Verfahrensinformation

Der Kläger, ein im Januar 1986 in Syrien geborener palästinensischer Volkszugehöriger mit ungeklärter Staatsangehörigkeit, wendet sich im Revisionsverfahren gegen seine ausschließlich auf generalpräventive Erwägungen gestützte Ausweisung und die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots.


Er reiste im September 1990 gemeinsam mit seinen Eltern unter Angabe falscher Personalien in die Bundesrepublik Deutschland ein. In der Folgezeit wurde sein Aufenthalt geduldet. Er erwarb die Fachhochschulreife und einen Abschluss als staatlich geprüfter Assistent für Informatik.


Das Oberlandesgericht Koblenz verurteilte den Kläger im April 2013 rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten, weil er im Zeitraum von September 2007 bis Dezember 2009 über ein von ihm gegründetes und betriebenes Medium zur Verbreitung islamistischer Propaganda im deutschsprachigen Raum Video- und Textbotschaften islamistischer terroristischer Organisationen im Internet verbreitet hatte. Die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe wurde im März 2014 u.a. mit der Begründung zur Bewährung ausgesetzt, der Kläger habe sich von seinen Taten rückhaltlos distanziert. Im Februar 2014 wies die Ausländerbehörde des beklagten Westerwaldkreises den Kläger aus generalpräventiven Gründen aus dem Bundesgebiet aus. Sie stellte fest, dass die Ausweisung auch das Verbot der Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland enthalte, dessen Wirkungen befristet wurden. Widerspruch und Klage blieben insoweit ohne Erfolg. Im Juli 2017 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf die Arabische Republik Syrien festgestellt.


Das Oberverwaltungsgericht hat die auf Aufhebung der Ausweisung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die generalpräventive Ausweisung sei ebenso rechtmäßig wie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Das novellierte Ausweisungsrecht stehe dem Erlass einer generalpräventiv begründeten Ausweisung nicht entgegen. Sowohl das durch die Ausweisung bewirkte Einreise- und Aufenthaltsverbot als auch die in § 11 Abs. 1 AufenthG vorgesehene Titelerteilungssperre seien geeignet, anderen Ausländern vor Augen zu führen, dass derartige Verstöße gegen die Rechtsordnung aufenthaltsrechtlich nicht folgenlos blieben.


Hiergegen richtet sich die von dem Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision des Klägers.


Pressemitteilung Nr. 35/2019 vom 09.05.2019

Bundesverwaltungsgericht bestätigt generalpräventive Ausweisung - EuGH soll Fragen zum Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie klären

Ausweisungen können auch nach der Novellierung des Ausweisungsrechts allein auf generalpräventive Gründe gestützt werden. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden. Zugleich hat es den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Klärung von Fragen zur Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG auf das mit einer Ausweisungsentscheidung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot angerufen.


Der im Januar 1986 in Syrien geborene Kläger ist palästinensischer Volkszugehöriger mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Er reiste im September 1990 gemeinsam mit seinen Eltern unter falschen Personalien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Erfolglos suchte er um seine Anerkennung als Asylberechtigter nach. In der Folgezeit wurde sein Aufenthalt geduldet.


Im April 2013 wurde er wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie wegen Gewaltdarstellung und Billigung von Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Ausweislich der tatsächlichen Feststellungen des Oberlandesgerichts gründete und betrieb er von September 2007 bis Dezember 2009 im Internet das “Al-Ansar Media Battalion“, das sich zu einem bedeutenden Medium zur Verbreitung islamistischer Propaganda im deutschsprachigen Raum entwickelte. Im Februar 2014 wies ihn der beklagte Westerwaldkreis gestützt allein auf generalpräventive Erwägungen aus dem Bundesgebiet aus und befristete das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von sechs Jahren. Widerspruch und Klage sind insoweit ohne Erfolg geblieben; bereits im Laufe des Widerspruchsverfahrens hob der Beklagte die von ihm verfügte Abschiebungsandrohung auf.


Im Juli 2017 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Antrag des Klägers das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf die Arabische Republik Syrien festgestellt. Im März 2018 hat der Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von vier Jahren ab einer etwaigen Ausreise und hiervon unabhängig bis längstens zum 21. Juli 2023 verkürzt.


Das Oberverwaltungsgericht hat die auf Aufhebung der Ausweisung und Verkürzung der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Eine Gefährdung der durch die Ausweisung zu schützenden Rechtsgüter sei unter der Geltung des novellierten Ausweisungsrechts weiterhin auch generalpräventiv zu begründen. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots begegne keinen Bedenken.


Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat seine Rechtsprechung zu der Regelerteilungsvoraussetzung des Nichtvorliegens eines Ausweisungsinteresses im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Urteil vom 12. Juli 2018 – BVerwG 1 C 16.17) auf die Ausweisung übertragen: Auch nach Inkrafttreten des novellierten Ausweisungsrechts kann die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch den Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet allein auf generalpräventive Gründe gestützt werden. Knüpft eine solche Ausweisung an strafrechtlich relevantes Handeln an, so wird deren Erlass in zeitlicher Hinsicht in Orientierung an den Fristen der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung begrenzt. Bei abgeurteilten Straftaten bilden zudem die Tilgungsfristen nach dem Bundeszentralregistergesetz eine weitere absolute Obergrenze.


Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts sieht indes unionsrechtlichen Klärungsbedarf, ob die Richtlinie 2008/115/EG (sog. Rückführungsrichtlinie) auch in Bezug auf ein mit einer Ausweisungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG einhergehendes Einreise- und Aufenthaltsverbot, das dem Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dient, Anwendung findet. Insoweit hat er das Revisionsverfahren abgetrennt und bis zu einer Entscheidung des EuGH über die als Anlage beigefügten Fragen ausgesetzt.


Fußnote:

Vorlagefragen


1. a) Wird ein Einreiseverbot, das gegen einen Drittstaatsangehörigen zu “nichtmigrationsbedingten“ Zwecken erlassen wird, von dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348/98) jedenfalls dann erfasst, wenn der Mitgliedstaat von der Möglichkeit des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie keinen Gebrauch gemacht hat?


b) Für den Fall der Verneinung der Frage zu 1. a): Unterfällt ein solches Einreiseverbot auch dann nicht der Richtlinie 2008/115/EG, wenn der Drittstaatsangehörige bereits unabhängig von einer gegen ihn erlassenen Ausweisungsverfügung, an die das Einreiseverbot anknüpft, illegal aufhältig ist und damit dem Anwendungsbereich der Richtlinie dem Grunde nach unterfällt?


c) Zählt zu den zu “nichtmigrationsbedingten“ Zwecken erlassenen Einreiseverboten ein Einreiseverbot, das im Zusammenhang mit einer aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (hier: allein aus generalpräventiven Gründen mit dem Ziel der Terrorismusbekämpfung) verfügten Ausweisung ergeht?


2. Soweit Frage 1 dahin beantwortet wird, dass das vorliegende Einreiseverbot in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG fällt:


a) Hat die behördliche Aufhebung der Rückkehrentscheidung (hier: der Androhung der Abschiebung) zur Folge, dass ein zeitgleich mit dieser angeordnetes Einreiseverbot im Sinne des Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie 2008/115/EG rechtswidrig wird?


b) Tritt diese Rechtsfolge auch dann ein, wenn die der Rückkehrentscheidung vorgelagerte behördliche Ausweisungsverfügung bestandskräftig (geworden) ist?


BVerwG 1 C 21.18 - Urteil vom 09. Mai 2019

Vorinstanzen:

OVG Koblenz, 7 A 11529/17 - Urteil vom 05. April 2018 -

VG Koblenz, 3 K 108/15.KO - Urteil vom 21. Januar 2016 -

BVerwG 1 C 14.19 - Beschluss vom 09. Mai 2019

Vorinstanzen:

OVG Koblenz, 7 A 11529/17 - Urteil vom 05. April 2018 -

VG Koblenz, 3 K 108/15.KO - Urteil vom 21. Januar 2016 -


Beschluss vom 09.05.2019 -
BVerwG 1 C 14.19ECLI:DE:BVerwG:2019:090519B1C14.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.05.2019 - 1 C 14.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:090519B1C14.19.0]

Beschluss

BVerwG 1 C 14.19

  • VG Koblenz - 21.01.2016 - AZ: VG 3 K 108/15.KO
  • OVG Koblenz - 05.04.2018 - AZ: OVG 7 A 11529/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung am 9. Mai 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
  2. Es wird gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen eingeholt:
  3. 1. a) Wird ein Einreiseverbot, das gegen einen Drittstaatsangehörigen zu "nichtmigrationsbedingten" Zwecken erlassen wird, von dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) jedenfalls dann erfasst, wenn der Mitgliedstaat von der Möglichkeit des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie keinen Gebrauch gemacht hat?
  4. b) Für den Fall der Verneinung der Frage zu 1. a): Unterfällt ein solches Einreiseverbot auch dann nicht der Richtlinie 2008/115/EG, wenn der Drittstaatsangehörige bereits unabhängig von einer gegen ihn erlassenen Ausweisungsverfügung, an die das Einreiseverbot anknüpft, illegal aufhältig ist und damit dem Anwendungsbereich der Richtlinie dem Grunde nach unterfällt?
  5. c) Zählt zu den zu "nichtmigrationsbedingten" Zwecken erlassenen Einreiseverboten ein Einreiseverbot, das im Zusammenhang mit einer aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (hier: allein aus generalpräventiven Gründen mit dem Ziel der Terrorismusbekämpfung) verfügten Ausweisung ergeht?
  6. 2. Soweit Frage 1 dahin beantwortet wird, dass das vorliegende Einreiseverbot in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG fällt:
  7. a) Hat die behördliche Aufhebung der Rückkehrentscheidung (hier: der Androhung der Abschiebung) zur Folge, dass ein zeitgleich mit dieser angeordnetes Einreiseverbot im Sinne des Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie 2008/115/EG rechtswidrig wird?
  8. b) Tritt diese Rechtsfolge auch dann ein, wenn die der Rückkehrentscheidung vorgelagerte behördliche Ausweisungsverfügung bestandskräftig (geworden) ist?

