Urteil vom 29.09.2005 -
BVerwG 2 WD 28.04ECLI:DE:BVerwG:2005:290905U2WD28.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 29.09.2005 - 2 WD 28.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:290905U2WD28.04.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 28.04

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 29. September 2005, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Patho,
Hauptfeldwebel Karafiat
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor Sandbaumhüter
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ..., ...,
als Verteidiger,
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 20. Oktober 2004 aufgehoben.
  2. Der Soldat wird freigesprochen.
  3. Die Kosten des Verfahrens und die dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1 Der 27 Jahre alte Soldat durchlief nach dem Realschulabschluss eine Ausbildung zum Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, die er Ende August 1998 erfolgreich abschloss. Mit Einberufungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes B. vom 8. Juli 1998 wurde er zum 1. September 1998 zum J...bataillon ... in B. einberufen. Aufgrund der danach erfolgten Bewerbung für den freiwilligen Dienst bei der Bundeswehr wurde er am 18. Februar 1999 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zunächst auf vier, später auf zwölf Jahre festgesetzt. Sie endet voraussichtlich zum 31. August 2010.

2 Der Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt mit Wirkung vom 12. Juli 2002 zum Feldwebel.

3 Nach der Grundausbildung verblieb der Soldat beim J...bataillon ..., wo er zunächst als Jäger und Kraftfahrer, dann als Jägerunteroffizier eingesetzt war. Vom 2. März bis 28. Mai 1999 nahm er am Unteroffizierlehrgang 1 bei der H...schule ... in D. mit der Abschlussnote „befriedigend“ teil und vom 7. August bis 8. Oktober 2000 am Unteroffizierlehrgang 2 Teil A bei der I...schule in H. mit der Abschlussnote „gut“. In der Zeit vom 9.  bis 27. Oktober 2000 besuchte er den Unteroffizierlehrgang 2 Teil B bei der I...schule in H. Zum 1. April 2002 wurde er zur SichKp W...Btl ... auf den Dienstposten Jägerfeldwebel und Gruppenführer versetzt.

4 Der Soldat wurde einmal, am 30. Juli 2001, planmäßig beurteilt. In der Leistungsbeurteilung erhielt er einmal die Wertung Stufe „7“ (Einsatzbereitschaft), fünfmal die Wertung Stufe „6“ (Eigenständigkeit, Belastbarkeit, Durchsetzungsverhalten, praktisches Können, organisatorisches Können), viermal die Wertung Stufe „5“ (Auffassungsgabe, Ausdruck, Zusammenarbeit, Dienstaufsicht) sowie einmal die Wertung Stufe „4“ (Fürsorgeverhalten). In der freien Beschreibung wird er u.a. als pflichtbewusster, offener und gesprächsbereiter Unteroffizier bezeichnet, der sich durch beispielhafte Einsatzbereitschaft auszeichnet. In der Sonderbeurteilung vom 4. Februar 2005 wurden die Leistungen des Soldaten in den Einzelmerkmalen zweimal mit der Stufe „7“, elfmal mit der Stufe „6“ und dreimal mit der Stufe „5“ bewertet. Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen“ wird ausgeführt:

5 „Das herausragende charakterliche Merkmal an Fw ... ist seine Geradheit. In direkter und unverblümter Sprache sagt er, was er denkt und steht ohne Abstriche für dessen Konsequenzen ein. Dabei ist er kein ‚Leisetreter’. Er führt gerne und nimmt seinen Führungsanspruch unmissverständlich wahr. Er hat einen guten Blick dafür, wie mit gegebenen Mitteln das bestmöglichste Ergebnis erzielt werden kann. Fw ... führt selbstverständlich von vorne und teilt uneingeschränkt die Härten des Dienstes mit seinen Männern. Er liebt seinen Beruf und ist Soldat aus Leidenschaft. Im Kreis der Kameraden ist Fw ... in höchstem Maße anerkannt. Seine Meinung wird gehört und seine Offen- und Vertrauenswürdigkeit, aber auch ein sehr humorvolles Wesen machen ihn neben einem hervorragenden Infanteriegruppenführer zu einem Kameraden, mit dem die Zusammenarbeit großen Spaß macht.“

6 Der Disziplinarvorgesetzte des Soldaten, Hauptmann I., sagte als Leumundszeuge aus, der Soldat sei ein Leistungsträger unter den Feldwebeln seiner Einheit. Der Soldat habe auch während des Verlaufs des gerichtlichen Disziplinarverfahrens sehr gute Leistungen erbracht. Der Soldat sei ein nicht immer bequemer Vorgesetzter, der Disziplin einfordere, sich dabei aber korrekt verhalte.

7 Der Soldat ist berechtigt, das Leistungsabzeichen in Gold sowie die Schützenschnur in Gold zu tragen. Er erhielt am 20. Dezember 2000 und 7. Juli 2005 jeweils eine förmliche Anerkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung. Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 10. Januar 2005 enthält keine Eintragung über eine Disziplinarmaßnahme. Ausweislich der Auskunft aus dem Zentralregister vom 12. Januar 2005 ist der Soldat nicht vorbestraft.

