Beschluss vom 30.11.2016 -
BVerwG 4 BN 16.16ECLI:DE:BVerwG:2016:301116B4BN16.16.0

Leitsatz:

Bei bauplanerischen Festsetzungen zur Schaffung eines Friedhofs in Form eines Ruheforstes ist zu beachten, dass der Schutz der Bestattung und des Totengedenkens Rücksichtnahme durch die Nachbarschaft fordert; zugleich ist Rücksicht auf die Nachbarschaft zu nehmen (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 2. Februar 2012 - 4 C 14.10 - BVerwGE 142, 1 Rn. 23). Ob die damit angesprochenen nachbarlichen Belange abwägungserheblich oder lediglich geringfügig sind, ist eine Frage des Einzelfalls.

  • Rechtsquellen
    BauGB § 1 Abs. 6 Nr. 6 und Abs. 7
    VwGO § 47 Abs. 2 Satz 1

  • VGH Mannheim - 02.03.2016 - AZ: VGH 8 S 848/13

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 30.11.2016 - 4 BN 16.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:301116B4BN16.16.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 16.16

  • VGH Mannheim - 02.03.2016 - AZ: VGH 8 S 848/13

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. November 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Külpmann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. März 2016 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Antragsteller wendet sich gegen einen Bebauungsplan, der für ein rund 40 ha großes Waldgebiet ein Sondergebiet "Friedhof" festsetzt. Dort sollen in einem Ruheforst jährlich etwa 200 Urnenbestattungen durchgeführt werden. Die Errichtung von Gebäuden oder anderen baulichen Anlagen ist mit Ausnahme der Anlage einer Zufahrt, der Errichtung von 15 bis 20 Stellplätzen auf einer Parkfläche, Hinweistafeln, Andachtsplätzen und künstlerischen Objekten unzulässig.

2 Der Antragsteller befürchtet einen Nutzungskonflikt. Er ist (Mit-) Eigentümer von Grundstücken außerhalb des Plangebiets. Nach den bauplanerischen Festsetzungen sind dort in einem Sondergebiet Hotel- und Wellnesseinrichtungen sowie Wochenend- und Ferienhäuser zulässig. Verwirklicht sind diese Festsetzungen bisher nicht; die Geltungsdauer einer vormals erteilten Baugenehmigung ist abgelaufen. Das Grundeigentum grenzt in südöstlicher Richtung an die vom angegriffenen Bebauungsplan festgesetzte Zuwegung zu dem Ruheforst, die Ecke eines Grundstücks stößt, getrennt durch diese Zuwegung, an das Gebiet des Ruheforstes an.

3 Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag wegen fehlender Antragsbefugnis abgewiesen. Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Nichtzulassungsbeschwerde bleibt erfolglos.

4 I. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde zumisst.

5 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 4. August 2016 - 4 BN 12.16 - NVwZ 2016, 1646 Rn. 4).

6 1. Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob sich ein Eigentümer von Grundstücken gegen die benachbarte Festsetzung eines Bebauungsplans für einen Friedhof oder jedenfalls für einen Friedhof in Form eines Ruheforstes wegen Nutzungskonflikten zu einer geplanten Hotelanlage oder einem geplanten Gewerbebetrieb wehren kann.

7 Die allgemein gehaltene Frage, ob sich ein Eigentümer wehren könne, zielt unter Berücksichtigung der angegriffenen Entscheidung auf die Anforderungen an die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, führt indes nicht auf grundsätzlichen Klärungsbedarf. Sie ist in der Rechtsprechung bereits beantwortet. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. Ist ein Bebauungsplan Gegenstand der Normenkontrolle und der Betroffene nicht Eigentümer von Grundstücken im Plangebiet, so kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen (stRspr seit BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <220 ff.>). Abwägungserheblich sind dabei aber nur private Belange, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben und schutzwürdig sind. An letzterem fehlt es bei geringwertigen oder mit einem Makel behafteten Interessen sowie bei solchen, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solchen, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2015 - 4 CN 5.14 - NVwZ 2015, 1457 Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt auch für die verschiedenen von der Beschwerde in den Blick genommenen Situationen.

8 2. Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich klären lassen,
ob sich ein Eigentümer von Grundstücken im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens gegen die benachbarte Festsetzung eines Bebauungsplans für einen Friedhof oder jedenfalls für einen Friedhof in Form eines Ruheforstes wegen Nutzungskonflikten zu einer geplanten Hotelanlage oder einen geplanten Gewerbebetrieb auf einen abwägungserheblichen Belang, also ein mehr als nur geringfügiges, schutzwürdiges Interesse berufen kann.