Gründe

I

1 Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ein dem Kläger gegenüber zu "nichtmigrationsbedingten Zwecken" verfügtes Einreiseverbot.

2 Der im Januar 1986 in Syrien geborene Kläger ist palästinensischer Volkszugehöriger mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Er reiste im September 1990 gemeinsam mit seinen Eltern unter falschen Personalien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Erfolglos suchte er um seine Anerkennung als Asylberechtigter nach. Seither ist er ausreisepflichtig, hält sich aber auf der Grundlage einer - fortlaufend verlängerten - Duldung nach § 60a AufenthG in Deutschland auf.

3 Mit rechtskräftigem Urteil vom 17. April 2013 verurteilte ihn das Oberlandesgericht K. wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung in 39 Fällen sowie wegen Gewaltdarstellung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Billigung von Straftaten, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Ausweislich der tatsächlichen Feststellungen des Oberlandesgerichts verbreitete der Kläger im Zeitraum von September 2007 bis Dezember 2009 Video- und Textbotschaften islamistischer terroristischer Organisationen im Internet. Er gründete und betrieb das "Al-Ansar Media Battalion", das sich zu einem bedeutenden Medium zur Verbreitung islamistischer Propaganda im deutschsprachigen Raum entwickelte, und stellte unter anderem Erklärungen von Führern oder Repräsentanten terroristischer Vereinigungen auf verschiedenen Internetseiten ein. Im März 2014 wurde die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe unter Anrechnung der Untersuchungshaft zur Bewährung ausgesetzt, wobei die Bewährungszeit auf vier Jahre festgesetzt wurde.

4 Mit Ordnungsverfügung vom 24. Februar 2014 wies der Beklagte den Kläger auf der Grundlage von § 53 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG a.F., hilfsweise von § 54 Satz 1 Nr. 1 AufenthG a.F. aus dem Bundesgebiet aus. Er stellte fest, dass die Ausweisung auch das Verbot der Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland enthalte, und setzte die Wirkung der Ausweisung auf sechs Jahre, beginnend mit dem Tag der Ausreise, fest. Die zugleich verfügte Abschiebungsandrohung hob der Beklagte im Erörterungstermin vor dem Widerspruchsausschuss auf. Widerspruch und Klage sind ohne Erfolg geblieben.

5 Mit bestandskräftigem Bescheid vom 21. Juli 2017 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen weiteren Asylantrag des Klägers auf der Grundlage des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AsylG beziehungsweise des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Zugleich hat es das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Bezug auf die Arabische Republik Syrien festgestellt.

6 Im März 2018 hat der Beklagte das ursprünglich auf sechs Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von vier Jahren ab einer etwaigen Ausreise verkürzt und unabhängig von einer etwaigen Ausreise bis längstens zum 21. Juli 2023 befristet.

7 Mit dem angegriffenen Urteil vom 5. April 2018 hat das Oberverwaltungsgericht die auf die Aufhebung der Ausweisung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen.

8 Das Bundesverwaltungsgericht hat dessen Revision, soweit sie sich gegen dessen Ausweisung richtet, zurückgewiesen. Diese finde ihre Ermächtigungsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Das Oberverwaltungsgericht sei im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass von dem Aufenthalt des Klägers infolge der Erfüllung eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgehe. Die Annahme einer entsprechenden Gefährdung dürfe auch allein auf generalpräventive Erwägungen gestützt werden, solange das Ausweisungsinteresse noch aktuell sei. Der Kläger könne sich nicht mit Erfolg auf ein besonders schwerwiegendes oder schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG berufen. In die nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG zu treffende Interessenabwägung seien indes auch sonstige unbenannte Bleibeinteressen einzustellen. Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, das generalpräventiv begründete Ausweisungsinteresse, dessen Gewicht am oberen Rand des Möglichen anzusiedeln sei, überwiege deutlich das maßgeblich auf dem langen, indes nur geduldeten Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet beruhende Bleibeinteresse, sei revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden (zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019 - 1 C 21.18 -).

9 Soweit das Revisionsverfahren die Entscheidung betrifft, das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von vier Jahren ab einer etwaigen Ausreise zu verkürzen und unabhängig von einer etwaigen Ausreise bis längstens zum 21. Juli 2023 zu befristen, hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren mit Beschluss vom 9. Mai 2019 gemäß § 93 Satz 2 VwGO abgetrennt und unter dem vorliegenden Aktenzeichen 1 C 14.19 fortgeführt.

II

10 Der Rechtsstreit ist auszusetzen. Gemäß Art. 267 AEUV ist eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) zu den im Beschlusstenor formulierten Fragen einzuholen. Diese Fragen betreffen den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98; im Folgenden: RL 2008/115/EG).

11 1. Die rechtliche Beurteilung des Einreise- und Aufenthaltsverbots richtet sich im nationalen Recht nach dem Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des am 1. August 2018 in Kraft getretenen Gesetzes vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1147).

12 Den danach maßgeblichen rechtlichen Rahmen des Rechtsstreits bilden die folgenden Vorschriften des nationalen Rechts:

13 § 11 AufenthG - Einreise- und Aufenthaltsverbot
(1) Ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, darf weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot).
(2) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Im Falle der Ausweisung ist die Frist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Ansonsten soll die Frist mit der Abschiebungsandrohung, spätestens aber bei der Ab- oder Zurückschiebung festgesetzt werden. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.
(3) Über die Länge der Frist wird nach Ermessen entschieden. Sie darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten.
(...)

14 § 50 AufenthG - Ausreisepflicht
(1) Ein Ausländer ist zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.
(2) Der Ausländer hat das Bundesgebiet unverzüglich oder, wenn ihm eine Ausreisefrist gesetzt ist, bis zum Ablauf der Frist zu verlassen.
(...)

15 § 51 AufenthG - Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts; Fortgeltung von Beschränkungen
(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen: (...)
5. Ausweisung des Ausländers, (...)

16 § 53 AufenthG - Ausweisung
(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
(3) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn
1. ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3 eine Ausweisung rechtfertigt oder
2. eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

17 § 54 AufenthG - Ausweisungsinteresse
(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer
1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist (...)

18 § 55 AufenthG - Bleibeinteresse
(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer
1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4. mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
5. die Rechtsstellung eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder
6. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.
(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn
1. der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2. der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3. der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4. der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5. die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6. der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.
(...)

19 § 58 AufenthG - Abschiebung
(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. (...)
(2) (...) Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.
(...)

20 § 59 AufenthG - Androhung der Abschiebung
(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. (...)
(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist.
(...)

21 § 60a AufenthG - Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)
(...)
(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. (...)
(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.
(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.
(...)

22 2. Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich und bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof.

23 2.1 Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich.

24 a) Nationales Recht gebietet weder die Aufhebung des auf § 11 Abs. 1 AufenthG beruhenden Einreise- und Aufenthaltsverbots noch die hilfsweise beantragte Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung des Antrags auf Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots.

25 aa) Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 AufenthG sind erfüllt. Danach darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Der Kläger ist bestandskräftig ausgewiesen worden. Seine Rechtsmittel gegen die Ausweisung hatten endgültig keinen Erfolg, denn das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Klägers gegen die klageabweisenden Urteile der Vorinstanzen insoweit mit Urteil vom 9. Mai 2019 - 1 C 21.18 - zurückgewiesen.

26 Die Ausweisung war rechtmäßig und zulässig, obwohl der Kläger wegen einer drohenden Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK auf absehbare Zeit nicht nach Syrien abgeschoben werden kann. Nach deutschem Aufenthaltsrecht ist eine Ausweisung nicht unmittelbar mit einer Aufenthaltsbeendigung verbunden und hat eine solche auch nicht stets zur Folge. Personen, deren weiterer Aufenthalt die öffentliche Sicherheit gefährdet, können vielmehr auch dann ausgewiesen werden, wenn eine Abschiebung wegen der Verhältnisse im Zielstaat nicht möglich ist. Dies bewirkt dann zumindest, dass der Aufenthaltstitel des Ausländers erlischt (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und in bestimmten Fällen ausländerrechtliche Überwachungsmaßnahmen eingreifen. Aber auch Ausländer, die - wie der Kläger - nie einen Aufenthaltstitel hatten und sich nur mit einer Duldung im Sinne von § 60a AufenthG in Deutschland aufhalten, können nach deutschem Recht ausgewiesen werden. In diesem Fall bewirkt die Ausweisung, dass dem Ausländer bis zum Ablauf ihrer Befristung kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf ( § 11 Abs. 1 Alt. 3 AufenthG).

27 bb) Der Beklagte hat das Einreise- und Aufenthaltsverbot im Einklang mit § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG von Amts wegen befristet. Die Geltungsdauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von vier Jahren knüpft, wie in § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vorgesehen, an eine Ausreise des Klägers an. In einer behördlichen Befristungsentscheidung liegt, jedenfalls soweit diese vor einer Abschiebung ergeht, regelmäßig auch die konstitutive Anordnung eines befristeten Einreiseverbots (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Juli 2017 - 1 C 28.16 - DVBl 2017, 1430 Rn. 42 und vom 21. August 2018 - 1 C 21.17 - NVwZ 2019, 483 Rn. 25).