8 Der Soldat ist ledig. Er erhält Dienstbezüge aus der Besoldungsgruppe A 7, 3. Dienstalterstufe, in Höhe von 1.897,27 € brutto, von denen tatsächlich 1.568,54 € ausgezahlt werden. Seine Vermögensverhältnisse hat der Soldat als geordnet bezeichnet.

II

9 In dem mit Verfügung des Befehlshabers im Wehrbereich III vom 29. Januar 2004 ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren legte der Wehrdisziplinaranwalt dem Soldaten in seiner Anschuldigungsschrift vom 29. Juni 2004 folgendes Verhalten als schuldhafte Verletzung seiner Dienstpflichten zur Last:

10 „Am 19. Februar 2003, gegen 15.00 Uhr, zielte der Soldat entgegen den Bestimmungen der ZDv 3/15 Nr. 612 erster, zweiter und dritter Spiegelstrich sowie Nr. 1301 Abs. 7, die ihm bekannt waren bzw. die er hätte kennen können und müssen, in den ... in M. mit einer ungeladenen Pistole P 8 auf den Oberkörper des Obergefreiten John M. und äußerte hierbei die Worte: ‚Sie sind doof. Sie sind tot!’ bzw. ‚Sie sind dumm!’ wobei er den Abzug mehrfach betätigte.

11 oder:

12 Am 19. Februar 2003, gegen 15.00 Uhr, zielte der Soldat entgegen den Bestimmungen der ZDv 3/15 Nr. 612 erster und zweiter Spiegelstrich, die ihm bekannt waren bzw. die er hätte kennen können und müssen, in den ... in M. mit einer ungeladenen Pistole P 8 auf den Oberkörper des Obergefreiten John M. und äußerte hierbei die Worte: ‚Sie sind doof. Sie sind tot!’ bzw. ‚Sie sind dumm!’, wobei er den Zeigefinger seiner rechten Hand ausgestreckt am Abzugsbügel hielt.“

13 Mit ergänzendem Schreiben vom 9. August 2004 führte der Wehrdisziplinaranwalt aus, dass die in der Anschuldigungsschrift enthaltenen Handlungsalternativen als Haupt- und Hilfsanschuldigung zu werten sind.

14 Die 5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat den Soldaten mit Urteil vom 20. Oktober 2004 eines Dienstvergehens für schuldig befunden und ihn in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten herabgesetzt.

15 Zur rechtlichen Würdigung hat die Truppendienstkammer ausgeführt, der Soldat habe vorsätzlich die ihm obliegenden Dienstpflichten verletzt, für seine Untergebenen zu sorgen (§ 10 Abs. 3 SG), seinen Vorgesetzten zu gehorchen und ihre Befehle nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und unverzüglich auszuführen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 SG), die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten (§ 12 Satz 2 SG) sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordere (§ 17 Abs. 2 Satz 1, 2. Alternative SG). Insgesamt habe der Soldat ein Dienstvergehen (§ 18 Abs. 2 WDO) gemäß § 23 Abs. 1 SG begangen.

16 Bezüglich der Maßnahmebemessung wird auf die Ausführungen der Truppendienstkammer auf S. 6 bis 8 des Urteils verwiesen.

17 Gegen das ihm am 29. Oktober 2004 zugestellte Urteil hat der Soldat durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 29. November 2004, bei der Truppendienstkammer und den Wehrdienstsenaten des Bundesverwaltungsgerichts eingegangen am 29. November 2004, Berufung in vollem Umfang eingelegt mit dem Antrag, das Urteil der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 20. Oktober 2004 aufzuheben und den Soldaten freizusprechen.

