Beschluss vom 30.10.2009 -
BVerwG 9 A 24.09ECLI:DE:BVerwG:2009:301009B9A24.09.0

Beschluss

BVerwG 9 A 24.09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Oktober 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte und Domgörgen
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Kläger gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 2009 - BVerwG 9 A 71.07 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen werden den Klägern zu je einem Drittel auferlegt.

Gründe

1 Durch Urteil vom 13. Mai 2009 hat das Bundesverwaltungsgericht die Klage der Kläger gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 19. Oktober 2007 für den Ausbau und die Verlegung der Bundesautobahn A 4 zwischen den Anschlussstellen Düren und Kerpen abgewiesen. Die gegen dieses Urteil erhobene Anhörungsrüge der Kläger ist unbegründet.

2 Soweit die Kläger geltend machen, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei bereits dadurch verletzt, dass ihren Anträgen auf Verlegung des Verhandlungstermins vom 22. April 2009, ihrem Antrag auf Fortsetzung der Verhandlung am 23. April 2009 sowie ihren Anträgen auf Übersendung der vollständigen Prozessakten in die Kanzlei ihrer neuen Prozessbevollmächtigten nicht stattgegeben worden sei, ist entgegen § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO das Vorliegen der in Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen schon nicht dargelegt. Denn die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten, dass das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, ist nur dann hinreichend substantiiert, wenn der innerhalb der Frist des § 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO eingegangenen Anhörungsrüge entnommen werden kann, was dieser Beteiligte bei nach seiner Ansicht ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte. Daran fehlt es hier. Der Vortrag der Kläger, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht, hätten ihre neuen Prozessbevollmächtigten „den gesamten Aktenbestand nach Übersendung sichten und auf sich daraus etwa ergebende neue Gesichtspunkte innerhalb angemessener Bearbeitungszeit weiter vortragen können, zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre“, reicht dafür nach den Umständen des vorliegenden Falles nicht aus. Denn die durch von ihnen ausgewählte Anwälte vertretenen Kläger hatten im vorbereitenden Verfahren schon vom Dezember 2007 bis März 2009 Gelegenheit, durch Akteneinsicht und Einreichung darauf beruhender Schriftsätze rechtliches Gehör zu erlangen, wobei nach Ablauf der Klagebegründungsfrist des § 17e Abs. 5 FStrG am 30. Januar 2008 nachträgliches Vorbringen nur unter den Voraussetzungen des § 87b Abs. 3 VwGO berücksichtigt werden konnte. Zudem haben die neuen Prozessbevollmächtigten der Kläger die ihnen gemäß § 100 VwGO zustehende Möglichkeit, in der Geschäftsstelle des Gerichts die Gerichtsakten des Klageverfahrens und die dem Gericht dazu vorgelegten Akten des Beklagten einzusehen oder durch einen Vertreter einsehen zu lassen und sich auf ihre Kosten Auszüge, Ausdrucke und Abschriften erteilen zu lassen, Mitte April 2009 durch den auch in ihrer Vertretung erschienenen und ausweislich der Akten die Verfahrensführung maßgeblich bestimmenden Kläger zu 1 genutzt, dabei 281 Kopien fertigen lassen und unter Berücksichtigung der dadurch gewonnenen Erkenntnisse die Klage in einem Schriftsatz vom 21. April 2009 umfangreich ergänzend begründet.

3 Entsprechendes gilt, soweit die Kläger in diesem Zusammenhang eine Gehörsverletzung darin sehen, dass ihre in der mündlichen Verhandlung erhobene Rüge der Verfassungswidrigkeit des § 67 Abs. 4 VwGO unbeachtet geblieben sei, und zur Entscheidungserheblichkeit dieses Vorgangs anführen, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht, hätte der Kläger zu 1 im Rahmen persönlicher Teilnahme aufgrund eigener, nur ihm zur Verfügung stehender Sachverhaltskenntnis mündlich weiter vortragen können, zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.

4 Soweit die Kläger geltend machen, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei weiter dadurch verletzt, dass nicht gemäß § 86 Abs. 2 VwGO über ihren in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag durch Gerichtsbeschluss rechtzeitig vor der Urteilsverkündung entschieden worden sei, ist ihre Rüge jedenfalls in der Sache unbegründet. Denn ein - wie hier - nur vorsorglich gestellter Beweisantrag löst die Bescheidungspflicht nach § 86 Abs. 2 VwGO nicht aus (Urteil vom 26. Juni 1968 - BVerwG 5 C 111.67 - BVerwGE 30, 57 <58>; stRspr). Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang beanstanden, die im Urteil enthaltene Ablehnung dieses Beweisantrags beruhe mit der Annahme, der Lkw-Verkehr zwischen dem Autobahnkreuz Kerpen und Eindhoven müsse über die A 4 eine insgesamt um etwa 20 km längere Autobahnstrecke in Kauf nehmen als über die A 61, auf einem falschen Sachverhalt und sei deshalb eine unzulässige Überraschungsentscheidung, ist ihr Vorbringen bereits unschlüssig. Denn auch bei dem hierfür von ihnen in Bezug genommenen „Nachmessen mit dem Lineal“ auf dem von ihnen eingereichten Ausschnitt aus einer Straßenkarte mit dem Maßstab 1:500 000 ergibt sich kein anderer Sachverhalt.