28 cc) Der Beklagte hat nach der revisionsgerichtlich im Ergebnis nicht zu beanstandenden Bewertung des Oberverwaltungsgerichts hier das an die Ausreise anknüpfende Einreise- und Aufenthaltsverbot frei von Ermessensfehlern zuletzt auf die Dauer von vier Jahren befristet. Die für die Anordnung einer rein generalpräventiven Ausweisung selbst zu beachtende Frist (dazu BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2019 - 1 C 21.18 - Rn. 19) begrenzt dabei nicht die Befristung eines hieran anknüpfenden Einreise- und Aufenthaltsverbots. Der Senat geht aus Gründen, die für die Vorlage nicht zu vertiefen sind, davon aus, dass sie das Dreifache der absoluten Verjährungsfrist nicht überschreiten darf; bei abgeurteilten Straftaten darf die Dauer des Einreiseverbots zudem die Tilgungsfrist nach dem Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz - BZRG) nicht überschreiten. Beides ist hier nicht der Fall. Die unabhängig von einer Ausreise laufende, zusätzliche angeordnete absolute Befristung verletzte auch dann, wenn hierfür keine hinreichende Rechtsgrundlage bestünde, den Kläger jedenfalls nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 oder 5 VwGO).

29 b) Klärungsbedürftige Rechtsfragen im Sinne des Art. 267 AEUV ergeben sich indes zur Frage, ob ein nach nationalem Recht auch ohne Abschiebungsandrohung mögliches, an die Ausweisung selbst anknüpfendes (befristetes) Einreise- und Aufenthaltsverbot mit Unionsrecht in Einklang steht.

30 aa) "Rückkehrentscheidung" im Sinne des Art. 3 Nr. 4 RL 2008/115/EG ist - deren Anwendbarkeit auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unterstellt - nach bisherigem nationalem Rechtsverständnis jedenfalls im Regelfall nicht allein die Ausweisung selbst (§§ 53 ff. AufenthG), welche jedenfalls die Legalität eines Aufenthalts kraft Gesetzes (§ 50 Abs. 1 und 2, § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) beendet, sondern erst die Abschiebungsandrohung (§ 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).

31 Der Ausdruck "Rückkehrentscheidung" bezeichnet nach Art. 3 Nr. 4 RL 2008/115/EG die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Gemäß Art. 6 Abs. 6 RL 2008/115/EG sollen die Mitgliedstaaten durch diese Richtlinie nicht daran gehindert werden, entsprechend ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften und unbeschadet der nach Kapitel III und nach anderen einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und des einzelstaatlichen Rechts verfügbaren Verfahrensgarantien mit einer einzigen behördlichen oder richterlichen Entscheidung eine Entscheidung über die Beendigung eines legalen Aufenthalts sowie eine Rückkehrentscheidung und/oder eine Entscheidung über eine Abschiebung und/oder ein Einreiseverbot zu erlassen.

32 Die Ausweisungsentscheidung nach nationalem Recht bewirkt (jedenfalls bei Ausländern mit rechtmäßigem Aufenthalt) lediglich die Illegalität des Aufenthalts. Erst mit der Abschiebungsandrohung ist indes die nach Art. 7 Abs. 1 RL 2008/115/EG bei einer Rückkehrentscheidung grundsätzlich erforderliche behördlich oder gerichtlich gesetzte Frist zur freiwilligen Ausreise (§ 59 Abs. 1 AufenthG) zu setzen, deren fruchtloses Verstreichen Voraussetzung einer zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht durch Abschiebung (§ 58 AufenthG) ist (s.a. Art. 8 Abs. 1 RL 2008/115/EG).

33 bb) Das vorlegende Gericht geht davon aus, dass jedenfalls migrationsbedingte Einreise- und Aufenthaltsverbote uneingeschränkt von der Richtlinie erfasst sind. Klärungsbedürftig ist - nicht zuletzt mit Blick auf Äußerungen der Europäischen Kommission - hingegen, ob dies auch für "nichtmigrationsbedingte Einreiseverbote" gilt.

34 Ob derartige nichtmigrationsbedingte Einreiseverbote tatsächlich grundsätzlich oder unter bestimmten Voraussetzungen nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fallen, ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs bislang nicht geklärt.

35 Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des hier streitgegenständlichen, an eine Ausweisung im Sinne des § 51 Abs. 1 Halbs. 1 Nr. 5 i.V.m. den §§ 53 ff. AufenthG anknüpfenden und daher im vorstehenden Sinne "nichtmigrationsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots" des § 11 Abs. 1 AufenthG ist es erheblich, ob dieses dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG unterfällt und - bejahendenfalls - ob es sich auch nach einer behördlichen Aufhebung der mit ihm einhergehenden Rückkehrentscheidung, hier der Abschiebungsandrohung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, als mit der Richtlinie 2008/115/EG vereinbar erweist.

36 2.2 Die hierzu im Tenor dieses Beschlusses aufgeworfenen Vorlagefragen bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof.

37 a) Mit der Vorlagefrage zu 1. a) möchte das vorlegende Gericht wissen, ob auch "nichtmigrationsbedingte Einreiseverbote" im vorstehend unter 2.1 b) bb) erläuterten Sinne von dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG jedenfalls dann erfasst werden, wenn - wie für die vorliegende Konstellation die Bundesrepublik Deutschland - der Mitgliedstaat von der Möglichkeit des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2008/115/EG keinen Gebrauch gemacht hat. Die nicht zuletzt durch die Empfehlung (EU) 2017/2338 begründeten Zweifel an der Nichtanwendbarkeit der Richtlinie 2008/115/EG auf "nichtmigrationsbedingte Einreiseverbote" (aa) lassen sich für den Senat nicht mit der gebotenen Gewissheit aus der Richtlinie selbst beseitigen (bb).

38 aa) Gemäß Art. 3 Nr. 6 RL 2008/115/EG bezeichnet der Ausdruck "Einreiseverbot" die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Als "migrationsbedingtes Einreiseverbot" bezeichnet die Kommission ein Einreiseverbot, welches an die Verletzung der für die EU-Mitgliedstaaten geltenden Migrationsbestimmungen, d.h. derjenigen Bestimmungen anknüpft, die die Einreise und den Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen in dem jeweiligen Mitgliedstaat regeln (vgl. Nr. 11 der Empfehlung <EU> 2017/2338 der Kommission vom 16. November 2017 für ein gemeinsames "Rückkehr-Handbuch", das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist <ABl. L 339 S. 83>, - im Folgenden: Empfehlung <EU> 2017/2338). Migrationsbedingte Einreiseverbote sind präventiver Natur. Von ihnen soll die Botschaft ausgehen, dass Personen, die die für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union geltenden Migrationsbestimmungen verletzen, die Genehmigung der Einreise in das Unionsgebiet für einen bestimmten Zeitraum versagt wird (Nr. 11 Empfehlung <EU> 2017/2338). Bewirkt die Verletzung der betreffenden Migrationsbestimmungen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen in dem jeweiligen Mitgliedstaat rechtswidrig ist oder wird, so sind für dessen Rückführung gemäß Art. 1 RL 2008/115/EG die gemeinsamen Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Einklang mit den Grundrechten als allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschafts- und des Völkerrechts, einschließlich der Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen und zur Achtung der Menschenrechte, gelten, anzuwenden.

39 Demgegenüber bezeichnet der Begriff "nichtmigrationsbedingtes Einreiseverbot" im Sprachgebrauch von Nr. 11 der Empfehlung (EU) 2017/2338 ein Einreiseverbot, das nicht an die Verletzung der für die EU-Mitgliedstaaten geltenden Migrationsbestimmungen anknüpft, sondern zu anderen Zwecken erlassen wird. Hierunter fallen insbesondere solche Einreiseverbote, die infolge der Begehung schwerer Straftaten durch Drittstaatsangehörige und deren behördliche oder gerichtliche Sanktionierung ergehen und dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem Mitgliedstaat dienen.

40 bb) Der Wortlaut sowohl des Art. 3 Nr. 6 als auch des Art. 11 Abs. 1 RL 2008/115/EG sieht eine entsprechende Einschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie nicht vor. Beide Vorschriften verhalten sich nicht zu den Zwecken, aus denen Einreiseverbote angeordnet werden; sie beschreiben nur deren Inhalt beziehungsweise regeln die Voraussetzungen, unter denen Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einhergehen (können).

41 Auch in richtliniensystematischer Hinsicht lassen sich aus Sicht des vorlegenden Gerichts Anhaltspunkte für eine entsprechende Beschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie nicht ausmachen. Zwar hat der französische Conseil d'Etat entschieden, die Richtlinie finde nur auf solche Rückkehrentscheidungen der Mitgliedstaaten Anwendung, die wegen des illegalen Aufenthalts eines Drittstaatsangehörigen getroffen werden. Sie sei hingegen nicht auf Verfahren der Aufenthaltsbeendigung anwendbar, die auf anderen Gründen beruhen, insbesondere auf einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Conseil d'Etat, avis n° 360317 vom 10. Oktober 2012, ECLI:​FR:​CESSR:​2012:​360317.20121010). Art. 1 RL 2008/115/EG, ausweislich dessen diese Richtlinie gemeinsame Normen und Verfahren enthält, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Einklang mit den Grundrechten als allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschafts- und des Völkerrechts, einschließlich der Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen und zur Achtung der Menschenrechte, anzuwenden sind, differenziert aber nicht zwischen den Gründen, aus denen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrpflicht auferlegt wird. Gemäß Art. 2 Abs. 1 RL 2008/115/EG erfasst der persönliche Anwendungsbereich dieser Richtlinie illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige, ohne danach zu unterscheiden, aus welchen Gründen der Betroffene ausreisepflichtig ist. Für die Annahme, dass auch Einreiseverbote, die nicht an die Verletzung der für die EU-Mitgliedstaaten geltenden Migrationsbestimmungen anknüpfen, sondern infolge der Begehung schwerer Straftaten durch Drittstaatsangehörige und deren behördliche oder gerichtliche Sanktionierung angeordnet werden, erfasst sind, streitet auch Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2008/115/EG, dem zufolge die Mitgliedstaaten beschließen können, diese Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist. Für den Fall eines solchen Beschlusses unterliegt der Mitgliedstaat hinsichtlich der betreffenden Personengruppe keinen Pflichten aus der Richtlinie 2008/115/EG. Die von den betreffenden Personen begangenen Straftaten dürfen sich nicht in dem Rechtsverstoß des illegalen Aufenthalts erschöpfen (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2011 - C-329/11 [ECLI:EU:C:2011:807], Achughbabian - Rn. 41). Für einen grundsätzlich umfassend angelegten, jedoch einschränkbaren Anwendungsbereich der Richtlinie streitet ferner Art. 11 Abs. 2 Satz 2 RL 2008/115/EG, ausweislich dessen die Dauer des Einreiseverbots fünf Jahre überschreiten kann, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt.

