Verfahrensinformation

Der 1994 geborene Kläger türkischer Staatsangehörigkeit, der bei seiner Mutter in der Türkei lebt, begehrt ein Visum zum Familiennachzug zu seinem seit 1996 in Deutschland lebenden Vater. Dieser, ebenfalls ein türkischer Staatsangehöriger, war mit einer Deutschen verheiratet, von der er im Jahre 2005 geschieden wurde, und besitzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Im April 2008 übertrug das zuständige türkische Amtsgericht das Sorgerecht für den Kläger von der Mutter auf ihn. Einen daraufhin auf § 32 Abs. 3 AufenthG gestützten Visumantrag des Kindes lehnte die Deutsche Botschaft in Ankara ab, weil nicht von einer wirksamen Sorgerechtsübertragung ausgegangen werden könne. Die Klage hatte vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Erfolg. Dieses geht davon aus, dass die Entscheidung des türkischen Familiengerichts zu respektieren sei, da sie weder verfahrensrechtlich noch materiellrechtlich gegen den deutschen ordre public verstoße. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, welche verfahrensrechtlichen Anforderungen an eine ausländische Sorgerechtsentscheidung der deutsche ordre public begründet.


Verfahrensinformation

Die 1994 und 1996 geborenen Kläger türkischer Staatsangehörigkeit, die bei ihrer Großmutter in der Türkei leben, begehren Visa zum Familiennachzug zu ihrem seit 1996 in Deutschland lebenden Vater. Dieser, ebenfalls ein türkischer Staatsangehöriger, ist mit einer Deutschen verheiratet und besitzt eine Aufenthaltserlaubnis. Im Februar 2006 übertrug das zuständige türkische Amtsgericht das Sorgerecht für die Kläger von der Mutter auf ihn. Die daraufhin auf § 32 Abs. 3 AufenthG gestützten Visaanträge der Kinder lehnte die Deutsche Botschaft in Ankara ab, weil nicht von einer wirksamen Sorgerechtsübertragung ausgegangen werden könne. Die Klagen hatten vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Erfolg. Dieses geht davon aus, dass die Entscheidung des türkischen Familiengerichts zu respektieren sei, da sie weder verfahrensrechtlich noch materiellrechtlich gegen den deutschen ordre public verstoße. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob „rein ausländerrechtlich und ökonomisch motivierte“ Sorgerechtsübertragungen ausländischer Gerichte wegen Verstoßes gegen den ordre public die Anerkennung zu versagen ist.


Verfahrensinformation

Der 1993 geborene Kläger türkischer Staatsangehörigkeit begehrt ein Visum zum Familiennachzug zu seinem seit 1997 in Deutschland lebenden Vater. Dieser, ebenfalls ein türkischer Staatsangehöriger, ist mit einer Deutschen verheiratet und besitzt eine Niederlassungserlaubnis. Im Januar 2007 übertrug das zuständige türkische Familiengericht das Sorgerecht für den Kläger von der Mutter auf ihn. Den auf § 32 Abs. 3 AufenthG gestützten Visumantrag des Klägers lehnte die Deutsche Botschaft in Ankara ab, da dem türkischen Sorgerechtsurteil wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public die Anerkennung versagt werden müsse. Die Klage hatte vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Erfolg. Dieses geht davon aus, dass die Entscheidung des türkischen Familiengerichts zu respektieren sei, da sie weder verfahrensrechtlich noch materiellrechtlich gegen den deutschen ordre public verstoße. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, welche verfahrensrechtlichen Anforderungen an eine ausländische Sorgerechtsentscheidung der deutsche ordre public begründet.


Verfahrensinformation

Die 19 Jahre alte Klägerin ist mongolische Staatsangehörige. Sie begehrt die Erteilung eines Visums zum Zweck der Familienzusammenführung zu ihrer in Deutschland lebenden Mutter. Die Mutter ist ebenfalls mongolische Staatsangehörige und seit 2008 mit einem Deutschen verheiratet. Durch Urteil eines mongolischen Zivilgerichts vom Dezember 2007 wurde der Mutter das alleinige Sorgerecht für ihre damals 14-jährige Tochter übertragen. Im Mai 2008 beantragte die Klägerin die Erteilung eines Visums zum Nachzug zu ihrer Mutter nach Deutschland. Dies lehnte die Deutsche Botschaft in Ulan Bator ab. Die hiergegen gerichtete Verpflichtungsklage blieb ohne Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg sieht die Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 AufenthG nicht als erfüllt an. Die Mutter der Klägerin sei nicht allein sorgeberechtigt, weil die Sorgerechtsübertragung von 2007 gegen den deutschen ordre public verstoße und daher nicht anzuerkennen sei. Zu den tragenden Verfahrensgrundsätzen des deutschen Rechts gehöre es, dass ein Kind im Sorgerechtsstreit anzuhören sei. Das sei hier nicht erfolgt und könne nach Abschluss des mongolischen Sorgerechtsverfahrens auch nicht mehr nachgeholt werden. Die Anhörung diene der Wahrung des Kindeswohls und sichere seinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG. Dem tritt die Klägerin mit ihrer Revision entgegen. Sie vertritt die Auffassung, dass der deutsche ordre public nicht verletzt sei. Das Verfahren vor dem mongolischen Zivilgericht habe rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprochen. Im Übrigen sei ein etwaiger Mangel nachträglich geheilt worden. Sie habe durch ihre Visumantragstellung von 2008 ihre Zustimmung jedenfalls nachträglich erklärt.


Pressemitteilung Nr. 114/2012 vom 29.11.2012

Sorgerechtsentscheidungen ausländischer Stellen sind grundsätzlich anzuerkennen

Deutsche Behörden und Gerichte müssen ausländische Sorgerechtsentscheidungen im Visumverfahren grundsätzlich anerkennen. Sie dürfen diese nur dann außer Acht lassen, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden. 


Das Bundesverwaltungsgericht hatte über mehrere Fälle zu entscheiden, in denen minderjährige Ausländer zu einem in Deutschland lebenden Elternteil nachziehen wollen. In drei Fällen war dem im Bundesgebiet lebenden Vater durch eine Entscheidung eines türkischen Gerichts, in einem Fall einer hier lebenden mongolischen Mutter das alleinige Sorgerecht übertragen worden.


Die Anträge auf Erteilung von Visa zum Zweck des Kindernachzugs wurden von den zuständigen deutschen Auslandsvertretungen abgelehnt. Das Auswärtige Amt war der Auffassung, dass die in § 32 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) enthaltene Nachzugsvoraussetzung der alleinigen Personensorgeberechtigung bei dem im Bundesgebiet lebenden Elternteil nicht vorliege. Die ausländischen Sorgerechtsentscheidungen seien nicht anzuerkennen, da sie mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) unvereinbar seien. In den die Türkei betreffenden Fällen hätten weder die Voraussetzungen für die Übertragung des Sorgerechts nach den Vorschriften des türkischen Familienrechts vorgelegen noch sei das Kindeswohl der Kläger von den türkischen Stellen ausreichend berücksichtigt worden. In dem Fall der Sorgerechtsübertragung in der Mongolei sei die bereits 14jährige Klägerin im gerichtlichen Verfahren nicht angehört worden, was mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar sei.


In den Verfahren der türkischen Kläger hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Bundesrepublik Deutschland zur Erteilung der beantragten Visa verpflichtet bzw. die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht ist der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zur Anerkennung der Sorgerechtsentscheidungen gefolgt. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass diese Sorgerechtsentscheidungen mit dem deutschen ordre public zu vereinbaren und deshalb aufenthaltsrechtlich zu respektieren sind. Nach Art. 16 des hier anzuwendenden Haager Minderjährigenschutz-Übereinkommens kann eine von einem ausländischen Gericht getroffene Sorgerechtsentscheidung nur dann unbeachtet bleiben, wenn die Anwendung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist. Dieser ordre public-Vorbehalt schließt es grundsätzlich aus, ausländische Entscheidungen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Von Bedeutung ist bei einer ausländischen Sorgerechtsübertragung nur, ob das Entscheidungsergebnis in einem so starken Widerspruch zu dem Grundgedanken des Kindeswohls steht, dass es untragbar erscheint, oder die Entscheidung in einem Verfahren zustande gekommen ist, das grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügt. Daran gemessen sind die hier zugrundeliegenden Sorgerechtsentscheidungen der türkischen Gerichte nicht zu beanstanden. Die Kläger sind angehört worden und haben - wie auch ihre Mütter - der Sorgerechtsübertragung zugestimmt. Die zugrundeliegende wirtschaftliche Motivation, dem Kind durch die Übersiedlung nach Deutschland eine bessere Förderung und Ausbildung zu bieten, spricht nicht gegen das Kindeswohl.


Der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat zwei der Berufungsurteile allerdings teilweise aufgehoben und die Sachen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil die Berechnungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG) Anlass zur Beanstandung gaben.


Im Fall der Klägerin aus der Mongolei hat das Bundesverwaltungsgericht die strittige Sorgerechtsentscheidung nicht anerkannt. Denn es ist mit Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts unvereinbar, im Sorgerechtsverfahren dem Kind keine Gelegenheit zur Äußerung einzuräumen. Vielmehr hat eine Anhörung entweder unmittelbar vor dem entscheidenden Gericht oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle zu erfolgen. Ist dies - wie hier - nicht geschehen, ist der Sorgerechtsübertragung die Anerkennung in Deutschland zu versagen. In diesem Verfahren wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob sich ein Nachzugsanspruch aus einem anderen Rechtsgrund ergibt.


BVerwG 10 C 4.12 - Urteil vom 29. November 2012

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, 11 B 3.10 - Urteil vom 25. Oktober 2011 -

VG Berlin, 9 K 135.09.V - Urteil vom 23. September 2009 -

BVerwG 10 C 5.12 - Urteil vom 29. November 2012

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, 11 B 23.10 - Urteil vom 25. Oktober 2011 -

VG Berlin, 29 K 154.10.V - Urteil vom 20. Juli 2010 -

BVerwG 10 C 11.12 - Urteil vom 29. November 2012

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, 2 B 6.22 - Urteil vom 23. Februar 2012 -

VG Berlin, 5 K 146.09.V - Urteil vom 20. Juli 2010 -

BVerwG 10 C 14.12 - Urteil vom 29. November 2012

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, 11 B 29.10 - Urteil vom 10. Mai 2012 -

VG Berlin, 11 K 542.09.V - Urteil vom 21. September 2010 -


Urteil vom 29.11.2012 -
BVerwG 10 C 11.12ECLI:DE:BVerwG:2012:291112U10C11.12.0

Leitsätze:

1. Das auf Erteilung eines Visums zum Kindernachzug gerichtete Begehren bildet einen einheitlichen Streitgegenstand. Die einzelnen Anspruchsgrundlagen des § 32 Abs. 1 bis 4 AufenthG stehen zueinander in Anspruchsnormenkonkurrenz.

2. Der verfahrensrechtliche ordre public im Sinne von § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG verlangt grundsätzlich, dass jedenfalls Jugendliche vor Erlass einer Sorgerechtsentscheidung persönlich angehört werden.

3. Eine Sorgerechtsentscheidung, die in einem Verfahren zustande gekommen ist, das den ordre public verletzt, kann trotzdem ausnahmsweise anerkannt werden, wenn die Nichtanerkennung das Kindeswohl gefährdet.

4. Ein Visumantrag nach § 6 Abs. 3 i. V. mit § 32 Abs. 2 AufenthG muss vor Vollendung des 18. Lebensjahres gestellt werden. Eine Antragstellung vor Vollendung des 16. Lebensjahres ist unschädlich.

  • Rechtsquellen
    AufenthG § 2 Abs. 11; § 6 Abs. 3, § 32 Abs. 2 bis 4
    EGBGB Art. 6, 21
    FamFG § 97 Abs. 1, § 108 Abs. 1, § 109 Abs. 1 Nr. 4
    GG Art. 6 Abs. 2
    KRK Art. 12 Abs. 2
    VwGO § 86 Abs. 1
    ZPO § 328

  • VG Berlin - 08.12.2010 - AZ: VG 5 K 146.09 V Berlin
    OVG Berlin-Brandenburg - 23.02.2012 - AZ: OVG 2 B 6.11

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 29.11.2012 - 10 C 11.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:291112U10C11.12.0]

Urteil

BVerwG 10 C 11.12

  • VG Berlin - 08.12.2010 - AZ: VG 5 K 146.09 V Berlin
  • OVG Berlin-Brandenburg - 23.02.2012 - AZ: OVG 2 B 6.11

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Prof. Dr. Kraft,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Februar 2012 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Die am 9. August 1993 geborene Klägerin, eine mongolische Staatsangehörige, begehrt ein Visum zum Familiennachzug zu ihrer in Deutschland lebenden Mutter. Sie lebt derzeit bei ihrer Großmutter in Ulan Bator.

2 Die Mutter der Klägerin, die ebenfalls die mongolische Staatsangehörigkeit besitzt, heiratete im Januar 2008 einen deutschen Staatsangehörigen und lebt seitdem in Deutschland. Sie ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, die zuletzt bis zum 12. Mai 2013 verlängert wurde. Mit dem in der Mongolei lebenden Vater der Klägerin war die Mutter nicht verheiratet.

3 Im Mai 2008 beantragte die Klägerin bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Ulan Bator die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu ihrer Mutter. Im August 2008 legte die Mutter der Ausländerbehörde der Beigeladenen das Urteil eines Zivilgerichts in Ulan Bator vom 19. Dezember 2007 vor. Darin wird verfügt, dass die Klägerin unter dem „alleinigen Sorgerecht ihrer Mutter“ steht. Zur Begründung seiner Entscheidung führt das mongolische Gericht u.a. an, dass der Vater aufgrund seiner Arbeitslosigkeit nicht in der Lage sei, für seine Tochter zu sorgen. Er sei mit der Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf die Mutter einverstanden.

4 Die Botschaft der Beklagten in Ulan Bator lehnte den Visumantrag der Klägerin zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 6. Juli 2009 ab. Die Klägerin habe keinen Nachzugsanspruch nach § 32 Abs. 3 AufenthG, weil ihre Mutter nicht Inhaberin des alleinigen Sorgerechts sei. Bei der Visumbeantragung sei angegeben worden, dass das Sorgerecht gemeinsam mit dem Vater ausgeübt werde, obwohl angeblich bereits am 19. Dezember 2007 die Übertragung des Sorgerechts erfolgt sei. Für die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf nicht miteinander verheiratete Eltern fehle im mongolischen Recht die Rechtsgrundlage. Eine Härte nach § 32 Abs. 4 AufenthG liege nicht vor. Die Betreuung der Klägerin sei auch während des langen Aufenthalts der Mutter in Deutschland gesichert gewesen.

5 Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Der Mutter der Klägerin sei das alleinige Sorgerecht durch das mongolische Gerichtsurteil nicht wirksam übertragen worden. Ausländische Sorgerechtsentscheidungen würden in Deutschland nach § 108 Abs. 1 FamFG zwar grundsätzlich anerkannt. Allerdings sei dieser Grundsatz nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG dann durchbrochen, wenn die Anerkennung der ausländischen Entscheidung zu einem Ergebnis führte, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar sei. Dies sei hier der Fall. Das mongolische Sorgerechtsurteil sei wegen der fehlenden Anhörung der Klägerin im Verfahren mit einem tragenden Verfahrensgrundsatz des deutschen Kindschaftsrechts nicht vereinbar.

6 Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens hat die Klägerin im Juli 2011 mitgeteilt, dass ein Zivilgericht in Ulan-Bator mit Entscheidung vom 13. Oktober 2010 - nunmehr nach persönlicher Anhörung - ihrer Mutter das Sorgerecht für sie und ihre jüngere Schwester zugesprochen habe. Weiter hat die Klägerin vorgetragen und im Termin zur mündlichen Verhandlung im Februar 2012 belegt, dass sie im 2. Studienjahr Germanistik studiere.

7 Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Sein Urteil hat es im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Mutter der Klägerin sei durch das vor dem maßgeblichen Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres ergangene Urteil vom 19. Dezember 2007 nicht Inhaberin des alleinigen Sorgerechts geworden, wie das § 32 Abs. 3 AufenthG erfordere. Denn das Urteil sei aufgrund eines Verstoßes gegen den verfahrensrechtlichen ordre public nicht anerkennungsfähig. Der Klägerin sei keine Gelegenheit eingeräumt worden, sich zu der beantragten Sorgerechtsentscheidung zu äußern. Dies gebiete nicht nur das deutsche Recht, sondern auch die UN-Kinderrechtskonvention. Die Verletzung des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG sei so schwerwiegend, dass nach der deutschen Rechtsordnung nicht mehr von einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ausgegangen werden könne. Eine Heilung durch eine nachträgliche Anhörung in dem zweiten, zum Urteil vom 13. Oktober 2010 führenden Sorgerechtsverfahren komme nicht in Betracht. Ein Anspruch nach § 32 Abs. 2 AufenthG bestehe ebenfalls nicht. Für die Beurteilung, ob die Altersgrenze erfüllt sei, komme es auf den Zeitpunkt der Stellung des Visumantrags an. Bei der Antragstellung sei die Klägerin noch keine 16 Jahre alt gewesen. Im Übrigen habe sie auch nicht nachgewiesen, dass sie zu dem maßgeblichen Zeitpunkt die erforderlichen Sprachkenntnisse besessen habe. Ebenso liege keine besondere Härte im Sinne des § 32 Abs. 4 AufenthG vor.

8 Mit der Revision wendet sich die Klägerin gegen die Verweigerung der Anerkennung der mongolischen Sorgerechtsentscheidung. Die möglicherweise fehlende Anhörung dürfe nicht zur Verweigerung der Anerkennung führen, weil die Entscheidung selbst dem Kindeswillen entspreche. Die Klägerin habe jedenfalls mit ihrem Visumantrag den Willen bekundet, zu ihrer Mutter zu ziehen. Im Übrigen ergebe sich der Visumanspruch auch aus § 32 Abs. 2 und 4 AufenthG.

9 Im Verlauf des Revisionsverfahrens ist der mittlerweile dreizehnjährigen Schwester der Klägerin ein Visum zum Familiennachzug zu ihrer Mutter erteilt worden; sie lebt nunmehr in Trier.

II

10 Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Zwar hat das Berufungsgericht einen Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug nach § 32 Abs. 3 AufenthG wegen der fehlenden Anerkennungsfähigkeit der mongolischen Sorgerechtsübertragung ohne Verstoß gegen revisibles Recht verneint (1.). Auch ein Nachzugsanspruch nach § 32 Abs. 4 AufenthG wurde zutreffend abgelehnt (2.). Das Berufungsgericht hat aber einen Anspruch der Klägerin nach § 32 Abs. 2 AufenthG mit einer Begründung verneint, die revisionsgerichtlicher Prüfung nicht standhält (3.). Insoweit beruht die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 AufenthG im Berufungsurteil kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Das Verfahren ist daher zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen (4.).