18 Zur Begründung hat der Verteidiger im Wesentlichen vorgetragen:

19 Das Truppendienstgericht gelange maßgeblich aufgrund einer unzutreffenden Beweiswürdigung zu der Auffassung, der Soldat habe den ihm zur Last gelegten Sachverhalt begangen. Das Gericht führe aus, der Soldat sei auf den Wachsoldaten M. zugetreten, habe die Pistole P 8 einmal gespannt, die Waffe aus kurzer Distanz auf M. in Höhe des Brustbereiches gerichtet, mehrfach den Abzug getätigt und dabei sinngemäß geäußert: „M. Sie sind doof, Sie sind tot.“ Zu seiner Auffassung gelange das Gericht im Wesentlichen dadurch, dass es den Aussagen der Zeugen S. und K. folge. Deren Aussagen seien indes nicht glaubhaft. Auch habe der Hauptbelastungszeuge M., auf den die Waffe gerichtet gewesen sein soll, in der mündlichen Verhandlung vor dem Truppendienstgericht erklärt, sich an den Vorgang nicht mehr erinnern zu können. Wenn schon der Hauptbelastungszeuge M., der doch immerhin Opfer des fraglichen Vorfalls gewesen sein soll, sich nicht daran erinnern könne, stehe es um den Wahrheitsgehalt der übrigen Aussagen nicht zum Besten. Der Zeuge S. habe vor dem Truppendienstgericht geäußert, er habe keine Zweifel, dass die Waffe auf den Zeugen M. gerichtet worden sei. Er habe allerdings ebenfalls ausgesagt, dass er gesehen habe, wie der Soldat einmal abgedrückt habe, obgleich er sich nicht 100-prozentig sicher sei. Der Zeuge K. habe demgegenüber angegeben, der Soldat habe dem Zeugen M. frontal auf die Brust gezielt, wobei ca. ein bis zwei Meter Abstand zwischen den Soldaten gewesen sei. Demgegenüber hätten die Zeugen F., M. und G., die mit den genannten Zeugen in einer Linie angetreten gewesen seien, um den Waffenempfang durchzuführen, ausgesagt, nicht bemerkt zu haben, dass der Soldat seine Pistole auf den Zeugen M. gerichtet habe. Das Truppendienstgericht unterstelle dem Soldaten, er habe den Abzug mehrfach getätigt, obgleich sich der Zeuge M. daran überhaupt nicht habe erinnern können, und der Zeuge S. nur von einem einmaligen Abdrücken gesprochen habe. Soweit das Gericht ausführe, von einem Motiv gegen den Soldaten könne keine Rede sein, habe die Beweisaufnahme das Gegenteil ergeben. Der Zeuge M. sei einige Tage zuvor durch den Soldaten selbst bei einem Wachvergehen erwischt worden, wobei sich aufgrund spielerischen Umgangs mit einer Waffe ein Schuss im Wachlokal gelöst habe. Der Soldat habe diesen Vorfall selbstverständlich gemeldet; der Vorgang habe für den Zeugen M. disziplinarische Folgen gehabt. Der Zeuge M. habe vor dem Truppendienstgericht ausgesagt, dass ihn diese disziplinarische Ahndung seine bis zu diesem Zeitpunkt ursprünglich geplante Laufbahn als Unteroffizieranwärter bzw. Feldwebel gekostet habe. Der Zeuge K. habe - aus seinem Blickwinkel - ebenfalls Anlass gehabt, gegen den Soldaten einen Groll zu hegen. Er sei nämlich, wie sich in der Beweisaufnahme vor dem Truppendienstgericht herausgestellt habe, wegen einer nicht abgegebenen Verlustmeldung für seine Handschuhe mit dem Soldaten aneinander geraten, da er bei einem befohlenen Vollzähligkeitsappell wahrheitswidrig gemeldet habe, keine Ausrüstung verloren zu haben, obgleich er in Wirklichkeit seine Handschuhe verloren habe. Der Zeuge K. habe mit dieser Falschmeldung bezweckt, sich die Handschuhe nach Rückkehr in den Standort auf dem „kurzen Dienstweg“ über einen befreundeten Kameraden bei der Kleiderkammer zu „organisieren“, um auf diese Weise zu verhindern, Schadensersatz für einen von ihm zu vertretenen Verlust zahlen zu müssen. Die Zeugen M., S. und K. hätten untereinander einen engen persönlichen Kontakt gehabt. Zweifel an der Glaubwürdigkeit der genannten Belastungszeugen ergäben sich auch daraus, dass diese in ihrer ursprünglichen Aussage sowohl dem Soldaten als auch Dritten gegenüber weitere angebliche Verfehlungen angelastet hätten, z.B., abgestandenes Wasser trinken zu müssen. Im Zuge der daraufhin durchgeführten disziplinarischen Ermittlungen hätten sich diese Vorwürfe als unzutreffend herausgestellt, sodass das Verfahren gegen den Soldaten und dritte Beteiligte eingestellt worden sei. Es sei darauf hinzuweisen, dass erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen insbesondere der Zeugen S. und K. bestünden, zumal aus deren Sicht durchaus Ansatzpunkte dafür vorlägen, um hier gegen den Soldaten auszusagen. Schließlich sei der Grundsatz „in dubio pro reo“ zu erwähnen. Könne ein Vorfall nicht völlig aufgeklärt werden und verblieben trotz Anhörung der Zeugen Zweifel, könnten diese nicht zu Lasten des Angeschuldigten gehen. Des weiteren werde mit der Berufung höchst vorsorglich das Disziplinarmaß angegriffen. Selbst für den Fall, dass auch im Wege einer erneuten Beweisaufnahme in einem Berufungsverfahren das Berufungsgericht die Vorwürfe als erwiesen erachte, sei die durch das Truppendienstgericht ausgeworfene Maßnahme nicht tat- und schuldangemessen. Insoweit sei darauf hinzuweisen, dass in der mündlichen Verhandlung vor dem Truppendienstgericht selbst die Vertreterin der Wehrdisziplinaranwaltschaft „lediglich“ beantragt habe, den Soldaten zu einem Beförderungsverbot von 18 Monaten und einer Kürzung seiner Dienstbezüge um 1/20 für einen befristeten Zeitraum zu verurteilen. Demgegenüber habe das Truppendienstgericht den Soldaten zur Herabstufung in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten verurteilt. Ein derart gravierendes „Strafmaß“ sei für den Fall, dass die Vorwürfe als bewiesen anzusehen wären, in keiner Weise gerechtfertigt. Der Soldat habe überdurchschnittliche gute dienstliche Beurteilungen und zwei förmliche Anerkennungen wegen vorbildlicher Pflichterfüllung erhalten. Sein Disziplinarvorgesetzter habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Truppendienstgericht ausgesagt, dass der Soldat weiterhin gute Leistungen erbringe und er ihm im Übrigen den ihm zur Last gelegten Vorwurf nicht zutraue.

