Beschluss vom 31.08.2006 -
BVerwG 1 B 24.06ECLI:DE:BVerwG:2006:310806B1B24.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 24.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:310806B1B24.06.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 24.06

  • Hessischer VGH - 23.11.2005 - AZ: VGH 12 UE 3141/03.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. August 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Prof. Dr. Dörig
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. November 2005 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde ist unzulässig. Sie legt die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dar.

2 1. Die Beschwerde sieht einen Verfahrensverstoß des Berufungsgerichts darin, dass es die Angaben des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal als „oberflächlich und detailarm“ gewürdigt und daraus erhebliche Zweifel an seinem Vorbringen abgeleitet hat (BA S. 19), ohne den Kläger persönlich angehört zu haben. Ohne eigenen persönlichen Eindruck habe das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit des Klägers nicht beurteilen dürfen (Beschwerdebegründung S. 1). Ein Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO - die Beschwerde beruft sich auf eine Verletzung des Gebots zur Gewährung rechtlichen Gehörs - ergibt sich aus dem Vorbringen der Beschwerde nicht.

3 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt es grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen im ersten Rechtszug gehörten Zeugen oder Beteiligten erneut vernimmt. Es kann dessen schriftlich festgehaltene Aussage auch ohne nochmalige Vernehmung zu dem unverändert gebliebenen Beweisthema selbständig würdigen. Von der erneuten Anhörung des Zeugen oder Beteiligten darf das Berufungsgericht jedoch dann nicht absehen, wenn es die Glaubwürdigkeit des in erster Instanz Vernommenen abweichend vom Erstrichter beurteilen will und es für diese Beurteilung auf den persönlichen Eindruck von dem Zeugen oder Beteiligten ankommt (vgl. etwa Beschluss vom 10. Mai 2002 - BVerwG 1 B 392.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr.  259 = NVwZ 2002, 1381 m.w.N.).

4 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe zeigt das Beschwerdevorbringen einen Verfahrensverstoß nicht auf. Aus ihm ergibt sich schon nicht, dass das Berufungsgericht überhaupt eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung vorgenommen hat. Die Beschwerde bezieht sich vielmehr ausschließlich auf eine Passage des angefochtenen Beschlusses, in der das Berufungsgericht die Angaben des Klägers zu einem bestimmten Vorfall - der angeblichen bewaffneten Auseinandersetzung zwischen PKK-Angehörigen und Sicherheitskräften - als „oberflächlich und detailarm“ bewertet, ihn aber nicht als unglaubwürdig bezeichnet hat. Tatsächlich leitet das Berufungsgericht aus den derart charakterisierten Angaben des Klägers lediglich ab, dass sich im Jahr 1986 in der Türkei ein Vorfall der vom Kläger geschilderten Art ereignet haben mag, ohne dass die Verstrickung des Klägers jedoch den türkischen Sicherheitsbehörden als Vorfall mit landesweiter Bedeutung bekannt geworden sei (BA S. 20). Zudem hat es der Kläger versäumt, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu dringen, nachdem das Berufungsgericht gemäß § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO eine Entscheidung im vereinfachten Berufungsverfahren angekündigt hatte. Auch hat er trotz der ihm bekannten Bewertung seines Vorbringens durch die vorausgegangenen gerichtlichen Entscheidungen und die beiden Ankündigungen des Berufungsgerichts nach § 130a VwGO im vorliegenden Verfahren seinen Vortrag zu dem behaupteten Verfolgungsschicksal nicht näher substantiiert.

5 2. Die Beschwerde rügt als weiteren Verfahrensmangel, dass das Berufungsgericht die Auskunft des Auswärtigen Amtes zur mangelnden Echtheit der vom Kläger vorgelegten Anklageschrift verwertet habe, obwohl diese derart oberflächlich und detailarm gewesen sei, dass nähere Nachforschungen geboten gewesen wären. Die Beschwerde verweist darauf, dass der Kläger derartige Aufklärungsmaßnahmen mit Schriftsatz vom 20. Juni 2005 beantragt habe (Beschwerdebegründung S. 2). Auch aus diesem Vorbringen ergibt sich kein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auch nicht die gerügte Verletzung des Gebots zur Gewährung rechtlichen Gehörs.

