Verfahrensinformation

Der Kläger wurde 1959 als pakistanischer Staatsangehöriger geboren. Er reiste 1977 erstmals in die Bundesrepublik ein. 1986 legte er eine pakistanische Urkunde über die Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen vor. Daraufhin wurde ihm 1986 eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung, 1989 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und 1994 (nach Eheschließung mit einer anderen Deutschen) eine Aufenthaltsberechtigung erteilt. 1998 wurde er eingebürgert. 2001 stellte sich heraus, dass die Urkunde über die Eheschließung im Jahr 1986 eine Fälschung und er darüber hinaus bereits seit 1982 mit einer Pakistanerin verheiratet war. Daraufhin wurde die Einbürgerung bestandskräftig wegen Täuschung zurückgenommen. Nach rechtskräftiger Abweisung seiner Klage gegen die Rücknahme der Einbürgerung beantragte der Kläger 2004 die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung. Die Beklagte erteilte ihm wegen bestehender Bindungen zu seiner minderjährigen Tochter eine befristete Aufenthaltserlaubnis, lehnte aber die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ab. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Rücknahme seiner Einbürgerung zur Folge habe, dass seine zuvor erteilte Aufenthaltsberechtigung wieder auflebe und nun als Niedererlassungserlaubnis fortgelte. Das OVG Lüneburg hat seine Klage hingegen abgewiesen. Der Senat hat die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, ob der einem Ausländer erteilte unbefristete Aufenthaltstitel bei dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung im Falle der rückwirkenden Aufhebung der Einbürgerung fortgilt oder wiederauflebt oder sich auf einen Anspruch auf Wiedererteilung eines solchen Aufenthaltstitels (hier: Niederlassungserlaubnis) auswirkt.


Verfahrensinformation

Der Kläger, ein marokkanischer Staatsangehöriger, war 2001 zum Zweck des Ehegattennachzugs zu seiner deutschen Ehefrau nach Deutschland gekommen. Er hatte hier zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis und später eine Niederlassungserlaubnis erhalten und war im Dezember 2006 eingebürgert worden. Die Einbürgerung wurde allerdings im September 2007 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, da der Kläger im Einbürgerungsverfahren verschwiegen hatte, dass er von seiner Ehefrau bereits seit Mai 2006 dauernd getrennt lebte. Die dagegen gerichtete Klage wurde 2008 rechtskräftig abgewiesen. Nachdem der Kläger sich im Anschluss daran vergeblich auf das Fortbestehen seiner Niederlassungserlaubnis berufen hatte, beantragte er bei der Ausländerbehörde der Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als ehemaliger Deutscher nach § 38 Abs. 1 AufenthG. Diese lehnte den Antrag im Januar 2009 ab, da die Vorschrift auf Fälle der Rücknahme einer Einbürgerung nicht anwendbar sei, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Marokko an. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zur Neubescheidung des Klägers verpflichtet. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat die Klage dagegen abgewiesen. Die Rücknahme der Einbürgerung habe den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit von Anfang an beseitigt, so dass der Kläger nie Deutscher gewesen sei und daher nicht von § 38 Abs. 1 AufenthG erfasst werde. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision.


Pressemitteilung Nr. 33/2011 vom 19.04.2011

Aufenthaltsrecht des Ausländers nach Rücknahme der Einbürgerung

Die Niederlassungserlaubnis, die ein Ausländer vor seiner Einbürgerung als Deutscher besessen hat, lebt nicht wieder auf, wenn die deutsche Staatsangehörigkeit rückwirkend wegen einer durch Täuschung erwirkten Einbürgerung entzogen wird. Vielmehr bedarf es der Erteilung eines neuen Aufenthaltstitels. Dabei kommt in besonderen Fällen auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in entsprechender Anwendung der Regelung für ehemalige Deutsche (§ 38 Aufenthaltsgesetz - AufenthG) in Betracht. Dies setzt allerdings voraus, dass die frühere Niederlassungserlaubnis nicht ebenfalls durch Täuschung erwirkt war. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Frage, welche Rechtsfolgen die Rücknahme einer Einbürgerung für den weiteren Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland hat, stellte sich dem Bundesverwaltungsgericht in zwei Verfahren. Das eine Verfahren betraf einen aus Pakistan stammenden Kläger, dem wegen der Ehe mit einer Deutschen der Aufenthalt in Deutschland erlaubt worden war. Er erhielt in der Folgezeit einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Gleichzeitig war er auch mit einer Frau in Pakistan verheiratet. Dies hatte er gegenüber den deutschen Behörden verschwiegen. Bekannt wurde dies erst nach der Einbürgerung des Klägers und führte zu deren Rücknahme. Der Kläger erhielt mit Rücksicht auf sein minderjähriges deutsches Kind eine (befristete) Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen. Seinen Antrag auf Wiedererlangung des ursprünglichen, unbefristeten Aufenthaltstitels (jetzt: Niederlassungserlaubnis) aus der Zeit vor der Einbürgerung lehnte die Ausländerbehörde ab. Die hiergegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg.


Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass der frühere unbefristete Aufenthaltstitel mit der Einbürgerung unwirksam wird (§ 43 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz) und nach deren Rücknahme nicht wieder auflebt. Dies ergibt sich vor allem aus der in § 38 AufenthG getroffenen Regelung, die bei Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft mit Wirkung für die Zukunft nicht vorsieht, dass der alte Aufenthaltstitel automatisch wieder auflebt. Diese Wertung des Gesetzgebers verlangt, Ausländer, deren Einbürgerung - etwa wegen einer vom Ausländer begangenen Täuschung - mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben wird, nicht besser zu stellen. Ein automatisches Wiederaufleben der alten Aufenthaltsberechtigung kommt deshalb nicht in Betracht. Aus den gleichen Gründen steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Neuerteilung einer Niederlassungserlaubnis in Anknüpfung an den früheren unbefristeten Aufenthaltstitel zu.


In dem zweiten Verfahren ging es um einen marokkanischen Staatsangehörigen, der 2001 zu seiner deutschen Ehefrau nach Deutschland gezogen war, im März 2006 eine Niederlassungserlaubnis erhalten hatte und Ende 2006 eingebürgert worden war. Die Einbürgerung wurde im September 2007 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, da sich herausstellte, dass sich die Eheleute bereits mehr als ein halbes Jahr vor der Einbürgerung des Klägers getrennt hatten und der Kläger dies im Einbürgerungsverfahren verschwiegen hatte. Seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als ehemaliger Deutscher nach § 38 AufenthG lehnte die Ausländerbehörde ab und drohte ihm die Abschiebung nach Marokko an. Der Verwaltungsgerichtshof hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen, da die Vorschrift in Fällen einer erschlichenen und mit Rückwirkung aufgehobenen Einbürgerung keinen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel vermittle.


Das Bundesverwaltungsgericht hat die Berufungsentscheidung aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Es hält die für ehemalige Deutsche geltende aufenthaltsrechtliche Regelung des § 38 AufenthG in Fällen einer Rücknahme der Einbürgerung für entsprechend anwendbar. Bei der Einführung der gesetzlichen Grundlage für eine - bis zum Ablauf von fünf Jahren mögliche - Rücknahme der Einbürgerung (§ 35 Staatsangehörigkeitsgesetz) im Jahre 2009 hat der Gesetzgeber die aufenthaltsrechtlichen Folgen für den Betroffenen nicht geregelt. § 38 Abs. 1 bis 3 AufenthG regelt allerdings der Sache nach alle Fälle des sonstigen Verlusts der Staatsangehörigkeit mit Wirkung für die Zukunft. Er ermöglicht eine adäquate Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles auch in Fällen der Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit. Die entsprechende Anwendung der Vorschrift verhindert, dass es allein aufgrund der Rücknahme der Einbürgerung zu einer automatischen Aufenthaltsbeendigung ohne Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall kommen kann. Dies erlaubt zwar nicht die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, ermöglicht in besonderen Fällen aber die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Diese Auslegung führt im Ergebnis auch nicht zu einer ungerechtfertigten Privilegierung von Ausländern, die - wie der Kläger des ersten Falles - nicht nur die Einbürgerung, sondern auch den früheren unbefristeten Aufenthaltstitel durch Täuschung erlangt haben.