11 Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Verpflichtungsbegehren der Klägerin, ihr ein Visum zum Familiennachzug gemäß § 32 AufenthG zu ihrer in Deutschland lebenden Mutter zu erteilen. Alle Anspruchsgrundlagen des § 32 AufenthG stehen in Anspruchsnormenkonkurrenz zueinander; es liegen keine unterschiedlichen Streitgegenstände vor. Die Anspruchsgrundlagen des § 32 Abs. 1 bis 4 AufenthG beziehen sich auf unterschiedliche Fallgestaltungen auf Seiten der Eltern und Kinder (Sorgeberechtigung, Alter, Integrationsvoraussetzungen), sind aber alle ohne Unterschiede bei den Rechtsfolgen auf den Nachzug von Kindern zu ihren Eltern oder einem Elternteil gerichtet. Auch die Auffangvorschrift des Absatz 4 („Im Übrigen“) zeigt, dass in § 32 AufenthG ein einheitlicher Kindernachzugsanspruch mit unterschiedlichen Voraussetzungen für unterschiedliche Lebenssituationen der Betroffenen geregelt ist.

12 Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279>). Daher ist der Nachzugsanspruch der Klägerin an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union vom 1. Juni 2012 (BGBl I S. 1224). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.

13 1. Die Klägerin kann aus § 32 Abs. 3 AufenthG keinen Anspruch auf Kindernachzug zu ihrer in Deutschland lebenden Mutter ableiten. Nach dieser Bestimmung ist dem minderjährigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis - und vor der Ausreise gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG ein Visum - zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil u.a. eine Aufenthaltserlaubnis besitzen.

14 1.1 Zu Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin die altersbezogenen Voraussetzungen in § 32 Abs. 3 AufenthG erfüllt. Denn die Klägerin hatte zum Zeitpunkt der Stellung ihres Visumantrages im Mai 2008 das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet. Sind aufenthaltsrechtliche Ansprüche an eine Höchstaltersgrenze geknüpft - wie hier die Vollendung des 16. Lebensjahres -, ist für die Einhaltung der Altersgrenze ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (vgl. Urteil vom 7. April 2009 a.a.O.). Wenn die Altersgrenze im Laufe des Verfahrens überschritten wird, folgt daraus, dass die übrigen Anspruchsvoraussetzungen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze vorgelegen haben müssen. Danach eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Insoweit bedarf es mithin bei Anspruchsgrundlagen mit einer Höchstaltersgrenze, die der Betroffene - wie hier die Klägerin - im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten hat, einer auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogenen Doppelprüfung (Urteil vom 7. April 2009 a.a.O.).

15 1.2 Das Berufungsgericht hat aber im Einklang mit Bundesrecht die alleinige Sorgeberechtigung der in Deutschland lebenden Mutter der Klägerin verneint.

16 1.2.1 Der Begriff der alleinigen Personensorgeberechtigung ist mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl EG L 251 S. 12 vom 3. Oktober 2003) - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie - unionsrechtlich auszulegen. Im Sinne dieser Bestimmung besitzt ein Elternteil das Sorgerecht nur, wenn er „allein“ sorgeberechtigt ist, dem anderen Elternteil also bei der Ausübung des Sorgerechts keine substantiellen Mitentscheidungsrechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes (Urteil vom 7. April 2009 a.a.O. Rn. 16).

17 1.2.2 Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da der Anerkennung der mongolischen Sorgerechtsentscheidung vom 19. Dezember 2007 der verfahrensrechtliche ordre public entgegensteht.

18 Wem das Sorgerecht für ein Kind zusteht, beurteilt sich in Fällen mit Auslandsbezug anhand der Regelungen des Internationalen Privatrechts nach dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 21 EGBGB). Diese Kollisionsnorm, die die Auswahl des materiellrechtlichen Prüfungsmaßstabs bei einer anstehenden Sorgerechtsentscheidung steuert, tritt zurück, wenn bereits eine Sorgerechtsentscheidung einer ausländischen Stelle vorliegt und sich die verfahrensrechtliche Frage nach deren Anerkennung stellt.

19 Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass durch das Urteil des Zivilgerichts im Stadtbezirk Bayangol von Ulan Bator vom 19. Dezember 2007 der Mutter der Klägerin das bis dahin ihren Eltern gemeinsam zustehende Sorgerecht für die Klägerin übertragen wurde (UA S. 12). Es hat aber offen gelassen, ob die Übertragung wirksam war, weil eine Anerkennung der Sorgerechtsübertragung wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public nicht in Betracht komme (UA S. 8).

20 Die Anerkennung ausländischer Urteile richtet sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 328 ZPO. Für die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen enthält § 108 Abs. 1 i.V.m. § 109 FamFG allerdings eine Sonderregelung, die die Grundnorm des § 328 ZPO auch im Verwaltungsprozess verdrängt. Gemäß § 108 Abs. 1 FamFG ist für die Anerkennung von Sorgerechtsentscheidungen ausländischer Gerichte kein besonderes Verfahren vor deutschen Gerichten oder Behörden vorgesehen, sondern es gilt der Grundsatz der Inzidentanerkennung (OLG Köln, Beschluss vom 9. April 2010 - 4 UF 56/10 - NJW-RR 2010, 1225 <1226>). Nach § 97 Abs. 1 FamFG gehen zwar Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften des FamFG vor. Zwischen Deutschland und der Mongolei bestehen jedoch keine derartigen zwischenstaatlichen Vereinbarungen. Die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl L 338, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2116/2004 des Rates vom 2. Dezember 2004 (ABl L 367, S. 1) geänderten Fassung regelt nur die Anerkennung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten (Art. 21). Die Anerkennung des mongolischen Sorgerechtsurteils vom 19. Dezember 2007 richtet sich somit nach § 108 Abs. 1 i.V.m. § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG. Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung ist nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG ausgeschlossen, wenn die Anerkennung der Entscheidung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist.

21 Abzustellen ist dabei nicht auf Art. 6 EGBGB, sondern auf den anerkennungsrechtlichen ordre public international (vgl. nur BGH, Urteile vom 18. Oktober 1967 - VIII ZR 145/66 - BGHZ 48, 327 und vom 21. April 1998 - XI ZR 377/97 - BGHZ 138, 331 <334>). Mit diesem ist eine ausländische Entscheidung nicht schon dann unvereinbar, wenn der deutsche Richter - hätte er die zur Anerkennung stehende Entscheidung getroffen - aufgrund zwingenden deutschen Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Anerkennung der ausländischen Entscheidung im Ergebnis zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint. Prüfungsmaßstab sind dabei vor allem die Grundrechte. Die ausländische Entscheidung ist nicht auf ihre Rechtmäßigkeit am Maßstab des ausländischen Rechts zu überprüfen (Verbot der révision au fond). Bei der Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen liegt in materieller Hinsicht ein Verstoß gegen den ordre public erst dann vor, wenn die Hinnahme der Entscheidung wegen ihres Inhalts im Ergebnis mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts offensichtlich unvereinbar ist (materiellrechtlicher ordre public). Dabei steht das Wohl des Kindes im Mittelpunkt der Prüfung. Jede Regelung des Sorgerechts wirkt sich auf das Wohl des Kindes aus und muss daher das Kind in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen. Ein Verstoß gegen den ordre public kann sich auch aus dem der anzuerkennenden Entscheidung vorangegangenen Verfahren ergeben, also der Art und Weise ihres Zustandekommens. Dies ist der Fall, wenn die ausländische Entscheidung aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass sie nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (verfahrensrechtlicher ordre public). Eine am Kindeswohl orientierte Sorgerechtsentscheidung erfordert daher auch eine Verfahrensgestaltung, die eine hinreichende Berücksichtigung der grundrechtlichen Stellung des betroffenen Kindes garantiert (siehe etwa Art. 12 Abs. 2 UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989; vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 5. November 1980 - 1 BvR 349/80 - BVerfGE 55, 171 <182> und vom 14. Juli 2010 - 1 BvR 3189/09 - BVerfGK 17, 407 Rn. 19). Das Sorgerechtsverfahren ist unter Berücksichtigung des Alters des Kindes, seines Entwicklungsstandes und seiner seelischen Verfassung so zu gestalten, dass der Entscheidungsträger möglichst zuverlässig die Grundlagen einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen kann. Das erfordert jedenfalls bei Jugendlichen grundsätzlich eine persönliche Anhörung und bei jüngeren Kindern zumindest ein funktionales Äquivalent, durch das ihnen Gelegenheit gegeben wird, ihre Interessen auf altersgerechte Weise zu formulieren und in das Verfahren einzubringen.

22 Nach diesen Maßstäben steht der verfahrensrechtliche ordre public der Anerkennung des Urteils des Zivilgerichts im Stadtbezirk Bayangol von Ulan Bator vom 19. Dezember 2007 entgegen (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG). Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der damals 14-jährigen Klägerin in dem Sorgerechtsverfahren vor der Übertragung des bis dahin ihren Eltern gemeinsam zustehenden Sorgerechts auf die Mutter keine Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt wurde. Bei einer Jugendlichen in diesem Alter ist grundsätzlich eine persönliche Anhörung geboten. Gründe, hiervon im vorliegenden Fall abzuweichen, liegen nicht vor. Für das Gebot einer Anhörung der Klägerin im gerichtlichen Verfahren genügt nicht, dass sie gegenüber ihrer Mutter und deren Ehemann bekundet haben soll, bei ihrer Mutter in Deutschland leben zu wollen. Denn hierbei handelt es sich nicht um eine Äußerung im Sorgerechtsverfahren, die von einer dafür zuständigen staatlichen Stelle überprüft und hinterfragt werden kann. Auch kommt eine Heilung des Verfahrensfehlers durch eine nachträgliche Anhörung in dem zweiten, zum Urteil vom 13. Oktober 2010 führenden Sorgerechtsverfahren nicht in Betracht. Diese wirkt nicht zurück. Zudem muss die Gelegenheit zur Äußerung in dem konkreten Verfahren vor der Entscheidung des Gerichts bestanden haben, um deren Entscheidungsgrundlage sein zu können.

23 Die mittlerweile volljährige Klägerin kann auch nicht durch eine nachträgliche Zustimmung zur Sorgerechtsübertragung deren Anerkennung in Deutschland erreichen. Eine Sorgerechtsentscheidung, die in einem Verfahren zustande gekommen ist, das den ordre public verletzt, kann vielmehr nur dann ausnahmsweise anerkannt werden, wenn die Nichtanerkennung das Kindeswohl gefährdet. Diese Ausnahme vom Grundsatz der Nichtanerkennung ist geboten, weil im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen elementare Wertvorstellungen der deutschen Rechtsordnung mögliches kollidierendes Verfassungsrecht (hier: Art. 6 Abs. 2 GG) zu berücksichtigen ist. Damit ist keine vollständige Prüfung des Kindeswohls gefordert, sondern allein als Grenze der Nichtanerkennung die Gefährdung des Kindeswohls zu beachten. Im vorliegenden Fall sind keine Gesichtspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls der Klägerin ersichtlich, und zwar weder zum Zeitpunkt der Vollendung ihres 16. Lebensjahres noch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts. Welcher dieser Zeitpunkte insoweit maßgeblich ist, kann daher offenbleiben.

24 2. Das Berufungsgericht hat auch einen Nachzugsanspruch nach § 32 Abs. 4 AufenthG mit Recht verneint. Nach dieser Vorschrift kann dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es aufgrund der Umstände des Einzelfalls zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist. Die Norm dient der Sicherstellung des Kindeswohls (§ 32 Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Es kann offen bleiben, ob sich die Klägerin nach Eintritt der Volljährigkeit - wie hier - noch auf eine Gefährdung des Kindeswohls berufen kann (bejahend Urteil vom 18. November 1997 - BVerwG 1 C 22.96 - Buchholz 402.240 § 20 AuslG 1990 Nr. 4 S. 22 zu § 20 Abs. 4 AuslG 1990). Denn im vorliegenden Fall sind - wie bereits dargelegt (Rn. 23 = Ziffer 1.2.2 letzter Absatz) - keine Gesichtspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls der Klägerin ersichtlich, und zwar weder zum Zeitpunkt der Vollendung ihres 16. Lebensjahres noch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts.

25 3. Das Berufungsgericht hat aber einen Anspruch der Klägerin nach § 32 Abs. 2 AufenthG mit einer Begründung verneint, die revisionsgerichtlicher Prüfung nicht standhält. Nach § 32 Abs. 2 AufenthG hat das minderjährige ledige Kind, welches das 16. Lebensjahr vollendet hat, einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, wenn es die deutsche Sprache beherrscht oder gewährleistet erscheint, dass es sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann und beide Eltern oder der allein sorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen.

26 Das Urteil des Berufungsgerichts verstößt gegen Bundesrecht, weil es einen Nachzugsanspruch der Klägerin aus § 32 Abs. 2 AufenthG schon deswegen ablehnt, weil sie ihren Visumantrag vor Vollendung ihres 16. Lebensjahres und nicht danach gestellt hat. Einer erneuten Antragstellung bedurfte es jedoch nicht. Vielmehr bezog sich ihr Visumantrag zum Kindernachzug vom Mai 2008 auf alle zu diesem Streitgegenstand gehörenden Anspruchsgrundlagen. Da ein auf § 32 Abs. 3 AufenthG gestützter Anspruch die Antragstellung vor Vollendung des 16. Lebensjahres voraussetzt, muss ein diese Höchstaltersgrenze wahrender Antrag auch den Anforderungen des § 32 Abs. 2 AufenthG genügen. Diese Vorschrift setzt nämlich nur voraus, dass die Antragstellung vor Vollendung des 18. Lebensjahres erfolgte; ein Mindestalter verlangt sie hingegen nicht. Das Berufungsgericht kann sich für seine gegenteilige Rechtsauffassung nicht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. November 1997 - BVerwG 1 C 22.96 - (a.a.O.) stützen. Dieses ist zur Vorgängervorschrift des § 32 Abs. 3 AufenthG ergangen, betrifft also den Familiennachzug eines Kindes, das zum Zeitpunkt der Antragstellung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wohl aber im Verlauf des behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens. Für diese Anspruchsgrundlage (damals § 20 Abs. 2 Nr. 2 AuslG) hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass es der Schutz des Minderjährigen gebiete, für das Merkmal der Vollendung des 16. Lebensjahres auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (a.a.O. S. 18 f.). Aus dem Urteil kann gerade nicht abgeleitet werden, dass es zur Erfüllung der Voraussetzungen des Nachzugsanspruchs für 16- bis 18-Jährige einer erneuten Antragstellung bedarf. Vielmehr hat es das Bundesverwaltungsgericht in dem vom Berufungsgericht zitierten Urteil für einen Anspruch nach der Vorgängervorschrift des § 32 Abs. 2 AufenthG (damals: § 20 Abs. 4 Nr. 1 AuslG 1990) ausreichen lassen, dass das Kind den Nachzugsantrag vor Erreichen der Volljährigkeit gestellt hat (a.a.O. S. 22). Das ist hier erfolgt.

27 Das Berufungsurteil verstößt auch insoweit gegen Bundesrecht, als es die Tatbestandsvoraussetzung des § 32 Abs. 2 AufenthG, dass die Klägerin die deutsche Sprache beherrscht, auf zu schmaler Tatsachengrundlage verneint hat. Zwar hat die Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht nachgewiesen, dass sie zu dem maßgeblichen Zeitpunkt der Vollendung ihres 18. Lebensjahres die deutsche Sprache beherrschte. Dafür ist der Nachweis von Sprachkenntnissen erforderlich, die dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens entsprechen (§ 2 Abs. 11 AufenthG). Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist die Vorlage eines entsprechenden Zertifikats einer akkreditierten Stelle keine notwendige, sondern nur eine hinreichende Voraussetzung für den Nachweis der entsprechenden Sprachkompetenz. Entscheidend ist, dass die entsprechenden Sprachkenntnisse tatsächlich vorliegen. Die Klägerin hat aber Tatsachen vorgetragen, die Anlass für eine weitere Aufklärung des Gerichts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO) hätten geben müssen. So hatte die Mutter der Klägerin bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 20. Januar 2010 erklärt, ihre Tochter habe einen einjährigen Sprachkurs besucht, und zwar mehrmals wöchentlich (VG-Akte Bl. 66). Ferner hat der Bevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 23. Februar 2012 eine Bescheinigung der Mongolischen Staatlichen Universität vom 14. Februar 2012 vorgelegt, aus der sich ausweislich des Sitzungsprotokolls ergibt, dass die Klägerin dort im 2. Studienjahr Germanistik studierte (VG-Akte Bl. 296 R). Daraus folgt aber, dass die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt der Vollendung ihres 18. Lebensjahres (August 2011) bereits die Aufnahmevoraussetzungen für das Deutschstudium an der Universität erfüllt und einige Zeit studiert hatte. Dieses Vorbringen der Klägerin hätte das Berufungsgericht dazu veranlassen müssen, mittels geeigneter Maßnahmen aufzuklären, ob die Klägerin zum Zeitpunkt der Vollendung ihres 18. Lebensjahres über Kenntnisse der deutschen Sprache verfügte, die dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens entsprachen.

28 4. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 AufenthG im Berufungsurteil kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Das Verfahren ist daher zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen.

29 Das Berufungsgericht wird bei seiner erneuten Entscheidung prüfen müssen, ob die Klägerin die Voraussetzungen für den Nachzugsanspruch nach § 32 Abs. 2 AufenthG erfüllt. Dabei wird es zu untersuchen haben, ob der Mutter der Klägerin durch das Urteil des Zivilgerichts im Stadtbezirk Bayanzurkh von Ulan Bator vom 13. Oktober 2010 wirksam das alleinige Sorgerecht für die Klägerin übertragen wurde. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob die Klägerin - wie sie vorträgt - in diesem gerichtlichen Verfahren vor Erlass der Entscheidung angehört worden ist. Hierfür spricht die vorgelegte Übersetzung des Urteils. Auch die Beklagte geht von einer erfolgten Anhörung durch das Gericht jedenfalls insoweit aus, als es die Schwester der Klägerin betrifft, denn ihr wurde mittlerweile auf der Grundlage dieses Urteils das Visum zum Familiennachzug erteilt. Eine für den Anspruch nach § 32 Abs. 2 AufenthG beachtliche Sorgerechtsübertragung konnte zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vom 13. Oktober 2010 erfolgen, denn die Klägerin hatte damals das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet.

