Beschluss vom 28.04.2009 -
BVerwG 1 WB 29.08ECLI:DE:BVerwG:2009:280409B1WB29.08.0

Leitsätze:

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Die Pflicht, den Entwurf einer dienstlichen Beurteilung oder einer Stellungnahme hierzu mit dem Soldaten zu erörtern, verlangt auch bei der Erörterung „in Form einer schriftlichen Anhörung“, dass der beurteilende oder stellungnehmende Vorgesetzte auf die schriftliche Äußerung des Soldaten zu dem ihm ausgehändigten Entwurf eingeht und ihm in geeigneter – mündlicher, fernmündlicher oder schriftlicher – Form eine Antwort gibt, bevor er die Beurteilung bzw. Stellungnahme abschließt.

Beschluss

BVerwG 1 WB 29.08

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Kraft und
den ehrenamtlichen Richter Hauptmann Brand
am 28. April 2009 beschlossen:

  1. Die Stellungnahme des Befehlshabers des W...kommandos ... vom 19. Oktober 2006 zu der planmäßigen Beurteilung des Antragstellers vom 13. März 2006 sowie die Beschwerdebescheide des Befehlshabers des S...kommandos vom 21. Dezember 2007 und des Stellvertreters des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteurs der Streitkräftebasis vom 15. Februar 2008 werden aufgehoben.
  2. Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller wendet sich gegen die Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten zu einer planmäßigen Beurteilung und macht hierzu insbesondere geltend, der Entwurf der Stellungnahme sei mit ihm nicht wie in den Beurteilungsbestimmungen vorgesehen erörtert worden.

2 Der 1964 geborene Antragsteller ist Berufssoldat in der Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes; seine Dienstzeit wird voraussichtlich am 31. Oktober 2020 enden. Zum Hauptmann wurde er am 10. Mai 2005 ernannt. Während des Beurteilungszeitraums, auf den sich die hier strittige Stellungnahme bezieht, war der Antragsteller beim W...kommando ... in E. als Stabsdienstoffizier und Kommandant des Stabsquartiers eingesetzt. Derzeit wird er als Personalorganisationsoffizier beim S...amt in B. verwendet.

3 Unter dem 13. März 2006 erstellte der Chef des Stabes des W...kommandos ... eine planmäßige Beurteilung für den Antragsteller zum Vorlagetermin 31. März 2006. Der Befehlshaber des W...kommandos ... gab hierzu als nächsthöherer Vorgesetzter unter dem 19. Oktober 2006 eine Stellungnahme ab. Dabei setzte er im Feld F (Leistungen im Beurteilungszeitraum) bei zwei Einzelmerkmalen (Durchsetzungsverhalten, Dienstaufsicht) die Wertung von Stufe „6“ auf Stufe „5“ herab; außerdem änderte er im Feld G (Eignung und Befähigung) die Wertung für die Eignung des Antragstellers zur Menschenführung/Teambefähigung von der Stufe „E“ in die Stufe „D“. Die Änderungen wurden im Feld L 01 begründet. Ausweislich der Angaben im Feld M 01 wurde der Entwurf der Stellungnahme dem Antragsteller am 24. Juli 2006 ausgehändigt. Hinsichtlich der Erörterung des Entwurfs der Stellungnahme ist das Feld „In Form einer schriftlichen Anhörung“ angekreuzt. Als Datum der Erörterung war ursprünglich der 11. Oktober 2006 angegeben; dieses Datum wurde später in den 17. Oktober 2006 berichtigt. Außerdem findet sich der Zusatz, dass eine schriftliche Äußerung des Antragstellers vom 11. Oktober 2006 beigefügt ist; diese Äußerung befindet sich allerdings nicht bei dem in der Personalgrundakte befindlichen Exemplar der Beurteilung. Aus einer Kopie der schriftlichen Äußerung vom 11. Oktober 2006 in der Beschwerdeakte geht hervor, dass der Antragsteller sich mit dem Entwurf der Stellungnahme des Befehlshabers nicht einverstanden erklärt und seine Einwände in einer Begründung erläutert hatte. Die schriftliche Äußerung trägt einen Eingangsstempel des W...kommandos ... vom 13. Oktober 2006 und ein Handzeichen des Befehlshabers des W...kommandos ... vom 17. Oktober 2006.