42 Art. 3 Nr. 6 und Art. 11 RL 2008/115/EG dienen ausweislich Erwägungsgrund 14 Satz 1 RL 2008/115/EG dazu, der Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen durch die Einführung eines Einreiseverbots, das die Einreise in das Hoheitsgebiet sämtlicher Mitgliedstaaten und den dortigen Aufenthalt verbietet, europäischen Zuschnitt zu verleihen. Ziel ist es, der illegalen Einwanderung vorzubeugen und zu verhindern, dass illegal aufhältige Drittstaatsangehörige aufgrund von divergierenden mitgliedstaatlichen Regelungen aufenthaltsbeendende Maßnahmen unterlaufen können. Auch diese Zielsetzungen legen grundsätzlich eine weite Fassung des Anwendungsbereichs der Norm nahe. Nr. 11 Empfehlung (EU) 2017/2338 misst den in der Richtlinie vorgesehenen rückführungsbezogenen Einreiseverboten vorbeugende Wirkung und die Funktion bei, die Glaubwürdigkeit der Rückkehrpolitik zu erhöhen.

43 Diese Bestimmung sieht allerdings auch vor, dass solche Einreiseverbote von den Vorschriften der Rückführungsrichtlinie über rückführungsbezogene Einreiseverbote unberührt bleiben, die zu "nichtmigrationsbedingten Zwecken" erlassen werden. Ausdrücklich bezeichnet werden in diesem Zusammenhang Einreiseverbote für Drittstaatsangehörige, die schwere Straftaten begangen haben oder bei denen konkrete Hinweise bestehen, dass sie eine solche Straftat planen. Nr. 11 Empfehlung (EU) 2017/2338 verweist insoweit auf Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) (ABl. L 381 S. 4). Danach wird eine nationale Ausschreibung zur Einreise- oder Aufenthaltsverweigerung, die auf einer Entscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörden oder Gerichte beruht, eingegeben, wenn diese Entscheidung auf die Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder die nationale Sicherheit gestützt wird, die die Anwesenheit des betreffenden Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats darstellt. Dies ist insbesondere der Fall bei einem Drittstaatsangehörigen, der in einem Mitgliedstaat wegen einer Straftat verurteilt worden ist, die mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist, und bei einem Drittstaatsangehörigen, gegen den ein begründeter Verdacht besteht, dass er schwere Straftaten begangen hat, oder gegen den konkrete Hinweise bestehen, dass er solche Taten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats plant (vgl. zur Qualifikation terroristischer Straftaten als schwere Straftat Art. 24 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung <EU> 2018/1861 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems <SIS> im Bereich der Grenzkontrollen, zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen und zur Änderung und Aufhebung der Verordnung <EG> Nr. 1987/2006 <ABl. L 312 S. 14>). Im Gegensatz dazu regelt Art. 24 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 VO (EG) Nr. 1987/2006 die Voraussetzungen für Ausschreibungen zur Einreise- und Aufenthaltsverweigerung in Fällen der Nichtbeachtung der nationalen Rechtsvorschriften über die Einreise oder den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen.

44 Der historisch-genetischen Auslegung der Richtlinie 2008/115/EG lassen sich keine eindeutigen Hinweise auf die in Nr. 11 Empfehlung (EU) 2017/2338 geäußerte Annahme entnehmen, dass zu "nichtmigrationsbedingten" Zwecken angeordnete Einreiseverbote von den Vorschriften der Rückführungsrichtlinie über rückführungsbezogene Einreiseverbote unberührt bleiben. In Ziffer 3 Nr. 12 ihres Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (KOM/2005/0391 endg.) führt die Europäische Kommission aus, selbst wenn es Gründe für eine stärkere Harmonisierung in Fragen der "Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung/Sicherheit" gäbe, sei die vorliegende Richtlinie, bei der es um die Beendigung eines illegalen Aufenthalts beziehungsweise um Rückführung gehe, nicht der richtige Ort dafür, sondern eher die Richtlinien zur Regelung der Einreise- und Aufenthaltsbedingungen und der Entziehung des Aufenthalts-/Bleiberechts. Sobald der legale Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen jedoch aus Gründen der öffentlichen Ordnung beendet sei, werde diese Person zu einem sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhaltenden Drittstaatsangehörigen im Sinne dieser Richtlinie und die Bestimmungen dieser Richtlinie fänden Anwendung auf diese Person. Zu Ziffer 4 Kapitel I ihres Vorschlags merkt die Europäische Kommission ergänzend an: Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit der geplanten Richtlinie sei der "illegale Aufenthalt". Mit dem Vorschlag, der eine Maßnahme zur illegalen Einwanderung im Sinne von Art. 63 Abs. 3 Buchst. b EG darstelle, solle eine Reihe von horizontalen Vorschriften eingeführt werden, die auf jede Art von illegalem Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen anwendbar seien (z.B. Ablauf eines Visums, Ablauf eines Aufenthaltstitels, Widerruf oder Rücknahme eines Aufenthaltstitels, endgültige Ablehnung eines Asylantrags, Aberkennung des Flüchtlingsstatus, illegale Einreise). Nicht Gegenstand dieser Richtlinie seien die Gründe und Verfahren für die Beendigung eines rechtmäßigen Aufenthalts.

45 b) Für den Fall der Verneinung der Frage zu 1. a) stellt sich aus Sicht des vorlegenden Gerichts die zu 1. b) formulierte Frage, ob ein zu "nichtmigrationsbedingten Zwecken" angeordnetes Einreiseverbot auch dann nicht der Richtlinie 2008/115/EG unterfällt, wenn - wie hier der Kläger - der Drittstaatsangehörige bereits unabhängig von einer gegen ihn erlassenen Ausweisungsverfügung, an die das Einreiseverbot anknüpft, illegal aufhältig ist und damit dem Anwendungsbereich der Richtlinie dem Grunde nach unterfällt.

46 Tritt zu einem mangels Aufenthaltstitels bereits aus migrationsbedingten Gründen illegalen Aufenthalt, der den Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnete, mit einer Ausweisung ein weiterer, nichtmigrationsbedingter Grund hinzu, der den Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen zusätzlich illegal werden lässt, ist für den Anwendungsbereich zu klären, ob allein auf das Faktum des illegalen Aufenthalts oder insoweit auf die jeweilige behördliche oder gerichtliche Maßnahme abzustellen ist, an die das zur gerichtlichen Prüfung gestellte Einreise- und Aufenthaltsverbot anknüpft.

47 c) Mit der Frage zu 1. c) möchte das vorlegende Gericht wissen, ob zu den zu "nichtmigrationsbedingten" Zwecken erlassenen Einreiseverboten auch ein Einreiseverbot zu rechnen ist, das im Zusammenhang mit einer aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (hier: allein aus generalpräventiven Gründen mit dem Ziel, andere Ausländer von der Begehung terroristischer Straftaten abzuhalten) verfügten Ausweisung ergeht.

48 Diese Frage stellt sich nur, wenn Einreiseverbote zu "nichtmigrationsbedingten" Zwecken nach der Beantwortung der vorangegangenen Fragen nicht unter die Richtlinie fallen. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts wäre sie zu bejahen. Wenn der Begriff der "nichtmigrationsbedingten" Einreiseverbote insbesondere Einreiseverbote für Drittstaatsangehörige umfasst, die schwere Straftaten begangen haben, dann dürfte auch ein Einreiseverbot, das mit der generalpräventiven Ausweisung eines wegen schwerer Straftaten verurteilten Drittstaatsangehörigen verbunden ist, in diese Kategorie fallen.

49 d) Ist Frage 1 dahin zu beantworten, dass ein Einreiseverbot wie das vorliegende in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG fällt, stellt sich die Frage zu 2. a), ob die behördliche Aufhebung der Rückkehrentscheidung (hier: der Androhung der Abschiebung) zur Folge hat, dass ein zeitgleich mit dem Erlass der Rückkehrentscheidung angeordnetes Einreiseverbot im Sinne des Art. 3 Nr. 6 RL 2008/115/EG rechtswidrig wird.