30 Ferner wird das Berufungsgericht aufzuklären haben, ob die Klägerin zum Zeitpunkt der Vollendung ihres 18. Lebensjahres über Kenntnisse der deutschen Sprache verfügte, die dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens entsprachen. Der Senat weist darauf hin, dass ein entsprechender Nachweis im vorliegenden Fall nicht notwendigerweise durch eine Bescheinigung im Sinne von Ziffer 32.2.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 (GMBl 2009, 878) erfolgen muss. Zwar könnten durchaus Rückschlüsse aus einer aktuell abgelegten Sprachprüfung gezogen werden, die dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens entspricht. Als geeigneter Nachweis könnte aber möglicherweise auch die Bescheinigung einer geeigneten und zuverlässigen in- oder ausländischen Stelle in Betracht kommen, dass etwa die bei Zulassung zum Deutschstudium in Ulan-Bator der Klägerin abverlangten Deutschkenntnisse dem geforderten Niveau C 1 entsprachen.

31 5. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Urteil vom 29.11.2012 -
BVerwG 10 C 14.12ECLI:DE:BVerwG:2012:291112U10C14.12.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 29.11.2012 - 10 C 14.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:291112U10C14.12.0]

Urteil

BVerwG 10 C 14.12

  • VG Berlin - 21.09.2010 - AZ: VG 11 K 542.09 V
  • OVG Berlin-Brandenburg - 10.05.2012 - AZ: OVG 11 B 29.10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig, Prof. Dr. Kraft,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. Mai 2012 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Gründe

I

1 Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, begehrt ein Visum zum Familiennachzug zu seinem in Deutschland lebenden Vater.

2 Der am 10. November 1993 geborene Kläger beantragte im Juni 2009 die Erteilung eines Visums zum Zweck der Familienzusammenführung zu seinem Vater. Dieser, ebenfalls ein türkischer Staatsangehöriger, hält sich seit 1997 im Bundesgebiet auf, ist mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet und besitzt eine Niederlassungserlaubnis. Er lebt zusammen mit seiner Ehefrau und deren erwachsenem Sohn, einem im Juli 2005 geborenen gemeinsamen Kind, dem älteren Bruder des Klägers sowie der Mutter seiner Ehefrau in einer Wohnung. Ihm wurde nach Anerkennung der Vaterschaft mit Zustimmung der Mutter des Klägers durch Urteil des Amtsgerichts Elazig (Türkei) vom 22. Januar 2007 das alleinige Sorgerecht für den Kläger übertragen.

3 Die Deutsche Botschaft in Ankara lehnte mit Bescheid vom 4. August 2009 und Remonstrationsbescheid vom 14. September 2009 die Visumerteilung ab. Der Vater des Klägers sei nicht allein personensorgeberechtigt, da die Sorgerechtsübertragung durch das türkische Gericht nicht wirksam sei, sondern gegen den ordre public verstoße. Wegen mangelnder Kenntnisse der deutschen Sprache und der schlechten Erfahrungen mit der Integration von Jugendlichen im Alter des Klägers entspreche der Nachzug nicht dem Kindeswohl.

4 Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, über den Visumantrag erneut zu entscheiden. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 10. Mai 2012 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Beklagte unter Aufhebung des Remonstrationsbescheids der deutschen Botschaft verpflichtet, dem Kläger ein Visum zum Familiennachzug zu erteilen. Die Entscheidung ist darauf gestützt, dass dem Vater des Klägers infolge der Entscheidung des türkischen Familiengerichts das alleinige Sorgerecht zustehe. Diese rechtskräftige Entscheidung sei mit dem deutschen ordre public zu vereinbaren und deshalb aufenthaltsrechtlich zu respektieren. Dahinstehen könne, ob sich die Voraussetzungen für die Anerkennung der türkischen Sorgerechtsentscheidung vorrangig nach Art. 7 und Art. 16 des Haager Minderjährigenschutzabkommens (MSA) oder nach Art. 7 und Art. 10 des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens (ESÜ) richteten, da beide Regelungen hier zum gleichen Ergebnis führten. Aus beiden Übereinkommen ergebe sich, dass ausländische Sorgerechtsentscheidungen im Bundesgebiet grundsätzlich anerkannt werden müssten und die Vorbehaltsklausel des ordre public nur ausnahmsweise zum Tragen komme. Dieser Vorbehalt schließe es grundsätzlich aus, ausländische Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Ein ordre public-Verstoß liege erst vor, wenn das Entscheidungsergebnis nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheine oder die Entscheidung in einem Verfahren zustande gekommen sei, das grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genüge. Das Urteil des türkischen Familiengerichts entspreche sowohl in verfahrensrechtlicher wie materiellrechtlicher Hinsicht den Anerkennungsvoraussetzungen. Der Kläger und seine Eltern seien vom Familiengericht angehört worden und hätten der Übertragung des Sorgerechts zugestimmt. Die Verhandlung habe ausweislich des ausführlichen Protokolls, das von einem Psychiater, einem Pädagogen sowie einem Fachmann für Sozialdienste unterzeichnet sei und Details zur familiären Gesamtsituation enthalte, in der Sozialabteilung des Gerichts stattgefunden. Ein materiellrechtlicher Verstoß gegen den ordre public liege ebenfalls nicht vor. Ohne Bedeutung sei, ob das türkische Recht eine Sorgerechtsübertragung auf den mit der Kindesmutter nicht verheirateten Vater vorsehe, denn eine Überprüfung am Maßstab des türkischen Rechts sei deutschen Gerichten verwehrt. Von Bedeutung sei nicht, ob das Kindeswohl die Sorgerechtsübertragung zwingend erfordere, sondern ob es der Übertragung im Ergebnis zwingend entgegenstehe. Die das Urteil tragende Motivation, dem Kläger durch die Übersiedlung zu seinem Vater in Deutschland eine bessere Förderung und Ausbildung und damit bessere wirtschaftliche Ausgangsbedingungen zu bieten, spreche nicht gegen das Kindeswohl. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG seien erfüllt. Sowohl im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers als auch zum Entscheidungszeitpunkt sei der Lebensunterhalt der aus dem Kläger, seinem Vater, dessen Ehefrau, dem gemeinsamen Sohn und dem älteren Bruder des Klägers bestehenden häuslichen Familiengemeinschaft gesichert. Nicht zu berücksichtigen seien der ebenfalls im Haushalt lebende erwachsene Sohn der Ehefrau und deren Mutter, da sie nicht zur Familie des Stammberechtigten gehörten.

5 Die Beklagte rügt mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, dass die Anerkennung der Entscheidung des türkischen Amtsgerichts zu einem mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts und insbesondere mit den Grundrechten unvereinbaren Ergebnis führe. Nach türkischem Recht stehe das Sorgerecht allein der Mutter zu. Ein Verlust bzw. eine Entziehung ihres Sorgerechts habe mangels der dafür notwendigen Voraussetzungen nicht stattgefunden. Das Amtsgericht habe das Kindeswohl völlig unzulänglich in den Blick genommen. So habe es nicht geprüft, ob zwischen dem Kläger und seinem Vater eine echte familiäre Bindung bestehe und wie sich die Betreuungssituation in Deutschland darstelle.

6 Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung. Er trägt vor, die Ehe seiner nach islamischem Recht verheirateten Eltern sei aufgrund eines türkischen Amnestiegesetzes legalisiert worden. Daher sei die Sorgerechtsübertragung nach türkischem Recht wirksam. Die Beklagte lege der Überprüfung des türkischen Urteils am Maßstab des ordre public überzogene Anforderungen zugrunde.

II

7 Die zulässige Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Beklagte gemäß § 32 Abs. 3 AufenthG ohne Verletzung revisiblen Rechts zur Erteilung eines Visums zum Kindernachzug verpflichtet. Der Vater des Klägers ist allein personensorgeberechtigt, da das türkische Sorgerechtsurteil nicht gegen den ordre public verstößt (1.). Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen auch dessen Annahme, dass der Lebensunterhalt des Klägers sowohl im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung als auch im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres gesichert ist und damit auch die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegt (2.).

8 1. Der Kläger erfüllt die besonderen Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 AufenthG für einen Anspruch auf Kindernachzug. Nach § 32 Abs. 3 AufenthG ist dem minderjährigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis - und vor der Ausreise gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG ein Visum - zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil u.a. eine Aufenthaltserlaubnis besitzen.

9 1.1 Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279>). Daher ist der Nachzugsanspruch des Klägers an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union vom 1. Juni 2012 (BGBl I S. 1224). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.

10 Sind aufenthaltsrechtliche Ansprüche an eine Höchstaltersgrenze geknüpft - wie hier beim Kindernachzug die Vollendung des 16. Lebensjahres -, ist für die Einhaltung der Altersgrenze ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (vgl. Urteil vom 7. April 2009 a.a.O.). Wenn die Altersgrenze im Laufe des Verfahrens überschritten wird, folgt daraus, dass die übrigen Anspruchsvoraussetzungen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze vorgelegen haben müssen. Danach eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Insoweit bedarf es bei Anspruchsgrundlagen mit einer Höchstaltersgrenze, die der Betroffene - wie hier der Kläger - im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten hat, einer auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogenen Doppelprüfung (Urteil vom 7. April 2009 a.a.O.).

11 Das Berufungsgericht hat das Nachzugsbegehren des Klägers zutreffend an § 32 Abs. 3 AufenthG und nicht nach der Vorgängerregelung des § 20 Abs. 3 Satz 1 Ausländergesetz 1990 (AuslG) geprüft. Der Vater des Klägers hat sich vor dem 1. Januar 2005 rechtmäßig in Deutschland aufgehalten, und der Kläger ist vor diesem Zeitpunkt geboren. Damit gilt nach § 104 Abs. 3 AufenthG hinsichtlich der personen- und familienbezogenen Nachzugsvoraussetzungen weiterhin § 20 AuslG, es sei denn das Aufenthaltsgesetz gewährt eine günstigere Rechtsposition. Dies ist hier der Fall, da § 32 Abs. 3 AufenthG bei Vorliegen der Tatbestandvoraussetzungen einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis vermittelt, während § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG den Nachzug zu einem allein sorgeberechtigten Elternteil in das Ermessen der Ausländerbehörde stellt (Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 4 f.).

12 1.2 Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 AufenthG vorliegen. Die gesetzliche Höchstaltersgrenze ist eingehalten, denn zum Zeitpunkt der Antragstellung im Juni 2009 hatte der Kläger das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet. Sein Vater besitzt seit 2003 eine Aufenthaltserlaubnis und ist nach der Sorgerechtsentscheidung im Urteil des Familiengerichts Elazig vom 22. Januar 2007 für den Kläger allein personensorgeberechtigt. Diese Entscheidung ist im vorliegenden Verfahren jedenfalls nach dem Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961 (BGBl 1971 II S. 217, 1150) - Minderjährigenschutzabkommen (MSA) - anzuerkennen.

13 1.2.1 Der Begriff der alleinigen Personensorgeberechtigung ist mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl EG L 251 S. 12 vom 3. Oktober 2003) - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie - unionsrechtlich auszulegen. Im Sinne dieser Bestimmung besitzt ein Elternteil das Sorgerecht nur, wenn er „allein" sorgeberechtigt ist, dem anderen Elternteil also bei der Ausübung des Sorgerechts keine substantiellen Mitentscheidungsrechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes (Urteil vom 7. April 2009 a.a.O. Rn. 16).

14 1.2.2 Wem das Sorgerecht für ein Kind zusteht, beurteilt sich in Fällen mit Auslandsbezug anhand der Regelungen des Internationalen Privatrechts nach dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 21 EGBGB). Diese Kollisionsnorm, die die Auswahl des materiellrechtlichen Prüfungsmaßstabs bei einer anstehenden Sorgerechtsentscheidung steuert, tritt zurück, wenn bereits eine Sorgerechtsentscheidung einer ausländischen Stelle vorliegt und sich die verfahrensrechtliche Frage nach deren Anerkennung stellt.

15 Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass das rechtskräftige türkische Sorgerechtsurteil dem Vater des Klägers das alleinige Sorgerecht verschafft hat. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 293 ZPO wie eine Tatsachenfeststellung zu behandeln (vgl. Urteile vom 7. April 2009 a.a.O. Rn. 17 und vom 19. Juli 2012 - BVerwG 10 C 2.12 - NJW 2012, 3461 Rn. 16); § 545 Abs. 1 ZPO findet keine Anwendung. An diese Feststellung des Berufungsgerichts zum Inhalt und den Rechtswirkungen des ausländischen Urteils ist der Senat deshalb gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, da die Revision keine Verfahrensrüge erhoben hat und ihre Angriffe gegen die inhaltliche Richtigkeit der Sorgerechtsentscheidung daher ins Leere gehen.

16 Die Anerkennung ausländischer Urteile richtet sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 328 ZPO. Für die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen enthält § 108 Abs. 1 i.V.m. § 109 FamFG allerdings eine Sonderregelung, die die Grundnorm des § 328 ZPO auch im Verwaltungsprozess verdrängt. Gemäß § 108 Abs. 1 FamFG ist für die Anerkennung von Sorgerechtsentscheidungen ausländischer Gerichte kein besonderes Verfahren vor deutschen Gerichten oder Behörden vorgesehen, sondern es gilt der Grundsatz der Inzidentanerkennung (OLG Köln, Beschluss vom 9. April 2010 - 4 UF 56/10 - NJW-RR 2010, 1225 <1226>). Nach § 97 Abs. 1 FamFG gehen allerdings Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften des FamFG vor.

17 Das Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 (BGBl 2009 II S. 602) - Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) - ist mangels Ratifizierung des Übereinkommens durch die Türkei hier nicht anwendbar. Daher kommen im vorliegenden Fall als gemäß § 97 Abs. 1 FamFG vorrangig anzuwendende völkerrechtliche Vereinbarungen nur das Haager Minderjährigenschutzabkommen und das Europäische Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses vom 20. Mai 1980 (BGBl 1990 II S. 220) - Europäisches Sorgerechtsübereinkommen (ESÜ) - in Betracht. Es spricht einiges dafür, dass sich die Anerkennung einer ausländischen Sorgerechtsentscheidung als Vorfrage für den Kindernachzug vorrangig nach dem auf jeden Fall anwendbaren Haager Minderjährigenschutzabkommen bestimmt. Denn dieses Vertragswerk regelt die behördliche Zuständigkeit und das anzuwendende Recht zum Schutz von Minderjährigen ganz allgemein, während das Europäische Sorgerechtsübereinkommen spezifische, zwischenstaatlich koordinierte Interventionsregelungen bei gestörten Sorgerechtsverhältnissen enthält. Das bedarf hier aber keiner Entscheidung. Denn keines der beiden Übereinkommen enthält eine abschließende Regelung für die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen; insbesondere schließt Art. 19 ESÜ die Anwendung anderer internationaler Übereinkünfte nicht aus, um die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung zu erwirken. Da im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für eine Anerkennung nach dem Haager Minderjährigenschutzabkommen vorliegen, kann dahinstehen, ob die Entscheidung auch nach dem Europäischen Sorgerechtsabkommen anzuerkennen wäre.

18 1.2.3 Das Minderjährigenschutzabkommen findet auf den Kläger als Minderjährigen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei hat, Anwendung (vgl. Art. 12, 13 MSA). Gemäß Art. 7 Satz 1 MSA sind die Maßnahmen, welche die nach den vorstehenden Artikeln zuständigen Behörden getroffen haben, in allen Vertragsstaaten anzuerkennen; Maßnahmen in diesem Sinne sind auch gerichtliche Sorgerechtsentscheidungen (BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 1976 - IV ZB 38/76 - BGHZ 67, 255 <260> und 28. Mai 1986 - IVb ZB 36/84 - NJW-RR 1986, 1130; Urteil vom 11. April 1979 - IV ZR 93/78 - FamRZ 1979, 577). Ein förmliches Anerkennungsverfahren sieht das Abkommen nicht vor. Als Grenze der gegenseitigen Anerkennung enthält Art. 16 MSA nur den Vorbehalt, dass die Bestimmungen dieses Übereinkommens in den Vertragsstaaten unbeachtet bleiben dürfen, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist (ordre public).

19 Abzustellen ist dabei nicht auf Art. 6 EGBGB, sondern auf den anerkennungsrechtlichen ordre public international (vgl. nur BGH, Urteile vom 18. Oktober 1967 - VIII ZR 145/66 - BGHZ 48, 327 und vom 21. April 1998 - XI ZR 377/97 - BGHZ 138, 331 <334>). Mit diesem ist eine ausländische Entscheidung nicht schon dann unvereinbar, wenn der deutsche Richter - hätte er die zur Anerkennung stehende Entscheidung getroffen - aufgrund zwingenden deutschen Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Ergebnis der ausländischen Entscheidung zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint. Prüfungsmaßstab sind dabei vor allem die Grundrechte. Die ausländische Entscheidung ist nicht auf ihre Rechtmäßigkeit am Maßstab des ausländischen Rechts zu überprüfen (Verbot der révision au fond). Bei der Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen liegt in materieller Hinsicht ein Verstoß gegen den ordre public erst dann vor, wenn die Hinnahme der Entscheidung wegen ihres Inhalts im Ergebnis mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts offensichtlich unvereinbar ist (materiellrechtlicher ordre public). Dabei steht das Wohl des Kindes im Mittelpunkt der Prüfung. Jede Regelung des Sorgerechts wirkt sich auf das Wohl des Kindes aus und muss daher das Kind in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen. Ein Verstoß gegen den ordre public kann sich auch aus dem der anzuerkennenden Entscheidung vorangegangenen Verfahren ergeben, also der Art und Weise ihres Zustandekommens. Dies ist der Fall, wenn die ausländische Entscheidung aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass sie nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (verfahrensrechtlicher ordre public). Eine am Kindeswohl orientierte Sorgerechtsentscheidung erfordert daher auch eine Verfahrensgestaltung, die eine hinreichende Berücksichtigung der grundrechtlichen Stellung des betroffenen Kindes garantiert (siehe etwa Art. 12 Abs. 2 KRK; vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 5. November 1980 - 1 BvR 349/80 - BVerfGE 55, 171 <182> und vom 14. Juli 2010 - 1 BvR 3189/09 - BVerfGK 17, 407 Rn. 19). Das Sorgerechtsverfahren ist unter Berücksichtigung des Alters des Kindes, seines Entwicklungsstandes und seiner seelischen Verfassung so zu gestalten, dass der Entscheidungsträger möglichst zuverlässig die Grundlagen einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen kann. Das erfordert jedenfalls bei Jugendlichen grundsätzlich eine persönliche Anhörung und bei jüngeren Kindern zumindest ein funktionales Äquivalent, durch das ihnen Gelegenheit gegeben wird, ihre Interessen auf altersgerechte Weise zu formulieren und in das Verfahren einzubringen.