4 Mit Schreiben vom 20. November 2006 legte der Antragsteller gegen die ihm am 7. November 2006 eröffnete Stellungnahme des Befehlshabers des W...kommandos ... Beschwerde ein. Da er mit den Aussagen, Behauptungen und Bewertungen im Entwurf der Stellungnahme nicht einverstanden gewesen sei, habe er eine schriftliche Äußerung abgegeben. Eine Erörterung in Form einer schriftlichen Anhörung am 11. Oktober 2006, wie in der (damals noch nicht berichtigten) Beurteilung behauptet werde, habe nicht stattgefunden. Es liege daher ein Verstoß gegen die Anhörungs-/Erörterungspflicht vor.

5 Im Rahmen der Abhilfeprüfung erklärte der Befehlshaber des W...kommandos ..., dass die schriftliche Erörterung nicht am 11. Oktober, sondern am 17. Oktober 2006 erfolgt sei. Der Befehlshaber des S...kommandos veranlasste daraufhin eine entsprechende Berichtigung der Beurteilung des Antragstellers. Mit Schreiben vom 17. April 2007 teilte der Antragsteller mit, dass er seine Beschwerde mit der Berichtigung nicht als erledigt betrachte. Es gehe ihm nicht um die Korrektur eines unrichtigen Datums, sondern darum, dass eine Erörterung in Form einer schriftlichen Anhörung oder auf andere Weise überhaupt nicht stattgefunden habe.

6 Mit Bescheid vom 21. Dezember 2007 wies der Befehlshaber des S...kommandos die Beschwerde zurück. Der Befehlshaber des W...kommandos ... habe die schriftliche Äußerung des Antragstellers vom 11. Oktober 2006 am 17. Oktober 2006 zur Kenntnis genommen und durch seine Unterschrift im Feld L 04 am 19. Oktober 2006 entschieden, dass er an der Fassung des mit dem Antragsteller im schriftlichen Verfahren erörterten Entwurfs seiner Stellungnahme unverändert festhalte. Diese Vorgehensweise entspreche den Vorgaben der ZDv 20/6.

7 Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 16. Januar 2008 weitere Beschwerde ein. Eine Erörterung der Stellungnahme habe bis zum heutigen Tage weder im persönlichen Gespräch noch fernmündlich oder in schriftlicher Form stattgefunden.

8 Mit Bescheid vom 15. Februar 2008 wies der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur der Streitkräftebasis die weitere Beschwerde zurück. Ergänzend zur Begründung des Beschwerdebescheids vom 21. Dezember 2007 führte der Inspekteur aus, dass es keines weitergehenden Schriftverkehrs bedurft habe. Die ZDv 20/6 fordere nicht, dass der Befehlshaber des W...kommandos ... seine Sicht der Dinge in Bezug auf die Äußerung des Antragstellers vom 11. Oktober 2006 habe schriftlich darlegen und dem Antragsteller zur Kenntnis geben müssen. Für ein ordnungsgemäßes Verfahren genüge vielmehr, dass der Befehlshaber das Schreiben vom 11. Oktober 2006 nachweislich am 17. Oktober 2006 zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung über die (letztlich unveränderte) Endfassung seiner Stellungnahme berücksichtigt habe.

9 Mit Schreiben vom 3. März 2008 beantragte der Antragsteller die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Der Antrag wurde vom Inspekteur der Streitkräftebasis mit seiner Stellungnahme vom 25. März 2008 dem Senat vorgelegt.

