Beschluss vom 29.06.2005 -
BVerwG 9 A 2.05ECLI:DE:BVerwG:2005:290605B9A2.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.06.2005 - 9 A 2.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:290605B9A2.05.0]

Beschluss

BVerwG 9 A 2.05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Juni 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S t o r o s t
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht V a l l e n d a r , Prof. Dr. R u b e l , Dr. N o l t e und D o m g ö r g e n
entschieden:
Die Klage wird unter Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

I


Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluss
des Beklagten für den Ausbau der Ortsdurchfahrt Hessen im Zuge der Bundesstraße B 79.
Die B 79 quert den Ortsteil Hessen der im Kreis Halberstadt gelegenen Gemeinde Aue-Fallstein. Die Ortsdurchfahrt der Straße soll auf einer Länge von 700 m vom Denkmal am "Steintor" bis einschließlich der Einmündung der Landesstraße L 89 ausgebaut werden. Das Vorhaben umfasst den grundhaften Ausbau der Bundesstraße einschließlich seitlicher Gehwege und der Einmündungen anderer Straßen. Zwischen Bau-km 1 + 190 und Bau-km 1 + 330 soll die Straßentrasse verlegt werden. Dadurch kommt es zur Inanspruchnahme von Teilflächen der im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstücke Gemarkung H. Flur ... Flurstücke ... und ... sowie zu Eingriffen in die aufstehenden Baulichkeiten.
Nachdem die Planunterlagen in dem durch Antrag des damaligen Straßenbauamts Halberstadt vom 19. Dezember 2002 eingeleiteten Planfeststellungsverfahren vom 24. März bis zum 23. April 2003 bei der damaligen Verwaltungsgemeinschaft Aue-Fallstein öffentlich ausgelegen hatten, erhob die Klägerin am 7. Mai 2003 Einwendungen gegen die geplante Grundstücksinanspruchnahme und schlug eine alternative Trassenführung vor. Mit Beschluss vom 5. August 2004 stellte der Beklagte den Plan für das Vorhaben fest und wies die Einwendungen der Klägerin zurück. Der Planfeststellungsbeschluss wurde ihr am 6. August 2004 mit einem Anschreiben zugestellt, das den folgenden Hinweis enthielt:
"Bestehende Eigentumsverhältnisse werden durch die Planfeststellung selbst nicht verändert und sind daher auch nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen. Die Planfeststellung ersetzt deshalb nicht die Zustimmung der Grundstückseigentümer zur Benutzung ihrer Grundstücke, soweit diese Zustimmung erforderlich ist."
Die Klägerin hat, nachdem ihr am 30. Dezember 2004 ein Beschluss des Beklagten über die vorzeitige Einweisung der Bundesrepublik Deutschland in den Besitz der planbetroffenen Teilflächen vom 21. Dezember 2004 zugestellt worden war, mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten am 26. Januar 2005 Klage erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist beantragt; zugleich hat sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage begehrt. Bereits am 10. Januar 2005 hatte die Klägerin mit einem selbst verfassten Schriftsatz die "Anordnung der aufschiebenden Wirkung und Rückversetzung in den vorigen Stand ... und Aufhebung der Gesamtbaumaßnahme auf Grund Nichtigkeit des gegenständlichen Verwaltungsaktes" begehrt.
Zu ihrem Wiedereinsetzungsbegehren macht die Klägerin geltend: Durch den im Begleitschreiben zum Planfeststellungsbeschluss enthaltenen Hinweis fühle sie sich getäuscht. Sie habe daraus den Eindruck gewinnen können, der Planfeststellungsbeschluss habe keine, auch keine mittelbaren Auswirkungen auf ihr Eigentum bzw. ein eventuelles Enteignungsverfahren. Erst der Besitzeinweisungsbeschluss habe ihr klar gemacht, welche rechtlichen und tatsächlichen Konsequenzen der Planfeststellungsbeschluss für sie habe. Deshalb treffe sie kein Verschulden an der Versäumung der Klagefrist. Ergänzend trägt die Klägerin in der Sache selbst vor und macht insoweit vor allem geltend, der geplante Ausbau der Ortsdurchfahrt sei nicht geeignet, die bestehenden Verkehrsprobleme zu lösen; außerdem gebe es vorzugswürdige Planungsalternativen.
Die Klägerin beantragt,
ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist zu gewähren und den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 5. August 2004 für den geplanten Ausbau der B 79 - Ortsdurchfahrt Hessen aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
den Wiedereinsetzungsantrag abzulehnen und die Klage abzuweisen.
Die Klage sei wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig. Wiedereinsetzung in die Frist könne der Klägerin nicht gewährt werden, weil es sowohl an einem Wiedereinsetzungsgrund fehle als auch der Wiedereinsetzungsantrag nicht fristgerecht gestellt worden sei.
Den Antrag der Klägerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage hat der Senat mit Beschluss vom 19. April 2005 (BVerwG 9 VR 1.05 ) wegen Versäumung der Antrags- und Klagefrist sowie Fehlens der Wiedereinsetzungsvoraussetzungen abgelehnt.

