Beschluss vom 28.10.2008 -
BVerwG 7 BN 4.08ECLI:DE:BVerwG:2008:281008B7BN4.08.0

Beschluss

BVerwG 7 BN 4.08

  • OVG Rheinland-Pfalz - 08.05.2008 - AZ: OVG 1 C 10511/06

In der Normenkontrollsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Oktober 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Neumann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. Mai 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2 zu je einem Fünftel. Der Beigeladene zu 1 trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Antragsteller wenden sich im Wege der Normenkontrolle gegen eine Rechtsverordnung über die Festsetzung eines Wasserschutzgebiets zu Gunsten der beiden Beigeladenen. Das Wasserschutzgebiet ist zum Schutz von insgesamt 11 Trinkwasser-Gewinnungsanlagen festgesetzt worden. Es hat eine Größe von insgesamt 1 772,82 ha und gliedert sich in die Schutzzonen I (Fassungsbereich), II (engere Schutzzone), III A und III B (weitere Schutzzone).

2 Das Oberverwaltungsgericht hat durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben zu der Frage, ob der Antragsgegner die Schutzzone II unter Beachtung der hydrologischen Gegebenheiten und der fachlichen Grundsätze für die Ausweisung von Wasserschutzgebieten zutreffend festgelegt hat.

3 Den Normenkontrollantrag hat es abgelehnt.

II

4 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, vgl. 1.). Es liegt auch kein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, vgl. 2.).

5 1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.

6 Die Beschwerdeführer halten sinngemäß folgende Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig:
- Ab welchem Grad der Beeinträchtigung der gemeindlichen Planungshoheit ist bei der Ausweisung eines Wasserschutzgebiets von einer Verletzung des Art. 28 Abs. 2 GG auszugehen?
- Besteht die durch Art. 28 Abs. 2 GG gewährte Planungshoheit überhaupt noch, wenn aufgrund der Festsetzung eines Wasserschutzgebiets Gemeindegebietsflächen nur als Wohngebiet ausgewiesen werden können und andere Baugebietstypen wie Gewerbe- und Industriegebiete aufgrund der entgegenstehenden Wasserschutzgebietsverordnung grundsätzlich ausgeschlossen sind?
- Wird dem Grundsatz der praktischen Konkordanz Genüge getan, wenn die Ausweisung von Wasserschutzgebieten immer Vorrang gegenüber der gemeindlichen Planungshoheit hat?

7 Zusammengefasst sehen die Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Frage, in welchem Umfang die gemeindliche Planungshoheit durch die Ausweisung eines Wasserschutzgebiets eingeschränkt werden kann, ohne dass ein verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigender Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung vorliegt.

8 Diese Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Soweit sie sich in einer verallgemeinerungsfähigen Weise beantworten lassen, ist diese Antwort in der schon vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gegeben. Soweit es das Wohl der Allgemeinheit erfordert, Gewässer im Interesse der öffentlichen Wasserversorgung vor nachteiligen Einwirkungen zu schützen, können nach § 19 Abs. 1 Satz 1 WHG Wasserschutzgebiete festgesetzt werden. Die Festsetzung eines Wasserschutzgebiets beschränkt die Möglichkeiten der Gemeinde, für dieses nach eigenen Vorstellungen Nutzungen bauplanungsrechtlich vorzusehen. Jedoch ist die gemeindliche Planungshoheit als Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung nicht schlechthin dagegen geschützt, dass andere Träger hoheitlicher Aufgaben Teile des Gemeindegebiets für insbesondere überörtliche Zwecke in Anspruch nehmen und dadurch einer Planung der Gemeinde entziehen. Die Voraussetzungen, unter denen eine Gemeinde in einem solchen Fall die Verletzung ihrer Planungshoheit geltend machen kann, sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Planungshoheit kommt nur dann in Betracht, wenn durch das zugelassene Vorhaben eine hinreichend konkrete und verfestigte eigene Planung der Gemeinde nachhaltig gestört wird oder wenn das Vorhaben wegen seiner Großräumigkeit wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren kommunalen Planung entzieht; das ist ersichtlich nicht der Fall, wenn die Gemeinde lediglich bestimmte Nutzungsarten und Baugebiete nicht mehr festsetzen kann, hier also keine Gewerbe- und Industriegebiete mehr ausweisen kann. Das Vorhaben darf ferner von der Gemeinde konkret in Betracht gezogene städtebauliche Planungsmöglichkeiten nicht unnötig verbauen (vgl. beispielsweise Urteil vom 9. Februar 2005 - BVerwG 9 A 62.03 - Buchholz 316 § 78 VwVfG Nr. 10 = NVwZ 2005, 813 <816>; Urteil vom 15. Dezember 2006 - BVerwG 7 C 1.06 - BVerwGE 127, 259 <Rn. 31> = Buchholz 406.27 § 57a BBergG Nr. 1). Im Übrigen sind kommunale Planungsentscheidungen und Vorstellungen der Gemeinde über die künftige Entwicklung ihres Gemeindegebiets nicht losgelöst von den natürlichen Gegebenheiten möglich, sondern haben ihnen zu folgen (Urteil vom 22. Juli 2004 - BVerwG 7 CN 1.04 - BVerwGE 121, 283 <290> = Buchholz 445.4 § 32 WHG Nr. 2). Zu diesen natürlichen Gegebenheiten kann auch das Vorhandensein eines Grundwasservorrats gehören, der für die öffentliche Trinkwasserversorgung nutzbar ist. Die Gemeinde kann insoweit einer Situationsgebundenheit unterliegen, mit der Folge, dass ihr Eingriffe, die an dieses Merkmal anknüpfen, zumutbar sind (vgl. beispielsweise Urteil vom 15. Mai 2003 - BVerwG 4 CN 9.01 - BVerwGE 118, 181 <185> = Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 133).

