Verfahrensinformation

Ein Gemeindeverwaltungsverband wendet sich mit der Normenkontrolle gegen den Regionalplan für die Region Stuttgart, soweit er darin nicht zu einem Unterzentrum in der Region bestimmt worden ist. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat die Auffassung vertreten, ein derartiges Begehren könne nur im Wege einer Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO vor dem Verwaltungsgericht verfolgt werden, und hat den Normenkontrollantrag als unzulässig abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht wird die Frage nach der statthaften Verfahrensart zu beantworten haben, wenn - wie hier - nicht die Gültigkeit einer Norm in Frage gestellt, sondern ein Unterlassen mit dem Ziel einer Normergänzung geltend gemacht wird.


Urteil vom 16.04.2015 -
BVerwG 4 CN 2.14ECLI:DE:BVerwG:2015:160415U4CN2.14.0

Leitsatz:

Ein Antrag gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, der nicht auf Feststellung der Unwirksamkeit, sondern auf Feststellung der Ergänzungsbedürftigkeit einer untergesetzlichen Norm gerichtet ist, ist im Normenkontrollverfahren nicht statthaft.

  • Rechtsquellen
    VwGO § 43, § 47 Abs. 1 Nr. 2

  • VGH Mannheim - 31.10.2013 - AZ: VGH 8 S 3026/11

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 16.04.2015 - 4 CN 2.14 - [ECLI:DE:BVerwG:2015:160415U4CN2.14.0]

Urteil

BVerwG 4 CN 2.14

  • VGH Mannheim - 31.10.2013 - AZ: VGH 8 S 3026/11

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 16. April 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz, Dr. Decker und Dr. Külpmann
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Antragstellers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 31. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Antragsteller, ein Gemeindeverwaltungsverband, wendet sich mit der Normenkontrolle gegen den als Satzung erlassenen Regionalplan des Antragsgegners, soweit er, hilfsweise seine Mitgliedsgemeinden, nicht als Unterzentrum festgelegt worden sind.

2 Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag als nicht statthaft abgewiesen. Ziel der Normenkontrolle des Antragstellers sei nicht die Feststellung der Unwirksamkeit einer unvollständigen Norm und damit die Kassation der Regelung. Sowohl nach dem Wortlaut seines Antrags als auch unter Würdigung der schriftlichen wie mündlichen Antragsbegründung nach § 88 VwGO begehre der Antragsteller eine Feststellung nur, soweit eine Regelung im Regionalplan nicht getroffen worden sei. Dieses Begehren könne nur im Wege einer Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO vor dem Verwaltungsgericht verfolgt werden.

II

3 Die Revision des Antragstellers ist unbegründet. In Übereinstimmung mit Bundesrecht hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass ein Antrag gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, der nicht auf Feststellung der Unwirksamkeit, sondern auf Feststellung der Ergänzungsbedürftigkeit einer untergesetzlichen Norm gerichtet ist, im Normenkontrollverfahren nicht statthaft ist.

4 1. Nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO entscheidet das Oberverwaltungsgericht im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit von anderen als den in Nr. 1 genannten, im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies - wie hier - bestimmt. Gegenstand des Normenkontrollverfahrens nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist die Gültigkeit einer Rechtsvorschrift. Die Norm muss - wie es in § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO heißt und auch für § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO gilt - "erlassen", also bereits in Kraft getreten sein. Eine Normenkontrolle, die auf Erlass einer untergesetzlichen Regelung gerichtet ist, ist daher unstatthaft (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 28. November 2007 - 9 C 10.07 - BVerwGE 130, 52 Rn. 13 und Beschluss vom 15. Oktober 2001 - 4 BN 48.01 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 152 S. 71).

5 Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, dass die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie nach § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 VwGO für unwirksam. Ein Rechtsgrund für eine Unwirksamkeit kann darin liegen, dass der Normgeber unter Verstoß gegen höherrangiges Recht einen bestimmten Sachverhalt nicht berücksichtigt und damit eine rechtswidrige, unvollständige Regelung erlassen hat. Zielt ein Normenkontrollantrag dagegen auf Ergänzung einer vorhandenen Norm, ohne deren Wirksamkeit in Frage zu stellen, ist der Weg der Normenkontrolle nicht eröffnet (BVerwG, Urteile vom 7. September 1989 - 7 C 4.89 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 93 S. 55, vom 3. November 1988 - 7 C 115.86 - BVerwGE 80, 355 <358 ff.>, vom 4. Juli 2002 - 2 C 13.01 - Buchholz 240 § 49 BBesG Nr. 2 S. 2, vom 28. November 2007 - 9 C 10.07 - BVerwGE 130, 52 Rn. 13 und vom 30. September 2009 - 8 CN 1.08 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 177 Rn. 18).