50 Art. 3 Nr. 6 RL 2008/115/EG definiert das "Einreiseverbot" als eine behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, die "mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht" (s.a. Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Part C VII Art. 3 RL 2008/115/EG Rn. 21). Daraus folgt schon nicht zwingend, dass die Aufhebung der Rückkehrentscheidung dem mit ihm einhergehenden beziehungsweise dieses begleitende (accompanying beziehungsweise accompagne) Einreiseverbot die Grundlage entzieht, aus der zeitlichen Koppelung unionsrechtlich also notwendig und stets auch eine sachliche Verknüpfung folgt. Dem Einreiseverbot wird mit der Aufhebung der Rückkehrentscheidung (Art. 3 Nr. 4 RL 2008/115/EG) regelmäßig allerdings dann die Grundlage entzogen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen nicht mehr illegal ist, diese also den - bereits aus anderem Rechtsgrund - illegalen Aufenthalt nicht nur feststellt, sondern konstitutiv begründet, oder aus dem Wegfall der mit der Rückkehrentscheidung verbundenen Rückkehrverpflichtung sonst eine Bleibeberechtigung folgt, also dies nicht allein die Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung durch Abschiebung (Art. 3 Nr. 5 RL 2008/115/EG) bewirkt. Auch bei Aufhebung einer Rückkehrentscheidung bleibt aber nach diesen Begriffsbestimmungen für ein (isoliertes) Einreiseverbot dann Raum, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen weiterhin illegal ist oder seine Wirkungen für den Fall einer nicht auf einer behördlichen oder gerichtlichen Rückkehrentscheidung gründenden freiwilligen Ausreise entfaltet. Dass nach Art. 11 Abs. 1 RL 2008/115/EG Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einhergehen müssen (Satz 1) oder können (Satz 2), enthält keine Aussage zur unionsrechtlichen Möglichkeit eines Einreiseverbots ohne (fortbestehende) Rückkehrentscheidung.

51 e) Mit der für den Fall der Bejahung der Frage zu 2. a) aufgeworfenen Frage zu 2. b) möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Aufhebung der Rückkehrentscheidung die Rechtswidrigkeit des Einreiseverbots im Sinne des Art. 3 Nr. 6 RL 2008/115/EG auch dann zur Folge hat, wenn eine der Rückkehrentscheidung vorgelagerte behördliche Ausweisungsverfügung nach § 53 AufenthG bestandskräftig (geworden) ist.

52 Die Frage zielt auf eine mögliche Entkoppelung von (fortbestehender) Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot jedenfalls in den Fällen, in denen durch behördliche oder gerichtliche Entscheidung der illegale Aufenthalt bestandskräftig feststeht, von dem Drittstaatsangehörigen also nicht mehr mit Rechtsbehelfen angefochten werden kann, nach nationalem Recht hieraus kraft Gesetzes (§ 50 Abs. 1 AufenthG) die Verpflichtung des Drittstaatsangehörigen zur Ausreise, die grundsätzlich das Verlassen auch des Unionsgebietes erfordert (§ 50 Abs. 3 AufenthG), folgt und lediglich eine behördliche Entscheidung fehlt, diese objektiv bestehende Rückkehrverpflichtung auch durch Abschiebung zwangsweise durchzusetzen. Dass diese Entscheidungen systematisch zu unterscheiden sind, ergibt sich im Umkehrschluss aus Art. 6 Abs. 6 RL 2008/115/EG.

53 3. Der Senat sieht mit Blick auf den dem Verfahren C-272/19 zugrunde liegenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 28. März 2019 - 6 K 1016/15.WI - keine Veranlassung, an seiner Berechtigung zu einer Vorlage nach Art. 267 AEUV zu zweifeln.

Urteil vom 09.05.2019 -
BVerwG 1 C 21.18ECLI:DE:BVerwG:2019:090519U1C21.18.0

Vereinbarkeit der generalpräventiven Ausweisung mit § 53 AufenthG

Leitsätze:

1. Eine Ausweisung kann auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht auf generalpräventive Gründe gestützt werden (Fortführung von BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 - 1 C 16.17 - NVwZ 2019, 486).

2. Ein generalpräventives Ausweisungsinteresse muss zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch aktuell sein. Für Ausweisungsinteressen, die an strafbares Verhalten anknüpfen, bieten die strafrechtlichen Verjährungsfristen der §§ 78 ff. StGB einen geeigneten Rahmen zur Konkretisierung. Bei abgeurteilten Straftaten stellen die Fristen für ein Verwertungsverbot nach § 51 BZRG in jedem Fall die Obergrenze dar.

  • Rechtsquellen
    AufenthG § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, § 9a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, § 11 Abs. 1, § 53 Abs. 1, 2 und 3, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 und 2, § 60 Abs. 5
    BZRG § 35 Abs. 1, § 36 Satz 2 Nr. 1, § 46 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3, § 47 Abs. 1, § 51 Abs. 1, § 52
    EMRK Art. 3 und 8
    StGB § 78 Abs. 3 Nr. 4 und 5, § 78c Abs. 3 Satz 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 2, § 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 140

  • VG Koblenz - 21.01.2016 - AZ: VG 3 K 108/15.KO
    OVG Koblenz - 05.04.2018 - AZ: OVG 7 A 11529/17

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 09.05.2019 - 1 C 21.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:090519U1C21.18.0]

Urteil

BVerwG 1 C 21.18

  • VG Koblenz - 21.01.2016 - AZ: VG 3 K 108/15.KO
  • OVG Koblenz - 05.04.2018 - AZ: OVG 7 A 11529/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. Mai 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
für Recht erkannt:

  1. Die Revision, mit der nach der Abtrennung des Verfahrens 1 C 14.19 noch die Aufhebung der in der Ordnungsverfügung des Beklagten vom 24. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 7. Januar 2015 getroffenen Ausweisungsentscheidung begehrt wird, wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger wendet sich gegen seine allein auf generalpräventive Gründe gestützte Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

2 Der im Januar 1986 in Syrien geborene Kläger ist palästinensischer Volkszugehöriger mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Er reiste im September 1990 gemeinsam mit seinen Eltern unter falschen Personalien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Erfolglos suchte er um seine Anerkennung als Asylberechtigter nach. Seither wird sein Aufenthalt geduldet.

3 Mit rechtskräftigem Urteil vom 17. April 2013 verurteilte ihn das Oberlandesgericht Koblenz wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung in 39 Fällen sowie wegen Gewaltdarstellung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Billigung von Straftaten, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Ausweislich der tatsächlichen Feststellungen des Oberlandesgerichts verbreitete der Kläger im Zeitraum von September 2007 bis Dezember 2009 Video- und Textbotschaften islamistischer terroristischer Organisationen im Internet. Er gründete und betrieb das "Al-Ansar Media Battalion", das sich zu einem bedeutenden Medium zur Verbreitung islamistischer Propaganda im deutschsprachigen Raum entwickelte, und stellte unter anderem Erklärungen von Führern oder Repräsentanten terroristischer Vereinigungen auf verschiedenen Internetseiten ein. Im März 2014 wurde die Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe unter Anrechnung der Untersuchungshaft zur Bewährung ausgesetzt, wobei die Bewährungszeit auf vier Jahre festgesetzt wurde.

4 Mit Ordnungsverfügung vom 24. Februar 2014 wies der Beklagte den Kläger auf der Grundlage von § 53 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG a.F., hilfsweise von § 54 Satz 1 Nr. 1 AufenthG a.F. aus dem Bundesgebiet aus. Er stellte fest, dass die Ausweisung auch das Verbot der Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland enthalte, und setzte die Wirkung der Ausweisung auf sechs Jahre, beginnend mit dem Tag der Ausreise, fest. Die zugleich verfügte Abschiebungsandrohung hob der Beklagte im Erörterungstermin vor dem Widerspruchsausschuss auf. Widerspruch und Klage sind im Übrigen ohne Erfolg geblieben.

5 Mit bestandskräftigem Bescheid vom 21. Juli 2017 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen weiteren Asylantrag des Klägers auf der Grundlage des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AsylG beziehungsweise des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Zugleich hat es das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Bezug auf die Arabische Republik Syrien festgestellt.

6 Im März 2018 hat der Beklagte das ursprünglich auf sechs Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von vier Jahren ab einer etwaigen Ausreise verkürzt und unabhängig von einer etwaigen Ausreise bis längstens zum 21. Juli 2023 befristet.

