Beschluss vom 30.04.2009 -
BVerwG 9 B 60.08ECLI:DE:BVerwG:2009:300409B9B60.08.0

Beschluss

BVerwG 9 B 60.08

  • Sächsisches OVG - 04.06.2008 - AZ: OVG 5 B 67/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. April 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte und Prof. Dr. Korbmacher
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. Juni 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1 201,54 € festgesetzt.

Gründe

1 Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt der Rechtssache nicht zu.

2 Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
„ob ein bereits festgestellter und feststehender Satzungsverstoß, der im vorliegenden Fall darin besteht, dass der Satzungsgeber die Beseitigung des Abwassers bestehend aus Schmutz- und Niederschlagswasser als eine öffentliche Einrichtung betreibt, anstelle der Verpflichtung, unterschiedliche öffentliche Einrichtungen der Abwasserbeseitigung zu bilden(,) zu genügen, deshalb außer Betracht bleiben kann, weil über den sogenannten Grundsatz der Typengerechtigkeit nicht mehr als 10 % der betroffenen Grundstücke nur den Vorteil der Schmutzwasserbeseitigung genießen“,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie ist in der wiedergegebenen Fassung nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Ein grundsätzlicher Klärungsbedarf setzt voraus, dass die Rechtsfrage selbst - so wie sie entschieden worden ist - von grundsätzlicher Bedeutung ist und nicht erst die Rechtsfrage, die sich stellen würde, wenn die Rechtssache anders entschieden worden wäre (Beschluss vom 29. Juni 1992 - BVerwG 3 B 102.91 - Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 17). Indem die Beschwerde von einem festgestellten und feststehenden Satzungsverstoß ausgeht, legt sie ihrer Fragestellung eine rechtliche Auffassung zugrunde, die nicht mit derjenigen des angegriffenen Urteils übereinstimmt. In diesem gibt das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich seine bisherige Rechtsprechung auf, nach der es zur Nichtigkeit der beitragsrechtlichen Vorschriften einer Abwassersatzung führte, wenn der Satzungsgeber es unterlassen hatte, bei unterschiedlichem Umfang der Abwasserbeseitigung im Satzungsgebiet unterschiedliche öffentliche Einrichtungen der Abwasserbeseitigung zu bilden. Das Oberverwaltungsgericht hat daher - anders als in dem dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. September 2004 - BVerwG 10 C 3.04 - (Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 43) zugrunde liegenden Fall - die Fehlerhaftigkeit der Abwassersatzung vom 6. April 2000 gerade nicht festgestellt. Unerheblich ist es in diesem Zusammenhang, ob das Oberverwaltungsgericht in der Vergangenheit in einem abgabenrechtlichen Verfahren inzident von der Nichtigkeit der Abwassersatzung 2000 der Beklagten wegen fehlerhafter Einrichtungsbildung ausgegangen ist. Ein entsprechendes Urteil hätte im Gegensatz zu einem die Unwirksamkeit einer Satzungsnorm feststellenden Urteil im Normenkontrollverfahren (§ 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO) Bindungswirkung nur zwischen den Beteiligten und deren Rechtsnachfolgern (§ 121 VwGO) und hinderte das Gericht nicht, seine Rechtsprechung zu überdenken und zu ändern.

3 Die weitere von der Beschwerde formulierte Frage,
„ob die Einräumung eines Ermessensspielraums zu Gunsten des Satzungsgebers dazu führen kann, dass der Grundsatz der Typengerechtigkeit über ein nachgeordnetes, nämlich lediglich für die Beitragsermittlung eingeräumtes Ermessen in Frage gestellt werden (kann) und über eine sogenannte Typisierung vernachlässigbare Fallgruppen ermittelt werden können“,
rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Auch diese Fragestellung geht von einer Rechtsfrage aus, die das Oberverwaltungsgericht so nicht entschieden hat. Das Oberverwaltungsgericht hat den Grundsatz der Typengerechtigkeit nicht durch ein „für die Beitragsermittlung eingeräumtes Ermessen in Frage gestellt“. Es hat vielmehr ausdrücklich klargestellt, dass es den Grundsatz der Typengerechtigkeit bei der Überprüfung von Satzungen als Rechtmäßigkeitsmaßstab und nicht mehr als Rechtfertigungsgrund für einen bereits festgestellten Satzungsverstoß heranzieht. Das Urteil nimmt damit entgegen der Auffassung der Beschwerde gerade keine Ergebniskontrolle dahin vor, ob die höchstzulässigen Grenzen des Beitragssatzes trotz fehlerhafter Satzungsgrundlage eingehalten sind, sondern stellt sich die Frage, „ob der Satzungsgeber eine sachgerechte Typisierung vorgenommen hat, aufgrund derer eine der betroffenen Fallgruppen vernachlässigt werden durfte“. Dies steht mit der Rechtsprechung des Senats zum Grundsatz der Abgabengerechtigkeit in Einklang.