II


Der Senat entscheidet nach vorheriger Anhörung der Beteiligten gemäß § 84 Abs. 1 VwGO durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist.
Die Anfechtungsklage ist unzulässig.
Die Klägerin hat die Klagefrist versäumt. Die einmonatige Frist zur Klageerhebung (§ 74 Abs. 1 VwGO) wurde durch die am 6. August 2004 erfolgte Zustellung des mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Planfeststellungsbeschlusses an die Klägerin in Gang gesetzt (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. §§ 70, 74 Abs. 1 Satz 2 VwVfG LSA). Danach hätte die Klage bis zum 6. September 2004 erhoben werden müssen; tatsächlich ist sie jedoch erst Monate später bei Gericht eingegangen.
Wiedereinsetzung in die Klagefrist kann der Klägerin nicht gewährt werden. Die Voraussetzungen des § 60 VwGO liegen nicht vor.
Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 19. April 2005 im zugehörigen Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ausgeführt hat, war die Klägerin nicht im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ohne Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten. Der Hinweis in dem Übersendungsschreiben des Beklagten vom 5. August 2004, "bestehende Eigentumsverhältnisse" würden "durch diese Planfeststellung selbst nicht verändert", schließt ein Verschulden der Klägerin nach den Umständen des Falles nicht aus. Allerdings könnte der Hinweis bei isolierter Betrachtung Bedenken begegnen. Er stellte die Rechtslage zwar nicht unrichtig dar; wie sich im Gegenschluss aus § 75 Abs. 1 Satz 2 VwVfG LSA sowie aus § 19 FStrG ergibt, werden die Eigentumsverhältnisse an einem Grundstück, das zur Realisierung eines planfestgestellten Vorhabens benötigt wird, durch den Planfeststellungsbeschluss noch nicht umgestaltet. Mangels ergänzender Erläuterung der enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses (§ 19 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2 FStrG) mag der Hinweis aber für sich genommen geeignet gewesen sein, bei einer juristisch nicht vorgebildeten Adressatin wie der Klägerin den Eindruck zu erwecken, der Planfeststellungsbeschluss sei enteignungsrechtlich ohne jede Bedeutung und hindere sie nicht, Einwendungen gegen das Vorhaben auch noch im späteren Enteignungsverfahren vorzubringen. Dass ein solcher Eindruck die Entscheidung, ob gegen den Planfeststellungsbeschluss vorgegangen werden sollte, ungeachtet einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung in sachwidriger Weise beeinflussen konnte, liegt auf der Hand.
Der Hinweis darf jedoch nicht isoliert betrachtet werden. Das Übersendungsschreiben vom 5. August 2004 verweist ausdrücklich auf den Passus im Planfeststellungsbeschluss, in dem die Einwendungen der Klägerin beschieden worden sind. Dort wird zu ihrer Einwendung, sie lehne das Vorhaben ab und werde die dafür benötigten Grundstücke nicht zur Verfügung stellen, klar und deutlich ausgeführt, das Vorhaben solle in der geplanten Form realisiert werden mit der Folge, dass die Inanspruchnahme der Grundstücke "erforderlich und unverzichtbar" sei. Zur Grundstücksinanspruchnahme heißt es erläuternd, die Klägerin sei dafür zu entschädigen, Art und Höhe der Entschädigung seien "in Grunderwerbsverhandlungen, die der Straßenbaulastträger direkt mit den Betroffenen zu führen hat, oder ggf. in einem nachfolgenden Enteignungsverfahren zu regeln". Diese Ausführungen bringen auch für einen juristischen Laien unmissverständlich zum Ausdruck, dass über die Zulassung des Vorhabens und die dagegen von der Klägerin erhobenen Einwände abschließend