6 Der Wortlaut des § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO ist eindeutig und lässt keinen Raum für Ergänzungen des Tenors. Dass der Antragsteller in Anlehnung an den Wortlaut des § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO beantragt, den Plansatz „insoweit für unwirksam zu erklären“, als er in ihm nicht als Unterzentrum berücksichtigt worden ist, führt nicht auf eine Tenorierung i.S.d. § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Eine nicht vorhandene („erlassene“) Norm kann nicht für unwirksam erklärt werden. Dem Antragsteller geht es nach eigenem Bekunden allein darum, dass eine Norm um eine (noch nicht erlassene) Regelung ergänzt werden soll und nicht um die Unwirksamkeit der Norm wegen Unvollständigkeit.

7 Wie der Senat zur Änderung des § 47 Abs. 5 VwGO durch das EAG Bau vom 24. Juni 2004 (BGBl. I S. 1359) klargestellt hat, gibt § 47 Abs. 5 VwGO keinen Raum für Ergänzungen des Tenors über die Feststellung der Unwirksamkeit hinaus (BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2011 - 4 BN 8.11 - BRS 78 Nr. 82 Rn. 5). Das Normenkontrollgericht hat sich auf die Kassation von Rechtsvorschriften zu beschränken und muss sich nicht zu Möglichkeiten einer Fehlerbehebung verhalten. Weder Antragsteller noch Antragsgegner können das Normenkontrollgericht prozessual zwingen, bestimmte Fehler zu beurteilen und sie als durchgreifend oder umgekehrt als nicht gegeben anzusehen (BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2001 - 4 BN 21.01 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 148 S. 63).

8 Es ist nicht Aufgabe des Normenkontrollverfahrens, eine bestimmte Art der Fehlerbehebung durch Feststellungen, die über den Ausspruch der Unwirksamkeit hinausgehen, in den Raum zu stellen, bevor der Normgeber darüber entschieden hat. Der Antragsteller verlangt indes über die zunächst zu prüfende Feststellung der Fehlerhaftigkeit hinaus eine gerichtliche Aussage zur Rechtmäßigkeit einer bestimmten Art der Fehlerbehebung, nämlich durch seine Aufnahme in den Kreis der Unterzentren. Es ist aber grundsätzlich Sache des Normgebers, welche Konsequenzen er aus der gerichtlich festgestellten Fehlerhaftigkeit zieht. Das folgt aus der im Gewaltenteilungsgrundsatz angelegten Entscheidungsfreiheit der rechtsetzenden Organe (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006 - 1 BvR 542/02 - BVerfGE 115, 81 <93>).

9 Die Verpflichtung des Normgebers, die Entscheidungsformel im Falle der Erklärung als unwirksam nach § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre, bestätigt den Befund, dass eine stattgebende Normenkontrollentscheidung (nur) die Kassation der Norm zur Folge hat. Mit dem actus contarius der Veröffentlichung wird spiegelbildlich zur Verkündung inter omnes Kenntnis von der Unwirksamkeit vermittelt und der Rechtsschein der Norm verlässlich beseitigt. Damit verträgt sich ein Ausspruch nicht, der die Ergänzungsbedürftigkeit einer Norm zum Gegenstand hat.

10 2. Für eine erweiternde Auslegung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO im Wege der Analogie fehlt es bereits an einer Regelungslücke. Zutreffend hat der Verwaltungsgerichtshof auf die Möglichkeit des Rechtsschutzes im Wege der Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO hingewiesen.