9 2. Es liegt kein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem das Normenkontrollurteil beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

10 a) Das Oberverwaltungsgericht hat seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht verletzt, indem es keinen Sachverständigenbeweis hinsichtlich der Festsetzung und Ausdehnung der Schutzzone III des Wasserschutzgebiets erhoben hat.

11 Der Umfang der Aufklärungspflicht bestimmt sich nach der materiellrechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts. Das Oberverwaltungsgericht hat in seinem rechtlichen Ansatz angenommen, der Verordnungsgeber dürfe sich bei einer näheren Abgrenzung des Wasserschutzgebiets und seiner Zonen mit wissenschaftlich fundierten, in sich schlüssigen Schätzungen begnügen, soweit diese auf wasserwirtschaftlichen und hydrogeologischen Fakten beruhen und sich bei der Grenzziehung an in der Natur äußerlich erkennbaren Linien und an topografischen Gegebenheiten orientieren (vgl. UA S. 29 f.). Hiervon ausgehend hätte das Gericht einen Sachverständigen nur zuziehen müssen, wenn die Beurteilung der Frage, ob die Festsetzung der Schutzzone III auf einer im vorgenannten Sinne ausreichenden Schätzung beruht, aufgrund der bereits vorliegenden Gutachten und fachlichen Stellungnahmen noch nicht in ausreichendem Maße möglich war. Das Oberverwaltungsgericht hat ausführlich dargelegt, warum es aufgrund dem Gericht vorliegender fachtechnischer Stellungnahmen die flächenmäßige Ausdehnung des Wasserschutzgebiets (UA S. 29 bis S. 34) und insbesondere die flächenmäßige Ausweisung der Schutzzone III (UA S. 34 bis S. 38) für rechtlich nicht zu beanstanden hält.

12 Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Gericht zunächst einen anderslautenden Beweisbeschluss gefasst hatte. In der ersten mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2007 haben die Antragsteller folgenden Beweisantrag gestellt: „Es soll Beweis erhoben werden, durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens, dass die geologischen Verhältnisse an allen 11 Wassergewinnungsanlagen im Geltungsbereich der angegriffenen Rechtsverordnung identisch sind und die für die Brunnen 7 und 8 ermittelten Werte für die Abgrenzung der Zone II und Zone III A auf alle anderen 9 Gewinnungsanlagen übertragbar sind.“ (OVG - Akten Bl. 124 f.). Diesem Beweisantrag wurde vom Oberverwaltungsgericht zunächst in vollem Umfang stattgegeben. Nach Beratung in der mündlichen Verhandlung wurde der Beschluss verkündet, dass entsprechend dem Antrag Beweis erhoben werden soll (vgl. OVG - Akten Bl. 125). Anschließend hat das Gericht jedoch nicht Beweis erhoben hinsichtlich der Abgrenzung der Zone III A des Wasserschutzgebiets. Darin liegt aber kein Verfahrensmangel.

