Beschluss vom 01.08.2007 -
BVerwG 20 F 10.06ECLI:DE:BVerwG:2007:010807B20F10.06.0

Beschluss

BVerwG 20 F 10.06

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 1. August 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dawin und Dr. Kugele
beschlossen:

  1. Der Antrag des Klägers wird abgelehnt.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller ist Kläger des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit dem Aktenzeichen - VG Köln 20 K 6242/03 -. Er beantragte am 23. Dezember 2003, die dortige Beklagte und Antragsgegnerin dieses Verfahrens zu verurteilen, ihm Auskunft zu den beim Bundesamt für Verfassungsschutz über ihn gespeicherten Daten zu geben und deren Richtigkeit und Vollständigkeit durch Einsichtgewährung zu belegen. Zusätzlich beantragte er am 21. Juli 2004 die gerichtliche Feststellung, dass die Sammlung personenbezogener Daten über ihn durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig ist. Das Gericht der Hauptsache hat den Feststellungsantrag im Erörterungstermin vom 28. Juni 2006 durch Beschluss unter dem Aktenzeichen - VG Köln 20 K 3077/06 - abgetrennt. In dem diesem Zwischenverfahren nunmehr noch zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren hat es die Beklagte aufgefordert, unverzüglich die vollständige Personalakte des Klägers einschließlich fünf noch nicht mitgeteilter Informationen vorzulegen. Aufgrund der daraufhin am 8. September 2006 durch den Beigeladenen ergangenen Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wurden die dort aufgeführten Aktenbestandteile mit Schwärzungen versehen oder nach gesonderter Bearbeitung in ausgetauschter Form vorgelegt; für einige Unterlagen wurde die Vorlage völlig verweigert. Mit Schriftsatz vom 21. November 2006 hat der Kläger die Feststellung durch den Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO beantragt, dass die Verweigerung der Aktenvorlage gemäß der Sperrerklärung des Beigeladenen vom 8. September 2006 rechtswidrig ist.

II

2 Der Antrag ist unbegründet. Die Weigerung der Beklagten, dem Verwaltungsgericht die von ihm angeforderten und zur Entscheidungsfindung benötigten Akten uneingeschränkt vorzulegen, ist rechtmäßig.

3 1. Das Gericht der Hauptsache hat dem beschließenden Fachsenat lediglich die beim Verwaltungsgericht Köln anhängige Sache mit dem Aktenzeichen - 20 K 6242/03 - zur Durchführung des in-camera-Verfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO vorgelegt, nicht auch die durch Beschluss vom 28. Juni 2006 abgetrennte Sache mit dem Aktenzeichen - 20 K 3077/06 -. Damit ist die Zuständigkeit des Fachsenats nur im Hinblick auf das nicht abgetrennte Verfahren mit dem Aktenzeichen - 20 K 6242/03 - eröffnet (§ 99 Abs. 2 Satz 4 VwGO).

4 2. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden im Verwaltungsrechtsstreit zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften verpflichtet. Ist die Vorlage der Akten selbst Gegenstand des Rechtsstreits und hängt nach der Rechtsauffassung des Gerichts die Entscheidung über das Klagebegehren von der Kenntnis des Akteninhalts ab, so sind grundsätzlich auch die behördlichen Akten vorzulegen, in die Einblick zu nehmen die Fachbehörde unter Berufung auf etwaige im jeweiligen Fachgesetz normierte Geheimhaltungsgründe abgelehnt hat (Beschluss vom 13. Juni 2006 - BVerwG 20 F 5.05 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 42).

5 3. Gemäß § 15 Abs. 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl I S. 2954) erteilt das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltliche Auskunft, soweit er hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Zweck dieser Regelung ist es u.a., der Gefahr der Ausforschung zu begegnen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10. Oktober 2000 - 1 BvR 586/90, 1 BvR 673/90 - DVBl 2001, 275). Der Auskunftsanspruch des § 15 BVerfSchG ist allerdings nur beschränkt gewährleistet. Er setzt voraus, dass dem Antrag keine legitimen Belange entgegenstehen, die das Recht des Antragstellers auf Kenntnisgewähr überwiegen. Ist ein solcher Fall gegeben, muss die Behörde dem Antragsteller die Gründe der völligen oder teilweisen Auskunftsverweigerung darlegen. Dabei darf sie Belange der Geheimhaltung berücksichtigen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10. Oktober 2000 a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 21. März 1986 - BVerwG 7 C 71.83 - BVerwGE 74, 115 <120>). Im Falle einer nur eingeschränkten Begründung der Auskunftsablehnung muss jedoch dargelegt werden, dass deren Voraussetzungen vorliegen, weil sonst eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht möglich wäre (Urteil vom 21. März 1986 a.a.O. S. 120, 124). Wird der Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht, werden diese Vorgaben und Entscheidungskriterien nach dem Fachgesetz durch die gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gebotenen Ermessensgesichtspunkte verdrängt. Die oberste Aufsichtsbehörde hat zusätzlich in den Blick zu nehmen, dass das angerufene Gericht auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu kommen. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO überlässt der obersten Aufsichtsbehörde die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht. Insofern ist die Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Verhältnis zu den fachgesetzlich geregelten Auskunftsansprüchen - hier im Verhältnis zu § 15 Abs. 2 BVerfSchG - eine prozessrechtliche Spezialnorm (Beschlüsse vom 19. August 1964 - BVerwG 6 B 15.62 - BVerwGE 19, 179 <186> und vom 13. Juni 2006 a.a.O.; vgl. auch Beschlüsse vom 15. August 2003 - BVerwG 20 F 8.03 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 34 und vom 26. August 2004 - BVerwG 20 F 16.03 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 37). Das bedeutet, dass der obersten Aufsichtsbehörde auch in den Fällen Ermessen zugebilligt ist, in denen das Fachgesetz der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt.