6 Zunächst ergibt sich aus der Beschwerdebegründung selbst nicht - wie geboten -, welche Nachforschungen der Kläger in dem zitierten Schriftsatz beantragt hat. Aber selbst wenn man den Inhalt des in Bezug genommenen Schriftsatzes und die dortigen Beweisangebote berücksichtigt, folgt daraus keine Verpflichtung des Berufungsgerichts, Beweis darüber zu erheben, aus welchen Quellen die Aussage des Auswärtigen Amtes über fehlende Ermittlungen und eine fehlende Anklage gegen den Kläger stammen. Genau so wenig war das Berufungsgericht verpflichtet, eine Auskunft von amnesty international zur Suche des Klägers wegen PKK-Unterstützung und ein Sachverständigengutachten zur Echtheit der vorgelegten Anklageschrift einzuholen. Die Ablehnung von Beweisanträgen stellt nämlich nur dann einen Gehörsverstoß dar, wenn die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. etwa BVerfGE 50, 32 <35 f.>). Die Beschwerde zeigt nicht auf, inwiefern die in den Entscheidungsgründen niedergelegte Begründung des Berufungsgerichts für die Ablehnung der Beweiserhebung (BA S. 29 - 30, 20 - 21) prozessrechtlich unzulässig sein soll.

7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. Beschluss vom 2. August 2000 - BVerwG 9 B 210.00 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 61 m.w.N.) wird das dem Tatsachengericht zur Bestimmung von Art und Anzahl einzuholender Sachverständigengutachten nach § 98 VwGO in Verbindung mit §§ 404, 412 ZPO zustehende Ermessen nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten oder gutachterlicher Stellungnahmen absieht, obwohl die Notwendigkeit dieser Beweiserhebung sich ihm hätte aufdrängen müssen. Dies ist dann der Fall, wenn bereits vorhandene Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen offen erkennbare Mängel enthalten, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen oder unlösbare Widersprüche aufweisen, wenn sich aus ihnen Zweifel an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit der Gutachter ergeben oder wenn sich herausstellt, dass es sich um eine besonders schwierige Fachfrage handelt, die ein spezielles Fachwissen erfordert, das bei den bisherigen Gutachtern nicht vorhanden ist. Eine Verpflichtung des Tatsachengerichts, zusätzlich zu den vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen weitere Gutachten einzuholen oder in sonstige Ermittlungen einzutreten, besteht hingegen nicht allein schon deshalb, weil ein Beteiligter die bisherigen Erkenntnisquellen im Ergebnis für unzutreffend hält. Gemessen an diesen Grundsätzen trägt die Beschwerde nicht vor, dass und aus welchen Gründen die im Einzelnen vom Berufungsgericht gewürdigte Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an solchen Mängeln litte, dass die Einholung weiterer gutachterlicher Äußerungen geboten gewesen wäre. Insbesondere erläutert sie nicht, wieso die im vorliegenden Verfahren vom Berufungsgericht eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes „in tatsächlicher Hinsicht sparsam und detailarm“ sein soll, obwohl sie die fehlende Echtheit der auf das Jahr 1986 datierten Anklageschrift u.a. darauf stützt, dass die darin zitierte Vorschrift des Artikels 169 des türkischen Strafgesetzbuches gar keine Absätze enthalte und das darin zitierte Antiterrorgesetz erst 1991 in Kraft getreten sei. Auch legt sie nicht dar, dass und aus welchen Gründen amnesty international oder andere Sachverständige über bessere Erkenntnisquellen als das Auswärtige Amt verfügten.

8 Einen Verfahrensfehler kann die Beschwerde auch nicht daraus herleiten, dass die Auskunft des Auswärtigen Amtes nicht angibt, auf welche Erkenntnisquellen sie sich bei ihren Aussagen zur Echtheit der Anklageschrift stützt. Nach der Rechtsprechung des Senats treffen Auskünfte des Auswärtigen Amtes grundsätzlich eine Gesamtbewertung, die sich auf unterschiedliche Erkenntnisquellen stützen. Die Tatsachengerichte sind nur ausnahmsweise zu näherer Prüfung verpflichtet, welcher Art die einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes zugrunde liegenden Erkenntnisquellen sind, nämlich dann, wenn durch ganz bestimmte Anhaltspunkte belegte Zweifel an der Zuverlässigkeit der in der Auskunft verwerteten Informationen erkennbar sind (stRspr, vgl. Beschluss vom 31. Juli 1985 - BVerwG 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28). Derartige Zweifel hat die Beschwerde nicht dargelegt.

9 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 RVG.