20 In der Berufungshauptverhandlung stellte der Verteidiger für den Fall, dass der Soldat nicht freigesprochen würde, die folgenden „Hilfs-Beweisanträge“:

21 „1. Ich benenne Herrn Oberfeldwebel D., S...kompanie W...bataillon ... als Zeugen dafür, dass die Wachübergabe des OvWA anlässlich der M.-Wache zeitlich vor der Wachübergabe des Wachhabenden bzw. der Wachsoldaten erfolgte und zu diesem Zeitpunkt die Pistole P 8 des OvWA bereits teilgeladen war.

22 2. Zum Beweis der Tatsache, dass StGefr d. R. Bernd S. die Aussage:

23 ‚Für mich haben schon zwei Unteroffiziere ihren Rock ausgezogen.’

24 bzw. HGefr Pierre K. die Aussage:

25 ‚Wer einkaufen geht, muss auch bezahlen.’

26 getätigt haben, berufe ich mich auf das Zeugnis des Obergefreiten G. und des Stabsunteroffiziers d. R. T.“

27 Der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts führte hierzu aus, der Antrag zu Ziffer 1 könne „als wahr“ unterstellt werden, nicht dagegen der Antrag zu Ziffer 2.

III

28 1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt (§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 WDO).

29 2. Das Rechtsmittel des Soldaten ist ausdrücklich und nach dem maßgeblichen Inhalt der Begründung in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hat daher im Rahmen der Anschuldigung (§ 107 Abs. 1 WDO i.V.m. § 123 Satz 3 WDO) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und die sich daraus ergebenden Folgerungen zu ziehen.

30 3. Die Berufung des Soldaten ist begründet.

31 Der Senat hat aufgrund der in der Berufungshauptverhandlung im Rahmen der Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen, insbesondere bei der erforderlichen Gesamtwürdigung der Einlassung des Soldaten, der Aussagen der Zeugen Stabsgefreiter d.R. Bernd S., Obergefreiter d.R. John M., Hauptgefreiter Pierre K. und Hauptmann Thomas I. sowie der gemäß § 123 Satz 1 WDO verlesenen Aussage des Zeugen Obergefreiter d.R. Kevin G. und der zum Gegenstand der Berufungshauptverhandlung gemachten Urkunden und Schriftstücke nicht die gemäß § 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 261 StPO erforderliche Gewissheit gewinnen können, dass der Soldat das ihm ihn der Anschuldigungsschrift vorgeworfene Fehlverhalten begangen hat. Weitere Beweismittel sind nicht ersichtlich. Demzufolge war der Soldat nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz „in dubio pro reo“ freizusprechen, der nicht nur im Strafrecht (vgl. Art. 6 Abs. 2 EMRK), sondern - wie sich außer aus Art. 20 Abs. 1 und 3 GG („Rechtsstaatsprinzip“) gerade aus der entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 261 StPO ergibt - auch im Wehrdisziplinarrecht gilt (stRspr.: Urteil vom 12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 -, <BVerwGE 117, 371 = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 48 = NZWehrr 2003, 214 = DVBl 2003, 757> und Beschluss vom 21. Juni 1988 - BVerwG 1 WB 40.87 - <BVerwGE 86, 33 [39] = NZWehrr 1989, 72>).

32 Der Senat ist dabei zu folgenden Feststellung gelangt:

33 Die S...Kp W...Btl ... führte im Zeitraum vom 12.  bis 27. Februar 2003 die Bewachung der amerikanischen Kaserne „...“ in M. durch. Es wurde eine militärische Wache nach den für die Bundeswehr geltenden Bestimmungen eingerichtet. Die Bewachung führten Soldaten der S...Kp, unterstützt von anderen Soldaten des W...Btl ..., durch. Für den Zeitraum wurden insgesamt zwei Wachmannschaften jeweils mit den entsprechenden Wachvorgesetzten, nämlich dem Wachhabenden, dem stellvertretenden Wachhabenden sowie dem Offizier vom Wachdienst (OvWA) eingeteilt. Der Dienst fand dergestalt statt, dass sich turnusmäßig jeweils 24 Stunden Wachdienst und 24 Stunden wachfreie Zeit bzw. Zeit zur Wachvorbereitung abwechselten. Der angeschuldigte Soldat war für eine dieser Wachmannschaften als OvWA eingeteilt. Angehöriger der ihm unterstellten Wache war unter anderem auch der Zeuge M., damals Angehöriger der 2./W...Btl .... Am 19. Februar 2003 gegen 15.00 Uhr trat der Zeuge M. gemeinsam mit den anderen eingeteilten Soldaten zur Wachübernahme vor dem Wachcontainer in den „...“ an. Dabei fand auch die Ausgabe der Waffen statt. Der Soldat hatte bereits eine Stunde zuvor die Aufgaben des OvWA von seinem Vorgänger, Oberfeldwebel D., übernommen.

