Beschluss vom 28.04.2004 -
BVerwG 7 B 75.03ECLI:DE:BVerwG:2004:280404B7B75.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.04.2004 - 7 B 75.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:280404B7B75.03.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 75.03

  • VG Berlin - 20.05.2003 - AZ: VG 25 A 97.97

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. April 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. Die Beigeladenen zu 2 bis 5 tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Der Kläger begehrt nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes (VermG) die Rückübertragung der Grundstücke K. Straße 50 - 52 in Berlin-Mitte, die Betriebsgrundstücke des früheren Einzelhandelsunternehmens "Dr. Klaus Gettwart Technische Fabrik" waren. Das Unternehmen wurde mitsamt der Betriebsgrundstücke im Jahr 1946 nach dem Befehl 124 der SMAD beschlagnahmt. In der Bekanntmachung über die nach dem Enteignungsgesetz vom 8. Februar 1949 eingezogenen Vermögenswerte (Liste 3) des Magistrats von Groß-Berlin vom 14. November 1949 (VOBl für Groß-Berlin 1949, S. 425) sind die Technische Fabrik sowie die Grundstücke K. Straße 50 - 52 aufgeführt. Das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen hat u.a. den Antrag auf Rückübertragung der Betriebsgrundstücke abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen, weil die Rückübertragung wegen des besatzungshoheitlichen Charakters der Enteignung nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausgeschlossen sei; die Revision hat es nicht zugelassen.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision ist nicht begründet. Die gerügten Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen nicht vor.
1. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Verwaltungsgericht nicht gegen § 86 Abs. 2 VwGO verstoßen. Die Verletzung dieser Vorschrift sieht er darin, dass das Verwaltungsgericht einen in der mündlichen Verhandlung am 20. Mai 2003 gestellten förmlichen Beweisantrag, das Verwaltungsgericht möge Akteneinsicht in die Unterlagen des Militärarchivs der Stadt Noginsk beantragen, nicht beschieden habe; weder in der Sitzungsniederschrift vom 20. Mai 2003 noch in den Entscheidungsgründen des Urteils finde sich eine Begründung dafür, warum dem Beweisantrag nicht nachgegangen worden sei. Die Rüge hat keinen Erfolg.
Nach § 86 Abs. 2 VwGO kann ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag nur durch einen Gerichtsbeschluss, der zu begründen ist, abgelehnt werden. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung am 20. Mai 2003 hat der Kläger keinen Beweisantrag gestellt. Vielmehr ist im Protokoll festgehalten:
"Der Bevollmächtigte des Klägers weist darauf hin, dass nunmehr konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Militärarchiv Noginsk Unterlagen vorhanden sind, die die Aufhebung der Beschlagnahme belegen. Er regt an, entweder von Amts wegen eine Archivauskunft einzuholen oder eine Entscheidung noch um drei Monate zu verschieben, damit der Kläger Gelegenheit zur Beibringung dieser Unterlagen erhalte."
In den Entscheidungsgründen des Urteils ist im Einzelnen ausgeführt, warum das Verwaltungsgericht von einer weiteren Aufklärung abgesehen hat.
2. Auch die Rüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO ist nicht begründet. Dem Verwaltungsgericht musste sich - auch ohne förmlichen Beweisantrag des Klägers - die Beiziehung von Unterlagen über eine Aufhebung der Konfiskation des Unternehmens und die Weiterleitung dieser Aufhebungsanordnung an die deutschen Behörden nicht aufdrängen.
Nach § 86 Abs. 1 VwGO hat das Tatsachengericht den Sachverhalt von Amts wegen vollständig aufzuklären. Die Notwendigkeit, Unterlagen aus Archiven beizuziehen, drängt sich auf, wenn konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein entscheidungserheblicher Unterlagen in dem Archiv gegeben sind (vgl. Beschluss vom 23. Juli 2003 - BVerwG 8 B 57.03 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 330 S. 46; auch Beschluss vom 28. Juni 2002 - BVerwG 7 B 90.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 325 S. 37). Hieran fehlt es. Zwar ist in dem Schreiben des Justizministeriums der Russischen Föderation vom 19. September 1994 und der diesem Schreiben beigefügten Erklärung des Justizministeriums darauf hingewiesen worden, dass die Beschlagnahme von der Militärverwaltung aufgehoben worden sei. Diese Mitteilung wird in dem Schreiben als Ergebnis der Suche nach Unterlagen dargestellt. Nähere Angaben dazu, durch wen und in welcher Form die Aufhebung der Beschlagnahme erfolgt ist, und zum Zeitpunkt der Aufhebung finden sich in dem Schreiben des Justizministeriums nicht, obwohl sonst - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat - die Beschwerdeschriften des Rechtsanwalts Dr. A. mit den genauen Daten aufgeführt sind. Angaben darüber, dass Unterlagen in dem Militärarchiv der Stadt Noginsk vorhanden seien, enthält das Schreiben des Generaldirektors der Kornex vom 31. März 2003; Kornex ist nach dem Briefkopf des Schreibens eine Gemeinschaft unabhängiger Experten in Fragen Sicherheit und Rechtsordnung. Hinweise auf den Inhalt und Zeitpunkt der Aufhebung fehlen aber, obwohl die Dokumente, die die Aufhebung der Beschlagnahme belegen, nach dem Schreiben in Augenschein genommen worden sein sollen. Eine Bestätigung dafür, dass insbesondere das bereits aus dem Jahr 1994 stammende Schreiben des Justizministeriums noch keinen Anhaltspunkt für das Vorhandensein entsprechender Unterlagen in dem Archiv bietet, ergibt sich daraus, dass der Kläger in dem etwa 6 Jahre anhängigen erstinstanzlichen Verfahren keine Kopie einer Aufhebungsanordnung, eine Abschrift oder auch nur Notizen vorlegen konnte, ohne dass insbesondere mit Blick auf das Schreiben des Generaldirektors der Kornex vom 31. März 2003 ein konkreter Hinweis auf Hinderungsgründe (z.B. Verweigerung einer Akteneinsicht oder der Anfertigung von Notizen durch das Archiv, Ablehnung weiterer Auskünfte zu den Unterlagen durch das Justizministerium) gegeben wurde; der Kläger hat lediglich allgemein darauf hingewiesen, dass ihm keine "Präzisierungs- oder Zwangsmittel" gegenüber dem russischen Justizministerium zur Verfügung stehen.
Auch sonst fehlen jegliche Anhaltspunkte für das Vorhandensein von Unterlagen über eine Aufhebungsanordnung, von der der Kläger selbst nach seinem Vorbringen vom "Hörensagen" wusste. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich in den beigezogenen Unterlagen des Landesarchivs, insbesondere der umfangreichen Akte über die Firma des Dr. Klaus G. aus der Zeit von 1945 bis 1951, keinerlei Hinweise auf eine Aufhebung der Beschlagnahme finden und auch die Einsprüche des mit der Vertretung von Dr. Klaus G. beauftragten Rechtsanwalts Dr. A., zuletzt vom 12. Dezember 1947, eine Aufhebungsanordnung der sowjetischen Besatzungsmacht nicht erwähnen. dies gilt in gleicher Weise für die Sachstandsanfragen des Rechtsanwalts Dr. A., zuletzt vom 21. Juni 1948, aus denen sich ebenfalls keine Hinweise auf eine Aufhebungsanordnung und damit den Eintritt eines neuen Sachverhalts ergeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.