9 Die Beschwerde geht zutreffend davon aus, dass antragsbefugt nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist, wer sich auf einen abwägungserheblichen privaten Belang berufen kann. Denn wenn es einen solchen Belang gibt, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat (BVerwG, Urteil vom 30. April 2004 - 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 137 und Beschluss vom 17. Dezember 2012 - 4 BN 19.12 - BRS 79 Nr. 65 Rn. 3).

10 Die aufgeworfene Frage ist indes einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Städtebauliche Bedeutung kann grundsätzlich jeder nur denkbare Gesichtspunkt erhalten, sobald er die Bodennutzung betrifft oder sich auf diese auswirkt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn vorhandene oder durch eine Planung entstehende Probleme oder Konflikte dadurch bewältigt werden sollen, dass für Grundstücke bestimmte Nutzungen zugewiesen, eingeschränkt oder untersagt werden oder dass eine räumliche Zuordnung oder Trennung von Nutzungen erfolgt (BVerwG, Beschluss vom 6. Dezember 2011 - 4 BN 20.11 - BauR 2012, 621 Rn. 5). So fordert der Schutz der Bestattung und des Totengedenkens Rücksichtnahme durch die Nachbarschaft; zugleich ist Rücksichtnahme auf die Nachbarschaft gefordert. Eine Koordination dieser widerstreitenden Belange lässt sich sachgerecht nur im Wege der Abwägung unter Würdigung der öffentlichen und nachbarlichen Interessen sicherstellen (BVerwG, Urteil vom 2. Februar 2012 - 4 C 14.10 - BVerwGE 142, 1 Rn. 23). Ungeachtet der Anerkennung privater nachbarlicher Belange können diese im Einzelfall geringfügig und damit nicht abwägungserheblich sein. Die insoweit zu beachtenden Umstände, namentlich die örtlichen Verhältnisse, etwa Blickbeziehungen oder Entfernungen, und die konkrete Gestaltung der benachbarten Nutzungen sind so vielgestaltig, dass die Grenze der Geringfügigkeit sich rechtsgrundsätzlicher Klärung entzieht.

11 II. Die Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO bleibt erfolglos. Allerdings liegt ein Verfahrensfehler vor, wenn das Normenkontrollgericht die Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO überspannt und damit die prozessuale Bedeutung dieser Vorschrift verkennt (BVerwG, Beschlüsse vom 29. Juli 2013 - 4 BN 13.13 - BRS 81 Nr. 64 Rn. 6 und vom 11. November 2015 - 4 BN 39.15 - ZfBR 2016, 156 Rn. 4). Daran fehlt es.

12 1. Der Verwaltungsgerichtshof hat eine reale Grundlage für die Befürchtung des Antragstellers nicht erkennen können, mögliche Gäste des Hotels würden von einer Buchung Abstand nehmen oder Hotelgäste abreisen, wenn sie von der Existenz des Ruheforstes erführen.

13 Die hieran geübte Kritik der Beschwerde greift nicht durch. Sie erwartet, dass sich Hotelgäste an der Nähe eines Friedhofs störten, sie wollten nicht in ihrem Urlaub mit dem Tod konfrontiert werden, weil sie auf einen Friedhof blickten und das Gefühl hätten, von einem Friedhof umgeben zu sein. Diese Kritik verfehlt die örtlichen Verhältnisse: Die Grundstücke des Antragstellers grenzen nicht an den Ruheforst an, sondern an die festgesetzte Zuwegung. Von ihnen aus erscheint das Gebiet weiterhin als Waldgebiet, ungeachtet der vom Bebauungsplan zugelassenen Hinweistafeln, Andachtsplätze und künstlerischen Objekte. Diese Anlagen können von den Grundstücken des Antragstellers nicht wahrgenommen werden, weil der Ruheforst inmitten eines forstwirtschaftlich genutzten Waldgebietes liegt. Auch der am nächsten liegende, nach Nordwesten verlaufende Grenzabschnitt des Plangebiets ist von den Grundstücken des Antragstellers aus nicht wahrnehmbar, noch weniger die innerhalb des Waldes zulässigen baulichen Anlagen auf dem insgesamt zur S. hin abfallenden Gelände. Gleiches gilt für die innerhalb des Ruheforstes stattfindenden Trauerfeiern. Schließlich sind die Grundstücke des Antragstellers nicht von dem Ruheforst umgeben, vielmehr liegt dieser nördlich, überwiegend in erheblichem Abstand und erstreckt sich in westlicher Richtung weit in einen Bereich, der städtebaulich Bezüge zu der geplanten Hotelanlage nicht erkennen lässt.