Da der Verwaltungsgerichtshof im Fall des marokkanischen Klägers weder Feststellungen zu den Umständen des Erwerbs der Niederlassungserlaubnis im März 2006 und der Täuschungshandlung im Einbürgerungsverfahren noch zu den sonstigen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen getroffen hat, war das Verfahren zur weiteren Aufklärung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.


BVerwG 1 C 2.10 - Urteil vom 19.04.2011

Vorinstanz:

, - vom -

BVerwG 1 C 16.10 - Urteil vom 19.04.2011

Vorinstanz:

, - vom -


Beschluss vom 15.01.2010 -
BVerwG 1 B 27.09ECLI:DE:BVerwG:2010:150110B1B27.09.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.01.2010 - 1 B 27.09 - [ECLI:DE:BVerwG:2010:150110B1B27.09.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 27.09

  • Niedersächsisches OVG - 30.09.2009 - AZ: OVG 12 LC 77/07

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Januar 2010
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:

  1. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwältin ..., ..., beigeordnet.
  2. Die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts über die Nichtzulassung der Revision gegen seinen Beschluss vom 30. September 2009 wird aufgehoben.
  3. Die Revision wird zugelassen.
  4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  5. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren vorläufig auf 5 000 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 und § 63 Abs. 1 GKG).

Gründe

1 Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 166 VwGO, §§ 114 ff., 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

2 Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.

3 Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Sie kann dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit zur Klärung der Frage geben, ob der einem Ausländer erteilte unbefristete Aufenthaltstitel bei dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung im Fall einer rückwirkenden Aufhebung der Einbürgerung fortgilt oder „wiederauflebt“ oder sich auf einen Anspruch auf Wiedererteilung eines solchen Aufenthaltstitels (hier: Niederlassungserlaubnis) auswirkt.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 1 C 2.10 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zugang dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Sätze 3 bis 6 VwGO vertreten lassen.

Beschluss vom 06.09.2010 -
BVerwG 1 B 11.10ECLI:DE:BVerwG:2010:060910B1B11.10.0

Beschluss

BVerwG 1 B 11.10

  • Hessischer VGH - 18.02.2010 - AZ: VGH 9 A 2080/09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. September 2010
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs über die Nichtzulassung der Revision gegen seinen Beschluss vom 18. Februar 2010 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren vorläufig auf 5 000 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 und § 63 Abs. 1 GKG).

Gründe

1 Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.

2 Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Sie kann dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit zur Klärung der Frage geben, ob ein Ausländer, dessen Einbürgerung ex tunc zurückgenommen wurde, ein ehemaliger Deutscher im Sinne des § 38 AufenthG ist bzw. ob der Aufenthaltstitel, den der Ausländer vor der Einbürgerung innehatte, im Fall einer rückwirkenden Aufhebung der Einbürgerung fortgilt oder „wiederauflebt“ oder sich auf einen Anspruch auf Wiedererteilung eines solchen Aufenthaltstitels (hier: Niederlassungserlaubnis) auswirkt.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 1 C 16.10 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO vertreten lassen.

Urteil vom 19.04.2011 -
BVerwG 1 C 16.10ECLI:DE:BVerwG:2011:190411U1C16.10.0

Leitsätze:

1. Nach Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit (jetzt § 35 StAG) kann für den Ausländer die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in entsprechender Anwendung der Regelung für ehemalige Deutsche in § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG in Betracht kommen.

2. Der Ausländer, dessen Einbürgerung zurückgenommen worden ist, hat erst dann Kenntnis vom Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne von § 38 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, wenn der Rücknahmebescheid bestandskräftig ist.

  • Rechtsquellen
    AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2; § 25 Abs. 5; § 38 Abs. 1, 3 und 5;
    § 55 Abs. 2 Nr. 1 und 2
    StAG § 17 Abs. 1 Nr. 7; §§ 35, 42
    VwVfG § 43 Abs. 2
    EMRK Art. 8 Abs. 1

  • Hessischer VGH - 18.02.2010 - AZ: VGH 9 A 2080/09
    VG Frankfurt am Main - 28.05.2009 - AZ: VG 1 K 189/09.F (V) 

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 19.04.2011 - 1 C 16.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:190411U1C16.10.0]

Urteil

BVerwG 1 C 16.10

  • Hessischer VGH - 18.02.2010 - AZ: VGH 9 A 2080/09
  • VG Frankfurt am Main - 28.05.2009 - AZ: VG 1 K 189/09.F (V) 

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2011
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
für Recht erkannt:

  1. Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Februar 2010 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und die Aufhebung der ihm gegenüber erlassenen Abschiebungsandrohung.

2 Der 1967 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er heiratete im Oktober 2001 in Marokko eine deutsche Staatsangehörige und reiste im Dezember 2001 mit einem Visum zum Zweck der Familienzusammenführung zu seiner Ehefrau in das Bundesgebiet ein. Anschließend erteilte ihm die Ausländerbehörde der Beklagten eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die zuletzt bis November 2005 verlängert wurde. Auf seinen Antrag auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis wurde ihm - nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes - im März 2006 eine Niederlassungserlaubnis erteilt. Am 19. Dezember 2006 erwarb er mit Aushändigung der Einbürgerungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland - unter Beibehaltung seiner marokkanischen Staatsangehörigkeit - die deutsche Staatsangehörigkeit.

3 Mit Bescheid vom 24. September 2007 nahm das Regierungspräsidium D. die Einbürgerung des Klägers mit Wirkung vom 19. Dezember 2006 zurück, nachdem sich aufgrund des Scheidungsurteils vom Juni 2007 herausgestellt hatte, dass der Kläger und seine Ehefrau bereits seit Mai 2006 getrennt gelebt hatten. Das Verwaltungsgericht wies die Klage gegen den Rücknahmebescheid im Januar 2008 ab. Das Urteil wurde mit der Ablehnung des Berufungszulassungsantrags durch Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Juni 2008 rechtskräftig.

4 Der Kläger machte unmittelbar danach bei der Ausländerbehörde der Beklagten geltend, er habe nunmehr wieder einen Rechtsanspruch auf eine Niederlassungserlaubnis. Die Beklagte meinte dagegen, der Kläger sei vollziehbar ausreisepflichtig, da er sich ohne erforderlichen Aufenthaltstitel in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Die Niederlassungserlaubnis habe sich mit der Einbürgerung erledigt und sei auch nicht durch die Rücknahme der Einbürgerung wieder aufgelebt. Ein entsprechender Bescheid mit einer Abschiebungsandrohung nach Marokko wurde im Klageverfahren im Rahmen eines Vergleichs vor dem Verwaltungsgericht im Dezember 2008 von der Beklagten zurückgenommen, nachdem der Kläger am 27. November 2008 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für ehemalige Deutsche nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG beantragt hatte.

5 Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 20. Januar 2009 ab. Sie setzte dem Kläger eine einmonatige Ausreisefrist und drohte ihm für den Fall der Nichtbeachtung der Frist die Abschiebung nach Marokko an. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, der Kläger sei kein „ehemaliger Deutscher“ im Sinne des § 38 AufenthG. Ehemaliger Deutscher wäre er nur, wenn die Einbürgerung allein mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen worden wäre. Eine Anwendung auch auf Einbürgerungsrücknahmen mit Wirkung für die Vergangenheit würde die Unterschiede zwischen der rückwirkenden und der nur in die Zukunft wirkenden Rücknahme verwischen. Unabhängig davon scheitere sein Antrag auch an der im Gesetz vorgesehenen sechsmonatigen Antragsfrist. Der Kläger habe mit Zugang des Rücknahmebescheids vom 24. September 2007 hinreichend sichere Kenntnis vom Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit erlangt. Ausgehend von diesem Datum sei der im November 2008 gestellte Antrag verfristet.

