Beschluss vom 31.08.2005 -
BVerwG 2 WDB 4.05ECLI:DE:BVerwG:2005:310805B2WDB4.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 31.08.2005 - 2 WDB 4.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:310805B2WDB4.05.0]

Beschluss

BVerwG 2 WDB 4.05

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier als Vorsitzender,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
am 31. August 2005
b e s c h l o s s e n :

  1. Die Beschwerde des Verteidigers, Rechtsanwalt P., des früheren Soldaten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 28. April 2005 wird als unzulässig verworfen.
  2. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

Der im Jahr 1971 geborene frühere Soldat absolvierte vom 28. März bis 30. Juni 2004 eine Wehrübung bei 6./ABC-Abwehrbataillon ... in H.

In dem rechtswirksam eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren legte der Wehrdisziplinaranwalt dem früheren Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 16. November 2004 folgendes Verhalten als Dienstvergehen (§ 23 Abs. 1 SG i.V.m. §§ 7, 11, 17 Abs. 2 Satz 1 SG unter den erschwerenden Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 SG) zur Last:

„1. Der frühere Soldat hat in der Zeit vom 28. März bis zum 30. Juni 2004 eine Wehrübung bei 6./ABC-Abwehrbataillon ... in H. absolviert, wo er als Gruppenführer in der Allgemeinen Grundausbildung eingesetzt war. Im Rahmen der Geländetage am 27./28. April 2004 wurden ihm zu Ausbildungszwecken u.a. zwei Bodensprengpunktsimulatoren des Typs DM 12 A 1 B 1 (Versorgungsartikelbezeichnung) ausgehändigt, wovon er einen nicht benutzte, diesen jedoch nicht wie befohlen wieder abgegeben, sondern vielmehr eingesteckt und mit in seine private Wohnung ..., H., genommen und dort auf seinen Kleiderschrank im Schlafzimmer gelegt und bis zum Auffinden durch die Polizei im Rahmen einer Wohnungsräumung am 14. Juni 2004 belassen hat.

2. An einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt in der Zeit von November 1999 bis Januar 2001 während seiner Verwendung als Gruppenführer in der Allgemeinen Grundausbildung bei 4./Raketenartilleriebataillon ... in He. hat der frühere Soldat insgesamt 12 Patronen Manövermunition für die Gewehre G 3 und MG 3, die er von Rekruten als Überbestand erhalten hat, nicht wie befohlen an seinen Zugführer abgegeben, sondern mit in seine private Wohnung ..., H., genommen und dort auf seinem Kleiderschrank abgelegt und bis zum Auffinden durch die Polizei im Rahmen einer Wohnungsräumung am 14. Juni 2004 belassen. Aufgrund seiner vorherigen Belehrung wusste der frühere Soldat bzw. hätte er wissen müssen, dass überschüssige Manövermunition an den Zugführer auszuhändigen ist.“

Mit Schriftsatz vom 26. April 2005 teilte Rechtsanwalt P. der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd mit, der frühere Soldat habe ihm „eine Vollmacht erteilt“. Er beantragte zunächst Akteneinsicht. Weiter beantragte er "namens des Betroffenen", ihn, Rechtsanwalt P., "als Verteidiger beizuordnen". Eine Vollmachtsurkunde war nicht beigefügt.

Mit Beschluss vom 28. April 2005 wies der Vorsitzende der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd den Antrag vom 26. April 2005 mit der Begründung zurück, eine Bestellung von Rechtsanwalt P. als Pflichtverteidiger komme schon deshalb nicht in Betracht, weil dieser bereits als Wahlverteidiger für den früheren Soldaten tätig sei. Dem dem Rechtsanwalt P. am 2. Mai 2005 zugestellten Beschluss war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, in der es heißt, er könne innerhalb von zwei Wochen nach der Bekanntgabe Beschwerde beim Truppendienstgericht Süd - 3. Kammer - einlegen, über die das Bundesverwaltungsgericht - Wehrdienstsenate - entscheiden werde.

Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2005 hat Rechtsanwalt P. bei der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd gegen den Beschluss vom 28. April 2005 im eigenen Namen („lege ich ...“) Beschwerde eingelegt. In der Begründung hat er ausgeführt, er lege „hiermit für den Fall der Beiordnung mein Wahlmandat nieder“. Entgegen der Ansicht des Truppendienstgerichts sei die Beiordnung eines Verteidigers im vorliegenden Falle geboten. Die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie der Umfang des Verfahrens seien zwar durchschnittlicher Art. Das Verfahren sei jedoch darauf gerichtet, den früheren Soldaten im Dienstgrad herabzusetzen. Bereits vor diesem Hintergrund sei eine Beiordnung geboten. Darüber hinaus werde dem früheren Soldaten eine vorsätzliche Tatbegehung vorgeworfen. Gegen diesen Vorwurf könne er sich nicht selbst mit ausreichender Aussicht auf Erfolg verteidigen. Der frühere Soldat sei selbst nicht in der Lage, einen Wahlverteidiger zu bezahlen und müsse an der Verhandlung entweder ohne Verteidiger oder gar nicht teilnehmen. Zudem weise die Ermittlungsakte Anhaltspunkte für ein formellrechtswidriges Handeln auf. Dieses zu überprüfen und zu rügen sei der frühere Soldat als juristischer Laie nicht in der Lage. Ausweislich Blatt 13 der Gerichtsakte sei die Wehrdisziplinaranwältin ursprünglich der Auffassung gewesen, dass ein gerichtliches Disziplinarverfahren „keinen Sinn mache“. Hiervon sei sie erst nach einem Hinweis durch den Vorsitzenden Richter am Truppendienstgericht D. abgerückt. Der Angeschuldigte sei nicht in der Lage, hierauf sachgerecht zu reagieren, sodass ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege. Im Übrigen sei das Truppendienstgericht bislang selbst davon ausgegangen, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege. So habe der Vorsitzende Richter am Truppendienstgericht E. am 25. November 2004 verfügt, dass dem früheren Soldaten die Anschuldigungsschrift mit dem Zusatz „Auf Antrag wird Ihnen ein Verteidiger bestellt“ zugestellt werde. Wäre der Vorsitzende davon ausgegangen, dass kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliege, hätte er diese Verfügung gerade nicht getroffen.

Die 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat mit Beschluss vom 22. Juni 2005 der Beschwerde von Rechtsanwalt P. gegen den Beschluss vom 28. April 2005 nicht abgeholfen.

Der Bundeswehrdisziplinaranwalt ist der Beschwerde mit Schriftsatz vom 28. Juli 2005 entgegengetreten. Er hält sie für unbegründet, weil die Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO nicht vorlägen. Da ausdrückliche Erklärungen von Rechtsanwalt P., dass er die unter dem 26. April 2005 angezeigte Wahlverteidigung niederlege, und des früheren Soldaten, dass er Rechtsanwalt P. das erteilte Mandat entziehe, nicht abgegeben worden seien, bestehe das Mandantschaftsverhältnis bis zum jetzigen Zeitpunkt fort, sodass eine Bestellung als Pflichtverteidiger nicht erfolgen könne. Auch die im Beschwerdeschreiben des Rechtsanwalts P. erklärte Absicht, für den Fall der Beiordnung als Pflichtverteidiger das Wahlmandat niederzulegen, berühre den Bestand des Mandantschaftsverhältnisses nicht. Nach dem objektiven Erklärungswert dieser Äußerung sei darin lediglich eine auflösende Bedingung für das Fortbestehen des Mandatsverhältnisses enthalten, die bei ihrem Eintritt das Auftragsverhältnis nur im Falle der tatsächlichen Bestellung als Pflichtverteidiger zum Erlöschen bringen solle.

II

Die von Rechtsanwalt P. in eigenem Namen („... lege ich ...“) gegen den Beschluss des Truppendienstgerichts vom 28.04.2005“ eingelegte Beschwerde ist unzulässig. Gegen die Ablehnung der beantragten Bestellung von Rechtsanwalt P. als Verteidiger nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO durch den Vorsitzenden der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd steht die Beschwerde dem früheren Soldaten zu. Dagegen hat der nicht bestellte Rechtsanwalt kein eigenes Beschwerderecht. Denn er ist durch die angefochtene Entscheidung nicht im Rechtssinne beschwert.