10 Zur Begründung wiederholt der Antragsteller sein Beschwerdevorbringen und trägt ergänzend insbesondere vor:
Unter Erörterung im Sinne der Nr. 627 Buchst. b ZDv 20/6 verstehe er eine sorgfältige und umfassende Aussprache sowie einen ausführlichen Meinungsaustausch. Beide Seiten (Beurteilender und Beurteilter) müssten Gelegenheit bekommen, ihre unterschiedlichen Meinungen darzustellen und die Gründe des Für und Wider zu erklären. Eine Erörterung sei eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der jeweiligen Gegenseite im offenen Dialog. Diese Voraussetzungen seien bei einem persönlichen Gespräch oder einer fernmündlichen Erörterung erfüllt. Im Falle einer schriftlichen Erörterung hätte es eines weiteren Schreibens des Befehlshabers des W...kommandos ... bedurft, in dem sich dieser mit seinen, des Antragstellers, Argumenten auseinanderzusetzen und zu erläutern gehabt hätte, weshalb er diesen Argumenten folge oder nicht folge. Eine Entwurfsaushändigung über Dritte und eine lediglich durch Handzeichen und Datumszusatz dokumentierte Kenntnisnahme stelle keine vorschriftenkonforme Umsetzung der Anhörungs-/Erörterungspflicht dar.

11 Der Antragsteller beantragt,
die Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten vom 19. Oktober 2006 aufzuheben.

12 Der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur der Streitkräftebasis beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

13 Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen die Gründe der Beschwerdebescheide vom 21. Dezember 2007 und 15. Februar 2008.

14 Das Gericht hat beim Bundesministerium der Verteidigung - ... - eine Amtliche Auskunft zu Fragen eingeholt, wie die Vorschriften der ZDv 20/6 über die Anhörung und Erörterung bei dienstlichen Beurteilungen in der Praxis vollzogen werden. In seiner Amtlichen Auskunft vom 3. September 2008 hat das Bundesministerium der Verteidigung - ... - unter anderem die Frage, wie sich die Verwaltungspraxis darstelle, wenn die Erörterung in Form einer schriftlichen Anhörung erfolge, wie folgt beantwortet:
„Das Verfahren der Erörterung eines Beurteilungsentwurfs oder des Entwurfs einer Stellungnahme zu einer Beurteilung in Form einer schriftlichen Anhörung (Nr. 627 Buchstabe b Satz 2 der ZDv 20/6 Ausgabe Mai 1998) ist von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig.
Soweit der Soldat keine Einwände erhebt und mit den Aussagen, Behauptungen oder Wertungen einverstanden ist, wird in der Praxis keine schriftliche Antwort des Vorgesetzten erfolgen.
Soweit der Soldat die Aussagen, Behauptungen oder Wertungen bestreitet, sein Verhalten erklärt oder Gründe zu seiner Entlastung anführt, prüft der Vorgesetzte die Äußerung des Soldaten mit dem Ziel der vollständigen Sachaufklärung und entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und mit welchem Gewicht er die Äußerung berücksichtigen will. Auch in diesem Fall wird in der Praxis keine schriftliche Antwort des Vorgesetzten erfolgen.
Soweit der Soldat um Erläuterungen zu den Aussagen, Behauptungen oder Wertungen bittet oder in diesem Zusammenhang Fragen formuliert, wird sich hierzu in der Praxis ein Schriftwechsel entwickeln.“

15 Mit Schreiben vom 7. April 2009 hat das Bundesministerium der Verteidigung - ... - seine Amtliche Auskunft erläutert und ergänzt. Der Antragsteller und der Inspekteur der Streitkräftebasis haben zu der Auskunft und deren Ergänzung ausführlich Stellung genommen.

16 Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten sowie der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakten des S...kommandos - Az.: ... - und des Inspekteurs der Streitkräftebasis - Az.: ... - sowie die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A bis D, haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

17 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.

18 1. Der Antrag ist zulässig.