6 Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis neu zu entscheiden. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antrag sei rechtzeitig gestellt worden. Die Sechsmonatsfrist des § 38 Abs. 1 Satz 2 AufenthG beginne bei der Rücknahme der Einbürgerung frühestens mit der Bestands- oder Rechtskraft der Verfügung, soweit nicht deren Sofortvollzug angeordnet sei. Danach habe der Kläger die Frist eingehalten. Ihm könne eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38 Abs. 1 AufenthG auch nicht mit der Begründung verweigert werden, dass er kein ehemaliger Deutscher sei, weil seine Einbürgerung mit ex-tunc-Wirkung zurückgenommen worden sei. Die Vorschrift erfasse alle Personen, die eine objektiv innegehabte, wirksam erworbene deutsche Staatsangehörigkeit verloren hätten, wobei alle Verlustgründe des § 17 StAG erfasst seien. Hierzu gehöre auch die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung. Dabei gehe zwar die deutsche Staatsangehörigkeit rückwirkend bezogen auf den Erwerbszeitpunkt verloren. Es spreche aber einiges dafür, dass der Ausländer, dessen Einbürgerung zunächst wirksam - und nicht nichtig - gewesen sei, zumindest für eine logische Sekunde Deutscher geworden sei und daher § 38 Abs. 1 AufenthG unterfalle. Ein Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis würde allerdings voraussetzen, dass in seiner Person auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen vorlägen. Dies habe die Beklagte bisher nicht geprüft, so dass nur ein Bescheidungsurteil ergehen könne. Hinsichtlich des weitergehenden Verpflichtungsantrags werde die Klage deshalb abgewiesen.

7 Auf die Berufung der Beklagten hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. Februar 2010 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38 AufenthG innerhalb von sechs Monaten nach Kenntnis vom Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit gestellt habe. Denn der Kläger sei nicht ehemaliger Deutscher. Der Gesetzgeber habe mit Einführung des § 35 StAG durch das Änderungsgesetz vom 5. Februar 2009 klargestellt, dass die Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung immer mit Wirkung für die Vergangenheit erfolge. Der Betroffene werde also so gestellt, als hätte er die deutsche Staatsangehörigkeit niemals besessen. Die Annahme, in dieser Konstellation sei der Betroffene dennoch für eine juristische Sekunde Deutscher gewesen, widerspräche dem Konzept der Rückwirkung. Gerade mit der Rückwirkung solle der Einbürgerungsverwaltungsakt auf Dauer rückwirkend aus der Welt geschafft werden. Der Betroffene solle hieraus keinerlei Vergünstigungen ableiten können. Diese Ansicht finde ihre Stütze zudem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach gelte die deutsche Staatsangehörigkeit immer dann, wenn der Wegfall rückwirkend zum Erwerbszeitpunkt vorgesehen sei, von einem ex-post-Standpunkt aus als nie erworben. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38 AufenthG komme daher nicht in Betracht.

8 Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Er macht geltend, er sei als ehemaliger Deutscher im Sinne des § 38 Abs. 1 AufenthG anzusehen, da seine Einbürgerung nicht von vornherein unwirksam oder nichtig gewesen sei. Vielmehr sei, wie auch die Regelung in § 17 Abs. 1 Nr. 7 StAG zeige, die deutsche Staatsangehörigkeit erst mit der Rücknahme der Einbürgerung mit ex-tunc-Wirkung verloren gegangen. Dies bedeute aber, dass er sie einmal besessen habe und deshalb ehemaliger Deutscher sei.

9 Die Beklagte verteidigt die angefochtene Berufungsentscheidung.

II

10 Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Die Berufungsentscheidung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Kläger schon deshalb keine Aufenthaltserlaubnis nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erhalten könne, weil er nach Rücknahme seiner Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit nicht unter diese für ehemalige Deutsche getroffene Regelung falle. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen in der Berufungsentscheidung nicht selbst abschließend beurteilen kann, ob bei dem Kläger die sonstigen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorliegen, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

11 1. Gegenstand des Berufungs- und des Revisionsverfahrens ist nur noch das Begehren des Klägers, die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides - einschließlich der Abschiebungsandrohung - zur Neubescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zu verpflichten. Seine weitergehende Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist vom Verwaltungsgericht abgewiesen worden. Insoweit ist das Urteil rechtskräftig geworden, nachdem der Kläger dagegen kein Rechtsmittel eingelegt hat.

12 2. Das Berufungsgericht hat die Klage zutreffend als zulässig angesehen. Insbesondere hat der Kläger auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse für sein Neubescheidungsbegehren. Das Rechtsschutzbedürfnis würde ihm allerdings dann fehlen, wenn die ihm vor der Einbürgerung erteilte Niederlassungserlaubnis nach Rücknahme der Einbürgerung fortgelten würde oder wieder aufgelebt wäre. Denn dann würde die Erteilung einer geringerwertigen befristeten Aufenthaltserlaubnis seine Rechtsstellung nicht verbessern und käme auch von vornherein nicht in Betracht. Dies ist indes nicht der Fall. Wie der Senat in dem am gleichen Tag ergangenen Urteil im Verfahren BVerwG 1 C 2.10 (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) ausgeführt hat, erledigt sich mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch die Einbürgerung ein zuvor erteilter unbefristeter Aufenthaltstitel (hier die Niederlassungserlaubnis) auf sonstige Weise gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG und lebt auch durch die Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit nicht wieder auf. Wegen der Begründung im Einzelnen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in dem genannten Urteil Bezug genommen.

13 3. Auch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht unmittelbar auf die Bestimmung des § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG stützen kann, steht mit Bundesrecht in Einklang. Nach dieser seit dem 1. Januar 2005 geltenden Vorschrift, die keine Vorgängerregelung in dem bis dahin geltenden Ausländergesetz 1990 hat, ist einem ehemaligen Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er bei Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit seit mindestens einem Jahr seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte. Der Antrag auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels ist nach Satz 2 der Vorschrift innerhalb von sechs Monaten nach Kenntnis vom Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zu stellen. Nach § 38 Abs. 3 AufenthG kann der Aufenthaltstitel nach Absatz 1 der Vorschrift in besonderen Fällen abweichend von § 5 AufenthG erteilt werden.

14 Ausweislich der Gesetzesmaterialien zum Zuwanderungsgesetz wurde diese Regelung - ebenso wie die hier nicht einschlägige weitere Regelung über die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis an einen ehemaligen Deutschen, wenn er bei Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit seit fünf Jahren als Deutscher seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (§ 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) - als notwendig angesehen, weil der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, insbesondere nach dem Wegfall der so genannten Inlandsklausel in § 25 StAG durch den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit oder durch die Erklärung zu Gunsten der ausländischen Staatsangehörigkeit nach § 29 StAG („Optionsmodell“), auch bei gewöhnlichem Aufenthalt im Inland eintreten könne. § 38 Abs. 1 AufenthG setze im Grundsatz die Aufenthaltszeiten als Deutscher im Inland den Zeiten des rechtmäßigen Aufenthalts als Ausländer gleich (BTDrucks 15/420 S. 84). Die Begründung des Gesetzentwurfs zeigt, dass die Vorschrift für die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens im Staatsangehörigkeitsgesetz geregelten Fälle des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit konzipiert war. Der Fall der Rücknahme der Einbürgerung, deren Zulässigkeit und Voraussetzungen seinerzeit noch nicht abschließend geklärt waren, ist erst mit der Einfügung von § 35 und § 17 Abs. 1 Nr. 7 StAG durch das Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 158) als Verlustgrund gesetzlich geregelt worden. Er ist vom Gesetzgeber im Jahr 2004 bei der Neuregelung des § 38 AufenthG im Zuwanderungsgesetz ersichtlich nicht in den Blick genommen worden.

