Beschluss vom 13.06.2017 -
BVerwG 1 B 93.17ECLI:DE:BVerwG:2017:130617B1B93.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.06.2017 - 1 B 93.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:130617B1B93.17.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 93.17

  • VG Regensburg - 13.07.2016 - AZ: VG RN 11 K 16.30600
  • VGH München - 12.12.2016 - AZ: VGH 21 B 16.30364

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Juni 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph
und Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Beschwerde macht als Verfahrensmangel eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO) geltend, weil das Berufungsgericht wesentlichen Vortrag der Klägerin in den Entscheidungsgründen nicht erwogen habe. Insoweit habe sie - die Klägerin - im Berufungsverfahren geltend gemacht, dass ihren beiden Brüdern die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei und einer der Brüder vor der Einziehung zum Militär geflohen sei, ohne dass dieses Vorbringen vom Berufungsgericht berücksichtigt worden sei.

3 a) Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG vorschreibt, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist daher nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 -1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>). Anhaltspunkte hierfür ergeben sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht. Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Klägerin insofern berücksichtigt, als es in den Entscheidungsgründen ausgeführt hat, dass die Klägerin ihr Vorbringen gesteigert und in Widerspruch zu dem ursprünglich genannten Fluchtgrund vorgetragen hat, sie sei verfolgt worden. Der Geheimdienst habe ihren Bruder mitgenommen und für einige Stunden verhaftet. Auch sie sei vom Geheimdienst verhört worden und bezüglich der Ausreise ihres Bruders befragt worden. Das Berufungsgericht hat somit das Vorbringen der Klägerin bezüglich ihrer beiden Brüder erwogen, aber musste wegen dessen fehlender Glaubhaftigkeit nicht entscheiden, ob es von flüchtlingsrechtlicher Relevanz ist.

4 Vor diesem Hintergrund muss das Berufungsgericht aus sonst auf den Vortrag im Schriftsatz vom 21. November 2016 bzw. in der mündlichen Verhandlung, beiden Brüdern sei die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden, mithin sei die Klägerin auch aufgrund ihrer Familienangehörigen gefährdet, nicht gesondert eingehen. Denn die Klägerin hat weder die Tatsache der Flüchtlingsanerkennung ihrer Brüder noch die ggf. zugrunde liegenden Umstände in dem genannten Schriftsatz oder in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 6. Dezember 2016 in irgendeiner Weise substantiiert.

5 b) Das Berufungsgericht hat das rechtliche Gehör der Klägerin auch nicht dadurch verletzt, dass es eine legale Ausreise der Klägerin aus Syrien angenommen hat. Das Berufungsgericht hat sich in der angegriffenen Entscheidung mit dem Vortrag der Klägerin, dass sie ca. 3 000 syrische Lira an einen syrischen Grenzbeamten gezahlt habe, auseinandergesetzt und angenommen, dass sich hieraus - in Zusammenschau mit dem übrigen Vorbringen der Klägerin zur Grenzkontrolle - eine illegale Ausreise nicht ergibt. Der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör wird nicht dadurch verletzt, dass das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin hinsichtlich ihrer Ausreise anders beurteilt als diese.

6 c) Ohne Erfolg macht die Beschwerde in diesem Zusammenhang auch geltend, das Berufungsgericht habe seine Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) verletzt und eine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen, weil es im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht zu erkennen gegeben habe, dass es von einer legalen Ausreise ausgehe und hierdurch der Klägerin die Möglichkeit genommen habe, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen.

7 Die Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Ein hiergegen verstoßendes Verhalten des Gerichts liegt aber nur vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit welcher der Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. Ansonsten besteht im Grundsatz keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten seine Auffassung jeweils vor dem Ergehen einer Entscheidung zu offenbaren. Ein Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2010 - 5 B 21.09 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 61 m.w.N.).

8 Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör durch eine unzulässige Überraschungsentscheidung hier nicht erfüllt. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2016 (S. 2) ist die Frage der Art und Weise der Ausreise der Klägerin aus Syrien erörtert worden. Mit der Würdigung des diesbezüglichen klägerischen Vortrags hat das Berufungsgericht dem Rechtsstreit daher keine Wendung gegeben, mit der nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens ein gewissenhafter Beteiligter nicht zu rechnen brauchte. Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt nicht davor, dass das Berufungsgericht die tatsächlichen Umstände der Ausreise der Klägerin in einer Weise gewürdigt hat, die mit den Vorstellungen der Klägerin nicht übereinstimmt. Der Sache nach wendet sich die Klägerin insoweit gegen eine von ihr nicht geteilte Würdigung des Sachverhalts, ohne einen Verfahrensverstoß schlüssig darzulegen.