7 Mit dem angegriffenen Urteil vom 5. April 2018 hat das Oberverwaltungsgericht die auf die Aufhebung der Ausweisung und die weitergehende Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Grundlage der Ausweisung seien die §§ 53 ff. AufenthG. Bei einer umfassenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit überwiege das öffentliche Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Wegen einer ansonsten bewirkten negativen Vorbildwirkung gefährde dessen (unbeschränkter) Aufenthalt im Bundesgebiet die in § 53 Abs. 1 AufenthG geschützten Rechtsgüter. Es liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor. Behörden und Gerichte dürften grundsätzlich, so auch hier, davon ausgehen, dass eine aus Anlass einer strafgerichtlichen Verurteilung verfügte Ausweisung zur Verwirklichung dieses Zwecks geeignet sei und sich Ausländer, die sich in einer mit dem Betroffenen vergleichbaren Situation befänden, durch dessen Ausweisung von gleichen oder ähnlichen strafbaren Handlungen abhalten ließen. Die Besonderheiten der Umstände der Taten, deretwegen er verurteilt worden sei, nähmen seiner Ausweisung nicht die Eignung einer generalpräventiven Wirkung. Sowohl das durch die Ausweisung bewirkte Einreise- und Aufenthaltsverbot als auch die in § 11 Abs. 1 AufenthG vorgesehene Titelerteilungssperre seien geeignet, anderen Ausländern vor Augen zu führen, dass derartige Verstöße gegen die Rechtsordnung aufenthaltsrechtlich nicht folgenlos blieben. Die Eignung der Ausweisung, in generalpräventiver Hinsicht Wirkung zu zeigen, werde auch nicht durch den seit der Begehung der Tathandlungen verstrichenen Zeitraum infrage gestellt. Das generalpräventiv begründete Ausweisungsinteresse wiege hier nicht nur nach der gesetzlichen Typisierung gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, sondern auch nach der individuellen Würdigung der Tat unter Einbeziehung des generalpräventiven Anlasses besonders schwer. Die von dem Kläger begangenen Straftaten fielen hinsichtlich des Deliktstyps in den Bereich des Terrorismus, sodass das generalpräventive Anliegen, andere Ausländer in einer vergleichbaren Situation von der Begehung entsprechender Taten abzuhalten, dem Schutz sowohl der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als auch von Rechtsgütern höchsten Rangs diene. Die Anzahl der Straftaten, die Art ihrer Begehung, deren Verübung über einen erheblichen Zeitraum hinweg und deren Wirkungen bestätigten die Annahme eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses im Einzelfall und rechtfertigten die Annahme eines dringenden Bedürfnisses, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von der Begehung von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Der Kläger, der trotz seines langjährigen Aufenthalts zu keinem Zeitpunkt einen rechtmäßigen Aufenthalt erlangt habe, könne sich auf keine gesetzlich typisierten Bleibeinteressen berufen. Zu berücksichtigen sei indes, dass er bereits im Jahr 1990 im Alter von vier Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei, hier sein Fachabitur bestanden und sein Bachelor-Studium im Fach Informatik abgeschlossen habe. Trotz arabischer Sprachkenntnisse verfüge er über verfestigte Bindungen weder in der Arabischen Republik Syrien noch in einem anderen Drittstaat. Seine Eltern und Geschwister, die mittlerweile im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen seien, lebten im Bundesgebiet. Zu ihnen habe er Kontakt. Es sei allerdings nichts dafür ersichtlich, dass irgendein naher, in Deutschland lebender Familienangehöriger auf seine Hilfe angewiesen sei. Der Kläger sei alleinstehend, noch relativ jung und gut ausgebildet. Ein erheblicher Zeitraum des lediglich geduldeten Aufenthalts sei darauf zurückzuführen, dass bis in das Jahr 2005 zunächst seine Eltern und später auch er selbst über ihre Identität getäuscht hätten. Nach alledem überwiege das generalpräventiv begründete besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse, dessen Gewicht am oberen Rand des Möglichen anzusiedeln sei, deutlich das maßgeblich auf dem langen, indes nur geduldeten Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland beruhende Bleibeinteresse des Klägers. Zwar begründe die Ausweisung einen Eingriff in dessen Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG und aus Art. 8 Abs. 1 EMRK. Dieser sei indes verhältnismäßig. Der durch eine generalpräventive Ausweisung zu erreichende Schutz vor Terrorismus und damit im Zusammenhang stehenden und diesen fördernden Straftaten sei - so auch hier - in einer demokratischen Gesellschaft, die durch den Terrorismus in ihrem Wesensgehalt angegriffen wird, notwendig. Dies gelte selbst für den Fall, dass der Kläger infolge der Ausweisung die Bundesrepublik Deutschland verlassen müsste.

8 Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

9 Mit Beschluss vom 9. Mai 2019 hat der Senat das Verfahren gemäß § 93 Satz 2 VwGO abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 1 C 14.19 fortgeführt, soweit es die Entscheidung betrifft, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von vier Jahren ab einer etwaigen Ausreise zu verkürzen und unabhängig von einer etwaigen Ausreise bis längstens zum 21. Juli 2023 zu befristen.

II

10 Die Revision des Klägers, die sich nach der Abtrennung des Verfahrens 1 C 14.19 allein gegen die Entscheidung richtet, den Kläger aus generalpräventiven Gründen aus dem Bundesgebiet auszuweisen, hat keinen Erfolg. Die Ausweisung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

11 Maßgeblich für ihre rechtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung ist daher das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des am 1. August 2018 in Kraft getretenen Gesetzes vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1147), zugrunde zu legen.

12 Die Ausweisung des Klägers findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Nach den hierzu in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätzen (1.) hat das Berufungsgericht ohne Bundesrechtsverstoß dahin erkannt, dass der Aufenthalt des Klägers wegen der Erfüllung eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet (2.) und auch unter Berücksichtigung der Interessen des Klägers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet (3.) das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiegt (4.).

13 1. Die Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Die Maßstäbe, die der rechtlichen Beurteilung einer Ausweisungsverfügung zugrunde zu legen sind, hat der Senat in seinem Urteil vom 22. Februar 2017 geklärt (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 3.16 - BVerwGE 157, 325 Rn. 20 ff.) und in der Folge bestätigt (BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2017 - 1 C 12.16 - juris Rn. 15 ff.).

14 2. Der Kläger erfüllt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (2.1); und gefährdet dadurch hier die öffentliche Sicherheit und Ordnung (2.2).

15 2.1 Bei dem Kläger liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 und § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, da er wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil vom 17. April 2013 verurteilte ihn das Oberlandesgericht K. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten.

16 2.2 Das Berufungsgericht hat seine Bewertung, der weitere Aufenthalt des Klägers gefährde im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG die öffentliche Sicherheit, ohne Bundesrechtsverstoß allein auf generalpräventive Erwägungen gestützt (a), insoweit sind auch die zeitlichen Grenzen einer Berücksichtigung des hier verwirklichten Ausweisungsinteresses nicht überschritten (b).

17 a) Der Senat hat in seinem Urteil vom 12. Juli 2018 - 1 C 16.17 - (NVwZ 2019, 486 Rn. 16 ff.) für die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG dargelegt, dass und aus welchen Gründen auch allein generalpräventive Gründe ein Ausweisungsinteresse begründen können. Diese Erwägungen gelten gleichermaßen für die Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG selbst; die Revisionsbegründung gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Denn auch hier muss lediglich der weitere "Aufenthalt" eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bewirken. Vom weiteren Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann indes auch dann eine solche Gefahr ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (vgl. zum früheren Ausweisungsrecht: BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 17 ff.). Diese Auslegung des Wortlauts wird binnensystematisch durch § 53 Abs. 3 AufenthG, der ausdrücklich für bestimmte ausländerrechtlich privilegierte Personengruppen verlangt, dass das "persönliche Verhalten des Betroffenen" eine schwerwiegende Gefahr darstellt, sowie die Gesetzgebungsgeschichte (BT-Drs. 18/4097 S. 49) bestätigt. Auch aus weiteren Regelungen des Aufenthaltsgesetzes, z.B. § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG, ergibt sich, dass es generalpräventive Ausweisungsinteressen berücksichtigt sehen will.

18 b) Eine generalpräventiv gestützte Ausweisung kann indes nur an ein Ausweisungsinteresse anknüpfen, das noch aktuell, also zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung noch vorhanden ist; denn jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse verliert mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung und kann ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr herangezogen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 2002 - 1 C 6.01 - BVerwGE 115, 352 <360>).

19 aa) Die für die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entwickelten Grundsätze (BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 - 1 C 16.17 - NVwZ 2019, 486 Rn. 22 ff.) sind auch insoweit auf die Ausweisung selbst zu übertragen. Für die generalpräventive Ausweisung bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln. Bei abgeurteilten Straftaten bilden die Tilgungsfristen des § 46 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz - BZRG) zudem eine absolute Obergrenze, weil nach deren Ablauf die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten werden dürfen (§ 51 BZRG).

20 bb) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war das an die von dem Kläger begangenen Straftaten anknüpfende generalpräventive Ausweisungsinteresse noch aktuell. Der Straftatbestand des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StGB) unterliegt gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB einer einfachen Verjährungsfrist von fünf Jahren. Dieser Zeitraum war in dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht am 5. April 2018 zwar hinsichtlich sämtlicher Taten verstrichen. Die absolute Verjährung des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB war indes für die zwischen dem 30. September 2007 und dem 27. November 2009 begangenen Taten zwar in Bezug auf 12 der 39 Taten, nicht hingegen hinsichtlich der weiteren Taten eingetreten. Ein Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 i.V.m. § 46 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 3 i.V.m. § 47 Abs. 1 i.V.m. § 35 Abs. 1, § 36 Satz 2 Nr. 1 BZRG greift hier für keine der zur Verurteilung gelangten Anknüpfungsstraftaten.

21 Bei der Gewichtung des öffentlichen Interesses an einer generalpräventiven Ausweisung können jedenfalls dann auch die der absoluten Verfolgungsverjährung unterfallenden Taten, soweit sie nicht einem registerrechtlichen Verwertungsverbot unterliegen, berücksichtigt werden, wenn sie - wie hier - in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit den noch nicht absolut verjährten Handlungen gestanden haben und daher geeignet sind, deren Gewicht mit zu bestimmen. Dies ist hier auch für die Handlungen der Fall, die der Verurteilung wegen Gewaltdarstellung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Billigung von Straftaten zugrunde liegen.

22 cc) Für die Aktualität des Ausweisungsinteresses rechtfertigen die Art der vom Kläger begangenen Straftaten sowie die Nachhaltigkeit, mit der sie über einen längeren Zeitraum öffentlichkeitswirksam begangen wurden, die Ausschöpfung des vom Senat zugrunde gelegten Fristenrahmens. Denn es besteht ein hohes öffentliches Interesse an der Verhinderung von vergleichbaren Straftaten, dem durch wirksame verhaltenslenkende Maßnahmen Rechnung zu tragen ist.

