Beschluss vom 29.05.2012 -
BVerwG 10 B 15.12ECLI:DE:BVerwG:2012:290512B10B15.12.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.05.2012 - 10 B 15.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:290512B10B15.12.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 15.12

  • VG Berlin - 23.09.2008 - AZ: VG 38 V 66.08 Berlin
  • OVG Berlin-Brandenburg - 24.01.2012 - AZ: OVG 3 B 28.09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Mai 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Prof. Dr. Kraft
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Januar 2012 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die allein auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Beschwerde rügt, der Beigeladene zu 2 - der Ehemann der Klägerin - sei in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht am 24. Januar 2012 als Beteiligter im Wege der Beweisaufnahme vernommen und nicht lediglich informatorisch zur Ergänzung seines Sachvortrags angehört worden (Beschwerdebegründung S. 2). Dafür spreche, dass die Angaben des Beigeladenen zu 2 ausweislich der Urteilsgründe „zur Sachverhaltserhebung dienten“ und das Gericht in der mündlichen Verhandlung nach Befragung des Beigeladenen zu 2 Gelegenheit gegeben habe, zum Ergebnis „der Beweisaufnahme“ Stellung zu nehmen. Für die Vernehmung eines Beteiligten habe es aber gemäß § 450 ZPO eines Beweisbeschlusses und einer Belehrung des Beteiligten bedurft. Beides sei nicht erfolgt.

3 Die von der Beschwerde gerügten Verfahrensverstöße ergeben sich weder aus den näheren Umständen über die Anhörung des Beigeladenen zu 2 im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht noch aus den Urteilsgründen. Daraus wird vielmehr bei verständiger Würdigung ersichtlich, dass das Oberverwaltungsgericht den Beigeladenen zu 2 lediglich informatorisch befragt (§ 103 Abs. 3, § 104 Abs. 1 VwGO), nicht aber förmlich als Beteiligten vernommen hat (§ 96 Abs. 1 Satz 2, § 98 VwGO i.V.m. § 450 ff. ZPO). Wie auch von der Beschwerde nicht angezweifelt, hat das Gericht vor Anhörung des Beigeladenen zu 2 keinen Beweisbeschluss erlassen (vgl. § 450 Abs. 1 ZPO) und ihn nicht gemäß § 395 Abs. 1, § 451 ZPO zur wahrheitsgemäßen Aussage ermahnt und auf die Möglichkeit der Beeidigung hingewiesen. Es hat den Beteiligten auch nicht gemäß § 396 Abs. 1, § 451 ZPO dazu veranlasst, zunächst im Zusammenhang auszusagen, sondern hat ihm sogleich konkrete Einzelfragen gestellt, die ihn anschließend zur Ergänzung seines Vorbringens veranlassten (vgl. Protokoll über die Öffentliche Sitzung vom 24. Januar 2012, S. 2 ff.).

4 Dieses vom Gericht gewählte Verfahren lässt sich bei verständiger Würdigung nur so verstehen, dass es den Beigeladenen zu 2 informatorisch befragt, nicht aber förmlich vernommen hat (zur Zulässigkeit und zu den Voraussetzungen der informellen Befragung und Parteivernehmung vgl. Urteil vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 19; Beschlüsse vom 30. Juni 2008 - BVerwG 5 B 28.08 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 99 Rn. 3 f. und vom 19. Oktober 2001 - BVerwG 1 B 24.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 317 - zu den Unterschieden vgl. Urteil vom 8. November 1963 - BVerwG 7 C 58.61 - BVerwGE 17, 127 <129>). Zwar enthält das Sitzungsprotokoll nach Abschluss der Befragung des Beigeladenen zu 2 die Formulierung, dass die Beteiligten Gelegenheit hatten, zu dem „Ergebnis der Beweisaufnahme“ Stellung zu nehmen. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass das Gericht die Befragung des Beigeladenen als Beweisaufnahme angesehen hat. Denn im Verlauf der mündlichen Verhandlung wurden auch Feststellungen zu den im Reisepass des Beigeladenen befindlichen Visa für die Jahre 2008, 2009, 2010 und 2011 getroffen (Sitzungsprotokoll S. 5 oben) und Passagen aus dem Visumantrag der Tochter B.I. zitiert. Das Gericht wollte den Beteiligten offenbar Gelegenheit geben, sowohl zu den zusätzlichen Tatsachenfeststellungen als auch zu dem Ergebnis der informellen Befragung des Beigeladenen zu 2 Stellung zu nehmen. Dabei hat es versäumt, bei der gewählten Formulierung zwischen Beweisaufnahme und informeller Befragung zu differenzieren (zu den Unterschieden vgl. etwa Raabe, NVwZ 2003, 1193 ff.). Schließlich lässt sich auch nicht aus den Urteilsgründen ableiten, dass das Oberverwaltungsgericht den Beigeladenen zu 2 als Beteiligten förmlich vernommen hat. Soweit es das Vorbringen des Beigeladenen zu 2 in der mündlichen Verhandlung vom 24. Januar 2012 würdigt, spricht es von einer „Befragung“ des Beigeladenen (UA S. 7) und nicht von seiner Vernehmung. Auch findet sich in dem Urteil keine Aussage des Inhalts, dass die Anhörung des Beigeladenen zu 2 der Ermittlung des Sachverhalts gedient habe. Im Übrigen würde eine solche von der Beschwerde behauptete Aussage nicht einmal notwendigerweise auf eine Beweisaufnahme hindeuten, sondern könnte auch als Klärung des Sachverhalts durch Befragung des Beigeladenen zum Inhalt seines Vorbringens ausgelegt werden.