14 Allerdings werden Gäste des Hotels den Verkehr auf der Zuwegung zu dem Ruheforst wahrnehmen können. Dies überschreitet indes nicht die Schwelle der Geringfügigkeit. Dass Betrachter gelegentlich das Fahrzeug eines Bestattungsunternehmens als solches erkennen und damit der Endlichkeit menschlichen Lebens gewahr werden, mag zutreffen, führt aber nicht auf einen schutzwürdigen Belang. Denn ein von solchen Gedanken völlig unbeschwertes Gemüt ist kein Belang, der in die städtebauliche Abwägung einzugehen hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 12. Dezember 2000 - 1 BvR 1762/95 u.a. - BVerfGE 102, 347 <364>). Dies gilt auch, wenn die Wahrnehmung während eines Urlaubs oder durch ältere Menschen geschieht. Ebenso wenig führt der Anblick von Fahrzeugen der Trauergäste auf einen mehr als geringfügigen Belang. Bei Fehlen eines äußeren Kennzeichens, etwa eines Trauerflors, wird in der Regel nicht erkennbar sein, dass sich das jeweilige Fahrzeug auf dem Weg zu einer Trauerfeier befindet. Selbst wenn dieser Anlass der Fahrt aber erkennbar wäre oder von einem Betrachter vermutet würde, handelte es sich um einen Anblick, der als Ausdruck des Totengedenkens Teil menschlichen Lebens ist und dessen Verhinderung kein mehr als geringfügiger Belang ist.

15 2. Der Antragsteller sieht indes eine Abwägungserheblichkeit, weil die Bestattung in einem Ruheforst aus religiösen Gründen auf Widerstand stoße und insbesondere von der katholischen Kirche kritisch gesehen werde. Dies führt indes nicht auf einen bauleitplanerischen Belang. Zwar sind die von den Kirchen und Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts festgestellten Erfordernisse für Gottesdienst und Seelsorge nach § 1 Abs. 6 Nr. 6 BauGB bei der Aufstellung von Bauleitplänen und damit etwa bei der Planung von kirchlichen Friedhöfen zu berücksichtigen (Schrödter/Wahlhäuser, in: Schrödter, BauGB, 8. Aufl. 2015 § 1 Rn. 383). Ein solcher Friedhof steht hier indes nicht in Rede. Hiervon unabhängig handelt es sich nicht um einen Belang des Antragstellers. Schließlich bietet die Beschwerde auch keinen greifbaren Anhaltspunkt für die Befürchtung, mögliche Gäste könnten von einem Hotelaufenthalt Abstand nehmen, weil in der Nähe ein Waldgebiet für eine Form der Bestattung genutzt wird, die sie aus religiösen Gründen für sich und ihre Angehörigen ablehnen.

16 3. Schließlich führt die Befürchtung des Antragstellers, Einschränkungen des Hotelbetriebs hinnehmen zu müssen, nicht auf einen mehr als geringfügigen abwägungserheblichen Belang.

17 Die Antragsbefugnis setzt voraus, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, dass er durch den zur Prüfung gestellten Rechtssatz in einem subjektiven Recht - hier aus § 1 Abs. 7 BauGB - verletzt wird (BVerwG, Urteil vom 30. April 2004 - 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 137). Der Antragsteller macht indes selbst nicht geltend, er habe dem Verwaltungsgerichtshof derartige Tatsachen vorgetragen, sondern beruft sich erst in seiner Beschwerde auf diesen Belang. Schon deshalb kann dem Verwaltungsgerichtshof ein Verfahrensfehler nicht vorgeworfen werden.

18 Hiervon unabhängig legt auch die Beschwerde die notwendigen Tatsachen nicht substantiiert dar, die auf einen städtebaulichen Belang führen könnten. Der Antragsteller verweist pauschal auf Auflagen hinsichtlich der "Lautstärke von Außenveranstaltungen (z.B. Sommerfesten in der Parkanlage, Hochzeiten mit Musikdarbietungen, Jazz-Konzerte im Park etc.)", ohne dies näher zu konkretisieren. Dies reicht angesichts der konkreten Örtlichkeiten nicht aus. Die geplante Hotelanlage ist nach Süden hin ausgerichtet und damit dem Ruheforst abgewandt; sie soll auch von dort erschlossen werden. Der weit überwiegende Teil des Ruheforstes erstreckt sich, abgeschirmt von dem umliegenden Waldgebiet, in einer Entfernung, welche die Befürchtung des Antragstellers als fernliegend erscheinen lässt. Schließlich ist angesichts der Zahl von etwa 200 erwarteten Urnenbestattungen im Jahr, der gewöhnlichen Dauer von Bestattungsfeiern und der zu erwartenden Durchführung am Vor- oder Nachmittag nicht erkennbar, dass die Befürchtung des Antragstellers mehr als eine Spekulation ist.

19 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.