23 Die Straftatbestände des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StGB, der Gewaltdarstellung gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB und des Billigens einer Straftat nach § 140 StGB sind in besonderer Weise generalpräventiven Interessen zu dienen bestimmt. Die Normen bezwecken den Schutz der inneren öffentlichen Sicherheit und Ordnung einschließlich des öffentlichen Friedens. Mit der Schaffung des § 129a StGB trug der Gesetzgeber der besonderen Gefährlichkeit Rechnung, die von den betreffenden Vereinigungen ausgeht (BGH, Beschluss vom 5. Januar 1982 - 1 BJs 350/81, StB 53/81 - NStZ 1982, 198 und Urteil vom 22. Februar 1995 - 3 StR 583/94 - BGHSt 41, 47 <51>). Schutzgut des Verbreitungsdelikts des § 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist der öffentliche Friede; es soll einer "Gefährdung der Allgemeinheit durch das Entstehen eines psychischen Klimas, in dem schwere, sozialschädliche Gewalttaten gedeihen können", entgegenwirken (BT-Drs. 10/6286 S. 7). § 140 StGB zielt als abstraktes Gefährdungsdelikt darauf, der Entstehung eines "psychischen Klimas" vorzubeugen, das die Nachahmung der in der Norm bezeichneten Delikte begünstigt (BGH, Urteil vom 17. Dezember 1968 - 1 StR 161/68 - BGHSt 22, 282 <286>). Die Nachhaltigkeit der Tatbegehung verstärkt das öffentliche Interesse daran, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Verstöße gegen die Rechtsordnung abzuhalten. Besondere Umstände in der Person des Klägers, seiner Lebenssituation, den Umständen der Tatbegehung oder der Ausweisungsanordnung selbst, welche die Eignung einer generalpräventiv gestützten Ausweisung berühren könnten, sind substantiiert nicht geltend gemacht und jedenfalls vom Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Im Einklang mit Bundesrecht sieht das Oberverwaltungsgericht die Eignung der Ausweisung, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Verstöße gegen die Rechtsordnung abzuhalten, auch nicht dadurch infrage gestellt, dass der Kläger aufgrund des zu seinen Gunsten festgestellten Abschiebungsverbots bis auf Weiteres nicht nach Syrien abgeschoben werden kann und selbst eine Verschlechterung seines bisherigen Aufenthaltsstatus mangels rechtmäßigen Aufenthalts nicht bewirkt werden konnte. Auch der mit der Ausweisung derzeit allein verbundenen Titelerteilungssperre nach § 11 Abs. 1 letzte Alt. AufenthG ist eine generalpräventive Wirkung beizumessen (siehe auch BVerwG, Urteil vom 31. August 2004 - 1 C 25.03 - BVerwGE 121, 356 <362> und Beschluss vom 18. August 1995 - 1 B 55.95 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG Nr. 7 S. 13 f.).

24 3. Die dem öffentlichen Ausweisungsinteresse entgegenstehenden Bleibeinteressen des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend bestimmt. Es ist frei von Rechtsfehlern davon ausgegangen, der Kläger könne sich nicht auf ein besonders schwerwiegendes oder schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 oder 2 AufenthG berufen, und hat im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 3.16 - BVerwGE 157, 325 Rn. 24) für die Abwägungsentscheidung im Rahmen des § 53 Abs. 2 AufenthG auch weitere, nicht ausdrücklich in § 55 AufenthG typisierte Bleibeinteressen berücksichtigt, ohne deren hier durchaus erhebliches Gewicht zu verkennen.

25 Zugunsten des Klägers hat es dessen Einreise als Minderjähriger, dessen langjährigen - infolge einer ursprünglich durch seine Eltern begangenen Identitätstäuschung indes nur geduldeten - Aufenthalt und dessen insbesondere in der Schul- und Hochschulausbildung zum Ausdruck gelangende Integrationsleistungen berücksichtigt. Zudem hat es in den Blick genommen, dass der Kläger nach Aktenlage seit seiner Einreise nicht mehr in Syrien gewesen sei, er dort über keine verfestigten Bindungen in diesen Staat verfüge und seine Eltern und Geschwister, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis seien, im Bundesgebiet lebten, ohne dass ein Familienmitglied auf seinen Beistand angewiesen sei. Für die Gewichtung der Bleibeinteressen konnte es berücksichtigen, dass, wenngleich eine Wiedereingliederung in Syrien mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre, der alleinstehende Kläger über arabische Sprachkenntnisse verfüge und gut ausgebildet sei, sodass grundsätzlich gute Chancen auf einen Neuanfang in einem anderen Staat bestünden. Vom Oberverwaltungsgericht nicht benannte Bleibeinteressen von Gewicht hat auch der Kläger nicht geltend gemacht.

26 4. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 25 f., 18 f.). Das ist revisionsrechtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden.

27 Das Oberverwaltungsgericht hat insbesondere zutreffend erkannt, dass das hier besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auch bei der gebotenen individuellen Würdigung der Tat unter Einbeziehung des generalpräventiven Anlasses (dazu BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 17) ganz erhebliches Gewicht hat und am oberen Bereich des Möglichen anzusiedeln ist. Der Kläger hat über einen längeren Zeitraum öffentlichkeitswirksam für die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung bzw. für deren Unterstützung geworben. Nicht allein die eigenhändige Vornahme terroristischer Handlungen, auch deren Unterstützung berührt Rechtsgüter von höchstem Gewicht und ist u.a. im nationalen Aufenthaltsrecht (s. nur § 5 Abs. 4, § 54 Abs. 1 Nr. 2 oder 4, § 58a AufenthG) und unionsrechtlich (Richtlinie <EU> 2017/541 vom 15. März 2017 zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates und zur Änderung des Beschlusses 2005/671/JI des Rates) auf das Schärfste geächtet, weil sie einen der schwersten Angriffe auf die Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit, die allen Mitgliedstaaten gemein sind und die der Union zugrunde liegen, darstellt (Erwägungsgrund 2 Richtlinie <EU> 2017/541); auch das Völkerrecht verpflichtet die Staaten auf eine wirksame Bekämpfung des Terrorismus (s. nur das Internationale Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999, BGBl. 2003 II S. 1923).

28 Bei der Würdigung der entgegenstehenden Bleibeinteressen im Rahmen der Gesamtabwägung braucht der Senat hier nicht zu vertiefen, mit welchem Gewicht sich der Kläger, der ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet sich seit seiner Einreise nicht genehmigungsfrei oder mit der erforderlichen Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufgehalten hat, auf die Achtung seines Privatlebens und auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit berufen kann (Art. 8 EMRK) und welche Bedeutung hierbei dem Umstand beizumessen ist, dass die Ausweisung hier zwar generalpräventiv begründet wird, aber an eine Unterstützung einer terroristischen Vereinigung anknüpft. Das Oberverwaltungsgericht durfte hier jedenfalls bereits bei der Ausweisungsentscheidung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigen, dass auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, weil ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht und eine konkrete Beeinträchtigung seiner schützenswerten Bleibeinteressen durch Abschiebung konkret mithin nicht droht (BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2017 - 1 C 3.16 - BVerwGE 157, 325 Rn. 58 und vom 25. Juli 2017 - 1 C 12.16 - juris Rn. 31). Bei einem künftigen Wegfall des in Bezug auf die Arabische Republik Syrien festgestellten Abschiebungsverbotes ist der Kläger nicht gehindert, seine dann anders zu gewichtenden Bleibeinteressen im Rahmen eines Verfahrens nach § 11 Abs. 4 AufenthG geltend zu machen, soweit der Wegfall nicht als wesentliche Änderung der Sachlage im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG zu werten wäre. Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung ergeben sich hier auch nicht aus der Dauer des vom Beklagten festgesetzten Einreise- und Aufenthaltsverbotes, das jedenfalls am Maßstab des nationalen Rechts nicht zu beanstanden ist (vgl. dazu und zu den noch offenen unionsrechtlichen Fragen BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2019 - 1 C 14.19 ).

29 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss vom 06.05.2020 -
BVerwG 1 C 14.19ECLI:DE:BVerwG:2020:060520B1C14.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 06.05.2020 - 1 C 14.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:060520B1C14.19.0]

Beschluss

BVerwG 1 C 14.19

  • VG Koblenz - 21.01.2016 - AZ: VG 3 K 108/15.KO
  • OVG Koblenz - 05.04.2018 - AZ: OVG 7 A 11529/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Mai 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:

Das Bundesverwaltungsgericht nimmt zu dem unter dem 24. April 2020 übermittelten Auskunftsersuchen des Gerichtshofs der Europäischen Union wie in den Gründen dieses Beschlusses ausgeführt Stellung.

Gründe

1 1. Der Gerichtshof der Europäischen Union ersucht das vorlegende Gericht zu bestätigen, ob die Darstellung der deutschen Rechtslage seitens der deutschen Regierung in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen und die dort vertretene Auffassung, die Bundesrepublik Deutschland habe von der Option des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2008/115/EG Gebrauch gemacht, zutreffen.

2 Das Bundesverwaltungsgericht hält an seiner - bereits in dem Vorlagebeschluss vertretenen - Auslegung der deutschen Rechtslage fest, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2008/115/EG beschlossen hat, Drittstaatsangehörige, die infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind, dem Anwendungsbereich der Richtlinie insgesamt zu entziehen. Das gilt auch nach der nach Ergehen des Vorlagebeschlusses etwas geänderten Rechtslage, die nunmehr auf den Rechtsstreit Anwendung findet.

3 § 11 AufenthG ist mit dem Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294) mit Wirkung vom 21. August 2019 wie folgt gefasst worden:
§ 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot
(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.
(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. ....
(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.
(4) ...
(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. ...

4 Weder in § 11 AufenthG (alter wie neuer Fassung) noch in anderen Regelungen des Aufenthaltsgesetzes findet sich ein - ausdrücklicher oder doch sonst hinreichend klarer - Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber Drittstaatsangehörige, die infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind, (insgesamt) vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausnehmen wollte.