4 Der Grundsatz der Typengerechtigkeit dient der Erhaltung der dem Normgeber im Abgabenrecht in Bezug auf das Gleichbehandlungsgebot eingeräumten Gestaltungsfreiheit. Danach ist es dem Normgeber gestattet, bei der Gestaltung abgabenrechtlicher Regelungen in der Weise zu verallgemeinern und zu pauschalieren, dass an Regelfälle eines Sachbereichs angeknüpft wird und dabei die Besonderheiten von Einzelfällen außer Betracht bleiben (vgl. nur Urteil vom 25. August 1982 - BVerwG 8 C 54.81 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 20 S. 4; Beschluss vom 28. August 2008 - BVerwG 9 B 40.08 - juris Rn. 9). Dabei stellt das Auftreten solcher abweichenden Einzelfälle die Entscheidung des Normgebers nicht in Frage, solange nicht mehr als 10 % der von der Regelung betroffenen Fälle dem „Typ“ widersprechen (Urteil vom 1. August 1986 - BVerwG 8 C 112.84 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 59 S. 54 m.w.N.). Der Grundsatz der Typengerechtigkeit bewahrt damit die im Interesse der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungspraktikabilität getroffene Entscheidung des Normgebers für einen bestimmten „Regelungstypus“ davor, durch das Auftreten von Einzelfällen, die der Regelung unterfallen, dem Typus aber widersprechen, in Frage gestellt zu werden (Beschluss vom 28. August 2008 a.a.O. Rn. 10).

5 Entgegen der Auffassung der Beschwerde widerspricht der so verstandene Grundsatz der Typengerechtigkeit auch nicht dem Grundsatz der Abgabengerechtigkeit. Als Ausprägung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt der Grundsatz der Abgabengerechtigkeit vom Normgeber die Gleichbehandlung der Abgabenpflichtigen und fordert für Differenzierungen wesentlich gleicher oder wesentlich ungleicher Sachverhalte einen sachlich einleuchtenden und hinreichend gewichtigen Grund. Er verbietet aber nicht jegliche Typisierung und Pauschalierung. Durchbrechungen des Gleichheitssatzes durch Typisierungen und Pauschalierungen können - insbesondere bei der Regelung von Massenerscheinungen - durch Erwägungen der Verwaltungsvereinfachung und Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt sein, solange die durch jede typisierende Regelung entstehende Ungerechtigkeit noch in einem angemessenen Verhältnis zu den erhebungstechnischen Vorteilen der Typisierung steht und die Zahl der Ausnahmen gering ist (Beschluss vom 28. März 1995 - BVerwG 8 N 3.93 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 75 S. 36 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dass insoweit noch weiterer höchstrichterlicher Klärungsbedarf besteht, legen die Kläger mit ihrer Kritik, eine gesetzliche Regelung der 10 %-Marge existiere nicht und die Einschränkung des Gleichheitssatzes über den Grundsatz der Typengerechtigkeit sei unzulässig, nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dar. Es genügt insoweit nicht, die bereits vorhandene höchstrichterliche Rechtsprechung zu kritisieren, sondern es müssen neue Gesichtspunkte vorgetragen werden, die die aufgeworfene Rechtsfrage trotz der vorliegenden Rechtsprechung als klärungsbedürftig geblieben oder wieder klärungsbedürftig geworden erscheinen lassen (Beschlüsse vom 2. August 1960 - BVerwG 7 B 54.60 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 2 und vom 22. August 1986 - BVerwG 3 B 47 und 48.85 - Buchholz 451.533 AFoG Nr. 7 S. 16). Hieran fehlt es.

6 Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts weicht auch nicht von diesen abgaberechtlichen Grundsätzen ab, sondern legt sie seiner neuen Rechtsprechung ausdrücklich zugrunde, so dass - von allem anderen abgesehen - schon aus diesem Grund die von den Klägern erhobene Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) erfolglos bleiben muss.

7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.