15 Mit dem Tatbestandsmerkmal des „ehemaligen Deutschen“ in § 38 Abs. 1 AufenthG hat der Gesetzgeber offenbar an den gleichen im Staatsangehörigkeitsgesetz verwendeten Begriff anknüpfen wollen (etwa in § 13 StAG - Einbürgerung eines ehemaligen Deutschen). Dass mit diesem Begriff im Staatsangehörigkeitsrecht auch diejenigen Personen erfasst werden sollen, deren Einbürgerung wegen arglistiger Täuschung, Drohung oder Bestechung oder vorsätzlicher unvollständiger oder unrichtiger Angaben mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist (§ 35 StAG), liegt fern. Die teilweise vertretene gegenteilige Auffassung (vgl. Huber, AufenthG, 1. Aufl. 2010, § 38 Rn. 3; Berlit, in: GK-AufenthG, Stand: Juni 2007, § 38 Rn. 9 und 14) steht in Widerspruch zu der vom Gesetzgeber in § 35 Abs. 4 StAG zwingend angeordneten Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit. Damit soll erreicht werden, dass der Betreffende in diesen Fällen jedenfalls im Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts rückwirkend so gestellt wird, als hätte er die deutsche Staatsangehörigkeit nie besessen. Deshalb kommt auch die teilweise in Betracht gezogene Annahme der Eigenschaft als Deutscher für eine logische Sekunde nicht in Betracht. Eine auf das Aufenthaltsgesetz beschränkte erweiternde Auslegung des staatsangehörigkeitsrechtlich geprägten Begriffs des ehemaligen Deutschen würde die Grenzen einer zulässigen Auslegung des Wortlauts überschreiten.

16 4. Gleichwohl ist die Berufungsentscheidung nicht mit Bundesrecht vereinbar, weil die Regelung für ehemalige Deutsche in § 38 Abs. 1 AufenthG in Fällen der Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit und damit auch im Fall des Klägers zwar nicht unmittelbar, aber doch entsprechend anzuwenden ist. Hinsichtlich der aufenthaltsrechtlichen Folgen der Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit besteht nämlich eine ungewollte Regelungslücke, die durch eine analoge Anwendung von § 38 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und 4 AufenthG auszufüllen ist.

17 Wie oben bereits dargestellt, hat der Gesetzgeber bei Einführung der Regelung für ehemalige Deutsche in § 38 AufenthG die aufenthaltsrechtlichen Folgen des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) regeln wollen und hat die Fälle der rückwirkenden Rücknahme der Einbürgerung dabei nicht in den Blick genommen. In den letztgenannten Fällen besteht hinsichtlich der aufenthaltsrechtlichen Folgen für den Betroffenen eine Regelungslücke. Da sich der Aufenthaltstitel, den er vor der Einbürgerung besessen hat, mit der Einbürgerung erledigt hat und auch nach deren rückwirkender Rücknahme nicht wieder auflebt (vgl. das oben bereits zitierte Urteil des Senats vom 19. April 2011 - BVerwG 1 C 2.10), könnte sich der Betroffene - ungeachtet der Dauer und Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts vor der Einbürgerung und ungeachtet des Gewichts seines konkreten Fehlverhaltens im Einbürgerungsverfahren - nur dann weiter erlaubt im Bundesgebiet aufhalten, wenn er einen Anspruch auf Neuerteilung eines Aufenthaltstitels nach den nunmehr geltenden Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes hätte, also etwa zum Zweck der Erwerbstätigkeit oder aus familiären oder humanitären Gründen. Für einen alleinstehenden Betroffenen stünde danach unter Umständen nur die Möglichkeit der Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG offen, wenn zu seinen Gunsten wegen einer Verwurzelung im Bundesgebiet ein Abschiebungsverbot nach Art. 8 Abs. 1 EMRK vorläge. Damit wäre aber nur ein begrenzter Kreis von Betroffenen erfasst, wie etwa hier geborene oder aufgewachsene Ausländer der zweiten Generation. In anderen Fällen könnte die Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit dagegen gleichsam automatisch und ohne Prüfung des Einzelfalles zu einer Aufenthaltsbeendigung führen. Ein derartiger aufenthaltsrechtlicher Eingriff infolge der Rücknahme einer Einbürgerung wäre aber mit Blick auf den nach Art. 2 Abs. 1 GG zu wahrenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fragwürdig und stünde auch in Widerspruch dazu, dass bei vergleichbaren Aufenthaltsbeendigungen - etwa durch Ausweisung und durch Rücknahme oder Widerruf eines Aufenthaltstitels - nach dem Gesetz eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der jeweiligen Gesamtumstände erforderlich ist. Eine solche Prüfung findet auch nicht schon im Rahmen der Ermessensentscheidung bei der Rücknahme der Einbürgerung statt. Denn die hierfür zuständigen Behörden haben über die aufenthaltsrechtlichen Folgen nicht selbst zu entscheiden und brauchen sie deshalb auch nicht in ihre Erwägungen einzubeziehen. Es kann deshalb nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber für die Fälle des rückwirkenden Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit eine aufenthaltsrechtliche Regelung treffen wollte, die unter Umständen zu der Beendigung eines langfristigen Aufenthalts im Bundesgebiet führen würde, ohne dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall stattfindet.

18 Deshalb kommt in Fällen der Rücknahme der Einbürgerung auch ein Rückgriff auf die Regelung in § 38 Abs. 5 AufenthG nicht in Betracht. Danach finden die Absätze 1 bis 4 des § 38 AufenthG entsprechende Anwendung auf einen Ausländer, der aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund bisher von deutschen Stellen als Deutscher behandelt worden ist. Abgesehen davon, dass der zunächst wirksam Eingebürgerte bis zur Rücknahme der Einbürgerung ex tunc von deutschen Stellen nicht irrtümlich, sondern zu Recht als Deutscher behandelt worden ist und deshalb kein „Scheindeutscher“ im Sinne dieser Vorschrift war, würde die Anwendung der Vorschrift in Fällen der Rücknahme der Einbürgerung im Ergebnis von vornherein zum Ausschluss eines entsprechenden Anspruchs führen. Denn die Behandlung als Deutscher ist von dem Betreffenden zwangsläufig zu vertreten, da dies Voraussetzung für eine Rücknahme der Einbürgerung ist. Es kann deshalb nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung auch die Fälle der Rücknahme der Einbürgerung erfassen und dabei eine automatische Aufenthaltsbeendigung ohne Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall in Kauf nehmen wollte.

19 Dass hinsichtlich der Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit aufenthaltsrechtlich eine ungewollte Regelungslücke vorliegt, wird durch die Gesetzgebungsmaterialien zum Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 5. Februar 2009 bestätigt. Auch bei Einführung der gesetzlichen Regelung der Rücknahme der Einbürgerung in § 35 StAG durch dieses Änderungsgesetz hat der Gesetzgeber sich der Auswirkungen einer solchen Maßnahme auf die aufenthaltsrechtliche Stellung des Betroffenen nicht angenommen. Er hat zwar die Auswirkungen der Rücknahme der Einbürgerung auf den Bestand der Staatsangehörigkeit Dritter (vgl. § 17 Abs. 2 StAG) und auf miteingebürgerte Dritte, z.B. Ehepartner oder Kinder (vgl. § 35 Abs. 5 StAG) geregelt, nicht aber die aufenthaltsrechtlichen Folgen für den Betroffenen selbst. Obwohl der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf insbesondere eine Regelung der Frage als dringend erforderlich angesehen hat, „welchen aufenthaltsrechtlichen Status ein von der Rücknahme Betroffener nach der Rücknahme erhält und wie die Zeit des Inlandsaufenthalts zwischen der Einbürgerung und der Rücknahme rechtlich einzuordnen ist“ (BTDrucks 16/10528 S. 12), hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung einen Handlungsbedarf verneint. Zur Begründung hat sie angeführt, die aufgeworfenen Fragen könnten im Rahmen der geltenden Gesetzeslage gelöst werden (BTDrucks 16/10695 S. 3), ohne auch nur ansatzweise zu erkennen zu geben, wie diese Fragen aus ihrer Sicht nach geltendem Recht zu beantworten sind. Wenn der Gesetzgeber aufgrund dieser Unterrichtung von einer vermeintlich klaren aufenthaltsrechtlichen Gesetzeslage ausgegangen ist, ist dem zu entnehmen, dass er sich weder über die bestehende Regelung noch über etwaige Regelungslücken im Klaren war.