19 Dienstliche Beurteilungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SLV i.V.m. Nr. 201 der „Bestimmungen über die Beurteilungen der Soldaten der Bundeswehr“ (ZDv 20/6, hier i.d.F. der Ausgabe vom 13. Mai 1998, zuletzt geändert durch Änderung 3 vom 26. Juli 2005), die von einem militärischen Vorgesetzten erstellt worden sind (zu dieser Voraussetzung vgl. Beschluss vom 17. März 2009 - BVerwG 1 WB 77.08 - zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen), stellen truppendienstliche Maßnahmen dar, die nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 Satz 1 SLV i.V.m. Nr. 1102 ZDv 20/6 vor den Wehrdienstgerichten angefochten werden können. Die Stellungnahme eines höheren Vorgesetzten zu einer Beurteilung enthält dabei nach ständiger Rechtsprechung des Senats eine selbständig anfechtbare Maßnahme im Sinne des § 17 WBO (vgl. Beschlüsse vom 22. Februar 1978 - BVerwG 1 WB 74.77 - BVerwGE 63, 3 <5>, vom 21. Juli 1992 - BVerwG 1 WB 87.91 - BVerwGE 93, 279 = NZWehrr 1992, 255 sowie zuletzt vom 6. Juni 2007 - BVerwG 1 WB 45.06 - m.w.N.). Zwar findet gemäß § 1 Abs. 3 WBO (in der hier maßgeblichen, bis zum 31. Januar 2009 geltenden Fassung) sowie Nr. 1101 ZDv 20/6 eine Beschwerde gegen die in dienstlichen Beurteilungen enthaltenen Aussagen und Wertungen zur Persönlichkeit, Eignung, Befähigung und Leistung des Beurteilten nicht statt; derartige Aussagen und Wertungen sind als höchstpersönliche Werturteile einer inhaltlichen gerichtlichen Prüfung nicht zugänglich. Ein Soldat kann jedoch eine Beurteilung mit der Begründung anfechten, sie verstoße gegen Rechte, die ihm in Bezug auf die Erstellung von Beurteilungen eingeräumt sind (stRspr, vgl. Beschluss vom 8. März 2006 - BVerwG 1 WB 23.05 - insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 449.2 § 2 SLV 2002 Nr. 7). Nr. 1102 Buchst. b ZDv 20/6 weist in diesem Sinne klarstellend darauf hin, dass eine Beschwerde statthaft ist, wenn der Beurteilte glaubt, dass bei der Erstellung der Beurteilung, einschließlich der Stellungnahmen, solche Rechte verletzt worden sind, die ihm als Garantie für eine sachgerechte Beurteilung nach der Rechtsordnung eingeräumt sind. Hiernach ist eine Beschwerde - unter anderem - dann statthaft, wenn der Beurteilte einen Verstoß gegen die Anhörungs- und Erörterungspflicht nach Nr. 626 bis 629 ZDv 20/6 geltend macht. Das ist hier durch den Antragsteller geschehen.

20 2. Der Antrag ist auch begründet.

21 Die Stellungnahme des Befehlshabers des W...kommandos ... vom 19. Oktober 2006 zu der planmäßigen Beurteilung des Antragstellers vom 14. März 2006 verstößt gegen die Pflicht zur Erörterung nach Nr. 627 Buchst. b i.V.m. Nr. 629 ZDv 20/6. Die Stellungnahme sowie die Beschwerdebescheide des Befehlshabers des S...kommandos vom 21. Dezember 2007 und des Stellvertreters des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteurs der Streitkräftebasis vom 15. Februar 2008 sind deshalb aufzuheben.