13 Zwar handelt es sich bei dem Beweisbeschluss - entgegen dem Schreiben des Gerichts vom 24. Juli 2007 an die Verfahrensbeteiligten (OVG-Akte Bl. 147 f.) nicht um einen vorläufigen Beschluss, sondern um einen abschließenden Beweisbeschluss über einen in der mündlichen Verhandlung unbedingt gestellten Beweisantrag, über den durch einen in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluss entschieden worden ist. Aus der Rechtsnatur des Beweisbeschlusses als prozessleitender Anordnung folgt aber, dass das Tatsachengericht befugt ist, von der Ausführung eines Beweisbeschlusses abzusehen, wenn es zu der Überzeugung gelangt, dass die angeordnete Beweiserhebung nicht oder nicht mehr geboten ist (vgl. Beschluss vom 5. November 2001 - BVerwG 7 B 56.01 - juris). Wie sich aus den ausführlichen Darlegungen in den Urteilsgründen ergibt, ist das Oberverwaltungsgericht nachträglich zu der Überzeugung gelangt, dass die angeordnete Beweiserhebung hinsichtlich der Schutzzone III A nicht geboten ist. Dass es zu dieser Überzeugung aufgrund der Auseinandersetzung mit fachlichen Stellungnahmen gelangt ist, die ihm bereits bei Erlass des Beweisbeschlusses vorlagen, vermag daran nichts zu ändern.

14 Das Gericht muss allerdings, wenn es den Beweisbeschluss nicht ausdrücklich aufhebt, die Verfahrensbeteiligten zur Wahrung des rechtlichen Gehörs von seinem Sinneswandel unterrichten, damit diese sich auf die geänderte Prozesssituation einrichten und den Vortrag nachholen können, den sie bislang mit Rücksicht auf die bisherige Rechtsauffassung des Gerichts unterlassen haben (vgl. Beschluss vom 5. November 2001 - BVerwG 7 B 56.01 - a.a.O.). Dies ist hier geschehen. Aus dem genannten Schreiben des Gerichts an die Verfahrensbeteiligten und dem Umstand, dass das Gericht ein Sachverständigengutachten zur Abgrenzung der Schutzzone II eingeholt hat, ergab sich für die Beteiligten, dass das Gericht ein Sachverständigengutachten zur Abgrenzung der Schutzzone III A nicht mehr einholen wird. Im Übrigen hat die Beschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) jedenfalls nicht ausdrücklich gerügt.

15 b) Soweit die Beschwerdeführer als weiteren Verfahrensmangel rügen, dass der Gutachter hinsichtlich der Schutzzone II für den „Quellstollen Weibern“ seine Einschätzung, diese sei insoweit überdimensioniert, nachträglich zu ihren Ungunsten revidiert habe und daher vom Gericht zu dieser Frage ein zusätzliches Sachverständigengutachten hätte eingeholt werden müssen, kann dem nicht gefolgt werden. Die Verpflichtung zur Einholung eines zusätzlichen Sachverständigengutachtens besteht nur unter besonderen Voraussetzungen. Diese liegen vor, wenn das Gutachten dem Gericht nicht die zur Beurteilung der entscheidungserheblichen Frage erforderliche Sachkunde zu vermitteln vermocht und deshalb die Bildung der für die Entscheidung notwendigen richterlichen Überzeugung nicht ermöglicht hat. In diesem Sinne können Gutachten als Grundlage für die Überzeugungsbildung des Tatrichters ungeeignet oder zumindest unzureichend sein, wenn sie offen erkennbare grobe Mängel oder unauflösliche Widersprüche aufweisen oder von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <45> = Buchholz 303 § 414 ZPO Nr. 1). Vorliegend hat der Gutachter sein Gutachten aufgrund der Vorlage weiterer Unterlagen durch den Antragsgegner und die Beigeladene zu 2) in der mündlichen Verhandlung am 5. März 2008 teilweise revidiert. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 18. März 2008 erläuterte der Gutachter nochmals ausführlich die Gründe dafür. Nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür, dass seine Stellungnahme in ihrer geänderten Form offen erkennbare Mängel oder unauflösliche Widersprüche aufweisen oder von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen könnte, wurden von den Beschwerdeführern nicht vorgebracht.

16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene zu 2 einen Antrag gestellt hat und damit ein Kostenrisiko eingegangen ist (§ 154 Abs. 3 VwGO), entsprach es der Billigkeit, deren außergerichtliche Kosten den Antragstellern aufzuerlegen.

17 Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.