Beschluss vom 30.01.2004 -
BVerwG 7 B 27.03ECLI:DE:BVerwG:2004:300104B7B27.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 30.01.2004 - 7 B 27.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:300104B7B27.03.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 27.03

  • VG Leipzig - 18.12.2002 - AZ: VG 2 K 956/98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Januar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 18. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 200 831 € festgesetzt.

Die Klägerin wendet sich gegen den Bescheid der Beklagten, der die vermögensrechtliche Rückübertragung des Grundstücks Zschochersche Straße 36 in Leipzig an die Beigeladenen vorsieht. Die Rückübertragung ist darauf gestützt worden, dass der Verzicht des Rechtsvorgängers der Beigeladenen im Jahr 1981 auf das Eigentum an dem Grundstück infolge einer unmittelbar bevorstehenden Überschuldung des Grundstücks im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG erklärt worden sei. Das Verwaltungsgericht hat die von der Klägerin erhobene Klage, mit der sie die Aufhebung des Rückübertragungsbescheids begehrt, abgewiesen; die Revision hat es nicht zugelassen.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Die gerügten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
1. Die Klägerin rügt einen Verstoß gegen § 86 Abs. 3 VwGO. Nach ihrer Auffassung hätte das Gericht nach der Vernehmung des Sachverständigen zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung darauf hinweisen müssen, dass nach der Auffassung des Gerichts und entgegen den gutachterlichen Feststellungen ein höherer Instandsetzungsbedarf in Betracht komme, und den Beteiligten die Möglichkeit zur Stellungnahme geben müssen. Die Rüge ist nicht begründet.
Nach § 86 Abs. 3 VwGO hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentliche Erklärungen abgegeben werden. Die Vorschrift soll als eine verfahrensspezifische einfachgesetzliche Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör Überraschungsentscheidungen vorbeugen (Beschluss vom 5. Juni 1998 - BVerwG 4 BN 20.98 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 49 S. 5). Eines gerichtlichen Hinweises bedurfte es zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung nicht. Für die anwaltlich vertretene Klägerin war aus der Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung am 18. Dezember 2002 ohne weiteres erkennbar, dass von dem Verwaltungsgericht in die Prüfung einer unmittelbar bevorstehenden Überschuldung des Grundstücks zum Zeitpunkt des Eigentumsverzichts weitere Schadenspositionen einbezogen worden sind, die der Sachverständige nicht als Instandsetzungsbedarf in seinem Gutachten angesetzt hatte. Die Klägerin trägt selbst vor, dass "im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 18.12.2002 ... das Verwaltungsgericht den Sachverständigen ausschließlich in Richtung eines noch über den von ihm festgestellt liegenden weiteren Reparaturbedarfs befragte" (Schriftsatz vom 27. März 2003, S. 2). Dies bestätigt die Niederschrift über die mündliche Verhandlung. Aus ihr ergibt sich, dass Thema der Befragung des Sachverständigen auch ein Instandsetzungsbedarf an Fenstern, den Elektroanlagen und im Innenbereich war. Diese drei Positionen waren in dem Sachverständigengutachten nicht erwähnt oder ohne Instandsetzungskosten berücksichtigt worden, weil der Sachverständige z.B. für die Fenster davon ausgegangen war, die Reparaturen seien bereits vor dem Eigentumsverzicht im Jahr 1981 durchgeführt worden. Davon abgesehen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 283 ZPO gestellt, ihr eine Frist für die Nachreichung einer Stellungnahme zu den zusätzlichen Schadenspositionen einzuräumen.
2. Soweit die Klägerin rügt, dass das Verwaltungsgericht einen über das Sachverständigengutachten hinausgehenden weiteren Instandsetzungsbedarf ohne die erforderliche besondere Sachkunde angenommen habe, macht sie eine unterbliebene Aufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO geltend. Angesprochen sind von ihr die Feststellungen des Gerichts zur Instandsetzung von Fenstern und der Elektroinstallation. Die Rüge ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat nicht aus eigenem technischem Sachverstand entschieden, sondern - wie im Urteil im Einzelnen dargelegt - seine Überzeugung von der Notwendigkeit einer Instandsetzung der Elektroinstallation im obersten Wohngeschoss auf die in der Bautechnischen Stellungnahme vom 4. Juli 1979 bezeichneten Nässeschäden und die Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung gestützt, dass die Elektroanlagen bei Nässeschäden oft in Mitleidenschaft gezogen werden und verrotten. Entsprechendes gilt für die Annahme eines Instandsetzungsbedarfs für die Fenster. Den Instandsetzungsbedarf hat das Verwaltungsgericht daraus hergeleitet, dass in den Jahren 1982 und 1983 Arbeiten an den Fenstern erfolgt seien, die Rückschlüsse auf die Reparaturbedürftigkeit im Jahr 1981 zuließen, in dem der Eigentumsverzicht erklärt worden war. Grundlage dieser Annahme war damit die Würdigung von Unterlagen, die Gegenstand der beigezogenen Verwaltungsakte waren.
