren müsste, kommt allerdings Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG nicht in Betracht (vgl. Urteil vom 27. Juli 2000 - BVerwG 9 C 9.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 39; Urteil vom 23. Mai 2000 - BVerwG 9 C 2.00 - <juris>; Urteil vom 21. September 1999 - BVerwG 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305; Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322). Auch könnte sie ihr Begehren nicht auf solche Gefahren stützen, die ihrem Kleinkind drohen (vgl. Urteil vom 16. Juni 2004 - BVerwG 1 C 27.03 - NVwZ 2004, 1371).
Es ist gleichwohl nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht, wenn es das Vorbringen der Beigeladenen zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zutreffend geprüft hätte, zu einem anderen, für die Klägerin günstigeren Ergebnis gekommen wäre. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung wird die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO, soweit die Beschwerde erfolglos bleibt; im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten der Schlussentscheidung vorbehalten. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG a.F. (= § 83 b AsylVfG n.F.) nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG a.F. (vgl. § 60 RVG).