20 Hiervon ausgehend erscheint eine entsprechende Anwendung der für Fälle des sonstigen Verlusts der Staatsangehörigkeit mit Wirkung für die Zukunft geschaffenen Regelungen des § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 (i.V.m. Satz 3 sowie Abs. 3 und 4) AufenthG sachgerecht. Sie ermöglicht eine adäquate Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles auch in Fällen der Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit und verhindert, dass es allein aufgrund der Rücknahme der Einbürgerung zu einer automatischen Aufenthaltsbeendigung ohne Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall kommen kann. Im Falle einer Unmöglichkeit der Ausreise aufgrund einer Verwurzelung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK ist der Betroffene auch nicht auf den „schlechteren“ Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG verwiesen, der ihn unter Umständen zur Aufgabe seiner bisherigen Erwerbstätigkeit zwingen oder ihm nur den Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - anstelle von Leistungen nach dem SGB II - erlauben würde. Die entsprechende Anwendung von § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG hat außerdem den Vorteil, dass die Frist von sechs Monaten nach § 38 Abs. 1 Satz 2 AufenthG für die Antragstellung gilt und dies eine zügige Klärung der aufenthaltsrechtlichen Situation im Anschluss an den Verlust der Staatsangehörigkeit befördert.

21 Eine zu weitgehende Begünstigung der Betroffenen in Fällen einer erschlichenen Einbürgerung ist damit nicht verbunden. Insbesondere kommt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG von vornherein nicht in Betracht, da hierfür erforderlich ist, dass der Betreffende „seit fünf Jahren als Deutscher seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte“. Diese zeitliche Voraussetzung kann in Fällen der Rücknahme der Einbürgerung nach § 35 StAG schon deshalb nicht erfüllt werden, weil die Rücknahme nur bis zum Ablauf von fünf Jahren nach der Einbürgerung erfolgen darf (§ 35 Abs. 3 StAG). Auch sonst führt die entsprechende Anwendung der Regelung im Ergebnis nicht zu einer ungerechtfertigten Privilegierung von Ausländern, die nicht nur die Einbürgerung, sondern auch den früheren unbefristeten Aufenthaltstitel durch Täuschung erlangt haben. Denn die analoge Anwendung des § 38 Abs. 1, 3 und 4 AufenthG setzt voraus, dass der Ausländer vor seiner Einbürgerung über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügte, der nicht der Rücknahme unterlag. Aus einem Aufenthaltstitel, bei dem Gründe für eine Rücknahme oder nachträgliche zeitliche Befristung vorlagen, kann der Betroffene nach rückwirkendem Verlust seiner deutschen Staatsangehörigkeit keine weitergehenden aufenthaltsrechtlichen Ansprüche ableiten, als ihm ohne die fehlgeschlagene Einbürgerung zugestanden hätten. Im Übrigen gelten bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG im Grundsatz die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG (§ 38 Abs. 3 AufenthG). Daher steht bei einem von Anfang an durch falsche Angaben erschlichenen Aufenthalt der erneuten Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis der Ausweisungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG entgegen. Die Annahme eines besonderen Falles ist bei einem solchen Sachverhalt regelmäßig ausgeschlossen. Bei einem auf die Einbürgerung begrenzten Fehlverhalten des Betroffenen dürfte zwar auch ein Ausweisungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG bestehen (jedenfalls seit Einführung der Strafvorschrift des § 42 StAG im Jahr 2009). Bei ansonsten erfolgreicher Integration bis zur Erteilung einer rechtmäßigen Niederlassungserlaubnis kann aber je nach den Gesamtumständen des bisherigen Aufenthalts ein besonderer Fall im Sinne des § 38 Abs. 3 AufenthG vorliegen, der die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis - nach Ermessen - ermöglicht. Bei Würdigung der Gesamtumstände ist allerdings zu Lasten des Betroffenen zu berücksichtigen, wenn in dem Erschleichen der Einbürgerung im konkreten Einzelfall ein besonders schwerwiegendes, eine Ausweisung rechtfertigendes Fehlverhalten lag. Für die Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gilt Entsprechendes.

22 5. Die Berufungsentscheidung, in der eine entsprechende Anwendung von § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auf den Kläger nicht geprüft wurde, erweist sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Insbesondere ist ein Anspruch des Klägers nach dieser Vorschrift nicht schon wegen Versäumung der Antragsfrist nach § 38 Abs. 1 Satz  2 AufenthG ausgeschlossen. Denn der Kläger hat mit seinem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 27. November 2008 die Sechsmonatsfrist gewahrt. Die Frist beginnt mit der Kenntnis vom Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit. Diese Kenntnis liegt entgegen der Ansicht der Beklagten in Fällen des Verlusts der Staatsangehörigkeit durch Rücknahme der Einbürgerung nicht schon mit dem Zugang des Rücknahmebescheides vor, sondern - sofern nicht der Sofortvollzug angeordnet wurde - erst mit dessen Bestandskraft. Denn erst dann steht für den Betroffenen fest, dass er vom Verlust seiner deutschen Staatsangehörigkeit ausgehen und sich um die Klärung seiner aufenthaltsrechtlichen Stellung als Ausländer bemühen muss. Der Rücknahmebescheid ist im vorliegenden Fall erst mit der Rechtskraft des klageabweisenden verwaltungsgerichtlichen Urteils (Ablehnung des Berufungszulassungsantrags mit Beschluss vom 9. Juni 2008) bestandskräftig geworden. Erst damit hatte der Kläger sichere Kenntnis davon, dass er nicht Deutscher war. Sein Antrag vom 27. November 2008 war damit rechtzeitig gestellt.

23 6. Da der Verwaltungsgerichtshof - aus seiner rechtlichen Sicht folgerichtig -weder Feststellungen zum Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG noch zum Vorliegen eines besonderen Falles im Sinne von § 38 Abs. 3 AufenthG getroffen hat, kann der Senat nicht selbst entscheiden, ob der Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erfüllt. Die Sache war deshalb zur weiteren Aufklärung insbesondere auch zu den Umständen des Erwerbs der Niederlassungserlaubnis durch den Kläger im März 2006 und dem Gewicht der Täuschungshandlung im Einbürgerungsverfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.

Urteil vom 19.04.2011 -
BVerwG 1 C 2.10ECLI:DE:BVerwG:2011:190411U1C2.10.0

Leitsatz:

Mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erledigt sich ein dem früheren Ausländer zuvor erteilter unbefristeter Aufenthaltstitel (hier: Aufenthaltsberechtigung nach § 27 AuslG 1990) auf sonstige Weise gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG und lebt auch durch die Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit nicht wieder auf.

  • Rechtsquellen
    AufenthG §§ 5, 9, 38 Abs. 1 und 3; § 104 Abs. 1 Satz 1
    AuslG 1990 §§ 1, 27, 44
    VwVfG §§ 35, 43 Abs. 2; § 48
    StAG § 35

  • Niedersächsisches OVG - 30.09.2009 - AZ: OVG 12 LC 77/07
    VG Braunschweig - 23.11.2006 - AZ: VG 5 A 88/06 

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 19.04.2011 - 1 C 2.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:190411U1C2.10.0]

Urteil

BVerwG 1 C 2.10

  • Niedersächsisches OVG - 30.09.2009 - AZ: OVG 12 LC 77/07
  • VG Braunschweig - 23.11.2006 - AZ: VG 5 A 88/06 

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2011
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Richter,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des
  2. Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. September 2009 wird zurückgewiesen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die ihm 1994 erteilte Aufenthaltsberechtigung als Niederlassungserlaubnis fortgilt, hilfsweise die Verpflichtung zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.