3. Die Klägerin sieht einen Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO ferner darin, dass das Verwaltungsgericht den Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt habe, etwa durch Einholung eines Nachtragsgutachtens oder eines weiteren Sachverständigengutachtens. Auch insoweit liegt kein Verfahrensmangel vor. Bei der Bestimmung von Art und Zahl einzuholender Sachverständigengutachten nach § 98 VwGO i.V.m. §§ 404, 412 ZPO steht dem Tatsachengericht Ermessen zu. Zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens ist es nur dann verpflichtet, wenn das bereits vorliegende Gutachten nicht verwertbar ist, weil es erkennbare Mängel aufweist, namentlich von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder unlösbare Widersprüche enthält, oder wenn Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter bestehen (Beschluss vom 4. Dezember 1991 - BVerwG 2 B 135.91 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 238). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin weist das Sachverständigengutachten keine erkennbaren Mängel auf, soweit es die Ausführungen zur vollständigen Dachdeckung betrifft. In dem schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige die Notwendigkeit einer vollständigen Instandsetzung des Daches im Einzelnen begründet. Die dringende Reparaturbedürftigkeit des gesamten Daches sei "an den Nässefaulspuren in der Dielung des Dachbodens und den Nässeflecken an darunterfolgenden Decken" sowie "an den Durchtropfstellen auf dem Dachboden" zu erkennen gewesen, an denen sich zeige, dass beide Seiten des Daches "dringendst reparaturbedürftig" gewesen seien. Auch aus der Äußerung des Sachverständigen bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung, dass er die Dacharbeiten "so erfasst (habe), wie man es hätte machen müssen, weil es keine Teilreparatur eines Daches" gebe, lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass der Sachverständige von einem falschen Maßstab ausgegangen sei. Das Verwaltungsgericht hat diese Äußerung dahin ausgelegt, dass nach Auffassung des Sachverständigen am Maßstab des verständigen Eigentümers nur eine vollständige Deckung des Daches in Betracht gekommen sei; dieser Maßstab entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 16. März 1995 - BVerwG 7 C 39.93 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 39 S. 94). Das Erfordernis eines weiteren Sachverständigengutachtens ergibt sich auch nicht daraus, dass im Widerspruch zu dem eingeholten Gutachten das "Kurzprojekt" des Jahres 1974 - das Verwaltungsgericht zitiert das Kurzprojekt unter dem Datum des 4. November 1980, das die Preise der Preisanordnung von 1980 berücksichtigt - lediglich eine Teilinstandsetzung des Daches vorgesehen hatte. Das Verwaltungsgericht hat sich hiermit im Einzelnen auseinander gesetzt und unter Berufung auf den Sachverständigen dargelegt, dass am Maßstab des verständigen Eigentümers nur eine vollständige Deckung des Daches in Betracht gekommen und hierfür - wegen des Wechsels auf eine "Preolithschindeleindeckung" - auch auf der gesamten Fläche eine Schalung notwendig erschienen sei. Im Grunde wendet sich die Klägerin in der Form einer Aufklärungsrüge gegen die Beweiswürdigung des Gerichts. Mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung kann aber grundsätzlich ein Verfahrensfehler nicht begründet werden. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht im Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 15).
b) Die Rüge der Klägerin, dass der Sachverständige von einem falschen Maßstab ausgegangen sei, da er allgemein auf "dringend notwendige Reparaturen" und nicht auf den "unabwendbaren Instandsetzungsbedarf, gemessen am DDR-Standard für Mietwohngrundstücke", abgestellt habe, geht fehl. Mit der Dringlichkeit des Reparaturbedarfs hat der Sachverständige ersichtlich solche Maßnahmen bezeichnet, die zur bestimmungsgemäßen Nutzbarkeit des Hauses unaufschiebbar notwendig waren. Dies folgt ohne weiteres auch aus der Art des von ihm bejahten Instandsetzungsbedarfs im Jahr 1981. Es handelt sich um Reparaturen des Außenputzes, um das Durchdringen von Feuchte in die Wohnungen zu vermeiden, die "Sperrung" gegen aufsteigende Feuchte, die Reparatur defekter Dachrinnen und Fallrohre, die nach den Ausführungen des Sachverständigen auch im Inneren zu Putzschäden geführt haben, die Instandsetzung der Dachdeckung und den Austausch von zwei Öfen. Aus der Art des angesetzten Instandsetzungsbedarfs wird deutlich, dass er nur solche Maßnahmen, die zur Erhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs unaufschiebbar notwendig waren, und nicht den Regelfall des Unterhaltungs- und Instandsetzungsbedarfs erfasst hat, der gemessen am Standard der alten Bundesrepublik aufgrund des schlechten Bauzustands älterer Mietwohnhäuser in der DDR allgemein vorhanden war (vgl. Urteil vom 16. März 1995 - BVerwG 7 C 39.93 -
Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 39 S. 94). Davon abgesehen könnte das Urteil nur dann auf einem unzutreffenden Maßstab des Sachverständigengutachtens beruhen, wenn das Gericht sich diesen Maßstab zu Eigen gemacht hätte und Instandsetzungsmaßnahmen berücksichtigt hätte, die bei einem zutreffenden Maßstab nicht in die Überschuldungsprüfung einzubeziehen wären.
c) Auch die Ausführungen des Sachverständigen in der Anhörung vor dem Verwaltungsgericht Leipzig, dass die Höhe eines Kredits für Reparaturarbeiten in der DDR nicht vom Zeit- bzw. Beleihungswert abhängig, sondern vielmehr "nach oben offen" gewesen seien, haben keine weitere Sachverhaltsaufklärung notwendig gemacht. Die Ausführungen des Sachverständigen stehen im Widerspruch zu den in der DDR geltenden Bewertungsvorschriften (vgl. hierzu im Einzelnen Urteil vom 16. März 1995 a.a.O. S. 89 bis 91). Auf der Grundlage dieser Bewertungsvorschriften hat das Verwaltungsgericht den Beleihungswert ermittelt, gegen deren Berechnung die Klägerin keine Einwände erhoben hat.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 S. 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.