Unter Beschwer in diesem Sinne ist die unmittelbare Beeinträchtigung von Rechten, d.h. von Freiheit, Vermögen oder sonstigen Rechten in materiellrechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art oder von schutzwürdigen Interessen eines Beteiligten durch die Entscheidung zu verstehen.

Eine derartige unmittelbare Beeinträchtigung beinhaltet die Ablehnung der Bestellung als Verteidiger nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO nicht. Zwar hat der Senat in seiner früheren Rechtsprechung die Beschwerdebefugnis eines Rechtsanwaltes nach erfolgter Ablehnung der beantragten Bestellung zum (Pflicht-)Verteidiger implizit angenommen (vgl. Beschluss vom 17. September 1999 - BVerwG 2 WDB 9.99 -); er hält hieran jedoch aus den nachfolgenden Gründen nicht mehr fest.

Ein Rechtsanwalt hat keinen Anspruch darauf, durch den Gerichtsvorsitzenden zum Verteidiger bestellt zu werden. Dies ist im gerichtlichen Disziplinarverfahren nicht anders als im Strafverfahren. Sinn einer solchen Bestellung ist es nicht, dem Rechtsanwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen. Vielmehr besteht ihr Zweck ausschließlich darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Angeschuldigte bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 90 Abs. 1 Satz 2 oder 3 WDO oder der Beschuldigte/Angeklagte nach §§ 140, 141 StPO rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (vgl. zur Bestellung eines Pflichtverteidigers u.a. BVerfG, Beschluss vom 8. April 1975 - 2 BvR 207/75 - <BVerfGE 39, 238 [242]); OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Dezember 1987 - 1 Ws 1049/87 - <AnwBl 1988, 178> m.w.N.). Dem entspricht es, dass die Auswahl des als (Pflicht-)Verteidiger zu bestellenden Rechtsanwalts Sache des Gerichtsvorsitzenden ist, der nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, ohne dass der Rechtsanwalt, der die (Pflicht-)Verteidigung führen will, seine Beiordnung durchsetzen könnte. Dies ist im Wehrdisziplinarrecht nicht anders als in Verfahren nach der Strafprozessordnung (vgl. dazu u.a. OLG Hamburg, Beschluss vom 31. Januar 1978 - 1 Ws 42/78 - <NJW 1978, 1172>; OLG Düsseldorf, <a.a.O.> m.w.N.; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. 2005, § 141 RNr. 10 m.w.N.), deren Vorschriften nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO ergänzend auf das gerichtliche Disziplinarverfahren anzuwenden sind, soweit nicht dessen Eigenart entgegensteht.

Der Beschwerdeführer, Rechtsanwalt P., wird durch die mit dem angefochtenen Beschluss erfolgte Ablehnung des Antrages des früheren Soldaten vom 26. April 2005, ihn, Rechtsanwalt P., als Verteidiger nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO zu bestellen, unmittelbar weder in seinen Rechten noch in seinen schutzwürdigen Interessen beeinträchtigt.