6 4. In der Sperrerklärung vom 8. September 2006 hat der Beigeladene das ihm durch § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eröffnete Ermessen erkannt. Dementsprechend hat er geprüft, ob überwiegende Interessen an der unbeschränkten Offenlegung der Aktenstücke trotz ihres geheimen Inhalts gegeben sind. Dabei hat er nicht nur das öffentliche Interesse an einer lückenlosen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch die gleichgerichteten privaten Interessen des Klägers berücksichtigt und das an Hand der einzelnen Aktenstücke überprüfte und festgestellte Geheimhaltungsinteresse sowohl gegen das öffentliche Interesse an der von Amts wegen gebotenen Sachverhaltsaufklärung durch das Hauptsachegericht als auch gegen das private Interesse des Klägers an der Durchsetzung seines Auskunftsanspruchs abgewogen. Der Beigeladene ist unter Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten des Einzelfalles nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip verfahren und hat nach verschiedenen Geheimhaltungsinteressen geordnete Gruppen gebildet und untersucht. Dabei ist es nicht zu beanstanden, dass er in der Sperrerklärung die Gesichtspunkte Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel (Abschnitt III 3 a), Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter (Abschnitt III 3 b), Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise (Abschnitt III 3 c), Hervorhebungen und Unterstreichungen (Abschnitt III 3 d) und Schutz der Persönlichkeitsrechte und sonstiger Belange Dritter (Abschnitt III 3 e) als für eine Geheimhaltung der Akten sprechend berücksichtigt hat.

7 a) Vorgangsvorblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen sind grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren und Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung zu ermöglichen (Beschluss vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347). Sie lassen Rückschlüsse auf geheime Einschätzungen und Entscheidungsbildungen der Sicherheitsbehörde auch in Sachfragen zu.

8 Der Senat hat die geschwärzten und die vom Beigeladenen als ausgetauscht bezeichneten Dokumente sowie die ihm vorgelegten uneingeschränkt lesbaren Dokumente im Einzelnen durchgesehen und miteinander verglichen. Dabei hat sich ergeben, dass der Beigeladene keine Eintragungen geschwärzt hat, die nicht den oben aufgeführten Kriterien entsprechen und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind.

9 b) Ebenso ist nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene sämtliche Namen, die sich auf natürliche Personen zurückführen lassen, unleserlich gemacht hat. Diese Aktion ist aus Gründen der persönlichen Sicherheit dieser Personen (vgl. dazu Beschluss vom 4. Mai 2006 - BVerwG 20 F 2.05 - juris Rn. 4) oder deshalb erforderlich, um ihre beruflich gebotene Anonymität zu schützen. Auch insoweit hat eine Überprüfung durch den Senat keine Beanstandung ergeben.

10 c) Dieselben Erwägungen gelten für die Schwärzungen oder Zurückhaltungen der in der Sperrerklärung im Abschnitt IV bezeichneten einzelnen Aktenstücke. Hier wurden Schwärzungen auch zur Sicherung eines Absenders oder einer Quelle vorgenommen. Die Offenbarung solcher Daten ließe Rückschlüsse auf die Art und Weise der Zusammenarbeit verschiedener Sicherheitsbehörden und deren Beobachtungsfelder zu und würde eine erhebliche Gefahr für die Quelle bedeuten, die nicht selten aus dem Beobachtungsfeld stammt. Die auch in dieser Hinsicht vorgenommene Überprüfung des Senats hat keine Beanstandungen ergeben. Die vorgenommenen Schwärzungen sind rechtmäßig.

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.