9 d) Die Beschwerde kann ferner einen Gehörsverstoß nicht mit Erfolg darauf stützen, dass das Berufungsgericht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Frage entschieden hat, ob eine legale oder illegale Ausreise aus Syrien vorliegt. Der Sache nach wird hierdurch ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend gemacht. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht liegt aber regelmäßig dann nicht vor, wenn das Gericht den nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Sachverhalt aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme für aufgeklärt gehalten hat und die sachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten keine Beweisanträge gemäß § 86 Abs. 2 VwGO gestellt haben (BVerwG, Beschluss vom 11. August 2015 - 1 B 37.15 - juris m.w.N.). Denn ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat und die sich dem Gericht auch nicht aufdrängen musste (BVerwG, Beschluss vom 6. März 1995 - 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265). Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008 - 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 Rn. 13). Die anwaltlich vertretene Klägerin hat in der Berufungsverhandlung keine Beweisanträge gestellt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich dem Berufungsgericht zu dem von der Beschwerde genannten Beweisthema noch Ermittlungen von Amts wegen hätten aufdrängen müssen. Zudem legt die Beschwerde auch bereits nicht schlüssig im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dar, warum die Beweisfrage nur durch ein fachwissenschaftliches Gutachten zu klären ist und sich deshalb die Einholung eines Sachverständigengutachtens dem Berufungsgericht hätte aufdrängen müssen.

10 2. Entgegen der Ansicht der Beschwerde liegt auch nicht deswegen ein Verstoß gegen § 138 Nr. 6 VwGO vor, weil das angefochtene Urteil keine Erwägungen dazu enthält, dass die Erwirkung der Ausreise durch Bezahlung eines Bestechungsgeldes an einen Grenzbeamten nicht zur Annahme einer - unter Umgehung der Ausreisekontrolle - illegalen Ausreise führt. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung bereits nicht zugrunde gelegt, dass die Klägerin ihre Ausreise durch Bestechung erwirkt hat. Es hat vielmehr die klägerischen Angaben in ihrer Allgemeinheit und in Zusammenschau mit dem übrigen Vorbringen der Klägerin zur Grenzkontrolle dahin gewürdigt, dass keine Umgehung der Ausreisekontrolle und damit keine illegale Ausreise vorliege. Im Übrigen ist ein Urteil nur dann "nicht mit Gründen versehen" im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO, wenn die Gründe gänzlich fehlen, inhaltlich völlig unzureichend sind und ein Antrag gänzlich übersehen wird (BVerwG, Beschluss vom 6. September 2011 - 9 B 48.11 - NVwZ 2012, 376 Rn. 14). Dass das Berufungsgericht nicht auf jede Einzelheit des umfangreichen Klägervorbringens eingegangen ist bzw. seine Einwände - wie hier - anders beurteilt, reicht für die Annahme eines Verstoßes gegen § 138 Nr. 6 VwGO nicht aus.

11 3. Schließlich führen auch die von der Klägerin für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltenen Fragen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zur Zulassung der Revision.

12 a) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage,
"wann eine legale und wann eine illegale Ausreise aus Sicht der syrischen Behörden gegeben ist",
stellt eine tatsächliche Frage des Einzelfalls dar, die einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist. Soweit ferner für grundsätzlich klärungsbedürftig gehalten wird,
"ob und eventuell unter welchen weiteren Bedingungen eine durch Bestechung eines Grenzbeamten erlangte Ausreise eine legale Ausreise darstellen kann",
ist die Frage bereits nicht entscheidungserheblich, da das Berufungsgericht - wie oben ausgeführt - nicht davon ausgegangen ist, dass die Ausreise durch Bestechung erlangt wurde.

13 b) Auch die weiterhin aufgeworfene Frage,
"ob eine Genehmigung der Ausreise in einen Nachbarstaat durch einen syrischen Grenzbeamten, eine Genehmigung durch den syrischen Staat darstellt, sich auch weiter nach Westeuropa zu begeben oder eben nur Genehmigung zu einem kurzzeitigen Aufenthalt in einem zu Syrien angrenzenden Staat darstellt, so dass bei syrischen Staatsangehörigen, die nach Syrien über den Flughafen Damaskus von Westeuropa kommend einreisen, als Personen, die illegal ausgereist sind, durch den syrischen Staat eingestuft werden,"
ist eine Frage des Einzelfalles und daher einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich; jedenfalls fehlt es an der Darlegung eines Klärungsbedarfs.

14 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.