Beschluss vom 29.06.2004 -
BVerwG 7 BN 2.03ECLI:DE:BVerwG:2004:290604B7BN2.03.0

Beschluss

BVerwG 7 BN 2.03

  • Bayerischer VGH München - 16.09.2003 - AZ: VGH 22 N 02.2535

In der Normenkontrollsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Juni 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K r a u ß und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerden der Antragsteller zu 6, zu 7, zu 29 und zu 30 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. September 2003 werden zurückgewiesen.
  2. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2 tragen die Antragsteller zu 6, die Antragstellerin zu 7 sowie als Gesamtschuldner die Antragsteller zu 29 und zu 30 jeweils ein Drittel; die Beigeladene zu 1 trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Die Antragsteller wenden sich mit ihren Normenkontrollanträgen gegen eine Rechtsverordnung, durch die das Landratsamt Miesbach ein Wasserschutzgebiet im Interesse einer bereits seit längerem bestehenden Anlage der öffentlichen Wasserversorgung festgesetzt hat. Die Anlage wird durch die Beigeladene zu 2 betrieben, die unter anderem die Aufgabe der öffentlichen Wasserversorgung für die Beigeladene zu 1 wahrnimmt. Das Wasserschutzgebiet liegt im Gebiet der Gemeinde Valley. Die Antragsteller sind Eigentümer (die Antragsteller zu 29 und zu 30 Miteigentümer) von Grundstücken oder Pächter landwirtschaftlich genutzter Grundstücke im Geltungsbereich der Verordnung. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Normenkontrollanträge als unbegründet abgelehnt und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Die hiergegen eingelegten Beschwerden der Antragsteller zu 6, zu 7, zu 29 und zu 30 sind unbegründet. Die vorgebrachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1. Das angefochtene Urteil weicht nicht im Verständnis von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ab, welche die Antragsteller bezeichnet haben (Beschluss vom 2. März 1999 - 1 BvL 7/91 - BVerfGE 100, 226; Beschluss vom 16. Februar 2000 - 1 BvR 242/91, 315/99 - BVerfGE 102, 1).
Die Antragsteller beziehen sich auf den abstrakten Rechtssatz in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 2000 (BVerfGE 102, 1 <23>), wonach die Behörden und Gerichte durch Auslegung und Anwendung der die Verantwortlichkeit und die Kostenpflicht begründenden Vorschriften sicherzustellen haben, dass die Belastung des Eigentümers das Maß des nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG Zulässigen nicht überschreitet, solange der Gesetzgeber, dem es nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG obliegt, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, die Grenzen der Zustandsverantwortlichkeit nicht ausdrücklich regelt. Die Antragsteller wollen diesen Rechtssatz dahin verallgemeinern, dass eine als verfassungswidrig erkannte Norm nicht etwa während der dem Gesetzgeber zustehenden Zeit zur Anpassung weiter Rechtsgrundlage für - sonst verfassungswidrige - Eigentumseingriffe sein kann, sondern bis zur Anpassung durch den Gesetzgeber die Exekutive - und im gerichtlichen Verfahren auch die Judikative - diesen Verfassungsverstoß durch verfassungskonforme Handhabung der Ermächtigungsgrundlage ausräumen muss. Denselben von ihnen formulierten Rechtssatz wollen die Antragsteller der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1999 entnehmen.
Der Senat kann offenlassen, ob eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO überhaupt dadurch dargelegt werden kann, dass zu einer bestimmten Frage aufgestellte Rechtssätze verallgemeinernd weiterentwickelt werden, oder ob damit der Sache nach die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt wird. Denn weder weicht das angefochtene Urteil entscheidungserheblich von dem Rechtssatz ab, den die Antragsteller den von ihnen benannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entnehmen wollen, noch hat die Rechtssache mit der von ihnen aufgeworfenen Frage grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
Das angefochtene Urteil beruht nicht entscheidungstragend auf der Annahme, gegen die Ermächtigungsgrundlage zur Festsetzung von Wasserschutzgebieten (§ 19 WHG, Art. 35 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Wassergesetzes - BayWG -) bestünden durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken, dem Gesetzgeber müsse aber (eine hier noch nicht verstrichene) Zeit zur Anpassung der gesetzlichen Regelungen an die verfassungsrechtlichen Anforderungen gelassen werden, weil es wegen des hohen Rangs einer gesundheitlich unbedenklichen Trinkwasserversorgung der Bevölkerung nicht hinnehmbar sei, sämtliche Wasserschutzgebietsverordnungen wegen einer als verfassungswidrig erkannten Ermächtigungsgrundlage als nichtig anzusehen. Diese Erwägungen hat der Verwaltungsgerichtshof nur hilfsweise angestellt. Seine Entscheidung stützt sich darauf, dass durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ermächtigungsgrundlage zur Festsetzung von Wasserschutzgebieten nicht bestehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat eingangs der Entscheidungsgründe zur Begründung seines jetzt angefochtenen Urteils auf eine frühere Entscheidung verwiesen, welche dieselbe Wasserschutzgebietsverordnung zum Gegenstand hatte (Urteil vom 26. Juni 2002 - 22 N 01.26 25 - BayVBl 2003, 146). In jenem früheren Urteil hatte er umfassend begründet, dass und warum er die Ermächtigungsgrundlage für verfassungsrechtlich unbedenklich hält (Seite 23 ff. des Entscheidungsabdrucks = BayVBl 2003, 146 <149 f.>). Der Verwaltungsgerichtshof hat sich ferner ergänzend auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts bezogen, durch den dieses eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das frühere Urteil des Verwaltungsgerichtshofs zurückgewiesen hat und in welchem ebenfalls dargelegt ist, dass gegen die hier einschlägige Ermächtigungsgrundlage zur Festsetzung von Wasserschutzgebieten keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (Beschluss vom 15. April 2003 - BVerwG 7 BN 4.02 - Buchholz 445.4 § 19 WHG Nr. 9).