22 Dienstliche Beurteilungen und die hierzu abgegebenen Stellungnahmen von Vorgesetzten sind in der Sache gerichtlich nur beschränkt nachprüfbar. Die Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob der beurteilende bzw. stellungnehmende Vorgesetzte den anzuwendenden Begriff der Beurteilung oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Wenn das Bundesministerium der Verteidigung auf der Grundlage des § 2 Abs. 2 SLV Richtlinien für die Abgabe dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, kann das Gericht im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) ferner prüfen, ob diese Richtlinien eingehalten worden sind und mit den gesetzlichen Regelungen, speziell mit denen der Soldatenlaufbahnverordnung über die dienstliche Beurteilung, und mit sonstigen Rechtsvorschriften in Einklang stehen (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 6. März 2001 - BVerwG 1 WB 117.00 - BVerwGE 114, 80 <82> = Buchholz 236.11 § 1a SLV Nr. 15, vom 16. September 2004 - BVerwG 1 WB 21.04 - Buchholz 236.110 § 2 SLV Nr. 5 und vom 11. März 2008 - BVerwG 1 WB 41.07 - Buchholz 449.2 § 2 SLV Nr. 10).

23 Nach diesen Maßstäben ist die Stellungnahme des Befehlshabers des W...kommandos ... rechtswidrig, weil sie unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist. Gemäß § 29 Abs. 5 Satz 1 SG ist der Soldat zu Beschwerden, Behauptungen und Bewertungen, die für ihn ungünstig sind oder ihm nachteilig werden können, vor deren Aufnahme in die Personalakte zu hören. Diese zwingende gesetzliche Pflicht ist in Kapitel 6 Abschnitt XI ZDv 20/6 für die Personalvorgänge, die den Beurteilungsbestimmungen unterfallen, im Einzelnen ausgestaltet. Der Befehlshaber des W...kommandos ... hatte bei Abgabe seiner Stellungnahme das in Nr. 627, 628 ZDv 20/6 vorgesehene „Verfahren der Entwurfsaushändigung und -erörterung“ zu beachten, weil er über die Aussagen, Behauptungen und Wertungen des Chefs des Stabes hinausgehende abweichende Formulierungen und Wertungen - nämlich eine Herabsetzung der Wertungen bei zwei Einzelmerkmalen der Leistungsbewertung und einem Einzelmerkmal der Eignung und Befähigung (einschließlich der zugehörigen Begründung) - aufzunehmen beabsichtigte, die für den Antragsteller ungünstig sind oder ihm nachteilig werden können (Nr. 629 ZDv 20/6). Dieses Verfahren wurde fehlerhaft durchgeführt.

24 Der Antragsteller erhielt zwar am 24. Juli 2006 die beabsichtigte Stellungnahme des Befehlshabers des W...kommandos ... im Entwurf ausgehändigt (Nr. 627 Buchst. a ZDv 20/6). Es ist auch davon auszugehen, dass der Antragsteller bei dieser Gelegenheit durch den vom Befehlshaber beauftragten Personalstabsoffizier auf das schriftliche Erörterungsverfahren hingewiesen und aufgefordert wurde, sich schriftlich zu dem Entwurf der Stellungnahme zu äußern; der Antragsteller hat die entsprechende (glaubhafte) Darstellung des Personalstabsoffiziers, die der Inspekteur der Streitkräftebasis (Schreiben vom 7. und 15. April 2009) übermittelt hat, zuletzt (Schriftsatz vom 15. April 2009) nicht mehr in Abrede gestellt. Die auf diese Weise eingeleitete Erörterung „in Form einer schriftlichen Anhörung“ (Nr. 627 Buchst. b Satz 2 Alt. 2 ZDv 20/6) wurde jedoch nicht ordnungsgemäß zu Ende geführt. Der Antragsteller hat - mit einiger Verzögerung - unter dem 11. Oktober 2006 eine schriftliche Äußerung abgegeben und in dieser erklärt, dass er mit der beabsichtigten Stellungnahme nicht einverstanden sei. Die Tatsache, dass der Befehlshaber, wie sich aus seinem Handzeichen ergibt, am 17. Oktober 2006 dieses Schreiben des Antragstellers zur Kenntnis genommen und am 19. Oktober 2006 bei seiner - nicht vor Ablauf einer Nacht getroffenen (Nr. 628 Buchst. b Abs. 2 Satz 1 ZDv 20/6) - Entscheidung über die Endfassung seiner Stellungnahme berücksichtigt hat, genügt indes nicht den Anforderungen an eine Erörterung des Entwurfs. Erforderlich wäre - auch bei einer Erörterung „in Form einer schriftlichen Anhörung“ - gewesen, dass der Befehlshaber vor Abschluss seiner Stellungnahme gegenüber dem Antragsteller in geeigneter - mündlicher, fernmündlicher oder schriftlicher - Form auf dessen Vorbringen eingeht und ihm eine Antwort gibt.