20 Nach diesen Maßstäben steht der ordre public der Anerkennung des Urteils des Familiengerichts Elazig vom 22. Januar 2007 nicht entgegen. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger in einer Verhandlung in der Sozialabteilung des türkischen Familiengerichts angehört worden ist und der Übertragung des Sorgerechts zugestimmt hat. Auch seine Mutter ist dort aufgetreten und hat ihr Einverständnis mit der Sorgerechtsübertragung erklärt. Mit Blick auf diese Verfahrenshandhabung und das Vorliegen einer einvernehmlichen Sorgerechtsentscheidung überspannt die Beklagte mit ihrer Rüge, das türkische Gericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, die Anforderungen des verfahrensrechtlichen ordre public. Die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den Vater des Klägers lässt auch materiell kein Ergebnis erkennen, das mit Blick auf das Kindeswohl mit den Grundwerten des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts offensichtlich nicht zu vereinbaren ist. Auch das deutsche Familienrecht kennt das alleinige Sorgerecht des nichtehelichen Vaters (§ 1672 Abs. 1 BGB). Der Vorhalt der Revision, im konkreten Fall sei die Sorgerechtsentscheidung im Wesentlichen ausländerrechtlich motiviert bzw. von ökonomischen Interessen getragen, geht von der Fehlvorstellung aus, diese Kriterien stünden notwendigerweise im Gegensatz zum Kindeswohl. Das ist schon wegen des Förderprinzips als Ausfluss des Kindeswohls nicht der Fall. Der Sache nach greift die Revision im Gewande der Rüge eines Verstoßes gegen den ordre public die ihrer Auffassung nach falsche Abwägung des türkischen Familiengerichts an, das den absehbaren Integrationsproblemen der Kinder nicht das für deren Wohl gebotene Gewicht beigemessen habe; mit dieser eigenen Bewertung des Kindeswohls muss sie indes erfolglos bleiben.

21 2. Die weiteren Nachzugsvoraussetzungen sind gegeben. Nach den Feststellungen im Berufungsurteil ist die Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) sowie das Erfordernis ausreichenden Wohnraums (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) erfüllt. Das Berufungsgericht ist ferner zu Recht davon ausgegangen, dass der Lebensunterhalt des Klägers sowohl im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung als auch bei Vollendung des 16. Lebensjahres gesichert war und damit die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegt.

22 2.1 Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist nach § 2 Abs. 3 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richten sich sowohl die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens als auch der Unterhaltsbedarf bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, seit dem 1. Januar 2005 grundsätzlich nach den entsprechenden Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II. Unerheblich ist dabei, ob Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; nach dem gesetzlichen Regelungsmodell kommt es nur auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs an (grundlegend Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 19 ff.).

23 2.1.1 Demzufolge ist der Einkommens- und Bedarfsberechnung grundsätzlich der Personenkreis zugrunde zu legen, der sich aus den Regeln über die Bedarfsgemeinschaft gemäß § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 bis 3a SGB II ergibt (Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 21.09 - BVerwGE 138, 148 Rn. 14 ff.) unabhängig davon, inwieweit zwischen diesen Personen unterhaltsrechtliche Beziehungen bestehen. Ob mit Blick auf § 2 Abs. 3 AufenthG auch volljährige Kinder in die Bedarfsgemeinschaft ihres leiblichen Elternteils und dessen nicht verheirateten Partners einzubeziehen sind, braucht hier nicht entschieden zu werden. Innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft, deren gesamter Bedarf nicht aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt wird, gilt jede Person im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II) und hat im Regelfall einen Leistungsanspruch in Höhe dieses Anteils. Das führt regelmäßig dazu, dass der Lebensunterhalt des Ausländers dann nicht gesichert ist, wenn der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft, deren Mitglied er ist, nicht durch eigene Mittel bestritten werden kann.

24 Für die Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens sind von dem gemäß § 11 Abs. 1 SGB II zu ermittelnden Bruttoeinkommen die in § 11b SGB II genannten Beträge abzuziehen. Dazu zählen grundsätzlich auch die freiwillig geleisteten Altersvorsorgebeiträge (§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 4 SGB II), hinsichtlich derer eine gewisse Vermutung dafür spricht, dass sie auch zukünftig in gleicher Höhe gezahlt werden. Abzusetzen sind ferner der Freibetrag für Erwerbstätige gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II sowie die Pauschale von 100 €, die nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II an die Stelle der Beträge nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 tritt. Allerdings sind gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen abweichend von § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II unabhängig von einer Titulierung einkommensmindernd zu berücksichtigen (Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 33). Dies gilt allerdings nur in der Höhe, in der eine Titulierung auch unter Berücksichtigung des Ranges der Unterhaltsgläubiger rechtlich möglich wäre, und auch nur solange, wie die Erbringung bzw. Geltendmachung von Unterhaltsleistungen tatsächlich zu erwarten ist. Wurden Unterhaltsleistungen über einen längeren Zeitraum weder erbracht noch geltend gemacht, ist regelmäßig davon auszugehen, dass dies auch in der Zukunft der Fall sein wird.

25 Die Bedarfsberechnung bestimmt sich grundsätzlich nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II; danach umfassen die Leistungen des Arbeitslosengelds II den Regelbedarf, die Mehrbedarfe sowie den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Aufenthaltsrechtlich nicht anzusetzen sind jedoch die in § 28 SGB II enthaltenen Bedarfe für Bildung und Teilhabe. Denn würde man sie als aufenthaltsschädlich berücksichtigen, liefe das dem Grundanliegen des Gesetzgebers zuwider, gerade die Integration ausländischer Kinder systematisch zu fördern, um u.a. Defizite in der sprachlichen Verständigung abzubauen, die den tatsächlichen Zugang zum Arbeitsmarkt beschränken und damit oft zu entsprechenden sozialen Folgelasten führen (vgl. BTDrucks 15/420 S. 61, 68).

26 Etwaige Ansprüche auf Bewilligung von Wohngeld bleiben bei der Berechnung der Sicherung des Lebensunterhalts grundsätzlich außen vor. Wohngeld gehört nicht zu den in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannten privilegierten öffentlichen Leistungen und ist daher nicht geeignet, eine bestehende Einkommenslücke zu schließen (vgl. Beschluss vom 4. November 1996 - BVerwG 1 B 189.96 - Buchholz 402.240 § 17 AuslG 1990 Nr. 7). Auf der anderen Seite schadet der Bezug von Wohngeld aber auch nicht, wenn der Bedarf aus eigenem Einkommen, Vermögen oder aufenthaltsrechtlich unschädlichen öffentlichen Leistungen bereits gedeckt ist.

27 Ist der nach den Regelungen des SGB II bestehende Bedarf nicht vollständig gedeckt, ist zu prüfen, ob die verbleibende Einkommenslücke durch einen Kinderzuschlag gemäß § 6a BKGG geschlossen werden kann. Denn der Kinderzuschlag gehört gemäß § 2 Abs. 3 AufenthG zu den aufenthaltsrechtlich unschädlichen Sozialleistungen und soll verhindern, dass Eltern nur wegen der Unterhaltsbelastung für ihre Kinder Arbeitslosengeld II in Anspruch nehmen müssen (BTDrucks 15/1516 S. 83).

28 2.1.2 Im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG) - und damit auch im vorliegenden Fall - ist der Begriff der Lebensunterhaltssicherung zu modifizieren. Denn in der Systematik dieser Richtlinie stellt der Anspruch auf Genehmigung der Familienzusammenführung gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie die Grundregel dar, so dass die den Mitgliedstaten in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie verliehene Befugnis zur Regelung der Nachzugsvoraussetzungen eng auszulegen ist (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 - Rs. C-578/08 Chakroun - Slg. 2010, I-1839 = NVwZ 2010, 697 Rn. 43). Der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie eröffnete Handlungsspielraum darf von den Mitgliedstaaten nicht in einer Weise genutzt werden, dass das Richtlinienziel - die Begünstigung der Familienzusammenführung - und die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigt werden (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 a.a.O. Rn. 43). Nach dieser Rechtsprechung bezieht sich der Begriff der Sozialhilfe(leistungen) in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie als autonomer Begriff des Unionsrechts nur auf Unterstützungsleistungen, die einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften ausgleichen, nicht aber auf eine Hilfe, die es erlauben würde, außergewöhnliche oder unvorhergesehene Bedürfnisse zu befriedigen (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 a.a.O. Rn. 49). Die Sozialhilfe i.S.d. Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG erfasst daher nur Leistungen, die von öffentlichen Behörden zur Kompensation des Mangels an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften gewährt werden, um die allgemein notwendigen Kosten des Lebensunterhalts für den Ausländer und seine Familienangehörigen zu bestreiten; sie schließt nicht die besondere Sozialhilfe zur Bestreitung besonderer, individuell bestimmter notwendiger Kosten des Lebensunterhalts ein (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 a.a.O. Rn. 52).

29 Für die von der Richtlinie 2003/86/EG erfassten Fälle hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts bereits entschieden, dass es der Anwendungsvorrang des Unionsrechts gebietet, bei der Einkommensberechnung den Freibetrag für Erwerbstätigkeit nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II nicht zulasten des nachzugswilligen Ausländers abzusetzen. Denn dieser Freibetrag wird in erster Linie aus arbeitsmarkt- bzw. beschäftigungspolitischen Gründen gewährt und soll eine Anreizfunktion zur Aufnahme bzw. Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit haben, nicht aber einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgleichen (Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 20.09 - BVerwGE 138, 135 Rn. 33). Hinsichtlich des in § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II pauschaliert erfassten Werbungskostenabzugs verlangt das Gebot der individualisierten Prüfung gemäß Art. 17 der Richtlinie 2003/86/EG, den Nachweis geringerer Aufwendungen als die gesetzlich veranschlagten 100 € zuzulassen (Urteil vom 16. November 2010 a.a.O. Rn. 34).

30 Der Bedarfsberechnung sind auch im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie neben dem Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) grundsätzlich die in § 20 SGB II vorgesehenen Regelbedarfssätze zugrunde zu legen (zur Nichtberücksichtigung der nach § 77 Abs. 4 SGB II für eine Übergangszeit geltenden <höheren> Werte vgl. Urteil des Senats vom heutigen Tag - BVerwG 10 C 4.12 - Rn. 37). Bei bereits im Entscheidungszeitpunkt nach Grund und Höhe absehbaren Mehrbedarfen ist anhand des unionsrechtlichen Begriffs der Sozialhilfe in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG wie folgt zu differenzieren:

31 - Die Mehrbedarfszuschläge für Alleinerziehende (§ 21 Abs. 3 SGB II; vgl. Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 25) sowie die Kosten der dezentralen Warmwassererzeugung (§ 21 Abs. 7 SGB II) sind in die Bedarfsberechnung einzustellen. Denn sie decken allgemein notwendige Kosten des Lebensunterhalts der anspruchsberechtigten Personengruppen und dienen nicht der Befriedigung außergewöhnlicher oder unvorhergesehener Bedürfnisse.

32 - Nicht zu berücksichtigen sind dagegen die Mehrbedarfe für werdende Mütter (§ 21 Abs. 2 SGB II), für erwerbsfähige Behinderte (§ 21 Abs. 4 SGB II), für eine aus medizinischen Gründen notwendige kostenaufwändige Ernährung (§ 21 Abs. 5 SGB II), für einen im Einzelfall unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf (§ 21 Abs. 6 SGB II) und die Erstausstattungsbedarfe (§ 24 Abs. 3 SGB II). Diese Leistungen betreffen besondere, individuell bestimmte notwendige Kosten außerhalb des allgemein notwendigen Lebensunterhalts und dienen der Befriedigung außergewöhnlicher oder unvorhergesehener Bedürfnisse. Daher sind sie unionsrechtlich der von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG nicht abgedeckten „besonderen Sozialhilfe“ zuzurechnen, die nicht zulasten nachzugswilliger Ausländer berücksichtigt werden darf.

33 2.1.3 Ist der Lebensunterhalt - auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - nicht (vollständig) gesichert, ist weiter zu prüfen, ob in dem jeweiligen Einzelfall eine Ausnahme von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in Betracht kommt. Verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen sowie atypische Umstände des Einzelfalles, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, können Ausnahmen vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigen (Urteile vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 27, vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 21.09 - BVerwGE 138, 148 Rn. 18 und vom 22. Mai 2012 - BVerwG 1 C 6.11 - DVBl 2012, 1167 Rn. 11). Dabei sind auch im Hinblick auf das unionsrechtliche Gebot der Einzelfallprüfung die in Art. 17 der Richtlinie 2003/86/EG genannten Aspekte zu berücksichtigen. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, unterliegt in jedem Fall vollständiger gerichtlicher Überprüfung (Urteil vom 22. Mai 2012 a.a.O.).

34 2.2 An diesen Grundsätzen gemessen ist die Annahme des Berufungsgerichts, der Lebensunterhalt des Klägers sei gesichert, im Ergebnis weder zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung noch bei Vollendung des 16. Lebensjahres zu beanstanden (zu den einzelnen Schritten der Einkommens- und Bedarfsberechnung vgl. Urteil vom heutigen Tag - BVerwG 10 C 4.12 - Rn. 39 ff.).

35 Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung der Lebensunterhaltssicherung für den Zeitpunkt seiner Entscheidung im Ansatz zutreffend auf die Bedarfsgemeinschaft abgestellt, deren Teil der Kläger nach seinem Zuzug wird. Allerdings gehören dieser gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3 Buchst. a und Nr. 4 SGB II nur der Vater des Klägers, dessen Ehefrau, das gemeinsame Kind A. und der Kläger an, nicht jedoch dessen Bruder R. Denn dieser ist auf der Grundlage seiner vom Berufungsgericht festgestellten Einkünfte - wenn auch nur knapp - in der Lage, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 Halbs. 2 SGB II), so dass er weder in die Einkommens- noch in die Bedarfsberechnung einzustellen ist. Auch wenn man in der Einkommensberechnung für die Bedarfsgemeinschaft überschlägig die Unterhaltszahlungen fortschreibend berücksichtigt, die der Vater für den weiteren Bruder des Klägers in der Türkei jedenfalls im Jahr 2010 tatsächlich geleistet hat, ist der Überschuss ausreichend, um von einer Sicherung des Lebensunterhalts für den Kläger auszugehen.

36 Das gleiche gilt für den Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers am 10. November 2009. Denn die Einkünfte der Bedarfsgemeinschaft übersteigen auch bei Abzug der genannten Unterhaltsleistungen sowie der tatsächlichen, aus dem Einkommensteuerbescheid ersichtlichen Werbungskosten die Bedarfssumme erheblich. Daher konnte das Berufungsgericht ohne Bundesrechtsverstoß offen lassen, ob der Stiefbruder des Klägers C. S. im Hinblick auf seine Einkünfte zu diesem Zeitpunkt der Bedarfsgemeinschaft angehört hat oder nicht.

37 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Ausspruch nach § 162 Abs. 3 VwGO ist nicht veranlasst.

Urteil vom 29.11.2012 -
BVerwG 10 C 4.12ECLI:DE:BVerwG:2012:291112U10C4.12.0

Leitsätze:

1. Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention stehen der Regelung zur Handlungs- und Prozessfähigkeit minderjähriger Ausländer über 16 Jahre in Verfahren nach dem Aufenthaltsgesetz (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1 AufenthG ) nicht entgegen.

2. Ausländische Sorgerechtsentscheidungen verstoßen nur dann gegen den ordre public in Art. 16 des Haager Minderjährigenschutzabkommens, wenn das Ergebnis zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint.

3. Der verfahrensrechtliche ordre public verlangt grundsätzlich, dass jedenfalls Jugendliche vor Erlass einer Sorgerechtsentscheidung persönlich angehört werden.

4. Die Berechnung des zur Sicherung des Lebensunterhalts i.S.v. § 2 Abs. 3 AufenthG notwendigen Bedarfs und Einkommens richtet sich bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, grundsätzlich nach den entsprechenden Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zweites Buch - SGB II - über die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG) gebietet es der Anwendungsvorrang des Unionsrechts, den Begriff der Lebensunterhaltssicherung sowohl auf der Einkommens- als auch auf der Bedarfsseite zu modifizieren (Weiterentwicklung der Rechtsprechung im Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 20.09 - BVerwGE 138, 135).

  • Rechtsquellen
    AufenthG § 2 Abs. 3; § 5 Abs. 1 Nr. 1; § 6 Abs. 3;
    § 32 Abs. 3; § 80 Abs. 1; § 104 Abs. 3
    BKGG § 6a
    EGBGB Art. 6, 21
    Europäisches Sorgerechts-
    übereinkommen - ESÜ Art. 19
    FamFG § 97 Abs. 1; § 108 Abs. 1
    GG Art. 6 Abs. 1
    KRK Art. 1 und 2 Abs. 1; Art. 12 Abs. 2
    Haager Minderjährigenschutz-
    abkommen - MSA Art. 7 Satz 1; Art. 16
    Richtlinie 2003/86/EG Art. 4 Abs. 1; Art. 7 Abs. 1 Buchst. c; Art. 17
    SGB II § 7 Abs. 2 und 3; § 9 Abs. 2; §§ 11, 11b, 19 Abs. 1 Satz 3; §§ 20, 21, 22, 28; § 77 Abs. 4
    VwGO § 62 Abs. 1 Nr. 2; § 173
    ZPO §§ 293, 328

  • VG Berlin - 23.09.2009 - AZ: VG 9 K 135.09 V
    OVG Berlin-Brandenburg - 25.10.2011 - AZ: OVG 11 B 3.10

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 29.11.2012 - 10 C 4.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:291112U10C4.12.0]

Urteil

BVerwG 10 C 4.12

  • VG Berlin - 23.09.2009 - AZ: VG 9 K 135.09 V
  • OVG Berlin-Brandenburg - 25.10.2011 - AZ: OVG 11 B 3.10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig
und Prof. Dr. Kraft, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Oktober 2011 hinsichtlich des Klägers zu 1 aufgehoben. Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  2. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
  3. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2 in vollem Umfange und die Hälfte der Gerichtskosten in allen Instanzen. Die Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, soweit es den Kläger zu 2 betrifft. Im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Die Kläger, zwei Brüder türkischer Staatsangehörigkeit, begehren Visa für den Familiennachzug zu ihrem in Deutschland lebenden Vater.

2 Der am 15. März 1994 geborene Kläger zu 1 und der am 6. Januar 1996 geborene Kläger zu 2 stellten im November 2008 Anträge auf Erteilung von Visa zum Zweck des Kindernachzugs zu ihrem Vater. Dieser, ebenfalls ein türkischer Staatsangehöriger, hält sich seit 1996 im Bundesgebiet auf. Er ist mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet und besitzt seit 2001 eine Aufenthaltserlaubnis. Auf seinen Antrag wurde ihm mit Zustimmung der Mutter der Kläger durch Urteil des Amtsgerichts Cihanbeyli (Türkei) vom 24. Februar 2006 das alleinige Sorgerecht für beide Kläger übertragen.

3 Die Deutsche Botschaft in Ankara lehnte mit Bescheiden vom 27. Januar 2009 die Visaanträge ab. Der Vater der Kläger sei nicht allein personensorgeberechtigt, da die Sorgerechtsübertragung durch das türkische Gericht nicht wirksam sei, sondern gegen den ordre public verstoße.