Was die Antragsteller in ihrer Beschwerde darüber hinaus gegen die Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage zur Festsetzung von Wasserschutzgebieten anführen, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem schon erwähnten Beschluss vom 15. April 2003 dargelegt, dass verfassungsrechtliche Bedenken nicht deshalb bestehen, weil § 19 Abs. 3 WHG nicht die Voraussetzungen dafür schaffe, dass die Verwaltung bei der Aktualisierung der Eigentumsbeschränkung - durch In-Kraft-Treten der Wasserschutzgebietsverordnung oder bei der Ablehnung eines Antrags auf Befreiung von den Verboten der Verordnung - zugleich über den gegebenenfalls erforderlichen Ausgleich in Geld zumindest dem Grunde nach entscheide.
2. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf den gerügten Verfahrensfehlern (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Der Verwaltungsgerichtshof hat die Antragsteller nicht ihrem gesetzlichen Richter entzogen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), indem es die Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG unterlassen hat. Eine solche Pflicht zur Vorlage besteht nur dann, wenn ein Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit es bei seiner Entscheidung ankommt. Wie dargelegt, hatte der Verwaltungsgerichtshof indes keine durchgreifenden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage zur Festsetzung von Wasserschutzgebieten.
b) Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 86 Abs. 1 VwGO). Entgegen der Ansicht der Antragsteller musste der Verwaltungsgerichtshof nicht förmlich Beweis über die Frage erheben, innerhalb welcher Zeit Oberflächen- und Niederschlagswasser im Bereich der Quellsammelstollen bis zu diesen versickert.
Der Verwaltungsgerichtshof ist davon ausgegangen, die Verweildauer von Oberflächen- und Niederschlagswasser im Boden betrage hier ca. 50 Tage. Er hat hierfür zunächst auf die Feststellungen in seinem früheren Urteil vom 26. Juni 2002 verwiesen. Diese stützen sich ihrerseits auf Gutachten und Stellungnahmen, welche Sachverständige und Fachbehörden im Festsetzungsverfahren und in dem damaligen Normenkontrollverfahren abgegeben haben. Die Antragsteller haben diese Beurteilungen zwar durch ein von ihnen vorgelegtes Gutachten des Sachverständigen Dr. H. in Zweifel zu ziehen versucht. Hierzu hat aber das fachkundige Bayerische Landesamt für Wasserwirtschaft unter dem 22. Mai 2003 und dem 10. September 2003 sowie in der mündlichen Verhandlung Stellung genommen.
Die Antragsteller zeigen nicht auf, dass sich danach dem Verwaltungsgerichtshof ausgehend von seiner materiellrechtlichen Auffassung eine weitere Aufklärung des Sachverhalts aufdrängen musste. Einen hierauf zielenden Beweisantrag haben sie in der mündlichen Verhandlung jedenfalls nicht gestellt. Sie übersehen zudem, dass auch nach der Stellungnahme des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft die Sickerzeit in den Deckschichten "etwa 50 Tage" beträgt (Seite 3 der Stellungnahme vom 10. September 2003) und die an sich erwünschte Sickerzeit von mindestens 50 Tagen in dem hier in Rede stehenden Bereich nicht mit Sicherheit eingehalten werden kann (Erläuterung in der mündlichen Verhandlung). Insoweit geht das Bayerische Landesamt für Wasserwirtschaft und ihm folgend der Verwaltungsgerichtshof von ähnlichen Annahmen aus, wie sie in dem Gutachten des Sachverständigen Dr. H. gemacht sind (so ausdrücklich das Bayerische Landesamt für Wasserwirtschaft, Seite 3 der Stellungnahme vom 10. September 2003). In rechtlicher Hinsicht hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch angenommen, angesichts der vorgesehenen Schutzanordnungen reichten die Deckschichten mit der von ihnen ermöglichten Verweildauer des Oberflächen- und Niederschlagswassers aus, das Quellwasser vor Verunreinigungen ausreichend zu schützen. Ob der Verwaltungsgerichtshof damit zu geringe Anforderungen an die Schutzfähigkeit des Trinkwasservorkommens gestellt und infolgedessen die rechtlichen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Wasserschutzgebiets verkannt hat, ist eine Frage der zutreffenden Anwendung des materiellen Rechts.
c) Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Verwaltungsgerichtshof hat entgegen der Rüge der Antragsteller bei Bildung seiner Überzeugung keine wesentlichen Umstände übergangen, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. Die Antragsteller erheben diesen Vorwurf mit Blick auf Einschnitte in den Deckschichten oberhalb der Quellsammelstollen und deren Auswirkungen auf die Verweildauer des Sickerwassers. Hiermit hat der Verwaltungsgerichtshof sich aber ausführlich auseinander gesetzt und dabei namentlich die Stellungnahme des Bayerischen Landesamtes für Wasserwirtschaft vom 10. September 2003 herangezogen. Dass die Würdigung des Sachverhalts durch den Verwaltungsgerichtshof dabei die Denkgesetze verletzt, wird von den Antragstellern zwar behauptet, aber nicht näher dargelegt. In Wahrheit wenden die Antragsteller sich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die revisionsrechtlich jedoch nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen ist. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung können deshalb einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.