25 Im Einzelnen ergibt sich dies aus Folgendem:
a) Gemäß Nr. 627 Buchst. b ZDv 20/6 ist der ausgehändigte Entwurf (frühestens nach Ablauf einer Nacht) mit dem Soldaten zu erörtern, wobei die Erörterung auch fernmündlich oder in Form einer schriftlichen Anhörung erfolgen kann. „Erörterung“ bedeutet seinem Wortsinn nach einen wechselseitigen Informations- und Meinungsaustausch zwischen dem beurteilenden bzw. stellungnehmenden Vorgesetzten und dem beurteilten Soldaten. Die Form eines argumentativen Austausches oder Dialogs entspricht dem Zweck des - dem Abschluss (Nr. 630 ZDv 20/6) der Beurteilung bzw. Stellungnahme vorgeschalteten - Verfahrensschritts der Erörterung. Gerade weil die in dienstlichen Beurteilungen enthaltenen Aussagen und Wertungen zur Persönlichkeit, Eignung, Befähigung und Leistung des Beurteilten, also die eigentliche Bewertung durch den Beurteilenden, einer nachträglichen inhaltlichen Rechtmäßigkeitskontrolle entzogen sind, ist es um so wichtiger, dass - bevor eine Entscheidung fixiert ist - sowohl für den Beurteilten als auch für den Beurteilenden Gelegenheit zu einer Auseinandersetzung auf der Grundlage des vorliegenden Entwurfs besteht, in der die jeweiligen Standpunkte und Argumente vorgetragen und vertreten, gegebenenfalls aber auch hinterfragt werden können. Insofern stellt die Erörterung ein Element sowohl der Richtigkeitsgewähr in der Sache als auch der Befriedung zwischen den Beteiligten dar.

26 Die Funktion der Erörterung wird am besten in dem - in Nr. 627 Buchst. b Satz 1 ZDv 20/6 vorausgesetzten - Rahmen eines persönlichen Gesprächs erfüllt, das auch in der Praxis den Regelfall darstellen dürfte. Die geschilderten Grundsätze gelten jedoch in gleicher Weise bei einer fernmündlichen Erörterung ebenso wie bei der hier in Rede stehenden Erörterung in Form einer schriftlichen Anhörung (Nr. 627 Buchst. b Satz 2 ZDv 20/6). Die Wortwahl „Anhörung“ nötigt nicht zu dem Schluss, dass bei dieser Alternative dem beurteilten Soldaten nur die Gelegenheit eingeräumt sein sollte, sich - etwa im Sinne von § 28 Abs. 1 VwVfG - einseitig und ohne Austausch mit dem Vorgesetzten zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Auch die Erörterung in Form einer schriftlichen Anhörung ist eine Erörterung; sie ist keine Anhörung anstelle einer Erörterung. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Wirkungsweise und inhaltliche Funktion der Erörterung mit dem bloßen Wechsel der Form zur Disposition stehen sollte. Auch bei einer Erörterung in Form einer schriftlichen Anhörung ist der Vorgesetzte deshalb gehalten, vor dem Abschluss der Beurteilung bzw. Stellungnahme auf die schriftliche Äußerung des Soldaten einzugehen und dem Soldaten - mündlich, fernmündlich oder schriftlich - eine Antwort zu geben. Das hat der Befehlshaber des W...kommandos ... im vorliegenden Fall unterlassen.