4 Das Verwaltungsgericht hat die Klagen abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 25. Oktober 2011 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Beklagte verpflichtet, den Klägern Visa zum Familiennachzug zu erteilen. Die Entscheidung ist darauf gestützt, dass dem Vater der Kläger infolge der Entscheidung des türkischen Familiengerichts das alleinige Sorgerecht zustehe. Diese rechtskräftige Entscheidung sei mit dem deutschen ordre public zu vereinbaren und deshalb aufenthaltsrechtlich zu respektieren. Dahinstehen könne, ob sich die Voraussetzungen für die Anerkennung der türkischen Sorgerechtsentscheidung vorrangig nach Art. 7 und 16 des Haager Minderjährigenschutzabkommens (MSA) oder nach Art. 7 und 10 des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens (ESÜ) richteten, da beide Regelungen hier zum gleichen Ergebnis führten. Aus beiden Übereinkommen ergebe sich, dass ausländische Sorgerechtsentscheidungen im Bundesgebiet grundsätzlich anerkannt werden müssten und die Vorbehaltsklausel des ordre public nur ausnahmsweise zum Tragen komme. Dieser Vorbehalt schließe es grundsätzlich aus, ausländische Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Ein ordre public-Verstoß liege erst vor, wenn das Entscheidungsergebnis nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheine oder die Entscheidung in einem Verfahren zustande gekommen sei, das grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genüge. Das Urteil des türkischen Familiengerichts entspreche sowohl in verfahrensrechtlicher wie materiellrechtlicher Hinsicht den Anerkennungsvoraussetzungen. Die Kläger seien vom Familiengericht persönlich gehört worden und hätten - wie auch ihre Mutter - der Übertragung des Sorgerechts zugestimmt. Ein materiellrechtlicher Verstoß gegen den ordre public liege ebenfalls nicht vor. Unerheblich sei, ob das türkische Recht eine Sorgerechtsübertragung auf den mit der Kindesmutter nicht verheirateten Vater vorsehe, denn eine Überprüfung am Maßstab türkischen Rechts sei deutschen Gerichten verwehrt. Von Bedeutung sei nicht, ob das Kindeswohl die Sorgerechtsübertragung zwingend erfordere, sondern ob es der Übertragung im Ergebnis zwingend entgegenstehe. Die das Urteil tragende Motivation, den Klägern durch die Übersiedlung zu ihrem Vater in Deutschland eine bessere Förderung und Ausbildung und damit bessere wirtschaftliche Ausgangsbedingungen zu bieten, spreche nicht gegen das Kindeswohl. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen seien erfüllt. Insbesondere sei sowohl bei Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers zu 1 als auch im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung der Lebensunterhalt der aus den Klägern, ihrem Vater und dessen Ehefrau bestehenden Bedarfsgemeinschaft gesichert.

5 Die Beklagte rügt mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, dass die Anerkennung der Entscheidung des türkischen Familiengerichts zu einem mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbaren Ergebnis führe. Nach türkischem Recht stehe das Sorgerecht allein der Mutter zu. Ein Verlust bzw. eine Entziehung ihres Sorgerechts habe mangels der dafür notwendigen Voraussetzungen nicht stattgefunden. Das Amtsgericht habe das Kindeswohl völlig unzulänglich in den Blick genommen. So habe es nicht geprüft, ob zwischen den Klägern und ihrem Vater eine echte familiäre Bindung bestehe und wie sich die Betreuungssituation in Deutschland darstelle.

6 Die Kläger verteidigen die angegriffene Entscheidung. Sie machen geltend, das Sorgerecht sei nach dem Tenor der Entscheidung des türkischen Familiengerichts vollständig übertragen worden. Das Berufungsgericht habe zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung vorlägen. Unerheblich sei dabei, ob das türkische Familiengericht das Kindeswohl unzulänglich in den Blick genommen habe. Denn maßgeblich seien allein die Wirkungen und das Ergebnis der Anerkennung der Sorgerechtsentscheidung.

II

7 Die Revision der Beklagten hat nur hinsichtlich des Klägers zu 1 Erfolg. Die Klagen beider Kläger sind zulässig (1.). Ihr Vater ist allein personensorgeberechtigt, da das türkische Sorgerechtsurteil nicht gegen den ordre public verstößt (2.). Die angefochtene Entscheidung beruht aber hinsichtlich des Klägers zu 1 auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Zwar ist der Lebensunterhalt beider Kläger im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung gesichert, aber die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen nicht seine Annahme, dies sei beim Kläger zu 1 auch im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres der Fall (3.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil kann der Senat in der Sache insoweit nicht selbst abschließend entscheiden, so dass der Rechtsstreit hinsichtlich des Klägers zu 1 gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (4.).

8 1. Die auf Erteilung von Visa zum Kindernachzug gerichteten Klagen sind zulässig. Auch der im Zeitpunkt der Revisionsverhandlung noch nicht volljährige Kläger zu 2 ist gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1 AufenthG partiell handlungs- und infolgedessen im vorliegenden Verfahren prozessfähig. Nach § 80 Abs. 1 AufenthG ist fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz ein Ausländer, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, sofern er nicht nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs geschäftsunfähig oder im Falle seiner Volljährigkeit in dieser Angelegenheit zu betreuen und einem Einwilligungsvorbehalt zu unterstellen wäre. Den gegen diese Regelung geäußerten, aus dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes - UN-Kinderrechtskonvention (KRK) vom 20. November 1989 (BGBl 1992 II S. 121, 990) - abgeleiteten völkerrechtlichen Bedenken folgt der Senat jedenfalls für das Aufenthaltsrecht nicht.

9 Gemäß Art. 1 dieses Übereinkommens, das nach Rücknahme der Vorbehaltserklärung durch die Bundesrepublik Deutschland (BGBl 2011 II S. 600) nunmehr auch in Deutschland unmittelbar gilt, ist Kind jeder Mensch, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt. Gemäß Art. 2 Abs. 1 KRK achten die Vertragsstaaten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig u.a. von der nationalen Herkunft des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds.

10 Die Auffassung, Art. 1 und 2 KRK stünden einer partiellen Herabsetzung der Mündigkeit nur für einen bestimmten Personenkreis (Ausländer) entgegen (Schmahl, UN-Kinderrechtskonvention, 2012, Art. 1 Rn. 12; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, II-§ 80 Rn. 11), überzeugt nicht. Personen, die - wie der Kläger zu 2 - das 16. aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, sind Kinder i.S.d. Art. 1 KRK. Die in § 80 Abs. 1 AufenthG geregelte partielle Handlungsfähigkeit lässt sowohl die Anwendbarkeit der Konvention als auch die Konventionsrechte in Art. 6 ff. KRK unberührt. Das gilt auch für den unmittelbar aufenthaltsrechtlich relevanten Art. 10 Abs. 1 KRK, wonach die Vertragsstaaten sich verpflichten, von einem Kind oder seinen Eltern zwecks Familienzusammenführung gestellte Anträge auf Einreise wohlwollend, human und beschleunigt zu bearbeiten. Hinsichtlich der in der Konvention gewährleisteten Rechte enthalten § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO und § 80 Abs. 1 AufenthG auch keine gemäß Art. 2 Abs. 1 KRK verbotene Diskriminierung nach der nationalen Herkunft. Soweit Minderjährige im nationalen Recht hinsichtlich der Handlungs- und infolgedessen auch der Prozessfähigkeit ausnahmsweise einem Volljährigen gleichgestellt werden (vgl. z.B. § 36 Abs. 1 SGB I), knüpft dies nicht an die Staatsangehörigkeit an. Die gesetzlichen Ausnahmen gelten vielmehr für bestimmte Sachbereiche, in denen sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Betroffenen zur Anwendung kommen. Dass sich die Bereichsausnahme im Ausländerrecht im Ergebnis nur bei ausländischen Kindern auswirkt, liegt in der Natur der Sache und stellt keine Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit dar. Ob die in § 12 Abs. 1 AsylVfG geregelte asylverfahrensrechtliche Handlungsfähigkeit mit der speziellen Schutzregelung in Art. 22 Abs. 1 KRK für (unbegleitete) Kinder vereinbar ist, die Flüchtlingsschutz begehren, braucht hier nicht entschieden zu werden.

11 2. Die Kläger erfüllen die besonderen Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 AufenthG für einen Anspruch auf Kindernachzug. Nach § 32 Abs. 3 AufenthG ist dem minderjährigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis - und vor der Ausreise gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG ein Visum - zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil u.a. eine Aufenthaltserlaubnis besitzen.

12 2.1 Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279>). Daher sind die Nachzugsansprüche der Kläger an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union vom 1. Juni 2012 (BGBl I S. 1224). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.

13 Sind aufenthaltsrechtliche Ansprüche an eine Höchstaltersgrenze geknüpft - wie hier beim Kindernachzug die Vollendung des 16. Lebensjahres -, ist für die Einhaltung der Altersgrenze ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (vgl. Urteil vom 7. April 2009 a.a.O.). Wenn die Altersgrenze im Laufe des Verfahrens überschritten wird, folgt daraus, dass die übrigen Anspruchsvoraussetzungen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze vorgelegen haben müssen. Danach eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Insoweit bedarf es mithin bei Anspruchsgrundlagen mit einer Höchstaltersgrenze, die der Betroffene - wie hier der Kläger zu 1 - im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten hat, einer auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogenen Doppelprüfung (Urteil vom 7. April 2009 a.a.O.).

14 Das Berufungsgericht hat das Nachzugsbegehren der Kläger zutreffend an § 32 Abs. 3 AufenthG und nicht nach der Vorgängerregelung des § 20 Abs. 3 Satz 1 Ausländergesetz 1990 (AuslG) geprüft. Der Vater der Kläger hat sich vor dem 1. Januar 2005 rechtmäßig in Deutschland aufgehalten, und die Kläger sind vor diesem Zeitpunkt geboren. Damit gilt nach § 104 Abs. 3 AufenthG hinsichtlich der personen- und familienbezogenen Nachzugsvoraussetzungen weiterhin § 20 AuslG, es sei denn das Aufenthaltsgesetz gewährt eine günstigere Rechtsposition. Dies ist hier der Fall, da § 32 Abs. 3 AufenthG bei Vorliegen der Tatbestandvoraussetzungen einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis vermittelt, während § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG den Nachzug zu einem allein sorgeberechtigten Elternteil in das Ermessen der Ausländerbehörde stellt (Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 14 f.).

15 2.2 Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 AufenthG bei beiden Klägern vorliegen. Die gesetzliche Höchstaltersgrenze ist eingehalten, denn zum Zeitpunkt der Antragstellung im November 2008 hatten die Kläger das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet. Ihr Vater besitzt seit 2001 eine Aufenthaltserlaubnis und ist nach der Sorgerechtsentscheidung im Urteil des Amtsgerichts Cihanbeyli vom 24. Februar 2006 für beide Kläger allein personensorgeberechtigt. Diese Entscheidung ist im vorliegenden Verfahren jedenfalls nach dem Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961 (BGBl 1971 II S. 217, 1150) - Minderjährigenschutzabkommen (MSA) - anzuerkennen.

16 2.2.1 Der Begriff der alleinigen Personensorgeberechtigung ist mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl EG L 251 S. 12 vom 3. Oktober 2003) - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie - unionsrechtlich auszulegen. Im Sinne dieser Bestimmung besitzt ein Elternteil das Sorgerecht nur, wenn er „allein“ sorgeberechtigt ist, dem anderen Elternteil also bei der Ausübung des Sorgerechts keine substantiellen Mitentscheidungsrechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes (Urteil vom 7. April 2009 a.a.O. Rn. 16).

17 2.2.2 Wem das Sorgerecht für ein Kind zusteht, beurteilt sich in Fällen mit Auslandsbezug anhand der Regelungen des Internationalen Privatrechts nach dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 21 EGBGB). Diese Kollisionsnorm, die die Auswahl des materiellrechtlichen Prüfungsmaßstabs bei einer anstehenden Sorgerechtsentscheidung steuert, tritt zurück, wenn bereits eine Sorgerechtsentscheidung einer ausländischen Stelle vorliegt und sich die verfahrensrechtliche Frage nach deren Anerkennung stellt.

18 Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass das rechtskräftige türkische Sorgerechtsurteil dem Vater der Kläger das alleinige Sorgerecht verschafft hat. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 293 ZPO wie eine Tatsachenfeststellung zu behandeln (vgl. Urteile vom 7. April 2009 a.a.O. Rn. 17 und vom 19. Juli 2012 - BVerwG 10 C 2.12 - NJW 2012, 3461 Rn. 16); § 545 Abs. 1 ZPO findet keine Anwendung. An diese Feststellung des Berufungsgerichts zum Inhalt und den Rechtswirkungen des ausländischen Urteils ist der Senat deshalb gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, da die Revision keine Verfahrensrüge erhoben hat und ihre Angriffe gegen die inhaltliche Richtigkeit der Sorgerechtsentscheidung daher ins Leere gehen.

19 Die Anerkennung ausländischer Urteile richtet sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 328 ZPO. Für die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen enthält § 108 Abs. 1 i.V.m. § 109 FamFG allerdings eine Sonderregelung, die die Grundnorm des § 328 ZPO auch im Verwaltungsprozess verdrängt. Gemäß § 108 Abs. 1 FamFG ist für die Anerkennung von Sorgerechtsentscheidungen ausländischer Gerichte kein besonderes Verfahren vor deutschen Gerichten oder Behörden vorgesehen, sondern es gilt der Grundsatz der Inzidentanerkennung (OLG Köln, Beschluss vom 9. April 2010 - 4 UF 56/10 - NJW-RR 2010, 1225 <1226>). Nach § 97 Abs. 1 FamFG gehen allerdings Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften des FamFG vor.

20 Das Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 (BGBl 2009 II S. 602) - Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) - ist mangels Ratifizierung des Übereinkommens durch die Türkei hier nicht anwendbar. Daher kommen im vorliegenden Fall als gemäß § 97 Abs. 1 FamFG vorrangig anzuwendende völkerrechtliche Vereinbarungen nur das Haager Minderjährigenschutzabkommen und das Europäische Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses vom 20. Mai 1980 (BGBl 1990 II S. 220) - Europäisches Sorgerechtsübereinkommen (ESÜ) - in Betracht. Es spricht einiges dafür, dass sich die Anerkennung einer ausländischen Sorgerechtsentscheidung als Vorfrage für den Kindernachzug vorrangig nach dem auf jeden Fall anwendbaren Haager Minderjährigenschutzabkommen bestimmt. Denn dieses Vertragswerk regelt die behördliche Zuständigkeit und das anzuwendende Recht zum Schutz von Minderjährigen ganz allgemein, während das Europäische Sorgerechtsübereinkommen spezifische, zwischenstaatlich koordinierte Interventionsregelungen bei gestörten Sorgerechtsverhältnissen enthält. Das bedarf hier aber keiner Entscheidung. Denn keines der beiden Übereinkommen enthält eine abschließende Regelung für die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen; insbesondere schließt Art. 19 ESÜ die Anwendung anderer internationaler Übereinkünfte nicht aus, um die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung zu erwirken. Da im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für eine Anerkennung nach dem Haager Minderjährigenschutzabkommen vorliegen, kann dahinstehen, ob die Entscheidung auch nach dem Europäischen Sorgerechtsabkommen anzuerkennen wäre.

21 2.2.3 Das Minderjährigenschutzabkommen findet auf die Kläger als Minderjährige, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei haben, Anwendung (vgl. Art. 12, 13 MSA). Gemäß Art. 7 Satz 1 MSA sind die Maßnahmen, welche die nach den vorstehenden Artikeln zuständigen Behörden getroffen haben, in allen Vertragsstaaten anzuerkennen; Maßnahmen in diesem Sinne sind auch gerichtliche Sorgerechtsentscheidungen (BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 1976 - IV ZB 38/76 - BGHZ 67, 255 <260> und 28. Mai 1986 - IVb ZB 36/84 - NJW-RR 1986, 1130; Urteil vom 11. April 1979 - IV ZR 93/78 - FamRZ 1979, 577). Ein förmliches Anerkennungsverfahren sieht das Abkommen nicht vor. Als Grenze der gegenseitigen Anerkennung enthält Art. 16 MSA nur den Vorbehalt, dass die Bestimmungen dieses Übereinkommens in den Vertragsstaaten unbeachtet bleiben dürfen, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist (ordre public).

22 Abzustellen ist dabei nicht auf Art. 6 EGBGB, sondern auf den anerkennungsrechtlichen ordre public international (vgl. nur BGH, Urteile vom 18. Oktober 1967 - VIII ZR 145/66 - BGHZ 48, 327 und vom 21. April 1998 - XI ZR 377/97 - BGHZ 138, 331 <334>). Mit diesem ist eine ausländische Entscheidung nicht schon dann unvereinbar, wenn der deutsche Richter - hätte er die zur Anerkennung stehende Entscheidung getroffen - aufgrund zwingenden deutschen Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Ergebnis der ausländischen Entscheidung zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint. Prüfungsmaßstab sind dabei vor allem die Grundrechte. Die ausländische Entscheidung ist nicht auf ihre Rechtmäßigkeit am Maßstab des ausländischen Rechts zu überprüfen (Verbot der révision au fond). Bei der Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen liegt in materieller Hinsicht ein Verstoß gegen den ordre public erst dann vor, wenn die Hinnahme der Entscheidung wegen ihres Inhalts im Ergebnis mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts offensichtlich unvereinbar ist (materiellrechtlicher ordre public). Dabei steht das Wohl des Kindes im Mittelpunkt der Prüfung. Jede Regelung des Sorgerechts wirkt sich auf das Wohl des Kindes aus und muss daher das Kind in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen. Ein Verstoß gegen den ordre public kann sich auch aus dem der anzuerkennenden Entscheidung vorangegangenen Verfahren ergeben, also der Art und Weise ihres Zustandekommens. Dies ist der Fall, wenn die ausländische Entscheidung aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass sie nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (verfahrensrechtlicher ordre public). Eine am Kindeswohl orientierte Sorgerechtsentscheidung erfordert daher auch eine Verfahrensgestaltung, die eine hinreichende Berücksichtigung der grundrechtlichen Stellung des betroffenen Kindes garantiert (siehe etwa Art. 12 Abs. 2 KRK; vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 5. November 1980 - 1 BvR 349/80 - BVerfGE 55, 171 <182> und vom 14. Juli 2010 - 1 BvR 3189/09 - BVerfGK 17, 407 Rn. 19). Das Sorgerechtsverfahren ist unter Berücksichtigung des Alters des Kindes, seines Entwicklungsstandes und seiner seelischen Verfassung so zu gestalten, dass der Entscheidungsträger möglichst zuverlässig die Grundlagen einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen kann. Das erfordert jedenfalls bei Jugendlichen grundsätzlich eine persönliche Anhörung und bei jüngeren Kindern zumindest ein funktionales Äquivalent, durch das ihnen Gelegenheit gegeben wird, ihre Interessen auf altersgerechte Weise zu formulieren und in das Verfahren einzubringen.