2 Der 1959 geborene Kläger stammt aus Pakistan. Er hat sechs Kinder, davon drei mit seiner jetzigen in Pakistan lebenden Ehefrau und drei mit deutschen Frauen. Er reiste erstmals im November 1977 nach Deutschland ein und stellte erfolglos einen Asylantrag. Im März 1982 kehrte er nach Pakistan zurück und heiratete dort im August 1982 seine heutige Ehefrau nach islamischem Ritus.

3 Im September 1986 erteilte ihm die Deutsche Botschaft in Islamabad ein Visum zum Zweck der Familienzusammenführung, nachdem er unter Vorlage einer Urkunde der „Orthodox Church of Pakistan“ behauptet hatte, die deutsche Staatsangehörige Frau M. im August 1986 in Pakistan geheiratet zu haben. Dabei hatte er seine vorausgegangene Eheschließung in Pakistan nicht angegeben. Er reiste im September 1986 nach Deutschland ein und erhielt hier im November 1986 zunächst eine befristete, im August 1989 dann eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

4 Die Ehe mit Frau M. wurde im Juli 1991 geschieden. Im Juli 1994 heiratete der Kläger in Dänemark die deutsche Staatsangehörige Frau S. Im September 1994 erteilte ihm der Beklagte daraufhin eine Aufenthaltsberechtigung. Der Kläger wurde auf seinen Antrag hin am 12. Januar 1998 eingebürgert, nachdem er zuvor aus der pakistanischen Staatsangehörigkeit entlassen worden war. Die Ehe mit Frau S. wurde im Oktober 2000 geschieden.

5 Im Januar 2001 sprach Frau Y., die in Pakistan lebende Ehefrau des Klägers, mit ihren drei Kindern bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Islamabad vor und begehrte ein Visum zum Zweck der Familienzusammenführung zum Kläger, der ihr Ehemann und Vater der Kinder sei. Erst dadurch erhielten die deutschen Behörden Kenntnis von der Ehe in Pakistan. In der Folge wurde zusätzlich bekannt, dass es eine „Orthodox Church of Pakistan“ in Rawalpindi, die angeblich die Urkunde über die Eheschließung des Klägers mit Frau M. ausgestellt hatte, zu keinem Zeitpunkt gegeben hat. Daraufhin nahm der Beklagte die Einbürgerung des Klägers mit Bescheid vom 13. November 2001 mit Wirkung für die Vergangenheit zurück. Die hiergegen gerichtete Klage wurde rechtskräftig abgewiesen.

6 Im November 2004 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung. Der Beklagte stellte ihm zwar einen Reiseausweis für Staatenlose aus und erteilte ihm im Januar 2006 eine befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zur Ausübung des Sorgerechts gegenüber seiner Tochter Laura, die aus der Verbindung mit Frau S. im August 1995 geboren worden war. Den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung lehnte der Beklagte jedoch mit Bescheid vom 8. März 2006 ab. Zur Begründung führte er unter anderem aus, dass sich die Aufenthaltsberechtigung vom September 1994 durch die Einbürgerung des Klägers nach § 43 Abs. 2 VwVfG erledigt habe. Nach Sinn und Zweck der Bestimmung könne sie nicht wieder aufleben. Auch eine neue Niederlassungserlaubnis könne ihm nicht erteilt werden, da er weder seit fünf Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitze noch sein Lebensunterhalt gesichert sei.

7 Mit seiner hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass die ihm am 19. September 1994 erteilte Aufenthaltsberechtigung als Niederlassungserlaubnis fortgelte, hilfsweise hat er die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer (neuen) Niederlassungserlaubnis beantragt. Das Verwaltungsgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Die Wirksamkeit des Verwaltungsakts, durch den dem Kläger die Aufenthaltsberechtigung erteilt worden sei, sei für die Vergangenheit nicht entfallen. Mit unanfechtbarer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung werde aufenthaltsrechtlich wieder an den im Zeitpunkt der Einbürgerung bestehenden ausländerrechtlichen Status angeknüpft.

8 Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das angegriffene Urteil durch Beschluss vom 30. September 2009 geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Mit der Einbürgerung des Klägers sei seine Aufenthaltsberechtigung unwirksam geworden, sie habe sich gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG erledigt. Mit der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde habe der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Damit sei der Regelungsgegenstand der ihm zuvor erteilten Aufenthaltsberechtigung, nämlich sein Aufenthaltsrecht als Ausländer im Bundesgebiet, entfallen. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei durch die mit ex-tunc-Wirkung versehene Rücknahme der Einbürgerung gemäß § 48 VwVfG die zuvor erloschene Aufenthaltsberechtigung nicht wieder wirksam geworden. Ein derartiges Wiederaufleben würde dem Erledigungstatbestand des § 43 Abs. 2 VwVfG widersprechen. Unter ausländerrechtlichen Gesichtspunkten sei es zwingend, dass für die erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels die dafür vorgesehenen Anspruchsvoraussetzungen aktuell erfüllt sein müssten und dies in einem Antragsverfahren geprüft werde. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Erteilung einer (neuen) Niederlassungserlaubnis sei ebenfalls unbegründet. Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sei über den Anspruch nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage zu entscheiden. Weder sei der Kläger seit acht Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis noch seit drei Jahren im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (vgl. § 27 Abs. 2 Nr. 1 AuslG 1990). Darüber hinaus erfülle er nicht das Erfordernis der Sicherung seines Lebensunterhalts aus eigener Erwerbstätigkeit. Im Zeitpunkt der Ablehnung seines Antrags und auch danach habe er Leistungen nach dem SGB II bezogen. Er beziehe auch jetzt noch solche Leistungen. Auch nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG könne er keine Niederlassungserlaubnis erhalten. Es fehle jedenfalls an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 5 AufenthG.

9 Der Kläger begründet die vom Senat zugelassene Revision im Wesentlichen wie folgt: Die Wirksamkeit der Aufenthaltsberechtigung von 1994 sei nicht entfallen. Zwar sei zunächst eine Erledigung dieses Titels mit seiner Einbürgerung eingetreten, denn ab diesem Zeitpunkt habe er die deutsche Staatsangehörigkeit besessen und keines Aufenthaltstitels mehr bedurft. Die Erledigung sei jedoch nur für den Zeitraum eingetreten, in dem er Deutscher gewesen sei, und habe mit unanfechtbarer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung geendet. Von diesem Zeitpunkt an sei er wieder Ausländer und habe wieder eines Aufenthaltstitels bedurft. Aufenthaltsrechtlich werde wieder an den aufenthaltsrechtlichen Status angeknüpft, der bis zur Einbürgerung bestanden habe. Die Zeit als „Deutscher“ müsse nachträglich im ausländerrechtlichen Sinne als rechtmäßiger Aufenthalt angesehen werden. Dies gelte umso mehr, als der Beklagte die vor Erlangung der Einbürgerung erworbenen Aufenthaltstitel nicht zurückgenommen habe. Er habe nicht einmal nach § 48 VwVfG geprüft, ob dies erforderlich gewesen wäre. Die früher erteilte Aufenthaltsberechtigung sei wieder wirksam geworden und gelte nunmehr als Niederlassungserlaubnis fort. Richtigerweise habe das Verwaltungsgericht auf § 38 AufenthG hingewiesen.

10 Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt den angegriffenen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts.

II

11 Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung durch dessen Einbürgerung ihre Wirksamkeit verloren hat (1.a), nicht wieder aufgelebt ist (1.b) und der Kläger auch keinen Anspruch auf Neuerteilung einer Niederlassungserlaubnis hat (2.).

12 1. Der Hauptantrag des Klägers, die Fortgeltung der ihm 1994 erteilten Aufenthaltsberechtigung als Niederlassungserlaubnis festzustellen, ist unbegründet. Mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch die Einbürgerung des Klägers im Jahr 1998 hat sich die ihm zuvor erteilte Aufenthaltsberechtigung gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG auf sonstige Weise erledigt und ist auch durch die Rücknahme der Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit nicht wieder aufgelebt.