27 b) Die Erörterung erübrigt sich ferner nicht dadurch, dass der Soldat - wie hier durch den Antragsteller geschehen - verlangen kann, dass eine von ihm abgegebene schriftliche Äußerung der Beurteilung bzw. Stellungnahme beigefügt und damit zu deren Bestandteil wird (Nr. 628 Buchst. c, Nr. 701 Buchst. b ZDv 20/6). Diese Regelung, die im Übrigen nicht nur für die Erörterung in Form einer schriftlichen Anhörung, sondern auch im Falle der Erörterung in einem persönlichen oder fernmündlichen Gespräch gilt, eröffnet dem Soldaten lediglich die Möglichkeit, seine Einwände und seine abweichende Sicht gewissermaßen „zu Protokoll“ zu geben. Sie ersetzt jedoch nicht die Chance, auf das Zustandekommen und den Inhalt der - maßgeblichen - Beurteilung oder Stellungnahme des Vorgesetzten im Wege der Erörterung Einfluss zu nehmen.

28 c) Ein anderes Verständnis der Erörterung „in Form einer schriftlichen Anhörung“ ergibt sich schließlich auch nicht aus dem tatsächlichen Vollzug der Nr. 627 Buchst. b ZDv 20/6. Da Verwaltungsvorschriften, wie die Beurteilungsbestimmungen, rechtliche Außenwirkung über das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG erlangen, kommt es bei Zweifeln über ihren Inhalt darauf an, in welcher Art und Weise sie - gegebenenfalls auch abweichend von ihrem Text - in ständiger Verwaltungspraxis ausgelegt und angewendet werden (vgl. Beschluss vom 28. Mai 2008 - BVerwG 1 WB 19.07 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 44 m.w.N.). Die Amtliche Auskunft zum Vollzug der Nr. 627, 628 ZDv 20/6, die der Senat bei dem für die Beurteilungsrichtlinien federführend zuständigen Referat ... des Bundesministeriums der Verteidigung (Schreiben vom 3. September 2008 mit Ergänzung vom 7. April 2009) eingeholt hat, hat jedoch bereits keine hinreichend breite und aussagekräftige tatsächliche Grundlage ergeben, aus der sich rechtlich erhebliche Aussagen über eine ständige Verwaltungspraxis herleiten ließen. Die Auskunft, so das Bundesministerium, beruhe „auf hiesigen Erfahrungswerten im Zusammenhang mit gelegentlichen Nachfragen der Truppe zum Verfahren der schriftlichen Anhörung“; auch sei „aus der vergleichsweise geringen Zahl von Anfragen zu diesem Thema ... zu schließen, dass die Erörterung in Form einer schriftlichen Anhörung die Ausnahme“ darstelle (Schreiben vom 7. April 2009, unter 2.). Das Bundesministerium der Verteidigung - ... - bezeichnet deshalb das von ihm beschriebene Verfahren der Erörterung in Form einer schriftlichen Anhörung realistischerweise auch nur als „eine in Betracht kommende Vorgehensweise“ (a.a.O.).