34 Der Soldat hat das ihm zur Last gelegte Fehlverhalten bestritten. Er hat ausdrücklich in Abrede gestellt, am 19. Februar 2003 gegen 15.00 Uhr in den „...“ in M. mit einer ungeladenen Pistole P 8 auf den Oberkörper des Zeugen M. gezielt und hierbei die Worte: „Sie sind doof. Sie sind tot!“ bzw. „Sie sind dumm!“ geäußert zu haben. Ebenso ist er dem Vorwurf entgegengetreten, den Abzug mehrfach betätigt oder den Zeigefinger seiner rechten Hand ausgestreckt am Abzugsbügel gehalten zu haben. Diese Einlassung hat dem Soldaten nicht mit der nach § 261 StPO erforderlichen Gewissheit widerlegt werden können. Nach dieser Regelung hat das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Dabei kommt es allein darauf an, ob der Tatrichter die persönliche Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangt hat oder nicht. Das Gericht muss von der persönlichen Schuld des Angeschuldigten überzeugt sein. Der Begriff der Überzeugung schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Geschehensablaufs nicht aus; denn im Bereich der vom Tatrichter zu würdigenden Tatsachen ist der menschlichen Erkenntnis ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang, demgegenüber andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen ausscheiden müssten, verschlossen. Nach der gesetzlichen Regelung ist es allein Aufgabe des Tatrichters, ohne Bindung an feste gesetzliche Beweisregeln und nur nach seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen und zu entscheiden, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht (vgl. BGH, Urteile vom 9. Februar 1957 - 2 StR 508/56 - <BGHSt 10, 208 [209] und vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78 - <BGHSt 29, 18 [20]>). Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen (Urteil vom 12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 - <a.a.O.>; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. 2005, § 261 RNr. 2 m.w.N.; BGH, Urteil vom 8. Januar 1988 - 2 StR 551/87 - <NStZ 1988, 236 [237]>). Zwar ist zur Überführung des Angeschuldigten keine „mathematische“ Gewissheit erforderlich. Der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nachvollziehbaren Argumenten geführt sein. Die Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruhen und muss erschöpfend sein. Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinander zu setzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen, sowie diese Tatsachen und deren Würdigung in den Urteilsgründen darzulegen (Urteil vom 12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 - <a.a.O.> im Anschluss an die stRspr. des BGH zu § 261 StPO, vgl. u.a. Beschlüsse vom 5. August 1997 - 5 StR 178/97 -, <NStZ-RR 1998, 15> m.w.N. und vom 17. Januar 2002 - 3 StR 417/01 -, <NStZ-RR 2002, 146> m.w.N.). Allein damit wird die Unschuldsvermutung widerlegt (vgl. Urteil vom 12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 - <a.a.O.>). Hängt die Entscheidung bei gegensätzlichen Aussagen des Angeschuldigten und von Zeugen allein davon ab, welchen Angaben das Gericht glaubt, dann müssen, damit es nicht zu einer Verurteilung aufgrund einer subjektiven Fehlbeurteilung der Zeugenaussage(n) kommt, alle Umstände, denen eine indizielle Bedeutung für die Schuld oder Unschuld des Angeschuldigten zukommen kann, in die Beweiswürdigung eingestellt und in den Urteilsgründen dargelegt werden (vgl. dazu BGH, Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92 - <StV 1994, 526> m.w.N. und Beschluss vom 6. März 2002 - 5 StR 501/01 - <NStZ-RR 2002, 174 [175]> m.w.N.). Selbst wenn einzelne Indizien jeweils für sich genommen noch keine vernünftigen Zweifel an der Richtigkeit einer den Angeschuldigten belastenden Aussage aufkommen lassen, so kann jedoch eine Häufung solcher Indizien bei einer Gesamtbetrachtung zu solchen Zweifeln führen (BGH, Urteile vom 16. Dezember 1987 - 2 StR 495/87 - <StV 1988, 511> und vom 19. Juli 1989 - 2 StR 182/89 - <StV 1990, 99> m.w.N.).

35 Nach Maßgabe dieser Anforderungen hat der Senat nicht die für die Überführung des Soldaten erforderliche Gewissheit, d.h. ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit darüber gewinnen können, dass der Soldat die angeschuldigte Tat begangen hat. Vielmehr liegen auch nach Durchführung der Beweisaufnahme Umstände vor, die zu vernünftigen Zweifeln in für den Schuldspruch relevanten Fragen Anlass geben und damit einer Verurteilung des Soldaten entgegenstehen.