13 a) Mit der Einbürgerung hat sich die dem Kläger nach § 27 AuslG 1990 erteilte Aufenthaltsberechtigung gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Niedersächsisches Verwaltungsverfahrensgesetz erledigt, also ihre äußere und innere Wirksamkeit verloren. Nach § 43 Abs. 2 VwVfG bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Er verliert folglich seine Wirksamkeit, wenn eine der in § 43 Abs. 2 VwVfG genannten Voraussetzungen eingetreten ist. So liegt es hier. § 43 Abs. 2 VwVfG ist auf Aufenthaltstitel nach dem Ausländergesetz 1990 - hier: die Aufenthaltsberechtigung des Klägers gemäß § 27 AuslG 1990 - anwendbar. Die auf diese besondere Fallkonstellation nicht bezogenen Erlöschenstatbestände nach § 44 AuslG 1990 (jetzt § 51 AufenthG) stehen dem nicht entgegen.

14 § 43 Abs. 2 VwVfG steht in innerem Zusammenhang mit der in § 35 Satz 1 VwVfG normierten Regelungsfunktion des Verwaltungsakts. Nach § 35 Satz 1 VwVfG ist Gegenstand des Verwaltungsakts eine nach außen gerichtete Regelung eines Einzelfalles. Indem das Gesetz normiert, dass der Verwaltungsakt auf eine Rechtswirkung „gerichtet“ ist, betont es die Finalität des Verwaltungshandelns in dieser Handlungsform (vgl. Urteil vom 20. Mai 1987 - BVerwG 7 C 83.84 - BVerwGE 77, 268 <271 ff.>). § 43 Abs. 2 VwVfG erfasst gewissermaßen spiegelbildlich die Fälle, in denen die dem Verwaltungsakt ursprünglich zukommende steuernde Funktion des Verwaltungshandelns nachträglich entfällt. Dies kann - wie die katalogartige Aufzählung des § 43 Abs. 2 VwVfG zeigt - in unterschiedlicher Weise geschehen. Das Gesetz unterscheidet hierbei zwischen einem eher formalisierten Handeln, das willentlich und zumeist einseitig auf die Aufgabe der steuernden Funktion des Verwaltungsakts gerichtet ist, und solchen Rechtslagen, in denen nicht eine einseitige Handlung, sondern die Sach- und Rechtslage selbst zur Beendigung der ehemaligen Rechtswirkung führt (vgl. Urteil vom 27. März 1998 - BVerwG 4 C 11.97  - Buchholz 316 § 43 VwVfG Nr. 10 S. 4). Als Beispiel nennt § 43 Abs. 2 VwVfG den Zeitablauf, ohne damit jedoch andere Fälle auszuschließen. § 43 Abs. 2 letzte Alternative VwVfG formuliert dies im Sinne eines Auffangtatbestandes als Erledigung „in anderer Weise“. Die Erledigung eines Verwaltungsakts tritt ein, wenn er nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (vgl. Urteil vom 25. September 2008 - BVerwG 7 C 5.08  - Buchholz 345 § 6 VwVG Nr. 1 S. 2).

15 Mit der Einbürgerung des Klägers ist der Regelungszweck der ihm erteilten Aufenthaltsberechtigung, der in der Vermittlung und Ausgestaltung seines Aufenthaltsrechts als Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland lag, weggefallen. Sein Aufenthalt in Deutschland bedurfte mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht mehr einer Aufenthaltsgenehmigung gemäß § 3 AuslG 1990, zumal das Gesetz nur auf Ausländer Anwendung findet (§ 1 AuslG 1990). Die Steuerungsfunktion der Aufenthaltsgenehmigung war hier nachträglich entfallen, der Aufenthaltstitel konnte ab dem Zeitpunkt der Einbürgerung keine Rechtsfolgen mehr zeitigen. Damit hatte sich die Aufenthaltsberechtigung auf andere Weise erledigt (§ 43 Abs. 2 VwVfG). Weder hätte es zur Beendigung der Wirksamkeit der Aufenthaltsberechtigung eines rechtsgestaltenden Akts bedurft noch ist ein solcher erfolgt.

16 b) Mit der rückwirkenden Aufhebung der Einbürgerung ist die erledigte Aufenthaltsberechtigung nicht wieder aufgelebt und konnte daher auch nicht mehr die ihr ursprünglich zukommenden Rechtswirkungen entfalten.

17 Welche Rechtsfolgen die rückwirkende Aufhebung eines zur Erledigung führenden Verwaltungsakts hat, ist nicht für das gesamte Verwaltungsrecht einheitlich zu beurteilen, sondern bestimmt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (vgl. Urteil vom 21. Juni 2007 - BVerwG 3 C 11.06 - BVerwGE 129, 66 <70>). Nur dies führt zu sachgerechten Ergebnissen, weil der häufig im jeweiligen Fachrecht verortete Grund der Erledigung und die Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets berücksichtigt werden können.

18 Mit Recht kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass das ordnungsrechtliche Grundanliegen des Ausländerrechts einem Wiederaufleben der erledigten Aufenthaltsberechtigung nach Rücknahme der Einbürgerung des Klägers entgegensteht. Denn die Ausländerbehörde konnte vom Zeitpunkt der Einbürgerung des Klägers an nicht mehr mit ausländerrechtlichen Mitteln auf ein mögliches Fehlverhalten des Klägers reagieren, etwa ihm gegenüber eine Ausweisung aussprechen. Die Auffassung der Revision kann daher zu Wertungswidersprüchen führen. Denn ein Ausländer, der sich durch Täuschung die Einbürgerung erschlichen und dann einen Ausweisungstatbestand erfüllt hat, stünde unter Umständen besser da als ein Ausländer, auf dessen Fehlverhalten eine unmittelbare ausländerbehördliche Reaktion erfolgt. Zwar wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass eine ausländerbehördliche Reaktion auf die Verwirklichung aufenthaltsbeendender Tatbestände auch noch nach Rücknahme der Einbürgerung möglich sei (vgl. Marx, InfAuslR 2009, 303 <304, 308>). Aber auch eine solche, der Ausländerbehörde möglicherweise erst Jahre später eröffnete Reaktion bedeutet eine nicht gerechtfertigte Privilegierung des Betroffenen insofern, als Ausweisungsgründe durch mittlerweile eingetretene tatsächliche Änderungen hinsichtlich der Gefahrenprognose und der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen verbraucht sein oder an Gewicht verloren haben können. Im Übrigen stünde ein Ausländer, dessen Einbürgerung wegen schweren Fehlverhaltens ex tunc zurückgenommen wurde, besser da als ein solcher, der die deutsche Staatsangehörigkeit ex nunc verliert, denn bei letzterem kommt ein Wiederaufleben des früheren Aufenthaltstitels schon deshalb nicht in Betracht, weil die Einbürgerung als erledigendes Ereignis nicht rückwirkend beseitigt wurde.

19 Dieser für das Ausländerrecht maßgeblichen Auslegung steht nicht entgegen, dass nach einem von der Revision angeführten Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zum Beamtenrecht vom 23. August 1995 - 1 UE 2433/91 - (ZBR 1996, 59) die Rücknahme einer Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit nur die konkrete Ernennung betrifft mit der Folge, dass wieder ein Probebeamtenverhältnis hergestellt wird. Denn die hierfür als maßgeblich herangezogenen spezifisch beamtenrechtlichen Gründe, die im Übrigen nicht für derart grundlegende Statusänderungen gelten wie das Erlöschen eines Arbeitsverhältnisses durch Begründung eines (später zurückgenommenen) Beamtenverhältnisses (vgl. BAG, Urteil vom 24. April 1997 - 2 AZR 241/96 - BAGE 85, 351, ihm folgend BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1999 - BVerwG 2 C 11.99  - BVerwGE 109, 365 <369>), sind auf das Ausländerrecht nicht übertragbar.