5 2. Die Beschwerde rügt weiter eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG). Die Verletzung sieht sie darin, dass das Oberverwaltungsgericht den Vortrag der Klägerin und des Beigeladenen zu 2 unvollständig, weil einseitig dahin gewürdigt habe, dass Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Angaben des beigeladenen Ehemannes bestünden (Beschwerdebegründung S. 3). Aus bestimmten vom Gericht angenommenen Unstimmigkeiten in den Angaben der Klägerin und ihres Ehemannes und aus bestimmten Verhaltensweisen könne der Schluss auf den fehlenden Willen zur Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft nur gezogen werden, wenn dieser Schluss zwingend sei und nicht auch andere Schlüsse daraus gezogen werden könnten. Die Beschwerde verweist insoweit auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs, veröffentlicht in NJW 1993, 935 ff.

6 Aus dem Vorbringen der Beschwerde ergibt sich der gerügte Verfahrensmangel nicht. Der Sache nach rügt sie eine Verletzung der richterlichen Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, weil sie diese als geprägt durch eine einseitige Bewertung von festgestellten Indizien zu Lasten der Klägerin und ihres Ehemannes ansieht. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Gericht ist hiernach verpflichtet, seiner Überzeugungsbildung den im Verfahren festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen (vgl. Beschluss vom 19. August 2008 - BVerwG 3 B 11.08 - Buchholz 451.55 Subventionsrecht Nr. 110 = NVwZ 2008, 1355). Allerdings sind Angriffe gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung regelmäßig dem materiellen Recht zuzurechnen und können daher einen Verfahrensmangel nicht begründen. Ein Verfahrensmangel kann allenfalls ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn die Tatsachen- oder Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder die allgemeinen Erfahrungssätze missachtet (vgl. etwa Beschluss vom 16. Juni 2003 - BVerwG 7 B 106.02 - Buchholz 303 § 279 ZPO Nr. 1 = NVwZ 2003, 1132 <1135> m.w.N.). Nichts anderes ergibt sich aus dem von der Beschwerde zitierten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Januar 1993 (BGH IX ZR 238/91 - NJW 1993, 935 <937>). Danach hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Revisionsrechtlich ist allein zu überprüfen, ob der Tatrichter sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, a.a.O. S. 937).

7 Aus dem Vorbringen der Beschwerde ergibt sich nicht, dass die Tatsachen- oder Beweiswürdigung derartige schwere Mängel aufweist, dass der Grundsatz einer den Anforderungen des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entsprechenden richterlichen Überzeugungsbildung verletzt wäre.

8 a) So ist keine willkürliche, weil einseitig die Sicht der Klägerin vernachlässigende Tatsachenwürdigung darin zu sehen, dass das Gericht aus der mangelnden Kenntnis der Klägerin über die persönlichen Verhältnisse ihres Ehemannes in Deutschland auf mangelndes Interesse an der Führung der Ehe geschlossen hat (UA S. 7 f.). Es ist nicht erkennbar, wieso es zugunsten der Klägerin eine Rolle spielen soll, dass diese mangelnden Kenntnisse zum Zeitpunkt ihrer Anhörung im September 2006 festgestellt wurden. Denn zum damaligen Zeitpunkt war sie bereits verheiratet und hatte ihren Visumantrag zum Ehegattennachzug nach Deutschland gestellt, sodass es nicht willkürlich erscheint, gewisse Kenntnisse der Klägerin über die Lebensverhältnisse des Ehegatten in Deutschland zu erwarten, um den Willen zur Führung der Ehe hier festzustellen. Im Übrigen hat die Beschwerde nicht behauptet, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht bessere Kenntnisse über die Lebensverhältnisse ihres Ehemannes besessen habe.