36 Zunächst ist festzustellen, dass der Zeuge M. zwar in seiner „Meldung“ vom 28. März 2003 an den Kompaniechef der 2./W...Btl ... zum Ausdruck brachte, der Soldat habe seine Pistole P 8 mit leerem Magazin auf ihn gerichtet, dabei gesagt „Ich knall Sie ab!“, den Abzugsbügel betätigt und hintereinander abgedrückt. Im Anschluss an diese Meldung hat der Zeuge M. jedoch während des disziplinaren Ermittlungsverfahrens und des gerichtlichen Disziplinarverfahrens Aussagen gemacht, die erhebliche Schwankungen aufweisen und gravierende Zweifel an ihrer Glaubhaftigkeit aufwerfen. Im Rahmen der Ermittlungen sagte er ausweislich der vorliegenden und von ihm unterzeichneten Niederschrift vom 31. März 2003 zunächst aus, der Soldat habe die Pistole auf seinen, des Zeugen, Kopf gerichtet, abgekrümmt und gesagt: „M., ich knall Sie ab!“ Bei seiner Vernehmung durch Oberstleutnant U. am 5. April 2003 gab er dann jedoch ausweislich der vorliegenden Niederschrift eine andere Darstellung. Nunmehr erklärte er, die Rohrmündung der Pistole habe in etwa auf die Höhe seines Brustkorbes gezeigt, der Soldat habe etwas gesagt, was er aber akustisch nicht verstanden habe, und der Soldat habe den Zeigefinger am Abzugshahn der Pistole gehabt. In seiner späteren Vernehmung vom 19. Juni 2003 durch Major Gö. änderte er sein Aussageverhalten erneut und bekundete nunmehr, hinsichtlich des Wortlauts des Soldaten müsse es so gewesen sein, wie er es in seiner Vernehmung vom 31. März 2003 geäußert habe („M., ich knall Sie ab!“), ansonsten sei der Sachverhalt genau so, wie er es in seiner Vernehmung vom 5. April 2003 wiedergegeben habe, abgelaufen, wobei er jedoch zusätzlich ergänzte, der Zeigefinger der rechten Hand des Soldaten sei „ausgestreckt“ am Abzugsbügel gewesen. In seiner Vernehmung vor dem Truppendienstgericht änderte der Zeuge M. wiederum sein Aussageverhalten. Jetzt erklärte er, er könne nicht mehr hundertprozentig sagen, ob der Soldat die Waffe auf ihn gerichtet habe. Seine unterschiedlichen Aussagen hat der Zeuge M. in der Berufungshauptverhandlung nicht zu erklären vermocht. Auf ausdrückliches Befragen hat er insoweit lediglich bekundet, er habe keine „Erklärung“ für seine unterschiedlichen Aussagen, bemerkte aber, er habe in seiner Kindheit epileptische Anfälle gehabt, weswegen er teilweise an Erinnerungsstörungen leide. Der Zeuge M. hat vor dem Senat seine vor dem Truppendienstgericht gemachte Aussage, wonach er sich nicht mehr hundertprozentig sicher sei, bestätigt und weiter bekundet, die Meldung erst deshalb am 28. März 2003 an seinen Kompaniechef gemacht zu haben, weil er durch seinen damaligen Kompanieführer Oberleutnant B. hierzu aufgefordert worden sei. Er, der Zeuge M., habe den Vorfall als nicht so brisant empfunden, dass er ihn hätte melden müssen, auch habe er sich nicht ernsthaft bedroht gefühlt.

37 Zudem ergeben sich aus weiteren Umständen zusätzliche Zweifel, ob der Soldat das angeschuldigte Verhalten begangen hat. Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die Aussagen der Zeugen K. und S. jeweils für sich betrachtet nicht widerspruchsfrei und darüber hinaus auch nicht deckungsgleich waren. Der Zeuge K. sagte im Rahmen der disziplinaren Ermittlungen ausweislich der vorliegenden und von ihm unterzeichneten Niederschriften vom 31. März und 5. April 2003 aus, der Soldat habe den Abzugshahn „mehrfach“ durchgezogen bzw. die Pistole „mehrfach“ abgekrümmt. In der Vernehmung vom 10. Dezember 2003 durch Hauptmann A. gab der Zeuge K. dann lediglich an, der Soldat habe die Waffe abgedrückt, im Unterschied zu seinen früheren Aussagen fehlte nunmehr der Hinweis „mehrfach“. In seiner Aussage vor dem Truppendienstgericht - wie auch vor dem Senat - ist der Zeuge K. dann ausdrücklich von seinen Angaben in den Vernehmungen vom 31. März und 5. April 2003 abgerückt, indem er jetzt bekundet hat, er könne nicht sagen, wie oft die Waffe abgedrückt worden sei. Widersprüchlich bleiben auch die Aussagen des Zeugen K. im Hinblick darauf, welche Worte der Soldat gebraucht habe, als er die Pistole auf den Zeugen M. gerichtet habe. Während der Zeuge K. in seiner Vernehmung vom 5. April 2003 erklärte, „es fiel auf alle Fälle die Aussage: M., Sie sind dumm“, hat er sowohl vor dem Truppendienstgericht als auch in der Berufungshauptverhandlung unmissverständlich bekundet, er könne nicht mehr sagen, ob der Soldat irgendwelche Worte geäußert habe. Der Zeuge K. hat sich in der Berufungshauptverhandlung auch nicht mehr mit Bestimmtheit daran zu erinnern vermocht, ob der Soldat die Waffe „gespannt“ gehabt habe. Zuvor hatte er allerdings in seinen Vernehmungen vom 5. April und 10. Dezember 2003 angegeben, gesehen zu haben, dass der Soldat die Waffe gespannt habe. Weitere Widersprüche im Aussageverhalten des Zeugen K. ergeben sich daraus, dass er in seiner Vernehmung vom 10. Dezember 2003 durch Hauptmann A. angab, der Soldat habe „in der Tür“ des Wachlokals gestanden, vor dem Truppendienstgericht aber ausgesagt hat, er habe gesehen, dass der Soldat „vor“ dem Wachlokal die Pistole auf den Zeugen M. gerichtet habe. Ferner hat der Zeuge K. in der Berufungshauptverhandlung ausgesagt, der Pistolen-Vorfall sei ein „Scherz“ gewesen, vor dem Truppendienstgericht hat er jedoch bekundet, den „Anlass“ des Vorfalls nicht gekannt zu haben.