20 Für die seit 1. Januar 2005 geltende Rechtslage spricht zudem die in § 38 AufenthG getroffene Regelung gegen ein Wiederaufleben der erledigten Aufenthaltsberechtigung. Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist einem ehemaligen Deutschen, der die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat, unter bestimmten (erleichterten) Voraussetzungen eine Niederlassungserlaubnis (Nr. 1) oder eine Aufenthaltserlaubnis (Nr. 2) zu erteilen. Wenn die Vorschrift auch nicht vorrangig für ehemalige Deutsche geschaffen wurde, die zuvor Ausländer waren (zum gesetzgeberischen Regelungsziel vgl. BTDrucks 15/420 S. 84 f. sowie Berlit, in: GK-AufenthG, Stand: Juni 2007, § 38 Rn. 1), so erfasst sie diesen Personenkreis doch mit. § 38 AufenthG knüpft bei einem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ex nunc nicht an einen etwa vor dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vorhandenen Aufenthaltsstatus des ehemaligen Deutschen an, sondern begründet lediglich für den Fall der neu oder wieder entstandenen Ausländereigenschaft Ansprüche auf Erteilung von Aufenthaltstiteln unter erleichterten Voraussetzungen. Offensichtlich ist der Gesetzgeber also nicht von einem Wiederaufleben eines etwaigen, vor Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vorhandenen Aufenthaltstitels ausgegangen. Ist aber im Fall eines Verlustes der Staatsangehörigkeit ex nunc nur der Neuerwerb einer Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis möglich (§ 38 Abs. 1 Satz 1 AufenthG), wäre es ein Wertungswiderspruch, wenn im Fall einer ex-tunc-Rücknahme der Einbürgerung ein Ausländer, der arglistig getäuscht hat, in den Genuss eines automatischen Wiederauflebens des früheren Aufenthaltstitels käme.

21 Das Festhalten an der einmal eingetretenen Erledigung des Aufenthaltstitels ist auch nicht unbillig, da für den früheren Inhaber eines unbefristeten Aufenthaltsrechts unter bestimmten Voraussetzungen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in entsprechender Anwendung von § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG in Betracht kommt (vgl. hierzu das Urteil vom heutigen Tage in der Sache BVerwG 1 C 16.10 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen).

22 2. Mit Recht hat das Berufungsgericht auch einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer neuen Niederlassungserlaubnis abgelehnt.

23 Der Kläger hat einen entsprechenden Antrag - damals gerichtet auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 27 AuslG 1990 - im November 2004 und damit vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes im Januar 2005 gestellt. § 104 Abs. 1 Satz 1 AufenthG sieht vor, dass über vor Inkrafttreten des Gesetzes gestellte Anträge auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach altem Recht zu entscheiden ist. Da die Vorschrift aber ausschließlich das Vertrauen des Ausländers schützen und Rechtsnachteile für ihn in der Umstellungsphase vermeiden will, schließt sie die Anwendung des neuen Rechts zu seinen Gunsten nicht aus, zumal der Ausländer jederzeit einen neuen Antrag stellen könnte, der nach neuem Recht zu beurteilen wäre (vgl. Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 21.09 - InfAuslR 2011, 182, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, Rn. 9). Der Kläger kann jedoch weder nach altem noch nach neuem Recht eine Niederlassungserlaubnis beanspruchen.

24 Nach der vorrangig zugrunde zu legenden Rechtslage bei Antragstellung des Klägers im November 2004 ist für die Erteilung einer Berechtigung zum Daueraufenthalt § 27 AuslG 1990 maßgeblich. Der Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung steht jedoch entgegen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht - wie in § 27 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AuslG 1990 verlangt - seit acht Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besessen hat. Denn während der Zeit der zurückgenommenen Einbürgerung besaß der Kläger keine Aufenthaltserlaubnis. Es ist aber ein durchgehender achtjähriger Titelbesitz bis zur Erteilung der Aufenthaltsberechtigung erforderlich (vgl. Urteil vom 22. Januar 2002 - BVerwG 1 C 6.01 - BVerwGE 115, 352 <355> zur unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AuslG 1990; Urteil vom 10. November 2009 - BVerwG 1 C 24.08 - BVerwGE 135, 225 Rn. 13 f. zur Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG). Außerdem fehlt es beim Kläger nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts an der Sicherung des Lebensunterhalts und damit an der Erteilungsvoraussetzung nach § 27 Abs. 2 Nr. 2 AuslG 1990.

25 Auch die seit 1. Januar 2005 maßgeblichen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes gewähren dem Kläger keinen Anspruch auf Neuerteilung einer Niederlassungserlaubnis. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus einer direkten noch aus einer entsprechenden Anwendung des § 38 AufenthG. Denn die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt voraus, dass der Betroffene bei Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit seit fünf Jahren als Deutscher seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte. Bei dem Kläger liegt ein solcher fünfjähriger Aufenthalt - unabhängig von der Frage, ob es sich um einen Aufenthalt als „Deutscher“ gehandelt hat - aber schon deshalb nicht vor, weil die Einbürgerung vom 12. Januar 1998 bereits mit Bescheid vom 13. November 2001 zurückgenommen worden ist. Wie der Senat in seinem Urteil vom gleichen Tage in der Sache BVerwG 1 C 16.10 entschieden hat, kann dem früheren Inhaber eines unbefristeten Aufenthaltsrechts nach Rücknahme seiner Einbürgerung zwar unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis in entsprechender Anwendung von § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erteilt werden. Eine analoge Anwendung kommt aber nur für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Nr. 2 der Vorschrift in Betracht, nicht hingegen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach Nr. 1 der Vorschrift. Denn der Betroffene kann die zeitliche Voraussetzung der Nr. 1 in Fällen der Rücknahme der Einbürgerung nach § 35 StAG schon deshalb nicht erfüllen, weil die Rücknahme nur bis zum Ablauf von fünf Jahren nach der Einbürgerung erfolgen darf (§ 35 Abs. 3 StAG).

26 Die Erteilung einer (befristeten) Aufenthaltserlaubnis in entsprechender Anwendung von § 38 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 und 4 AufenthG ist nicht Gegenstand der Klage. Eine solche Aufenthaltserlaubnis könnte dem Kläger im Übrigen aber auch nicht erteilt werden, weil kein besonderer Fall im Sinne von § 38 Abs. 3 AufenthG vorliegt, der ein Abweichen von den fehlenden Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG rechtfertigt. Denn die dem Kläger erteilte Aufenthaltsberechtigung von 1994, in deren Besitz er bis zur Einbürgerung im Januar 1998 war, war durch Täuschung erschlichen und damit rücknehmbar nach § 48 VwVfG. Eine entsprechende Anwendung des § 38 Abs. 1, 3 und 4 AufenthG setzt nach der Rechtsprechung des Senats aber voraus, dass der Ausländer vor seiner Einbürgerung über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügte, der nicht der Rücknahme unterlag (vgl. hierzu auch das Urteil vom gleichen Tage in der Sache BVerwG 1 C 16.10). Aus einem Aufenthaltstitel, bei dem Gründe für eine Rücknahme oder nachträgliche zeitliche Befristung vorlagen, kann der Betroffene nach rückwirkendem Verlust seiner deutschen Staatsangehörigkeit keine weitergehenden aufenthaltsrechtlichen Ansprüche ableiten, als ihm ohne die fehlgeschlagene Einbürgerung zugestanden hätten. Im Übrigen steht bei einem von Anfang an durch falsche Angaben erschlichenen Aufenthalt der nunmehrigen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis der Ausweisungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG entgegen. Die Annahme eines besonderen Falles ist bei einem solchen Sachverhalt - und so auch hier - regelmäßig ausgeschlossen.

27 Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG. Es fehlt insoweit schon am fünfjährigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, wie das § 9 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verlangt. Denn während der Zeit der zurückgenommenen Einbürgerung besaß der Kläger keine Aufenthaltserlaubnis. Es ist aber ein durchgehender fünfjähriger Titelbesitz bis zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis erforderlich (vgl. Urteil vom 10. November 2009 a.a.O. Rn. 13 f. zur Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG). Dieses Erfordernis erfüllt der Kläger mit seiner ihm im Januar 2006 aus familiären Gründen erteilten Aufenthaltserlaubnis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im September 2009 nicht.

28 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.