29 Unabhängig davon wäre aber wohl auch nach der vom Bundesministerium der Verteidigung - ... - beschriebenen Vorgehensweise eine Reaktion des Befehlshabers auf die schriftliche Äußerung des Antragstellers geboten gewesen. Nach der Amtlichen Auskunft vom 3. September 2008 soll, „soweit der Soldat die Aussagen, Behauptungen oder Wertungen bestreitet, sein Verhalten erklärt oder Gründe zu seiner Entlastung anführt“, der Vorgesetzte die Äußerung des Soldaten mit dem Ziel der vollständigen Sachaufklärung prüfen und nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob und mit welchem Gewicht er die Äußerung berücksichtigen will; in diesem Fall werde „in der Praxis keine schriftliche Antwort des Vorgesetzten erfolgen“. Soweit der Soldat hingegen „um Erläuterungen zu den Aussagen, Behauptungen oder Wertungen bittet oder in diesem Zusammenhang Fragen formuliert“, werde „sich hierzu in der Praxis ein Schriftwechsel entwickeln“. Abgesehen davon, dass sich in der Praxis beide Fallgruppen häufig nicht trennscharf unterscheiden lassen werden bzw. die Äußerung des Soldaten häufig beide Fallgruppen berühren wird, fällt im vorliegenden Fall die schriftliche Äußerung des Antragstellers im Schwerpunkt eher in die letztgenannte Kategorie. Das Schreiben vom 11. Oktober 2006 zum Entwurf der Stellungnahme betraf zwar auch Sachverhaltsfragen (Umfang der Aufgaben des Antragstellers im Beurteilungszeitraum); im Kern ging es dem Antragsteller jedoch ersichtlich darum, zum Ausdruck zu bringen, dass er das von dem Befehlshaber getroffene Werturteil über sein Persönlichkeits- und Leistungsbild (insbesondere die Feststellung von Schwächen in der Menschenführung und in der Handhabung der Disziplinargewalt) nicht nachvollziehen und teilen könne. Zwar nicht ausdrücklich, aber doch sinngemäß sind damit Erläuterungen zu den Wertungen des Befehlshabers erbeten bzw. entsprechende Fragen formuliert.

30 d) Das Unterbleiben einer Antwort auf die schriftliche Äußerung des Antragstellers ist schließlich auch nicht nach der - im Wehrbeschwerdeverfahren entsprechend anwendbaren (vgl. zuletzt Beschluss vom 25. März 2008 - BVerwG 1 WDS-VR 4.08 - Buchholz 449.7 § 23 SBG Nr. 6) - Vorschrift des § 46 VwVfG unbeachtlich, wonach die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden kann, weil er unter Verletzung - unter anderem - von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Zwar dürften die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 46 VwVfG hier vorliegen, weil der Befehlshaber des W...kommandos ... die schriftliche Äußerung des Antragstellers zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums berücksichtigt hat; insofern spricht Vieles gegen die Annahme, dass allein eine Antwort an den Antragsteller vor Abschluss der Stellungnahme noch Einfluss auf deren Inhalt gehabt haben könnte (insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von dem des Beschlusses vom 27. September 2007 - 1 WDS-VR 7.07 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13, wo die Anhörung des Betroffenen gänzlich unterblieben ist, so dass nicht auszuschließen war, dass bei Kenntnis von dessen Äußerung die Entscheidung - dort - des Geheimschutzbeauftragten anders ausgefallen wäre; vgl. ferner Beschluss vom 28. November 2000 - BVerwG 1 WB 90.00 - Buchholz 236.11 § 1a SLV Nr. 12).

31 § 46 VwVfG ist jedoch nicht anwendbar auf Regelungen, die nach ihrem Sinn und Zweck bestimmten Beteiligten in ihrem Interesse oder im Interesse einer besonderen Befriedungs- und Konsensfunktion eine vom Ausgang des Verfahrens unabhängige, selbständig durchsetzbare Verfahrensposition einräumen (vgl. dazu - im konkreten Fall offen lassend - Beschluss vom 20. Juni 2005 - BVerwG 1 WB 60.04 - Buchholz 252 § 20 SBG Nr. 1; vgl. ferner Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 46 Rn. 18; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 46 Rn. 29. f., jeweils m. w. N.). Um eine solche Regelung handelt es sich nach dem oben (unter a) zu ihrer Funktion Gesagten bei der Erörterungspflicht gemäß Nr. 627 Buchst. b ZDv 20/6. Für die uneingeschränkte Beachtlichkeit von Verstößen gegen die Erörterungspflicht spricht im Übrigen auch ein Umkehrschluss zu der Regelung über das mit jedem Soldaten mindestens einmal im Beurteilungszeitraum zu führende Beurteilungsgespräch; hierzu ordnet Nr. 508 Buchst. e ZDv 20/6 ausdrücklich an, dass ein unterbliebenes Beurteilungsgespräch nicht zur Aufhebung der Beurteilung führt.

32 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO (i.d.F. der Bek. vom 22. Januar 2009, BGBl I S. 81).