9 b) Eine willkürliche Tatsachenwürdigung ergibt sich auch nicht aus der Bewertung der mangelnden Kenntnis der Klägerin über das Alter und die Lebensumstände der drei in Deutschland lebenden Kinder ihres Ehemannes. Das Gericht stellt im Rahmen seiner Überzeugungsbildung nicht nur auf die Äußerung der Klägerin ab, ihrem Ehemann helfen zu wollen, aber dessen Kinder dabei nicht zu erwähnen. Vielmehr wertet es mehrere Äußerungen des Beigeladenen zu 2 wie auch der Klägerin zum Thema der Kinder aus und zieht aus diesen - in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise - den Schluss, dass die Eheleute unterschiedliche Vorstellungen über ihre gemeinsame Zukunft in Deutschland haben oder eine Verständigung hierüber nicht stattgefunden habe (UA S. 8).

10 c) Entsprechendes gilt für die Bewertung der unterschiedlichen Aussagen der Klägerin und ihres Ehemannes zu ihrem Zusammentreffen anlässlich einer Beerdigung (UA S. 9). Dass das Gericht bei seiner Würdigung der unterschiedlichen Angaben über das Geschlecht der beerdigten Person auch hätte in Betracht ziehen müssen, dass es sich um ein zufälliges Zusammentreffen der Eheleute bei Gelegenheit zweier unterschiedlicher, gleichzeitig auf dem Friedhof stattfindender Beerdigungen gehandelt haben könnte, erscheint fernliegend. Die Würdigung, hier widersprüchliche Angaben anzunehmen, ist weder einseitig noch willkürlich.

11 d) Kein Verstoß gegen die gesetzlichen Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung liegt auch darin, dass das Gericht eine plausible Erklärung des Beigeladenen zu 2 dafür vermisst hat, dass er während seiner maximal vierwöchigen Besuche in Ghana seit 2008 dort nicht mit seiner Ehefrau zusammen wohnte, sondern beide in getrennten Häusern lebten. Fehl geht insoweit der Einwand der Beschwerde, ein Getrenntleben sei nach dem Scheidungsrecht auch möglich, wenn beide Ehepartner noch in der gemeinschaftlichen Wohnung wohnten. Denn für den Anspruch auf Ehegattennachzug kommt es nicht nur darauf an, ob eine wirksame Ehe besteht, sondern es ist zusätzlich erforderlich, dass der Wille zur Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft besteht. Dieser Wille kann zwar unter bestimmten Umständen auch im Falle von getrennten Wohnsitzen bestehen (z.B. bei berufsbedingter Trennung). Mangels Darlegung der hierfür sprechenden besonderen Gründe durfte das Gericht hieraus aber nachteilige Schlussfolgerungen ziehen, ohne dass dies revisionsrechtlich zu beanstanden wäre.

12 e) Eine die Sicht der Klägerin vernachlässigende Würdigung von Tatsachen liegt auch nicht darin, dass das Oberverwaltungsgericht Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Beigeladenen zu 2 zur Eheschließung daraus ableitet, dass die Namen der Trauzeugen, die er bei seiner Befragung im Januar 2007 gemacht hat, nicht mit denen auf den von der Klägerin vorgelegten Ehebescheinigungen vom 10. und 11. April 2006 und auf der Kopie des „Form of Register of Customary Marriages“ übereinstimmen (UA S. 10). Es ist nicht willkürlich, hierin einen Widerspruch zu sehen, weil das Vorbringen der Beschwerde, der Beigeladene habe unter Trauzeugen alle Personen verstanden, die bei der Trauung anwesend waren, eher fernliegend erscheint. Zumal hätte es dann nahe gelegen, dass er alle anwesenden Personen benannt hätte, was aber nicht erfolgte. Weil der Widerspruch bei verständiger Würdigung auf der Hand lag, brauchte das Oberverwaltungsgericht den Beigeladenen hiermit auch nicht in der mündlichen Verhandlung zu konfrontieren. Eine Verletzung der Grundsätze des fairen Verfahrens liegt hierin nicht.

13 Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

14 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.