Aus seinem Schriftsatz vom 26. April 2005 i.V.m. dem Beschwerdeschriftsatz vom 17. Mai 2005 ergibt sich, dass der frühere Soldat ihn bereits als (Wahl-)Verteidiger bestellt hatte. Zwar heißt es in diesem Schriftsatz lediglich, der frühere Soldat habe ihm, Rechtsanwalt P., „eine Vollmacht erteilt“; er, Rechtsanwalt P., beantragte „namens des Betroffenen“, ihn diesem „als Verteidiger beizuordnen“. Damit bleibt nach dem Wortlaut der gewählten Formulierung offen, ob die erteilte Vollmacht lediglich auf die Beantragung von Akteneinsicht und die Beantragung der Beiordnung als Verteidiger bezogen ist oder darüber hinaus auch die Bestellung als Wahlverteidiger beinhaltet. Aus dem Beschwerdeschriftsatz vom 17. Mai 2005 ergibt sich jedoch unmissverständlich, dass der frühere Soldat Rechtsanwalt P. bereits ein „Wahlmandat“ als Verteidiger erteilt hatte, das noch fortbesteht. Denn in dem Schriftsatz kündigt Rechtsanwalt P. „für den Fall der Beiordnung“ an, sein „Wahlmandat“ niederzulegen. Eine solche - unter der genannten Bedingung („für den Fall der Beiordnung“) - angekündigte Niederlegung des „Wahlmandates“ ergibt nur dann Sinn, wenn ein solches Mandat bereits erteilt ist. Dafür, dass der frühere Soldat bereits vor Ergehen des angefochtenen Beschlusses Rechtsanwalt P. als seinen (Wahl-)Verteidiger bestellt hatte, spricht noch ein Weiteres. Nachdem nämlich der Vorsitzende der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd im angefochtenen Beschluss vom 28. April 2005 in den Gründen dargelegt hatte, dass die Bestellung von Rechtsanwalt P. als (Pflicht-)Verteidiger schon deshalb nicht (mehr) in Betracht komme, weil er, Rechtsanwalt P., bereits als (Wahl-)Verteidiger für den früheren Soldaten tätig sei, ist dies im weiteren Verfahrensverlauf weder durch Rechtsanwalt P. noch durch den früheren Soldaten in Zweifel gezogen oder gar substantiiert bestritten worden. Angesichts dessen steht Rechtsanwalt P. aufgrund der erfolgten Bevollmächtigung durch den früheren Soldaten gegen diesen ein Anspruch auf Vergütung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu. Die durch den angefochtenen Beschluss erfolgte Ablehnung seiner vom früheren Soldaten beantragten Bestellung als Verteidiger nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO beeinträchtigt diesen Vergütungsanspruch nicht. Soweit der frühere Soldat nicht über hinreichende finanzielle Mittel verfügen sollte, um die Vergütungsansprüche seines (Wahl-)Verteidigers zu begleichen, steht es Rechtsanwalt P. frei, sein Mandat niederzulegen und dem früheren Soldaten zu raten, anschließend die Bestellung von Rechtsanwalt P. oder eines anderen Rechtsanwaltes nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO als Verteidiger zu beantragen.

Soweit in der dem angefochtenen - und Rechtsanwalt P. zugestellten - Beschluss beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung zum Ausdruck gebracht wird, Rechtsanwalt P. („... können Sie ...“) sei befugt, innerhalb der genannten Frist Beschwerde einzulegen, entspricht dies nicht der dargelegten Rechtslage. Ein solcher in einer Rechtsbehelfsbelehrung enthaltener Hinweis vermag das geltende Recht nicht zu ändern.

Auch bei Zugrundelegung der früheren Rechtsprechung des Senats hätte die Beschwerde von Rechtsanwalt P. keinen Erfolg. Wie sich aus dem insoweit unmissverständlichen Wortlaut des § 90 Abs. 1 WDO ergibt, kann durch den Kammervorsitzenden ein Verteidiger nur dann bestellt werden, wenn der betreffende Soldat „noch keinen Verteidiger gewählt hat“ und wenn zusätzlich die Mitwirkung eines Verteidigers „geboten erscheint“. Der Beschwerdeführer hat - wie dargelegt - auch im Beschwerdeverfahren nicht in Abrede gestellt, dass er aufgrund der erteilten Vollmacht durch den Soldaten zum Wahlverteidiger bestellt worden ist. Erklärungen des früheren Soldaten oder des Beschwerdeführers, dass diese Bestellung widerrufen worden ist, liegen dem Senat nicht vor. Die im Beschwerdeschriftsatz von Rechtsanwalt P. erklärte Absicht, für den Fall der Beiordnung als Pflichtverteidiger das „Wahlmandat“ niederzulegen, hat daran nichts geändert. Denn nach ihrem objektiven Erklärungswert steht diese schriftsätzliche Äußerung unter der Bedingung, wonach die Niederlegung des Mandats nur im Falle einer tatsächlichen Bestellung zum Pflichtverteidiger erfolgen soll. Angesichts dessen bedarf es vorliegend auch keiner Entscheidung darüber, ob die Mitwirkung eines Verteidigers im Sinne des § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO „geboten“ ist.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.