Beschluss vom 25.07.2017 -
BVerwG 1 B 117.17ECLI:DE:BVerwG:2017:250717B1B117.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.07.2017 - 1 B 117.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:250717B1B117.17.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 117.17

  • VG München - 21.04.2016 - AZ: VG M 10 K 16.320
  • VGH München - 28.03.2017 - AZ: VGH 10 BV 16.1601

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Juli 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. März 2017 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2 1. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

3 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschluss vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110).

4 Der Kläger hält die Frage für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig, "ob eine Ausweisung bei einem türkischen Staatsbürger, dem ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht zusteht oder zumindest die Standstillklauseln des Assoziationsrechts zu beachten sind, 'unerlässlich' im Sinne des § 53 Abs. 3 AufenthG sein kann, wenn er nicht die in § 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Ausländergesetz 1990 zwingenden Ausweisungsgründe verwirklicht hat, oder zumindest bei der Beurteilung eines besonders schweren Ausweisungsinteresses gem. § 54 Abs. 1 AufenthG der Maßstab sich nach § 47 Abs. 1 AuslG (1990) richtet".

5 Die aufgeworfene Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann. Nach § 53 Abs. 3 AufenthG darf ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Damit hat der deutsche Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. Januar 2016 die Voraussetzungen für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen in das nationale Aufenthaltsrecht transformiert, die bereits zuvor nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union galten (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 3.16 - Rn. 46). Das Vorliegen eines zwingenden Ausweisungsgrundes nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG 1990 war hierfür keine Voraussetzung und ist dies auch heute nicht. Vielmehr waren die Regelungen über die zwingende Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG 1990 auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige wie den Kläger nicht anwendbar (BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321>). Sie spielen auch heute für die Beurteilung eines besonders schweren Ausweisungsinteresses gemäß § 54 Abs. 1 AufenthG 2016 keine Rolle.

6 Die Stillstandsklauseln des Assoziationsrechts spielen keine Rolle bei der Beantwortung der aufgeworfenen Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Ausweisung unerlässlich im Sinne des § 53 Abs. 3 AufenthG ist. Aus dem Vorbringen der Beschwerde ergibt sich aber auch ungeachtet dessen kein Grund, wonach die hier einschlägige Stillstandsklausel des Art. 13 ARB 1/80 verletzt sein könnte. Zum einen haben sich die unionsrechtlich vorgegebenen Maßstäbe für die Ausweisung eines Assoziationsberechtigten nicht verändert. Zum anderen war hierfür auch nach nationalem Recht nicht die Erfüllung eines zwingenden Ausweisungsgrundes nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AuslG 1990 Voraussetzung. Vielmehr kam auch ein anderer nationaler Ausweisungstatbestand, etwa nach § 47 Abs. 2 AuslG 1990 (BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <300 f.>), in Betracht, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen aufgrund der konkreten Umstände des Falles eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellte, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührte und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich war.

7 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.