23 Nach diesen Maßstäben steht der ordre public der Anerkennung des Urteils des Amtsgerichts Cihanbeyli vom 24. Februar 2006 nicht entgegen. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass beide Kläger von dem türkischen Familiengericht persönlich angehört worden sind und der Übertragung des Sorgerechts jeweils zugestimmt haben. Auch ihre Mutter ist vor dem Gericht aufgetreten und hat ihr Einverständnis mit der Sorgerechtsübertragung erklärt. Mit Blick auf diese Verfahrenshandhabung und das Vorliegen einer einvernehmlichen Sorgerechtsentscheidung überspannt die Beklagte mit ihrer Rüge, das türkische Gericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, die Anforderungen des verfahrensrechtlichen ordre public. Die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den Vater der Kläger lässt auch materiell kein Ergebnis erkennen, das mit Blick auf das Kindeswohl mit den Grundwerten des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts offensichtlich nicht zu vereinbaren ist. Auch das deutsche Familienrecht kennt das alleinige Sorgerecht des nichtehelichen Vaters (§ 1672 Abs. 1 BGB). Der Vorhalt der Revision, im konkreten Fall sei die Sorgerechtsentscheidung im Wesentlichen ausländerrechtlich motiviert bzw. von ökonomischen Interessen getragen, geht von der Fehlvorstellung aus, diese Kriterien stünden notwendigerweise im Gegensatz zum Kindeswohl. Das ist schon wegen des Förderprinzips als Ausfluss des Kindeswohls nicht der Fall. Der Sache nach greift die Revision im Gewande der Rüge eines Verstoßes gegen den ordre public die ihrer Auffassung nach falsche Abwägung des türkischen Familiengerichts an, das den absehbaren Integrationsproblemen der Kinder nicht das für deren Wohl gebotene Gewicht beigemessen habe; mit dieser eigenen Bewertung des Kindeswohls muss sie indes erfolglos bleiben.

24 3. Hinsichtlich des Klägers zu 1 beruht die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung von Bundesrecht. Zwar sind die Nachzugsvoraussetzungen der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) sowie das Erfordernis ausreichenden Wohnraums (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) nach den Feststellungen im Berufungsurteil erfüllt. Das Berufungsgericht ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Lebensunterhalt des Klägers zu 1 auch im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres gesichert war und damit die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in seiner Person vorliegt.

25 3.1 Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist nach § 2 Abs. 3 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richten sich sowohl die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens als auch der Unterhaltsbedarf bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, seit dem 1. Januar 2005 grundsätzlich nach den entsprechenden Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II. Unerheblich ist dabei, ob Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; nach dem gesetzlichen Regelungsmodell kommt es nur auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs an (grundlegend Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 19 ff.).

26 3.1.1 Demzufolge ist der Einkommens- und Bedarfsberechnung grundsätzlich der Personenkreis zugrunde zu legen, der sich aus den Regeln über die Bedarfsgemeinschaft gem. § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 bis 3a SGB II ergibt (Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 21.09 - BVerwGE 138, 148 Rn. 14 ff.) unabhängig davon, inwieweit zwischen diesen Personen unterhaltsrechtliche Beziehungen bestehen. Ob mit Blick auf § 2 Abs. 3 AufenthG auch volljährige Kinder in die Bedarfsgemeinschaft ihres leiblichen Elternteils und dessen nicht verheirateten Partners einzubeziehen sind, braucht hier nicht entschieden zu werden. Innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft, deren gesamter Bedarf nicht aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt wird, gilt jede Person im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II) und hat im Regelfall einen Leistungsanspruch in Höhe dieses Anteils. Das führt regelmäßig dazu, dass der Lebensunterhalt des Ausländers dann nicht gesichert ist, wenn der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft, deren Mitglied er ist, nicht durch eigene Mittel bestritten werden kann.

27 Für die Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens sind von dem gemäß § 11 Abs. 1 SGB II zu ermittelnden Bruttoeinkommen die in § 11b SGB II genannten Beträge abzuziehen. Dazu zählen grundsätzlich auch die freiwillig geleisteten Altersvorsorgebeiträge (§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 4 SGB II), hinsichtlich derer eine gewisse Vermutung dafür spricht, dass sie auch zukünftig in gleicher Höhe gezahlt werden. Abzusetzen sind ferner der Freibetrag für Erwerbstätige gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II sowie die Pauschale von 100 €, die nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II an die Stelle der Beträge nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 tritt. Allerdings sind gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen abweichend von § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II unabhängig von einer Titulierung einkommensmindernd zu berücksichtigen (Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 33). Dies gilt allerdings nur in der Höhe, in der eine Titulierung auch unter Berücksichtigung des Ranges der Unterhaltsgläubiger rechtlich möglich wäre, und auch nur solange, wie die Erbringung bzw. Geltendmachung von Unterhaltsleistungen tatsächlich zu erwarten ist. Wurden Unterhaltsleistungen über einen längeren Zeitraum weder erbracht noch geltend gemacht, ist regelmäßig davon auszugehen, dass dies auch in der Zukunft der Fall sein wird.

28 Die Bedarfsberechnung bestimmt sich grundsätzlich nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II; danach umfassen die Leistungen des Arbeitslosengelds II den Regelbedarf, die Mehrbedarfe sowie den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Aufenthaltsrechtlich nicht anzusetzen sind jedoch die in § 28 SGB II enthaltenen Bedarfe für Bildung und Teilhabe. Denn würde man sie als aufenthaltsschädlich berücksichtigen, liefe das dem Grundanliegen des Gesetzgebers zuwider, gerade die Integration ausländischer Kinder systematisch zu fördern, um u.a. Defizite in der sprachlichen Verständigung abzubauen, die den tatsächlichen Zugang zum Arbeitsmarkt beschränken und damit oft zu entsprechenden sozialen Folgelasten führen (vgl. BTDrucks 15/420 S. 61, 68).

29 Etwaige Ansprüche auf Bewilligung von Wohngeld bleiben bei der Berechnung der Sicherung des Lebensunterhalts grundsätzlich außen vor. Wohngeld gehört nicht zu den in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannten privilegierten öffentlichen Leistungen und ist daher nicht geeignet, eine bestehende Einkommenslücke zu schließen (vgl. Beschluss vom 4. November 1996 - BVerwG 1 B 189.96 - Buchholz 402.240 § 17 AuslG 1990 Nr. 7). Auf der anderen Seite schadet der Bezug von Wohngeld aber auch nicht, wenn der Bedarf aus eigenem Einkommen, Vermögen oder aufenthaltsrechtlich unschädlichen öffentlichen Leistungen bereits gedeckt ist.

30 Ist der nach den Regelungen des SGB II bestehende Bedarf nicht vollständig gedeckt, ist zu prüfen, ob die verbleibende Einkommenslücke durch einen Kinderzuschlag gemäß § 6a BKGG geschlossen werden kann. Denn der Kinderzuschlag gehört gemäß § 2 Abs. 3 AufenthG zu den aufenthaltsrechtlich unschädlichen Sozialleistungen und soll verhindern, dass Eltern nur wegen der Unterhaltsbelastung für ihre Kinder Arbeitslosengeld II in Anspruch nehmen müssen (BTDrucks 15/1516 S. 83).

31 3.1.2 Im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG) - und damit auch im vorliegenden Fall - ist der Begriff der Lebensunterhaltssicherung zu modifizieren. Denn in der Systematik dieser Richtlinie stellt der Anspruch auf Genehmigung der Familienzusammenführung gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie die Grundregel dar, so dass die den Mitgliedstaten in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie verliehene Befugnis zur Regelung der Nachzugsvoraussetzungen eng auszulegen ist (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 - Rs. C-578/08, Chakroun - Slg. 2010, I-1839 = NVwZ 2010, 697 Rn. 43). Der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie eröffnete Handlungsspielraum darf von den Mitgliedstaaten nicht in einer Weise genutzt werden, dass das Richtlinienziel - die Begünstigung der Familienzusammenführung - und die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigen werden (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 a.a.O. Rn. 43). Nach dieser Rechtsprechung bezieht sich der Begriff der Sozialhilfe(leistungen) in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie als autonomer Begriff des Unionsrechts nur auf Unterstützungsleistungen, die einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften ausgleichen, nicht aber auf eine Hilfe, die es erlauben würde, außergewöhnliche oder unvorhergesehene Bedürfnisse zu befriedigen (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 a.a.O. Rn. 49). Die Sozialhilfe i.S.d. Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG erfasst daher nur Leistungen, die von öffentlichen Behörden zur Kompensation des Mangels an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften gewährt werden, um die allgemein notwendigen Kosten des Lebensunterhalts für den Ausländer und seine Familienangehörigen zu bestreiten; sie schließt nicht die besondere Sozialhilfe zur Bestreitung besonderer, individuell bestimmter notwendiger Kosten des Lebensunterhalts ein (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 a.a.O. Rn. 52).

32 Für die von der Richtlinie 2003/86/EG erfassten Fälle hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts bereits entschieden, dass es der Anwendungsvorrang des Unionsrechts gebietet, bei der Einkommensberechnung den Freibetrag für Erwerbstätigkeit nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II nicht zu Lasten des nachzugswilligen Ausländers abzusetzen. Denn dieser Freibetrag wird in erster Linie aus arbeitsmarkt- bzw. beschäftigungspolitischen Gründen gewährt und soll eine Anreizfunktion zur Aufnahme bzw. Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit haben, nicht aber einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgleichen (Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 20.09 - BVerwGE 138, 135 Rn. 33). Hinsichtlich des in § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II pauschaliert erfassten Werbungskostenabzugs verlangt das Gebot der individualisierten Prüfung gemäß Art. 17 der Richtlinie 2003/86/EG, den Nachweis geringerer Aufwendungen als die gesetzlich veranschlagten 100 € zuzulassen (Urteil vom 16. November 2010 a.a.O. Rn. 34).

33 Der Bedarfsberechnung sind auch im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie neben dem Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) grundsätzlich die in § 20 SGB II vorgesehenen Regelbedarfssätze zugrunde zu legen (zur Nichtberücksichtigung der nach § 77 Abs. 4 SGB II für eine Übergangszeit geltenden <höheren> Werte s.u. 3.2). Bei bereits im Entscheidungszeitpunkt nach Grund und Höhe absehbaren Mehrbedarfen ist anhand des unionsrechtlichen Begriffs der Sozialhilfe in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG wie folgt zu differenzieren:

34 - Die Mehrbedarfszuschläge für Alleinerziehende (§ 21 Abs. 3 SGB II; vgl. Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 25) sowie die Kosten der dezentralen Warmwassererzeugung (§ 21 Abs. 7 SGB II) sind in die Bedarfsberechnung einzustellen. Denn sie decken allgemein notwendige Kosten des Lebensunterhalts der anspruchsberechtigten Personengruppen und dienen nicht der Befriedigung außergewöhnlicher oder unvorhergesehener Bedürfnisse.

35 - Nicht zu berücksichtigen sind dagegen die Mehrbedarfe für werdende Mütter (§ 21 Abs. 2 SGB II), für erwerbsfähige Behinderte (§ 21 Abs. 4 SGB II), für eine aus medizinischen Gründen notwendige kostenaufwändige Ernährung (§ 21 Abs. 5 SGB II), für einen im Einzelfall unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf (§ 21 Abs. 6 SGB II) und die Erstausstattungsbedarfe (§ 24 Abs. 3 SGB II). Diese Leistungen betreffen besondere, individuell bestimmte notwendige Kosten außerhalb des allgemein notwendigen Lebensunterhalts und dienen der Befriedigung außergewöhnlicher oder unvorhergesehener Bedürfnisse. Daher sind sie unionsrechtlich der von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG nicht abgedeckten „besonderen Sozialhilfe“ zuzurechnen, die nicht zulasten nachzugswilliger Ausländer berücksichtigt werden darf.

36 3.1.3 Ist der Lebensunterhalt - auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - nicht (vollständig) gesichert, ist weiter zu prüfen, ob in dem jeweiligen Einzelfall eine Ausnahme von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in Betracht kommt. Verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen sowie atypische Umstände des Einzelfalles, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, können Ausnahmen vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigen (Urteile vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 27, vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 21.09 - BVerwGE 138, 148 Rn. 18 und vom 22. Mai 2012 - BVerwG 1 C 6.11 - DVBl 2012, 1167 Rn. 11). Dabei sind auch im Hinblick auf das unionsrechtliche Gebot der Einzelfallprüfung die in Art. 17 der Richtlinie 2003/86/EG genannten Aspekte zu berücksichtigen. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, unterliegt in jedem Fall vollständiger gerichtlicher Überprüfung (Urteil vom 22. Mai 2012 a.a.O.).

37 3.2 An diesen Grundsätzen gemessen ist die Annahme des Berufungsgerichts, der Lebensunterhalt des Klägers zu 2 sei gesichert, im Ergebnis nicht zu beanstanden (3.2.1). Das Berufungsurteil beruht jedoch auf einer Verletzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG hinsichtlich des Klägers zu 1 im Hinblick auf den Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres (3.2.2).

38 3.2.1 Der am 6. Januar 1996 geborenen Kläger zu 2 hat das 16. Lebensjahr erst während des Revisionsverfahrens vollendet. Demzufolge sind für die Prüfung der Lebensunterhaltssicherung hinsichtlich seiner Person nur die Verhältnisse im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung (25. Oktober 2011) maßgeblich.

39 Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung der Lebensunterhaltssicherung zutreffend auf die Bedarfsgemeinschaft abgestellt, die die Kläger nach ihrem Zuzug mit ihrem Vater und dessen Ehefrau als erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bilden (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 und 4 SGB II). Es hat bei der Einkommensberechnung des selbständig tätigen Vaters einen Gesamtbetrag der Einkünfte i.H.v. 22 671 € ermittelt, wie er sich aus dem Einkommensteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 2010 ergibt, und ist auf diese Weise zu einem monatlichen Bruttoeinkommen von 1 889,25 € gelangt. Zwar ist im Anwendungsbereich des SGB II die Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit gemäß § 3 der Alg II-V seit dem 1. Januar 2008 in weiten Teilen losgelöst von einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen geregelt. Dennoch ist die steuerliche Betrachtungsweise im Aufenthaltsrecht als Ausgangspunkt der Einkommensberechnung revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn bei der Feststellung der Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG handelt es sich um eine Prognoseentscheidung, die der tatrichterlichen Würdigung obliegt.

40 In einem weiteren Schritt hat das Berufungsgericht mit Blick auf die gebotene Verlässlichkeit des Mittelzuflusses (vgl. Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 33) in einer tatrichterlichen Gesamtschau die Nachhaltigkeit der Einnahmesituation des selbständig tätigen Vaters durch Betrachtung der Einkünfte mehrerer Veranlagungszeiträume in den Blick genommen. Diese Vorgehensweise genügt dem strengen Maßstab, der wegen des grundlegenden staatlichen Interesses, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern (BTDrucks 15/420 S. 70), an die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG anzulegen ist (Urteil vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 21 und 23). Die alternative Möglichkeit einer mehrere Jahre einbeziehenden Bilanzierung der Einnahmen eines Selbständigen ist aufenthaltsrechtlich nicht zwingend geboten.

41 Das Einkommen erhöht sich um das gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufenthaltsrechtlich unschädliche Kindergeld i.H.v. 368 € für beide Kläger. Abzuziehen sind gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II die auf das Einkommen entrichteten Steuern i.H.v. monatlich 16,83 €. Im Ergebnis unschädlich erweist sich, dass das Berufungsgericht den Krankenversicherungsbeitrag i.H.v. 323,06 € nicht gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a SGB II vom Einkommen abgezogen, sondern dem Bedarf zugeschlagen hat. Entgegen § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b SGB II hat es jedoch die Altersvorsorgebeträge nicht berücksichtigt, die der Vater der Kläger - wofür der Abzug von „übrigen Vorsorgeaufwendungen“ i.H.v. 2 053 € laut Einkommensteuerbescheid 2010 spricht - geleistet hat. Fehlerhaft erweist sich auch der Abzug der Werbungskostenpauschale i.H.v. 100 €. Denn beim Vater der Kläger greift § 11b Abs. 2 Satz 2 SGB II, da sein monatliches Einkommen mehr als 400 € beträgt und die Summe der nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB II abzusetzenden Beträge 100 € übersteigt. Daraus ergibt sich bei überschlägiger Berechnung ein bereinigtes Monatseinkommen i.H.v. 1 746 € im Jahr 2010.

42 Auf der Bedarfsseite ist das Berufungsgericht zutreffend gemäß § 20 Abs. 4 SGB II von einem Regelbedarf i.H.v. 328 € für den Vater der Kläger und seine Ehefrau ausgegangen. Nicht mit Bundesrecht vereinbar erweist sich jedoch der Ansatz i.H.v. je 287 € für die Kläger. Zwar ergibt sich dieser Betrag aus § 77 Abs. 4 Nr. 1 SGB II in Abweichung von dem in § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB II genannten Betrag von 275 €. Aber diese abschmelzende Bestandsschutzregelung ist im Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/86/EG wegen des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs nicht anwendbar. Denn bei der Betragsdifferenz von 12 € handelt es sich nach der immanenten Systematik der genannten gesetzlichen Regelungen nicht um Sozialhilfe i.S.d. Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG als Unterstützungsleistung, die einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften ausgleicht. Die Kosten für Unterkunft und Heizung betragen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts 413,20 €, so dass sich ein Gesamtbedarf i.H.v. 1 619,20 € errechnet. Damit übersteigen die Einnahmen den Bedarf bei überschlägiger Berechnung um 127 €, so dass die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht für beide Kläger erfüllt ist.

43 3.2.2 Das Berufungsurteil beruht jedoch auf einer Verletzung von Bundesrecht, da es den Lebensunterhalt des Klägers zu 1 auch im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres am 15. März 2010 als gesichert angesehen hat.

44 Das Berufungsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass auch die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht nur im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz vorliegen muss, sondern auch bereits bei Überschreiten der in § 32 Abs. 3 AufenthG enthaltenen Altersgrenze. Es hat jedoch unter Verstoß gegen Bundesrecht bei der Einkommensermittlung des Vaters der Kläger auch hinsichtlich dieses Zeitpunkts auf den Einkommensteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 2010 abgestellt. Dadurch hat es seiner Berechnung für den Stichtag 15. März 2010 die Einkommensentwicklung im gesamten Jahr 2010 zugrunde gelegt, obwohl alle Nachzugsvoraussetzungen spätestens (auch) im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze vorgelegen haben müssen. Denn nach diesem Zeitpunkt eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (Urteil vom 7. April 2009 a.a.O. Rn. 10 mit Verweis auf das Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 17). Dieser Fehler ist nicht unerheblich, da die Jahreseinkünfte in den Jahren 2007 und 2009 bei überschlägiger Betrachtung der Einkommensentwicklung für eine Sicherung des Lebensunterhalts der Kläger nicht ausreichten. Mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen ist dem Senat insoweit eine abschließende Entscheidung aber verwehrt.