38 Auch die den Soldaten belastenden Aussagen des Zeugen S. sind nicht frei von Widersprüchen. Während er in seiner Vernehmung vom 10. Dezember 2003 durch Hauptmann A. ausweislich der vorliegenden Niederschrift erklärte, er wisse noch, dass die Waffe des Soldaten nicht fertiggeladen gewesen sei, hat er vor dem Truppendienstgericht ausgesagt, er sei sich sicher, dass der Soldat die Waffe „einmal fertiggeladen“ habe. Für den Senat war insbesondere nicht nachvollziehbar, weshalb der Zeuge den angeschuldigten Vorfall erst mit Schreiben vom 27. März 2003 seinem Kompaniechef und stellvertretenden Kompaniechef zur Kenntnis brachte. Der Zeuge S. spricht insoweit nämlich in dem Schreiben von einem „schlimmsten Verstoß“, der sich am 19. Februar 2003 ereignet habe und führt hierin weiter aus, die Dienstwaffe des Soldaten habe sich in einem für den Zeugen M. „nicht erkennbaren Ladezustand“ befunden. Erst nachdem der Soldat seine Waffe entsichert und mehrfach abgekrümmt habe, sei für den Zeugen M. klar gewesen, dass die Waffe nicht geladen gewesen sei. Es widerspricht der Lebenserfahrung, dass ein solch ungewöhnlicher und bedrohlicher Vorgang erst ca. sechs Wochen später den Vorgesetzten mitgeteilt wird, zumal in M. jederzeit, wie der Zeuge S. selbst in der Berufungshauptverhandlung bestätigt hat, ein Vorgesetzter erreichbar war. Die von dem Zeugen S. gegebene Begründung, den Vorfall deshalb so spät mitgeteilt zu haben, weil er sich nicht sicher gewesen sei, an welche Stelle er sich habe wenden bzw. ob er überhaupt etwas habe melden müssen, er zudem noch mit der Vertrauensperson gesprochen habe und dann 14 Tage im Urlaub gewesen sei, erscheint nicht ausreichend und angesichts der dargelegten Widersprüche im Aussageverhalten des Zeugen zudem wenig glaubhaft. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Zeuge S. in seiner Vernehmung vom 10. Dezember 2003 durch Hauptmann A. - entgegen seiner ursprünglichen Angabe im Schreiben vom 27. März 2003, es habe sich für den Zeugen M. um einen „nicht erkennbaren Ladezustand“ gehandelt - aussagte, es sei kein Magazin in der Waffe des Soldaten eingesetzt gewesen. Auch der Zeuge M. sprach insoweit von einem „leeren Magazin“ in seiner Meldung vom 28. März 2003. Außerdem gab der Zeuge M. in seiner Vernehmung vom 5. April 2003 durch Oberstleutnant U. an, er habe sich nicht ernsthaft bedroht gefühlt. Diese Aussage ist mit der Angabe des Zeugen S. zu dem für den Zeugen M. „nicht erkennbaren Ladezustand“ schwerlich in Einklang zu bringen. Soweit der Zeuge S. in der Berufungshauptverhandlung Wert darauf gelegt hat, es habe sich bei seinem Schreiben vom 27. März 2003 nicht um eine „Meldung“, sondern um einen „Erfahrungsbericht“ gehandelt, ist ihm entgegenzuhalten, dass er selbst in seiner - von ihm genehmigten - Vernehmung vom 31. März 2003 durch Hauptmann A. erklärt hat „den Inhalt meiner Meldung vom 27.03.03 halte ich weiter im vollen Umfang aufrecht“. Vor dem Truppendienstgericht hat er ebenfalls von einer „Meldung“ bzw. sogar von einer „Beschwerde“ gesprochen.