5 Soweit die Kläger es als Verletzung ihres rechtlichen Gehörs beanstanden, dass wesentlicher Klagevortrag aus ihren Schriftsätzen unberücksichtigt geblieben sei, kann ihre Rüge ebenfalls keinen Erfolg haben. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt - namentlich bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen - keine Pflicht der Gerichte, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Dass die Kläger eine hinreichende inhaltliche Auseinandersetzung mit ihrer in Rn. 45 des Urteils behandelten Befürchtung vermissen, nach der Verlegung der Autobahn würden sich Anzahl und Wahrnehmbarkeit von Erdbeben im Einzugsbereich von Buir erhöhen, reicht hiernach zur schlüssigen Darlegung einer Gehörsverletzung nicht aus. Entsprechendes gilt für ihre Rüge unzulänglicher Berücksichtigung ihres in Rn. 39 ff. des Urteils behandelten Vortrags zur Vorzugswürdigkeit der Nullvariante und der von ihnen so genannten „Kurz- und Querungsvarianten“ und ihres in Rn. 35 des Urteils behandelten Vortrags zur Erforderlichkeit einer Strategischen Umweltverträglichkeitsprüfung sowie für ihre Rüge nicht hinreichender inhaltlicher Auseinandersetzung des Gerichts mit „den eingehend vorgetragenen Klägerbelangen“ und insbesondere mit ihrem Vorbringen
- zur inhaltlichen und räumlichen Bestimmtheit der Kohlenpläne,
- zur Nichtigkeit des Braunkohlenplans wegen gewandelten Umweltbewusstseins,
- zur geänderten Energiepolitik,
- zur Sicherung des Abbaus im Südfeld des Tagebaus Hambach,
- zur Verkehrswegebündelung mit entsprechender Immissionsbelastung,
- zu den Geboten der Minimierung und der bestmöglichen Luftqualitätserhaltung,
- zum Fehlen einer tabellarischen Auflistung aller für und gegen die einzelnen Trassenvarianten sprechenden Momente,
- zur Vorzugswürdigkeit südlich der Ortslage Buir verlaufender Trassenvarianten,
- zur angeblich unvollständigen und unrichtigen Sachverhaltsermittlung des Beklagten,
- zur angeblichen Nichtgewichtung der jeweils immissionsbetroffenen Baugebiete,
- zur Beteiligung der Landesstraßenbauverwaltung an der Aufstellung des Braunkohlenplans,
- zur angeblich unzureichenden Umweltverträglichkeitsstudie und zur Nichtauslegung der entsprechenden Studie aus dem Linienbestimmungsverfahren
sowie mit ihrer - in Rn. 47 des Urteils als schon aus Rechtsgründen unerheblich behandelten - Behauptung, die planfestgestellte Trasse greife unzulässig in die Sicherheitszone des Tagebaus ein. Erst recht nicht schlüssig dargelegt ist eine Gehörsverletzung mit der Beanstandung der Kläger, es fehle an einer hinreichenden inhaltlichen Auseinandersetzung mit der umfangreichen Wiedergabe ihrer im Verwaltungsverfahren gegen den Plan erhobenen Einwendungen im Schriftsatz ihrer neuen Prozessbevollmächtigten vom 21. April 2009. Diesem den Schriftsatz einleitenden Sachbericht ließ sich schon nicht entnehmen, dass und ggf. welche dieser Einwendungen die Prozessbevollmächtigten der Kläger nach der gebotenen anwaltlichen Prüfung, Sichtung und rechtlichen Durchdringung des Streitstoffs als auch durch den das Verwaltungsverfahren abschließenden Planfeststellungsbeschluss nicht berücksichtigt ansahen und deshalb zum Gegenstand ihrer Klage machen wollten. Der der Wiedergabe der Einwendung jeweils folgende Hinweis, sie sei innerhalb der Anhörungsfrist vorgebracht worden und damit nicht präkludiert, reicht dafür nicht aus.

6 Dass die Kläger meinen,
- das Gericht hätte bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Abwägung des Beklagten einen beachtlichen Abwägungsmangel darin sehen müssen, dass ein Kostenvergleich nur hinsichtlich der Trassenvarianten 2 und 2a angestellt worden sei,
- der Urteilsbegründung liege eine Übergewichtung der Frage des Immobilienwertverlustes zugrunde und
- es verdiene keine Zustimmung, dass das in § 50 BImSchG enthaltene Gebot der Minimierung von Immissionen durch andere Belange von höherem Gewicht überwunden werden könne,
begründet ebenfalls noch keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Dasselbe gilt, soweit die Kläger beanstanden, bei der Darstellung ihrer im Verwaltungsverfahren erhobenen Einwendungen im Tatbestand des Urteils fehle „die wiederholte Klägereinwendung der Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die angefochtene Planfeststellung“. Gemäß § 117 Abs. 3 VwGO ist im Tatbestand der Sach- und Streitstand nur seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen; wegen der Einzelheiten soll auf andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt. Demgemäß durfte sich das Gericht im Tatbestand seines Urteils auf die Erwähnung der bei den Verwaltungsakten befindlichen Einwendungsschreiben der Kläger vom 22. und 30. Juni 2005 und die stichwortartige Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der allen drei Klägern gemeinsamen Einwendungen gegen den ausgelegten Plan beschränken. Dazu gehörten die allein vom Kläger zu 1 in seinem ergänzenden Einwendungsschreiben vom 30. Juni 2005 vorgebrachten Rechtsausführungen nicht.

7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil sich die Gerichtsgebühr unmittelbar aus Nr. 5400 der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz ergibt.