5 Allerdings enthielten auch die vorherigen Fassungen der nunmehr in § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG getroffenen Regelung bereits die Ermächtigung zu einer über fünf Jahre hinausgehenden Dauer des Einreiseverbots und wurde in den Begründungen der jeweiligen Gesetzentwürfe in diesem Zusammenhang auf Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2008/115/EG Bezug genommen (BT-Drs. 17/6053 S. 7 i.V.m. BT-Drs. 17/5470 S. 21; BT-Drs. 18/4097 S. 36). In der Stellungnahme der deutschen Regierung wird insbesondere die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 12. April 2011 (BT-Drucks. 17/5470 S. 21) zutreffend wiedergegeben, der zufolge "[d]ie in dem neuen Satz 4 [des § 11 Abs. 1 AufenthG a.F.] vorgesehenen Ausnahmen von der regelmäßigen Höchstfrist von 5 Jahren ... auf Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b - gegenüber verurteilten Straftätern wird der Anwendungsbereich der Richtlinie insoweit eingeschränkt - und Artikel 11 Absatz 2 Satz 2 (schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung) der Rückführungsrichtlinie [beruhen]".

6 Aus dieser Begründung ergibt sich aber lediglich, dass der Gesetzgeber in Bezug auf Drittstaatsangehörige, die wegen strafgerichtlicher Verurteilungen ausgewiesen worden und deshalb "infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig" sind, unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2008/115/EG punktuell ("insoweit") von einer bestimmten Regelung der Richtlinie abweichen wollte: Drittstaatsangehörige, die nach einzelstaatlichem Recht infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind, sollten von dem personellen Anwendungsbereich des Art. 11 Abs. 2 RL 2008/115/EG, der die Geltungsdauer des Einreiseverbots im Grundsatz auf die Höchstdauer von fünf Jahren beschränkt und Ausnahmen nur bei schwerwiegender Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit zulässt, ausgenommen werden. Es fehlen indes Anhaltspunkte für eine darüber hinaus gehende Absicht, Drittstaatsangehörige, die wegen strafgerichtlicher Verurteilungen ausgewiesen worden sind, dem gesamten Anwendungsbereich der Richtlinie zu entziehen.

7 Im Ergebnis nicht entscheidungserheblich ist, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2008/115/EG den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer lediglich punktuellen Abweichung eröffnet; wäre dies nicht der Fall, so wäre Rechtsfolge die Nichtanwendbarkeit der verlängerten Fristen.

8 Etwas anderes ergibt sich nach Ansicht des vorlegenden Gerichts auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs vom 19. September 2013 - C-297/12, Filev und Osmani - (vgl. insbesondere Rn. 54), in dem der Gerichtshof hinsichtlich der - dort nicht entscheidungserheblichen - Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland zu einem späteren als dem dort maßgeblichen Zeitpunkt von der in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2008/115/EG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Beurteilung des vorlegenden Amtsgerichts zugrunde gelegt hat.

9 2. Der Gerichtshof ersucht weiter um Klarstellung der Verbindung, die nach dem nationalen Recht zwischen der gegen den Kläger des Ausgangsverfahrens verhängten strafrechtlichen Sanktion und den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verwaltungsrechtlichen Maßnahmen besteht. Diese Verbindung wird - anknüpfend an die Ausführungen im Vorlagebeschluss (Rn. 13 ff., 25, 26, 29) - nochmals wie folgt erläutert:

10 Strafgerichtliche Verurteilungen können nach nationalem Recht zu einer Ausweisung führen. Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, wird nach § 53 Abs. 1 AufenthG ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. §§ 54 und 55 AufenthG präzisieren und gewichten die hierbei zu berücksichtigenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen. Eine solche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann aus strafgerichtlichen Verurteilungen in der Vergangenheit folgen, wenn entweder Wiederholungsgefahr besteht (spezialpräventive Ausweisung) oder die Ausweisung zur Abschreckung anderer Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten auch unter Berücksichtigung des zwischenzeitlichen Zeitablaufs (noch) erforderlich erscheint (generalpräventive Ausweisung). Eine solche Ausweisung ist gegenüber dem Kläger hier mit Ordnungsverfügung vom 24. Februar 2014 erlassen worden (Vorlagebeschluss Rn. 4). Sie ist maßgeblich auf die Verurteilungen des Klägers wegen von ihm begangener Straftaten (Vorlagebeschluss Rn. 3) und das daraus folgende Interesse gestützt worden, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten (generalpräventive Erwägungen). Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rechtmäßigkeit dieser Ausweisung durch Urteil vom 9. Mai 2019 - 1 C 21.18 - bestätigt, wodurch diese bestandskräftig geworden ist (Vorlagebeschluss Rn. 8).

11 Das Einreiseverbot, das den Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens bildet, war nach dem im Vorlagebeschluss zugrunde gelegten nationalen Recht (dort Rn. 13) kraft Gesetzes nicht nur mit jeder Abschiebung, sondern auch mit einer jeden Ausweisung verbunden. Es brauchte von der Behörde nicht gesondert angeordnet zu werden, musste durch diese jedoch von Amts wegen befristet werden. Diese Rechtslage ist durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294), das auf den Rechtsstreit Anwendung findet, dahin geändert worden, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG nunmehr (in allen dort vorgesehenen Fällen) durch die Behörde zu erlassen ist.

12 Hintergrund der Gesetzesänderung war eine Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der ein allein auf einer Anordnung des Gesetzgebers beruhendes Einreise- und Aufenthaltsverbot, jedenfalls soweit es an eine Abschiebung anknüpft, nicht im Einklang mit der Richtlinie 2008/115/EG (insbesondere mit deren Art. 3 Nr. 6) steht. Das Bundesverwaltungsgericht ist in diesen Fällen aber davon ausgegangen, dass die behördliche Befristung eines (vermeintlich) kraft Gesetzes eintretenden Einreiseverbots regelmäßig so ausgelegt werden kann, dass damit ein Einreiseverbot von bestimmter Dauer angeordnet wird (BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 2017 - 1 VR 3.17 - Leitsatz 1). Dementsprechend kann auch hier die durch die Behörde vorgenommene Befristung als Erlass eines befristeten Einreiseverbots verstanden werden (siehe auch Vorlagebeschluss Rn. 27).

13 Nichts geändert hat sich durch die neue Rechtslage daran, dass das Einreiseverbot in Ausweisungsfällen nach nationalem Recht bereits mit der Ausweisung einhergeht (s.o. § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG), unabhängig davon, ob zugleich auch eine Abschiebungsandrohung erlassen wird (s. a. Vorlagebeschluss Rn. 29, 35). Die Ausweisung bewirkt allerdings regelmäßig zunächst nur die Beendigung des legalen Aufenthalts im Sinne von Art. 6 Abs. 6 RL 2008/115/EG. Denn gemäß § 51 Abs. 1 Halbs. 1 Nr. 5 AufenthG erlischt ein dem Ausländer erteilter Aufenthaltstitel im Falle seiner Ausweisung (Vorlagebeschluss Rn. 32). Dadurch wird der Ausländer nach § 50 Abs. 1 AufenthG kraft Gesetzes ausreisepflichtig.

14 Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist für die freiwillige Ausreise anzudrohen. In dieser Abschiebungsandrohung sieht das vorlegende Gericht die Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 RL 2008/115/EG (näher Vorlagebeschluss Rn. 31 f.). Sie ergeht bei Ausweisungen in der Regel zeitgleich mit der Ausweisung. Das nationale Recht knüpft den Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots in § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG aber bereits an die Ausweisung, verpflichtet also zu seinem Erlass auch dann, wenn keine Abschiebungsandrohung ergeht oder diese - wie hier - später durch die Behörde wieder aufgehoben wird.

Beschluss vom 07.07.2021 -
BVerwG 1 C 15.21ECLI:DE:BVerwG:2021:070721B1C15.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 07.07.2021 - 1 C 15.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:070721B1C15.21.0]

Beschluss

BVerwG 1 C 15.21

  • VG Koblenz - 21.01.2016 - AZ: VG 3 K 108/15.KO
  • OVG Koblenz - 05.04.2018 - AZ: OVG 7 A 11529/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Juli 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Das Revisionsverfahren wird eingestellt.
  2. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 21. Januar 2016 und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. April 2018 sind, soweit sie das mit Ordnungsverfügung des Beklagten vom 24. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 7. Januar 2015 ergangene Einreise- und Aufenthaltsverbot betreffen, wirkungslos.
  3. Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens, soweit über diese nicht bereits rechtskräftig erkannt ist.
  4. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 i.V.m. § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO einzustellen. Gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. einer entsprechenden Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO sind die Entscheidungen der Vorinstanzen, soweit sie das mit Ordnungsverfügung des Beklagten vom 24. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 7. Januar 2015 ergangene Einreise- und Aufenthaltsverbot betreffen, wirkungslos.

2 Über die Kosten des Verfahrens ist insoweit unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Billigem Ermessen entspricht es in der Regel, so auch hier, demjenigen Verfahrensbeteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der das erledigende Ereignis aus eigenem Willensentschluss herbeigeführt hat (BVerwG, Beschluss vom 3. April 2017 - 1 C 9.16 - NVwZ 2017, 1207 Rn. 7). Danach hat hier der Beklagte die das Einreise- und Aufenthaltsverbot betreffenden Verfahrenskosten zu tragen, da er den Kläger durch die im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 3. Juni 2021 - C-546/19 - verfügte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots klaglos gestellt hat.

3 Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstands des Revisionsverfahrens beruht auf § 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.