39 Unterschiedliche Aussagen zur Frage des Abstandes der Pistole zu dem Körper des Zeugen M. machten die Zeugen S. und K. Diese Widersprüche sind auch im Rahmen der Berufungshauptverhandlung nicht aufgelöst und aufgehoben worden. Der Zeuge S. sagte im Rahmen seiner Vernehmung durch das Truppendienstgericht aus, der Abstand der Waffe zu dem Zeugen M habe „10 cm“ betragen bzw. die Pistole sei „deutlich nah“ am Körper des Zeugen M. gewesen, der Zeuge K. gab dagegen „ca. 1 Meter“ an. Nicht deckungsgleich sind ferner die Aussagen der beiden Zeugen vor dem Truppendienstgericht zum Standort des Soldaten. Während der Zeuge S. bekundet hat, der Soldat habe sich „im Türrahmen“ aufgehalten, erklärte der Zeuge K., der Soldat habe „vor dem Wachlokal“ gestanden. Außerdem stimmen die Angaben der beiden Zeugen in der Frage nicht überein, ob sie sich miteinander unterhielten, als sie in einer Reihe vor dem Wachlokal standen und die Waffen ausgegeben wurden. Der Zeuge S. sagte aus, K. und er hätten sich unterhalten; der Zeuge K. bekundete dagegen, nicht mehr zu wissen, ob Ruhe geherrscht oder ob man sich unterhalten habe. Das Truppendienstgericht ist im Rahmen seiner Beweiswürdigung zu der Feststellung gelangt, die wachhabenden Soldaten hätten sich unterhalten; es hat allerdings die unterschiedlichen Aussagen der Belastungszeugen K. und S. hierzu nicht gewürdigt.

40 Schließlich ist angesichts der damals bestehenden Spannungen zwischen den Zeugen S., K. und M. einerseits und dem Soldaten andererseits nicht gänzlich auszuschließen, dass die drei Zeugen jeweils ein Motiv haben konnten, gegen den Soldaten einen Groll zu hegen und ihm ein Fehlverhalten anzulasten. Die drei Zeugen entstammten als einzige der Wachmannschaft nicht der Kompanie des Soldaten, nämlich der S...Kp, sondern der ersten bzw. zweiten Kompanie. Sie hatten damals untereinander einen engen persönlichen Kontakt, wie sie in der Berufungshauptverhandlung unabhängig voneinander bestätigt haben. Der Zeuge M. ging wenige Tage vor dem 19. Februar 2003 nicht vorschriftsmäßig mit seiner Waffe um, wobei sich ein Schuss im Wachlokal löste. Der Soldat meldete diesen Vorfall, und es wurden disziplinare Ermittlungen gegen den Zeugen M. aufgenommen. Möglicherweise führte dieser Vorfall dazu, dass der Zeuge nicht, wie ursprünglich von ihm beabsichtigt, länger Dienst in der Bundeswehr leisten konnte. Der Zeuge K. hatte, wie er vor dem Truppendienstgericht und in der Berufungshauptverhandlung ausgesagt hat, einen „Konflikt“ mit dem Soldaten, der sich daraus ergab, dass der Zeuge seine Handschuhe verloren hatte, und der Soldat ihm daraufhin befahl, über den Verlust dieser Ausrüstungsgegenstände eine Schadensmeldung zu schreiben, was der Zeuge aber nicht tat. Nach Aussage des Zeugen S. in der Berufungshauptverhandlung bestanden zwischen ihm und dem Soldaten zunächst Differenzen, später sei man dann aber gut miteinander ausgekommen. Vor dem Truppendienstgericht hat der Zeuge S. jedoch angegeben, er habe sich durch den Soldaten „ungerecht behandelt“ gefühlt, ihm aber nicht „etwas auswischen“ wollen. Nach dem vom Zeugen S. gewonnenen persönlichen Eindruck und nach seinem Aussageverhalten ist dies jedoch nicht überzeugend. In diesem Zusammenhang ist auch die in der Berufungshauptverhandlung verlesene Aussage des damaligen Obergefreiten G. von Bedeutung, der ausweislich der vorliegenden und von ihm unterzeichneten Niederschrift vom 28. März 2003 zum Ausdruck brachte, dass es zwischen dem Zeugen S. und dem Soldaten erhebliche Differenzen gab, und der Zeuge S. u.a. geäußert habe: „Für mich haben bereits zwei Uffze ihre Jacke ausgezogen.“

41 Angesichts dessen verbleiben aus den dargelegten Gründen zu viele nicht ausgeräumte Zweifel daran, dass der Soldat tatsächlich mit einer ungeladenen Pistole auf den Oberkörper des Zeugen M. zielte, hierbei die Worte äußerte: „Sie sind doof! Sie sind tot!“ bzw. „Sie sind dumm!“ und den Abzug mehrfach betätigte oder den Zeigefinger seiner rechten Hand ausgestreckt am Abzugsbügel hielt.

42 Der Soldat war daher insgesamt von dem Vorwurf eines Dienstvergehens freizusprechen. Damit war über die Hilfs-Beweisanträge nicht zu entscheiden, weil die in ihren unter Beweis gestellten Tatsachenbehauptungen nicht (mehr) beweiserheblich waren.

43 4. Da die Berufung des Soldaten vollen Erfolg hatte, waren die Kosten des Verfahrens gemäß § 138 Abs. 3 und 4 WDO und die ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen gemäß § 140 Abs. 1 WDO dem Bund aufzuerlegen.