45 Das Berufungsurteil erweist sich hinsichtlich des Klägers zu 1 auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das Berufungsgericht hat - von seiner Rechtsauffassung her konsequent - keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, ob die Voraussetzungen für ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegen.

46 4. Da die Visa- und Klageanträge für die Kläger kumulativ zur Entscheidung gestellt wurden, ist der Rechtsstreit hinsichtlich des Klägers zu 2 entscheidungsreif. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil zur Sicherung des Lebensunterhalts am Stichtag 15. März 2010 kann der Senat hingegen hinsichtlich des Klägers zu 1 nicht selbst abschließend entscheiden, so dass der Rechtsstreit insoweit zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen ist. Das Berufungsgericht wird in dem neuen Berufungsverfahren zu prüfen haben, ob die Einkommensentwicklung des Vaters bis zum 15. März 2010 die Prognose rechtfertigt, dass der Lebensunterhalt des Klägers zu 1 schon damals gesichert war und auch weiterhin gesichert ist. Kommt das Berufungsgericht insoweit hinsichtlich eines oder beider maßgeblichen Zeitpunkte zu einem negativen Ergebnis, wird es im Weiteren der Frage nachzugehen haben, ob zum 15. März 2010 oder in dem Zeitpunkt der Berufungsverhandlung bzw. seiner Entscheidung die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegen.

47 5. Die Kostenentscheidung beruht, soweit sie nicht der Schlussentscheidung vorbehalten bleibt, auf § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Ausspruch nach § 162 Abs. 3 VwGO ist nicht veranlasst.

Urteil vom 29.11.2012 -
BVerwG 10 C 5.12ECLI:DE:BVerwG:2012:291112U10C5.12.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 29.11.2012 - 10 C 5.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:291112U10C5.12.0]

Urteil

BVerwG 10 C 5.12

  • OVG Berlin-Brandenburg - 25.10.2011 - AZ: OVG 11 B 23.10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
Prof. Dr. Kraft, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Oktober 2011 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, begehrt ein Visum für den Familiennachzug zu seinem in Deutschland lebenden Vater.

2 Der am 20. Dezember 1994 geborene Kläger stellte im Juli 2009 einen Antrag auf Erteilung eines Visums zum Zweck des Kindernachzugs zu seinem Vater. Dieser, ebenfalls ein türkischer Staatsangehöriger, lebt seit 1995 im Bundesgebiet und erhielt 2000 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Mit Urteil des Familiengerichts Izmir (Türkei) vom 8. April 2008 wurde ihm das alleinige Sorgerecht für den Kläger übertragen.

3 Das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Izmir lehnte den Visumantrag zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 4. Dezember 2009 ab. Der Vater des Klägers sei nicht allein personensorgeberechtigt, da die türkische Sorgerechtsübertragung wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht anzuerkennen sei.

4 Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger ein Visum zum Familiennachzug zu erteilen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 25. Oktober 2011 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass dem Vater des Klägers das alleinige Sorgerecht zustehe. Der deutsche ordre public stehe der Anerkennung der türkischen Sorgerechtsentscheidung nicht entgegen. Dabei könne dahinstehen, ob sich die Voraussetzungen für die Anerkennung vorrangig nach Art. 7 und Art. 16 des Haager Minderjährigenschutzabkommens (MSA) oder nach Art. 7 und Art. 10 des Europäischen Sorgerechtsübereinkommens (ESÜ) richteten, da die Regelungen hier zu identischen Ergebnissen führten. Aus beiden Übereinkommen ergebe sich, dass ausländische Sorgerechtsentscheidungen im Bundesgebiet grundsätzlich anerkannt werden müssten und die Vorbehaltsklausel des ordre public nur ausnahmsweise zum Tragen komme. Dieser Vorbehalt schließe es grundsätzlich aus, ausländische Entscheidungen auf ihre materielle Richtigkeit zu überprüfen. Ein ordre public-Verstoß liege erst vor, wenn das Entscheidungsergebnis nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheine oder die Entscheidung in einem Verfahren zustande gekommen sei, das grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genüge. Das Urteil des türkischen Familiengerichts entspreche sowohl in verfahrensrechtlicher wie materiellrechtlicher Hinsicht den Anerkennungsvoraussetzungen. Der Kläger sei vom Familiengericht persönlich angehört worden. Der Verzicht auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung führe in Fällen, in denen - wie hier - beide Elternteile und das Kind die beantragte Sorgerechtsentscheidung wünschten, weil sie sich hiervon eine bessere Förderung des Kindes versprächen, nicht zu einer verfahrensrechtlichen Verletzung des ordre public. Ein materiellrechtlicher Verstoß gegen den ordre public liege ebenfalls nicht vor. Unerheblich sei, ob das türkische Recht eine Sorgerechtsübertragung auf den mit der Kindesmutter nicht verheirateten Vater vorsehe, denn eine Überprüfung am Maßstab türkischen Rechts sei deutschen Gerichten verwehrt. Die die Übersiedlung zum Vater ermöglichende Sorgerechtsentscheidung sei im Hinblick auf eine bessere Förderung der Erziehung und Ausbildung des Klägers getroffen und im Ergebnis nicht offensichtlich und in nicht hinnehmbarer Weise mit dem Kindeswohl unvereinbar. Auch die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums lägen vor, insbesondere sei sowohl bei Vollendung des 16. Lebensjahres als auch im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung der Lebensunterhalt der aus dem Kläger und seinem Vater bestehenden Bedarfsgemeinschaft gesichert.

5 Die Beklagte rügt mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, dass der in Deutschland lebende Elternteil nicht allein sorgeberechtigt sei. Die türkische Sorgerechtsentscheidung widerspreche dem türkischen Recht und sei in Deutschland wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht anzuerkennen. Die Entscheidung sei verfahrensrechtlich ohne jede von Amts wegen betriebene Sachverhaltsaufklärung ergangen. Mit zentralen Elementen des Kindeswohls habe sich das Gericht nicht befasst.

6 Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.

7 Die Beigeladene schließt sich inhaltlich den Ausführungen der Beklagten an.

II

8 Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Klage ist zulässig (1.). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Visums zum Zwecke des Familiennachzugs aber mit einer Begründung bejaht, die revisionsgerichtlicher Prüfung nicht standhält: Der Kläger erfüllt zwar die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 32 Abs. 3 AufenthG für einen Anspruch auf Kindernachzug. Insbesondere ist sein Vater allein sorgeberechtigt, da das türkische Sorgerechtsurteil nicht gegen den ordre public verstößt (2.). Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen aber nicht seine Annahme, dass der Lebensunterhalt des Klägers gesichert sei und damit auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliege (3.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (4.).

9 1. Die auf Erteilung eines Visums zum Kindernachzug gerichtete Klage ist zulässig. Der im Zeitpunkt der Revisionsverhandlung noch nicht volljährige Kläger ist gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1 AufenthG partiell handlungs- und infolgedessen im vorliegenden Verfahren prozessfähig. Nach § 80 Abs. 1 AufenthG ist fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz ein Ausländer, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, sofern er nicht nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs geschäftsunfähig oder im Falle seiner Volljährigkeit in dieser Angelegenheit zu betreuen und einem Einwilligungsvorbehalt zu unterstellen wäre. Den gegen diese Regelung geäußerten, aus dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes - UN-Kinderrechtskonvention (KRK) vom 20. November 1989 (BGBl 1992 II S. 121, 990) - abgeleiteten völkerrechtlichen Bedenken folgt der Senat jedenfalls für das Aufenthaltsrecht nicht. Insoweit wird zur weiteren Begründung auf die Entscheidung des Senats vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 10 C 4.12 verwiesen (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen Rn. 9 f.).

10 2. Der Kläger erfüllt die besonderen Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 AufenthG für einen Anspruch auf Kindernachzug. Nach § 32 Abs. 3 AufenthG ist dem minderjährigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis - und vor der Ausreise gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG ein Visum - zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen.

11 2.1 Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279>). Daher ist der Nachzugsanspruch des Klägers an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union vom 1. Juni 2012 (BGBl I S. 1224). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.

12 Sind aufenthaltsrechtliche Ansprüche an eine Höchstaltersgrenze geknüpft - wie hier beim Kindernachzug die Vollendung des 16. Lebensjahres -, ist für die Einhaltung der Altersgrenze ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (vgl. Urteil vom 7. April 2009 a.a.O.). Wird die Altersgrenze im Laufe des Verfahrens überschritten, folgt daraus, dass die übrigen Anspruchsvoraussetzungen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze vorgelegen haben müssen. Danach eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Insoweit bedarf es mithin bei Anspruchsgrundlagen mit einer Höchstaltersgrenze, die der Betroffene - wie hier - im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten hat, einer auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogenen Doppelprüfung (Urteil vom 7. April 2009 a.a.O.).

13 Das Berufungsgericht hat das Nachzugsbegehren des Klägers zutreffend an § 32 Abs. 3 AufenthG und nicht nach der Vorgängerregelung des § 20 Abs. 3 Satz 1 Ausländergesetz 1990 (AuslG) geprüft. Der Vater des Klägers hat sich vor dem 1. Januar 2005 rechtmäßig in Deutschland aufgehalten und der Kläger ist vor diesem Zeitpunkt geboren. Damit gilt nach § 104 Abs. 3 AufenthG hinsichtlich der personen- und familienbezogenen Nachzugsvoraussetzungen weiterhin § 20 AuslG, es sei denn das Aufenthaltsgesetz gewährt eine günstigere Rechtsposition. Dies ist hier der Fall, da § 32 Abs. 3 AufenthG bei Vorliegen der Tatbestandvoraussetzungen einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis vermittelt, während § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG den Nachzug zu einem allein sorgeberechtigten Elternteil in das Ermessen der Ausländerbehörde stellt (Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 4 f.).

14 2.2 Zu Recht ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 AufenthG vorliegen. Die gesetzliche Höchstaltersgrenze ist eingehalten, denn zum Zeitpunkt der Antragstellung im Juli 2009 hatte der Kläger das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet. Der Vater des Klägers erhielt 2000 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die nach § 101 Abs. 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgilt. Nach der Sorgerechtsentscheidung im Urteil des Familiengerichts Izmir vom 8. April 2008 ist er für den Kläger auch allein personensorgeberechtigt. Diese Entscheidung ist im vorliegenden Verfahren jedenfalls nach dem Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961 (BGBl 1971 II S. 217, 1150) - Minderjährigenschutzabkommen (MSA) - anzuerkennen.

15 2.2.1 Der Begriff der alleinigen Personensorgeberechtigung ist mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl EG L 251 S. 12 vom 3. Oktober 2003) - sog. Familienzusammenführungsrichtlinie - unionsrechtlich auszulegen. Im Sinne dieser Bestimmung besitzt ein Elternteil das Sorgerecht nur, wenn er „allein“ sorgeberechtigt ist, dem anderen Elternteil also bei der Ausübung des Sorgerechts keine substantiellen Mitentscheidungsrechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes (Urteil vom 7. April 2009 a.a.O. Rn. 16).

16 2.2.2 Wem das Sorgerecht für ein Kind zusteht, beurteilt sich in Fällen mit Auslandsbezug anhand der Regelungen des Internationalen Privatrechts nach dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 21 EGBGB). Diese Kollisionsnorm, die die Auswahl des materiellrechtlichen Prüfungsmaßstabs bei einer anstehenden Sorgerechtsentscheidung steuert, tritt zurück, wenn bereits eine Sorgerechtsentscheidung einer ausländischen Stelle vorliegt und sich die verfahrensrechtliche Frage nach deren Anerkennung stellt.

17 Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass das türkische Sorgerechtsurteil dem Vater des Klägers das alleinige Sorgerecht verschafft hat. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 293 ZPO wie eine Tatsachenfeststellung zu behandeln (vgl. Urteile vom 7. April 2009 a.a.O. Rn. 17 und vom 19. Juli 2012 - BVerwG 10 C 2.12 - NJW 2012, 3461 Rn. 16); § 545 Abs. 1 ZPO findet keine Anwendung. An diese Feststellung des Berufungsgerichts zum Inhalt und den Rechtswirkungen des ausländischen Urteils ist der Senat deshalb gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, da die Revision keine Verfahrensrüge erhoben hat und ihre Angriffe gegen die inhaltliche Richtigkeit der Sorgerechtsentscheidung daher ins Leere gehen.

18 Die Anerkennung ausländischer Urteile richtet sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 328 ZPO. Für die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen enthält § 108 Abs. 1 i.V.m. § 109 FamFG allerdings eine Sonderregelung, die die Grundnorm des § 328 ZPO auch im Verwaltungsprozess verdrängt. Gemäß § 108 Abs. 1 FamFG ist für die Anerkennung von Sorgerechtsentscheidungen ausländischer Gerichte kein besonderes Verfahren vor deutschen Gerichten oder Behörden vorgesehen, sondern es gilt der Grundsatz der Inzidentanerkennung (OLG Köln, Beschluss vom 9. April 2010 - 4 UF 56/10 - NJW-RR 2010, 1225 <1226>). Nach § 97 Abs. 1 FamFG gehen allerdings Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften des FamFG vor.

19 Das Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 (BGBl 2009 II S. 602) - Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) - ist mangels Ratifizierung des Übereinkommens durch die Türkei hier nicht anwendbar. Daher kommen im vorliegenden Fall als gemäß § 97 Abs. 1 FamFG vorrangig anzuwendende völkerrechtliche Vereinbarungen nur das Haager Minderjährigenschutzabkommen und das Europäische Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses vom 20. Mai 1980 (BGBl 1990 II S. 220) - Europäisches Sorgerechtsübereinkommen (ESÜ) - in Betracht. Es spricht einiges dafür, dass sich die Anerkennung einer ausländischen Sorgerechtsentscheidung als Vorfrage für den Kindernachzug vorrangig nach dem auf jeden Fall anwendbaren Haager Minderjährigenschutzabkommen bestimmt. Denn dieses Vertragswerk regelt die behördliche Zuständigkeit und das anzuwendende Recht zum Schutz von Minderjährigen ganz allgemein, während das Europäische Sorgerechtsübereinkommen spezifische, zwischenstaatlich koordinierte Interventionsregelungen bei gestörten Sorgerechtsverhältnissen enthält. Das bedarf hier aber keiner Entscheidung. Denn keines der beiden Übereinkommen enthält eine abschließende Regelung für die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen; insbesondere schließt Art. 19 ESÜ die Anwendung anderer internationaler Übereinkünfte nicht aus, um die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung zu erwirken. Da im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für eine Anerkennung nach dem Haager Minderjährigenschutzabkommen vorliegen, kann dahinstehen, ob die Entscheidung auch nach dem Europäischen Sorgerechtsabkommen anzuerkennen wäre.

20 2.2.3 Das Minderjährigenschutzabkommen findet auf den Kläger als Minderjährigen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei hat, Anwendung (vgl. Art. 12, 13 MSA). Gemäß Art. 7 Satz 1 MSA sind die Maßnahmen, welche die nach den vorstehenden Artikeln zuständigen Behörden getroffen haben, in allen Vertragsstaaten anzuerkennen; Maßnahmen in diesem Sinne sind auch gerichtliche Sorgerechtsentscheidungen (BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 1976 - IV ZB 38/76 - BGHZ 67, 255 <260> und 28. Mai 1986 - IVb ZB 36/84 - NJW-RR 1986, 1130; Urteil vom 11. April 1979 - IV ZR 93/78 - FamRZ 1979, 577). Ein förmliches Anerkennungsverfahren sieht das Abkommen nicht vor. Als Grenze der gegenseitigen Anerkennung enthält Art. 16 MSA nur den Vorbehalt, dass die Bestimmungen dieses Übereinkommens in den Vertragsstaaten unbeachtet bleiben dürfen, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist (ordre public).

21 Abzustellen ist dabei nicht auf Art. 6 EGBGB, sondern auf den anerkennungsrechtlichen ordre public international (vgl. nur BGH, Urteile vom 18. Oktober 1967 - VIII ZR 145/66 - BGHZ 48, 327 und vom 21. April 1998 - XI ZR 377/97 - BGHZ 138, 331 <334>). Mit diesem ist eine ausländische Entscheidung nicht schon dann unvereinbar, wenn der deutsche Richter - hätte er die zur Anerkennung stehende Entscheidung getroffen - aufgrund zwingenden deutschen Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Ergebnis der ausländischen Entscheidung zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint. Prüfungsmaßstab sind dabei vor allem die Grundrechte. Die ausländische Entscheidung ist nicht auf ihre Rechtmäßigkeit am Maßstab des ausländischen Rechts zu überprüfen (Verbot der révision au fond). Bei der Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen liegt in materieller Hinsicht ein Verstoß gegen den ordre public erst dann vor, wenn die Hinnahme der Entscheidung wegen ihres Inhalts im Ergebnis mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts offensichtlich unvereinbar ist (materiellrechtlicher ordre public). Dabei steht das Wohl des Kindes im Mittelpunkt der Prüfung. Jede Regelung des Sorgerechts wirkt sich auf das Wohl des Kindes aus und muss daher das Kind in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen. Ein Verstoß gegen den ordre public kann sich auch aus dem der anzuerkennenden Entscheidung vorangegangenen Verfahren ergeben, also der Art und Weise ihres Zustandekommens. Dies ist der Fall, wenn die ausländische Entscheidung aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass sie nach der deutschen Rechtsordnung nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (verfahrensrechtlicher ordre public). Eine am Kindeswohl orientierte Sorgerechtsentscheidung erfordert daher auch eine Verfahrensgestaltung, die eine hinreichende Berücksichtigung der grundrechtlichen Stellung des betroffenen Kindes garantiert (siehe etwa Art. 12 Abs. 2 KRK; vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 5. November 1980 - 1 BvR 349/80 - BVerfGE 55, 171 <182> und vom 14. Juli 2010 - 1 BvR 3189/09 - BVerfGK 17, 407 Rn. 19). Das Sorgerechtsverfahren ist unter Berücksichtigung des Alters des Kindes, seines Entwicklungsstandes und seiner seelischen Verfassung so zu gestalten, dass der Entscheidungsträger möglichst zuverlässig die Grundlagen einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen kann. Das erfordert jedenfalls bei Jugendlichen grundsätzlich eine persönliche Anhörung und bei jüngeren Kindern zumindest ein funktionales Äquivalent, durch das ihnen Gelegenheit gegeben wird, ihre Interessen auf altersgerechte Weise zu formulieren und in das Verfahren einzubringen.