11 Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Gegenstand der Feststellungsklage muss ein streitiges konkretes Rechtsverhältnis sein, d.h., es muss "in Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten bereits überschaubaren Sachverhalt streitig" sein. Das setzt voraus, dass zwischen den Parteien dieses Rechtsverhältnisses ein Meinungsstreit besteht, aus dem heraus sich eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite verlangen zu können (BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010 - 8 C 38.09 - BVerwGE 136, 75 Rn. 32). Das kann auch ein Streit über die Änderung oder Ergänzung einer Rechtsnorm im Range unterhalb eines förmlichen Gesetzes sein. Die untergesetzliche Rechtsnorm wird zwar als abstrakt-generelle Regelung im Interesse der Allgemeinheit erlassen. Das schließt jedoch nicht aus, dass der einzelne durch die Norm Begünstigte einen Anspruch auf ihren Erlass oder ihre Änderung haben kann. Ein solcher Anspruch kann sich aus höherrangigem Recht ergeben. Besteht ein Anspruch auf Erlass oder Änderung einer Rechtsvorschrift, kann er auch gerichtlich durchgesetzt werden (BVerwG, Urteil vom 28. November 2007 - 9 C 10.07 - BVerwGE 130, 52 Rn. 13). Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet Rechtsschutz nicht nur gegen höherrangiges Recht verletzende Rechtssetzungsakte, sondern auch gegen ein mit höherrangigem Recht unvereinbares Unterlassen des Normgebers (BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2002 - 2 C 13.01 - Buchholz 240 § 49 BBesG Nr. 2 S. 2. In diesem Fall liegt ein der Klärung zugängliches konkretes Rechtsverhältnis i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 2007 - 9 C 10.07 - BVerwGE 130, 52 Rn. 17).

12 Ausgerichtet ist das Verfahren der Feststellungsklage an der subjektiven Rechtsposition des Klägers. Zulässig ist die Klage nur, wenn es dem Kläger um die Verwirklichung eigener Rechte geht. Dass ihm solche Rechte zustehen, muss nach seinem Vorbringen zumindest möglich erscheinen (BVerwG, Urteil vom 28. November 2007 - 9 C 10.07 - BVerwGE 130, 52 Rn. 14). Auf die Verletzung subjektiver Rechte beschränkt sich auch die materiell-rechtliche Prüfung. Insofern decken sich Zulässigkeit und Begründetheit der Klage. Anders als das Verfahren der Normenkontrolle, das sowohl dem subjektiven Rechtsschutz als auch der objektiven Rechtskontrolle dient (BVerwG, Beschluss vom 30. Juli 2014 - 4 BN 1.14 - juris Rn. 12; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 1989 - 4 N 3.87 - BVerwGE 82, 225 <230>), dient die Feststellungsklage allein dem Individualrechtsschutz (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - juris Rn. 65 m.w.N.). Es geht gerade nicht um die Rechtmäßigkeit der Gesamtregelung. In den Blick genommen wird das normgeberische Versäumnis im konkreten Einzelfall des jeweiligen Klägers. Eben darauf zielt im vorliegenden Fall das Begehren des Antragstellers, dem es darum geht, seine Einbeziehung in den Geltungsbereich der Norm zu erreichen. Dem entspricht, dass das Ergebnis des Verfahrens im Falle des Erfolges nur die Beteiligten bindet. Nur so bleibt die im Gewaltenteilungsgrundsatz angelegte Entscheidungsfreiheit des Normgebers gewährleistet. Dass die für die Feststellungsklage erstinstanzlich zuständigen Verwaltungsgerichte die Wirksamkeit untergesetzlicher Normen zu prüfen haben, ist keine Besonderheit, die gegen die Anwendbarkeit des § 43 VwGO spricht. Im Rahmen der Inzidentkontrolle haben die Verwaltungsgerichte regelmäßig zu überprüfen, ob eine untergesetzliche Norm gegen höherrangiges Recht verstößt. Nach alledem erweist sich die Feststellungsklage als ein grundsätzlich geeignetes Verfahren, um Ansprüche auf Erlass oder Ergänzung einer untergesetzlichen Regelung geltend zu machen.

13 3. Zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof darauf hingewiesen, dass die mangelnde Statthaftigkeit der Normenkontrolle nicht nur den Hauptantrag, sondern gleichermaßen die Hilfsanträge betrifft, weil der Antragsteller auch insoweit nicht die Unwirksamkeit der Norm wegen Unvollständigkeit, sondern die Ergänzungsbedürftigkeit der Regelung, nun zugunsten seiner Mitgliedsgemeinden bzw. einer bestimmten Mitgliedsgemeinde, geltend macht.

14 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.