im Planfeststellungsbeschluss entschieden worden ist und dass es in anschließenden Verhandlungen bzw. einem Enteignungsverfahren nur noch um die enteignungsrechtliche Umsetzung einschließlich der Entschädigung gehen konnte. Im Kontext dieser Erläuterungen konnte der Hinweis in dem Übersendungsschreiben lediglich als die schlichte Klarstellung verstanden werden, dass der Planfeststellungsbeschluss die Eigentumsverhältnisse noch nicht unmittelbar umgestaltete. Angesichts dessen hätten sich der Klägerin bei gebotener Aufmerksamkeit zumindest erhebliche Zweifel aufdrängen müssen, ob sie, sofern sie den Planfeststellungsbeschluss klaglos hinnähme, in einem nachfolgenden Enteignungsverfahren noch mit Einwänden gegen die Planung gehört werden würde. Indem sie gleichwohl untätig blieb, ließ sie die nach den Umständen zu erwartende Sorgfalt außer Acht.
Der Klägerin könnte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Übrigen selbst dann nicht gewährt werden, wenn ihrer Auffassung zu folgen wäre, dass sie erst auf Grund des ihr am 30. Dezember 2004 zugestellten Besitzeinweisungsbeschlusses die Tragweite des Planfeststellungsbeschlusses für die Inanspruchnahme ihres Grundeigentums erkennen konnte. Die Wiedereinsetzung scheitert nämlich in verfahrensrechtlicher Hinsicht zumindest an dem Versäumnis, gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO die versäumten Rechtshandlungen innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses wirksam nachzuholen. Das persönliche Schreiben der Klägerin vom 9. Januar 2005, das am selben Tag bei Gericht einging, war hierzu nicht geeignet. Ungeachtet der Frage, ob es neben einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch bereits eine Klage enthielt, konnte es nicht fristwahrend wirken, da es dem Vertretungserfordernis des § 67 Abs. 1 VwGO nicht entsprach. Diesem Erfordernis, auf das die Klägerin in der dem Planfeststellungsbeschluss beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung hingewiesen worden war, trug erst der nachfolgende Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin Rechnung, der indessen erst am 26. Januar 2005 und damit nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist bei Gericht einging.
Die Ausführungen der Klägerin zum Erlöschen bzw. zur Nichtigkeit des Planfeststellungsbeschlusses wegen Auflösung des Straßenbauamts H., an das der Beschluss gerichtet ist, geben dem Senat keinen Anlass, eine Umdeutung der erhobenen Anfechtungsklage in ein entsprechendes Feststellungsbegehren (vgl. § 43 Abs. 1 VwGO) zu erwägen. Mit Auflösung des erwähnten Amts (§ 1 des Gesetzes zur Errichtung des Landesbetriebes Bau Sachsen-Anhalt vom 21. Dezember 2004, GVBl LSA S. 843) konnte der Planfeststellungsbeschluss schon deshalb nicht wirkungslos werden, weil das Amt nicht ersatzlos entfallen ist, sondern nach § 2 Abs. 3 des vorgenannten Gesetzes der Landesbetrieb Bau als Funktionsnachfolger an seine Stelle getreten ist; die Person des Vorhabenträgers selbst wird durch die Auflösung des Amts, das nur dessen Aufgaben wahrzunehmen hatte, im Übrigen ohnehin nicht berührt. Ein Nichtigkeitsgrund im Sinne von § 44 VwVfG LSA liegt nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtsmittelbelehrung
Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides mündliche Verhandlung beantragen. Der Antrag ist beim Bundesverwaltungsgericht Leipzig, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen. Hierfür besteht Vertretungszwang. Jeder Beteiligte muss sich durch einen Rechtsanwalt
oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.