22 Nach diesen Maßstäben steht der ordre public der Anerkennung des Urteils des Familiengerichts Izmir vom 8. April 2008 nicht entgegen. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der - seinerzeit 13 Jahre alte - Kläger vom Gericht persönlich angehört worden ist und mit der Übertragung des Sorgerechts einverstanden war. Auch seine Mutter hat der Sorgerechtsübertragung zugestimmt. Mit Blick auf diese Verfahrenshandhabung und das Vorliegen einer einvernehmlichen Sorgerechtsentscheidung überspannt die Beklagte mit ihrer Rüge, das türkische Gericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, die Anforderungen des verfahrensrechtlichen ordre public. Die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den Vater des Klägers lässt auch materiell kein Ergebnis erkennen, das mit Blick auf das Kindeswohl mit den Grundwerten des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts offensichtlich nicht zu vereinbaren ist. Auch das deutsche Familienrecht kennt das alleinige Sorgerecht des nichtehelichen Vaters (§ 1672 Abs. 1 BGB). Der Vorhalt der Revision, im konkreten Fall sei die Sorgerechtsentscheidung im Wesentlichen ausländerrechtlich motiviert bzw. von ökonomischen Interessen getragen, geht von der Fehlvorstellung aus, diese Kriterien stünden notwendigerweise im Gegensatz zum Kindeswohl. Das ist schon wegen des Förderprinzips als Ausfluss des Kindeswohls nicht der Fall. Der Sache nach greift die Revision im Gewande der Rüge eines Verstoßes gegen den ordre public die ihrer Auffassung nach falsche Abwägung des türkischen Familiengerichts an, das den absehbaren Integrationsproblemen des Kindes nicht das für sein Wohl gebotene Gewicht beigemessen habe; mit dieser eigenen Bewertung des Kindeswohls muss sie indes erfolglos bleiben.

23 3. Die angefochtene Entscheidung beruht aber hinsichtlich der weiteren Nachzugsvoraussetzungen auf der Verletzung von Bundesrecht. Der Kläger erfüllt nach den Feststellungen im Berufungsurteil zwar die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG (Passpflicht) und das Erfordernis ausreichenden Wohnraums (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Das Berufungsgericht ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Lebensunterhalt des Klägers gesichert ist und damit auch die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegt.

24 3.1 Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist nach § 2 Abs. 3 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richten sich sowohl die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens als auch der Unterhaltsbedarf bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, seit dem 1. Januar 2005 grundsätzlich nach den entsprechenden Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II. Unerheblich ist dabei, ob Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; nach dem gesetzlichen Regelungsmodell kommt es nur auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs an (grundlegend Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 19 ff.).

25 3.1.1 Demzufolge ist der Einkommens- und Bedarfsberechnung grundsätzlich der Personenkreis zugrunde zu legen, der sich aus den Regeln über die Bedarfsgemeinschaft gemäß § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 bis 3a SGB II ergibt (Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 21.09 - BVerwGE 138, 148 Rn. 14 ff.), unabhängig davon, inwieweit zwischen diesen Personen unterhaltsrechtliche Beziehungen bestehen. Ob mit Blick auf § 2 Abs. 3 AufenthG auch volljährige Kinder in die Bedarfsgemeinschaft ihres leiblichen Elternteils und dessen nicht verheirateten Partners einzubeziehen sind, braucht hier nicht entschieden zu werden. Innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft, deren gesamter Bedarf nicht aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt wird, gilt jede Person im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II) und hat im Regelfall einen Leistungsanspruch in Höhe dieses Anteils. Das führt regelmäßig dazu, dass der Lebensunterhalt des Ausländers dann nicht gesichert ist, wenn der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft, deren Mitglied er ist, nicht durch eigene Mittel bestritten werden kann.

26 Für die Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens sind von dem gemäß § 11 Abs. 1 SGB II zu ermittelnden Bruttoeinkommen die in § 11b SGB II genannten Beträge abzuziehen. Dazu zählen grundsätzlich auch die freiwillig geleisteten Altersvorsorgebeiträge (§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 4 SGB II), hinsichtlich derer eine gewisse Vermutung dafür spricht, dass sie auch zukünftig in gleicher Höhe gezahlt werden. Abzusetzen sind ferner der Freibetrag für Erwerbstätige gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II sowie die Pauschale von 100 €, die nach § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II an die Stelle der Beträge nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 tritt. Allerdings sind gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen abweichend von § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II unabhängig von einer Titulierung einkommensmindernd zu berücksichtigen (Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 33). Dies gilt allerdings nur in der Höhe, in der eine Titulierung auch unter Berücksichtigung des Ranges der Unterhaltsgläubiger rechtlich möglich wäre, und auch nur solange, wie die Erbringung bzw. Geltendmachung von Unterhaltsleistungen tatsächlich zu erwarten ist. Wurden Unterhaltsleistungen über einen längeren Zeitraum weder erbracht noch geltend gemacht, ist regelmäßig davon auszugehen, dass dies auch in der Zukunft der Fall sein wird.

27 Die Bedarfsberechnung bestimmt sich grundsätzlich nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II; danach umfassen die Leistungen des Arbeitslosengelds II den Regelbedarf, die Mehrbedarfe sowie den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Aufenthaltsrechtlich nicht anzusetzen sind jedoch die in § 28 SGB II enthaltenen Bedarfe für Bildung und Teilhabe. Denn würde man sie als aufenthaltsschädlich berücksichtigen, liefe das dem Grundanliegen des Gesetzgebers zuwider, gerade die Integration ausländischer Kinder systematisch zu fördern, um u.a. Defizite in der sprachlichen Verständigung abzubauen, die den tatsächlichen Zugang zum Arbeitsmarkt beschränken und damit oft zu entsprechenden sozialen Folgelasten führen (vgl. BTDrucks 15/420 S. 61, 68).

28 Etwaige Ansprüche auf Bewilligung von Wohngeld bleiben bei der Berechnung der Sicherung des Lebensunterhalts grundsätzlich außen vor. Wohngeld gehört nicht zu den in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannten privilegierten öffentlichen Leistungen und ist daher nicht geeignet, eine bestehende Einkommenslücke zu schließen (vgl. Beschluss vom 4. November 1996 - BVerwG 1 B 189.96 - Buchholz 402.240 § 17 AuslG 1990 Nr. 7). Auf der anderen Seite schadet der Bezug von Wohngeld aber auch nicht, wenn der Bedarf aus eigenem Einkommen, Vermögen oder aufenthaltsrechtlich unschädlichen öffentlichen Leistungen bereits gedeckt ist.

29 Ist der nach den Regelungen des SGB II bestehende Bedarf nicht vollständig gedeckt, ist zu prüfen, ob die verbleibende Einkommenslücke durch einen Kinderzuschlag gemäß § 6a BKGG geschlossen werden kann. Denn der Kinderzuschlag gehört gemäß § 2 Abs. 3 AufenthG zu den aufenthaltsrechtlich unschädlichen Sozialleistungen und soll verhindern, dass Eltern nur wegen der Unterhaltsbelastung für ihre Kinder Arbeitslosengeld II in Anspruch nehmen müssen (BTDrucks 15/1516 S. 83).

30 3.1.2 Im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG) - und damit auch im vorliegenden Fall - ist der Begriff der Lebensunterhaltssicherung zu modifizieren. Denn in der Systematik dieser Richtlinie stellt der Anspruch auf Genehmigung der Familienzusammenführung gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie die Grundregel dar, so dass die den Mitgliedstaten in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie verliehene Befugnis zur Regelung der Nachzugsvoraussetzungen eng auszulegen ist (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 - Rs. C-578/08, Chakroun - Slg. 2010, I-1839 = NVwZ 2010, 697 Rn. 43). Der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie eröffnete Handlungsspielraum darf von den Mitgliedstaaten nicht in einer Weise genutzt werden, dass das Richtlinienziel - die Begünstigung der Familienzusammenführung - und die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigt werden (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 a.a.O. Rn. 43). Nach dieser Rechtsprechung bezieht sich der Begriff der Sozialhilfe(leistungen) in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie als autonomer Begriff des Unionsrechts nur auf Unterstützungsleistungen, die einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften ausgleichen, nicht aber auf eine Hilfe, die es erlauben würde, außergewöhnliche oder unvorhergesehene Bedürfnisse zu befriedigen (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 a.a.O. Rn. 49). Die Sozialhilfe i.S.d. Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG erfasst daher nur Leistungen, die von öffentlichen Behörden zur Kompensation des Mangels an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften gewährt werden, um die allgemein notwendigen Kosten des Lebensunterhalts für den Ausländer und seine Familienangehörigen zu bestreiten; sie schließt nicht die besondere Sozialhilfe zur Bestreitung besonderer, individuell bestimmter notwendiger Kosten des Lebensunterhalts ein (EuGH, Urteil vom 4. März 2010 a.a.O. Rn. 52).

31 Für die von der Richtlinie 2003/86/EG erfassten Fälle hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts bereits entschieden, dass es der Anwendungsvorrang des Unionsrechts gebietet, bei der Einkommensberechnung den Freibetrag für Erwerbstätigkeit nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II nicht zulasten des nachzugswilligen Ausländers abzusetzen. Denn dieser Freibetrag wird in erster Linie aus arbeitsmarkt- bzw. beschäftigungspolitischen Gründen gewährt und soll eine Anreizfunktion zur Aufnahme bzw. Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit haben, nicht aber einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgleichen (Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 20.09 - BVerwGE 138, 135 Rn. 33). Hinsichtlich des in § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II pauschaliert erfassten Werbungskostenabzugs verlangt das Gebot der individualisierten Prüfung gemäß Art. 17 der Richtlinie 2003/86/EG, den Nachweis geringerer Aufwendungen als die gesetzlich veranschlagten 100 € zuzulassen (Urteil vom 16. November 2010 a.a.O. Rn. 34).

32 Der Bedarfsberechnung sind auch im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie neben dem Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) grundsätzlich die in § 20 SGB II vorgesehenen Regelbedarfssätze zugrunde zu legen (zur Nichtberücksichtigung der nach § 77 Abs. 4 SGB II für eine Übergangszeit geltenden <höheren> Werte vgl. Urteil des Senats vom heutigen Tag - BVerwG 10 C 4.12 - a.a.O. Rn. 42 ff.). Bei bereits im Entscheidungszeitpunkt nach Grund und Höhe absehbaren Mehrbedarfen ist anhand des unionsrechtlichen Begriffs der Sozialhilfe in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG wie folgt zu differenzieren:

33 - Die Mehrbedarfszuschläge für Alleinerziehende (§ 21 Abs. 3 SGB II; vgl. Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 25) sowie die Kosten der dezentralen Warmwassererzeugung (§ 21 Abs. 7 SGB II) sind in die Bedarfsberechnung einzustellen. Denn sie decken allgemein notwendige Kosten des Lebensunterhalts der anspruchsberechtigten Personengruppen und dienen nicht der Befriedigung außergewöhnlicher oder unvorhergesehener Bedürfnisse.

34 - Nicht zu berücksichtigen sind dagegen die Mehrbedarfe für werdende Mütter (§ 21 Abs. 2 SGB II), für erwerbsfähige Behinderte (§ 21 Abs. 4 SGB II), für eine aus medizinischen Gründen notwendige kostenaufwändige Ernährung (§ 21 Abs. 5 SGB II), für einen im Einzelfall unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf (§ 21 Abs. 6 SGB II) und die Erstausstattungsbedarfe (§ 24 Abs. 3 SGB II). Diese Leistungen betreffen besondere, individuell bestimmte notwendige Kosten außerhalb des allgemein notwendigen Lebensunterhalts und dienen der Befriedigung außergewöhnlicher oder unvorhergesehener Bedürfnisse. Daher sind sie unionsrechtlich der von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG nicht abgedeckten „besonderen Sozialhilfe“ zuzurechnen, die nicht zulasten nachzugswilliger Ausländer berücksichtigt werden darf.

35 3.1.3 Ist der Lebensunterhalt - auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - nicht (vollständig) gesichert, ist weiter zu prüfen, ob in dem jeweiligen Einzelfall eine Ausnahme von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in Betracht kommt. Verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen sowie atypische Umstände des Einzelfalles, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, können Ausnahmen vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigen (Urteile vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 27, vom 16. August 2010 - BVerwG 1 C 21.09 - BVerwGE 138, 148 Rn. 18 und vom 22. Mai 2012 - BVerwG 1 C 6.11 - DVBl 2012, 1167 Rn. 11). Dabei sind auch im Hinblick auf das unionsrechtliche Gebot der Einzelfallprüfung die in Art. 17 der Richtlinie 2003/86/EG genannten Aspekte zu berücksichtigen. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, unterliegt in jedem Fall vollständiger gerichtlicher Überprüfung (Urteil vom 22. Mai 2012 a.a.O.).

36 3.2 An diesen Grundsätzen gemessen beruht das Berufungsurteil auf einer Verletzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Das Berufungsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass auch diese Regelerteilungsvoraussetzung sowohl im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (25. Oktober 2011) als auch im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers (20. Dezember 2010) vorliegen muss. Des Weiteren hat es erkannt, dass bei der Frage, ob der Lebensunterhalt des Klägers ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist, auf die Bedarfsgemeinschaft abzustellen ist, die der Kläger nach einem Zuzug zusammen mit seinem Vater bildet (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 und 4 SGB II). Die auf diese Bedarfsgemeinschaft bezogene Einkommens- und Bedarfsprognose ist aber in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft.

37 3.2.1 Das Berufungsgericht hat in seine Prognose - bezogen auf die beiden maßgeblichen Stichtage - die zu erwartenden Einkünfte des Vaters in vollem Umfang eingestellt, ohne mit Blick auf die gebotene Nachhaltigkeit des Mittelzuflusses (vgl. Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 33) zu prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang der Vater des Klägers weiteren Familienangehörigen zum Unterhalt verpflichtet ist. Diese Prüfung hätte sich dem Berufungsgericht hier schon deshalb aufdrängen müssen, weil der Vater des Klägers nach den Feststellungen des Familiengerichts in Izmir im Urteil vom 8. April 2008 nach Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in der Türkei wieder geheiratet hat und Vater eines weiteren - 2006 geborenen - Kindes ist.

38 3.2.2 Zudem beruhen die Feststellungen des Berufungsgerichts zum voraussichtlichen Erwerbseinkommen des Vaters - bezogen auf den Zeitpunkt der Berufungsverhandlung - auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Zu diesem Zeitpunkt war der Vater des Klägers arbeitslos und reichten die Einkünfte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zur Bedarfsdeckung. Das Berufungsgericht unterstellt, dass der Lebensunterhalt dennoch gesichert ist. Dies begründet es vor allem mit einer vom früheren Arbeitgeber des Vaters erteilten Einstellungszusage. In diesem Zusammenhang fehlen jedoch Feststellungen zur Höhe der im Falle einer Wiedereinstellung realistischerweise zu erwartenden Einkünfte. Dessen hätte es mit Blick auf die gebotene Nachhaltigkeit bedurft, denn das Einkommen des Vaters bei diesem Arbeitgeber unterlag in der Vergangenheit starken auftragsbedingten Schwankungen, und die schlechte Auftragslage hatte kurz zuvor sogar zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses geführt. Rein spekulativ sind auch die Erwägungen des Berufungsgerichts, dass es dem Vater des Klägers selbst im Fall einer erneuten Arbeitslosigkeit innerhalb kurzer Zeit gelingen würde, eine neue, den Lebensunterhalt sichernde Arbeit zu finden.

39 3.2.3 Schließlich hat das Berufungsgericht beim Vater des Klägers nicht dessen Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II in Höhe von 12 % der Regelleistung in Ansatz gebracht. Der sich danach ergebende Betrag ist nach der Übergangsregelung in § 77 Abs. 5 SGB II bis zum 31. Dezember 2011 mit der Maßgabe anzuwenden, dass Beträge, die nicht volle Euro-Beträge ergeben, bei einem Betrag von unter 0,50 € abzurunden und von 0,50 € an aufzurunden sind. Dies ergibt zum Stichtag 20. Dezember 2010 einen Mehrbedarf in Höhe von 43 € (43,08 € abgerundet) und zum Stichtag 25. Oktober 2011 in Höhe von 44 € (43,68 € aufgerundet).

40 4. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden, so dass der Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen ist.

41 Das Berufungsgericht wird in dem neuen Berufungsverfahren zu prüfen haben, ob der Lebensunterhalt des Klägers - sowohl bezogen auf den Zeitpunkt seiner erneuten Verhandlung oder Entscheidung als auch bezogen auf die Verhältnisse bei Vollendung des 16. Lebensjahrs im Dezember 2010 - als gesichert anzusehen ist. Dabei sind bei den Einkünften des Vaters etwaige Unterhaltsverpflichtungen gegenüber weiteren Familienangehörigen einkommensmindernd zu berücksichtigen. Für eine abschließende Entscheidung der Einkommenssituation - bezogen auf den Stichtag 20. Dezember 2010 - sind zudem die bislang fehlenden Einkommensnachweise des Vaters des Klägers für das 2. Halbjahr 2010 anzufordern. Bei der Ermittlung des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs hat das Berufungsgericht - zulasten des Klägers - den Mehrbedarf seines Vaters für Alleinerziehende zu berücksichtigen. Weiter hat es - zugunsten des Klägers - hinsichtlich der in Ansatz zu bringenden Regelbedarfssätzen zu beachten, dass zum Stichtag 20. Dezember 2010 die Regelleistung für Alleinerziehende 359 € betrug (vgl. Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II für die Zeit ab 1. Juli 2010 <BGBl I S. 820>). Sie wurde erst durch Art. 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und XII vom 24. März 2011 (BGBl I S. 453) rückwirkend zum 1. Januar 2011 auf 364 € erhöht. Für sonstige erwerbsfähige Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft, die - wie der Kläger - zwar bereits das 14. aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, galt nach den einschlägigen Fassungen des § 20 Abs. 2 Satz 2 SGB II zum Stichtag 20. Dezember 2010 ein Regelsatz in Höhe von 80 % der Regelleistung für Alleinstehende und Alleinerziehende, also 287 €, so dass bezogen auf den Stichtag 20. Dezember 2010 nur von einem Regelbedarf der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 646 € (359 € + 287 €), anstelle des vom Berufungsgericht in Ansatz gebrachten Betrags in Höhe von 651 € auszugehen ist. Sollte das Berufungsgericht nach weiteren Ermittlungen und erneuter Berechnung zu dem Ergebnis kommen, dass der Lebensunterhalt des Klägers - bezogen auf einen der beiden Stichtage - nicht gesichert ist, wird es auch der Frage nachzugehen haben, ob - bezogen auf diesen Zeitpunkt - ein Fall vorliegt, der eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigt.

42 5. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.