Beschluss vom 05.10.2009 -
BVerwG 4 B 8.09ECLI:DE:BVerwG:2009:051009B4B8.09.0

Beschluss

BVerwG 4 B 8.09

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 13.11.2008 - AZ: OVG 20 D 124/06.AK

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Oktober 2009
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz, Dr. Jannasch
und Petz
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. November 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.

3 a) Die Beschwerde wirft die Fragen auf, ob
- nur eine gänzlich rechtmäßig festgesetzte Flugroute eine Duldungspflicht des Eigentümers eines durch Fluglärm betroffenen Grundstücks auslösen kann (Beschwerdebegründung S. 6),
- eine nur als Übergangslösung gedachte Festlegung einer Flugroute zulässig sein kann (Beschwerdebegründung S. 17),
- allein die Flugroute abwägungsfehlerfrei festgelegt werden kann, die mit den geringsten Lärmbeeinträchtigungen verbunden ist, wenn keine anderen Belange zu berücksichtigen sind (Beschwerdebegründung S. 20),
- gegen die Festsetzung der geografischen Koordinaten (sog. waypoints) kein Rechtsschutz besteht, wenn die Verordnung textlich richtig ist (Beschwerdebegründung S. 25).

4 Hintergrund sämtlicher Fragen ist die seinerzeitige Diskrepanz zwischen der konventionellen Flugführung auf der festgesetzten Variante 2 und der elektronischen Flugführung nach dem NeSS-Verfahren, dessen Implementierung zur Bildung einer gegenüber der Variante 2 nördlicher verlaufenden Ideallinie führte, die näher an die klägerischen Grundstücke reichte und nach der Darstellung der Beschwerde der unter Lärmschutzgesichtspunkten nicht optimalen Variante 1 entsprach (Beschwerdebegründung S. 22). Den Fragen ist dadurch die Grundlage entzogen, dass die Beklagte nach Verkündung des vorinstanzlichen Urteils die Wegpunkte DK 032 und 031 für das NeSS-Verfahren mit der Folge neu berechnet hat, dass die elektronische Wegweisung mit dem normierten konventionellen Flugverfahren übereinstimmt. Die Korrektur hat in der 19. Änderungsverordnung zur 223. Durchführungsverordnung zur Luftverkehrsordnung ihren Niederschlag gefunden, wobei die Strecke NOR 2B in NOR 3B und die Strecke NOR 6M in NOR 7M umbenannt worden ist. Sie ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu berücksichtigen, da sie auch in dem angestrebten Revisionsverfahren zu beachten wäre (vgl. Beschluss vom 4. Mai 2005 - BVerwG 4 C 6.04 - BVerwGE 123, 322 <326 f.>).

5 Die Beschwerde stellt ihren Fragen nunmehr den - nicht durch § 142 Abs. 1 VwGO gesperrten - Antrag auf Feststellung voran, dass § 4 der 223. DVO zur LuftVO in der zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils geltenden Fassung die Kläger in ihren Rechten verletzt hat, soweit darin die Abflugverfahren von den Startbahnen 32 R und 32 L in Richtung des Funkfeuers Nörvenich (NOR2B und NOR6M) festgelegt waren (Schriftsatz vom 16. Juli 2009 S. 4). Mit der Anpassung ihres Klageantrags kann sie den Zugang zu dem angestrebten Revisionsverfahren jedoch nicht erreichen. Den Klägern fehlt für die Klärung ihrer Grundsatzfrage das nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse. Die von ihnen ins Feld geführte Wiederholungsgefahr ist nicht hinreichend konkret (vgl. zu diesem Erfordernis Beschluss vom 16. Oktober 1989 - BVerwG 7 B 108.89 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 211). Es gibt keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte zum Status quo ante zurückkehren wird.

6 b) Die Frage, ob es mit dem Nichtigkeitsdogma vereinbar ist, wenn eine Flugroute festgesetzt wird, die nicht das Ergebnis der Abwägung gewesen ist (Beschwerdebegründung S. 29), führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision. Die Beschwerde hält die Frage deshalb für entscheidungserheblich, weil sie der Meinung ist, dass es nicht darauf ankomme, ob die Missachtung des Abwägungsgebots mit einer Rechtsverletzung der Kläger einhergehe (Beschwerdebegründung S. 30). Im Rahmen der Begründetheit der Feststellungsklage werde nämlich nicht geprüft, ob Rechte der Kläger verletzt seien. Diese Annahme ist unzutreffend. Anders als das Verfahren der Normenkontrolle, das auch ein objektives Prüfungsverfahren ist (Beschluss vom 18. Juli 1989 - BVerwG 4 N 3.87 - BVerwGE 82, 225 <230>), dient die Feststellungsklage, selbst wenn sie die Frage nach dem Bestehen eines Rechtsverhältnisses aufgrund einer Rechtsverordnung zum Gegenstand hat, allein dem Individualrechtsschutz. Wie sich aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2000 - BVerwG 11 C 13.99 - (BVerwGE 111, 276 <283>) ergibt, kann eine Klage, die gegen eine Flugroutenfestlegung gerichtet ist und mit der ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot geltend gemacht wird, deshalb nur Erfolg haben, wenn bei der Abwägungsentscheidung Rechte des Klägers verletzt worden sind.

7 c) Schließlich nötigt die Frage, ob Fluglärmbetroffene, die gerade am Ende der Nacht stark verlärmt sind, sich wegen der fehlenden Anwendbarkeit des Fluglärmgesetzes in der seit dem 1. Juni 2007 geltenden Fassung weiterhin nicht auf einen in der Lärmwirkungsforschung anerkannten höheren Schutzbedarf in der zweiten Nachtzeithälfte berufen können, und ob das Argument, die in der Lärmsynopse vorgeschlagene Zweiteilung der Nacht sei aufgrund des Fluglärmgesetzes überholt und gelte nur für Flughäfen, die den Hauptteil des nächtlichen Betriebs in der ersten „Nachtzeitscheibe“ aufweisen würden, unzutreffend ist (Beschwerdebegründung S. 34), nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision. Die Kläger möchten mit der Frage geklärt wissen, ob das Fluglärmgesetz - obwohl nicht unmittelbar anwendbar - eine „Sperrwirkung“ dahingehend entfaltet, dass Sachverständigengutachten, die in Widerspruch zur gesetzgeberischen Bewertung der Zumutbarkeitsgrenze stehen, unangewendet bleiben müssen (Beschwerdebegründung S. 35, 36 f.). Die Frage würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil die Vorinstanz ermittelt hat, dass auch unter Einbeziehung der Aussagen der Fluglärmsynopse sich nichts für die Annahme einer unzumutbaren Lärmbelastung ergebe; eine Überschreitung der präventiven Richtwerte von Leq(3) = 50 dB(A) bzw. Lmax = 13 x 68 dB(A) sei für die Kläger nicht zu befürchten (UA S. 35). In Wahrheit nutzt die Beschwerde das Institut der Grundsatzrüge, um dem Oberverwaltungsgericht vorzuhalten, die Lärmsynopse falsch verstanden und deshalb den Klägern günstigere Lärmschutzwerte zu Unrecht vorenthalten zu haben (Beschwerdebegründung S. 36, Schriftsatz vom 16. Juli 2009 S. 22). Die Auslegung der Lärmsynopse ist freilich Tatsachenfeststellung, an die das Bundesverwaltungsgericht in einem Revisionsverfahren gebunden wäre (§ 137 Abs. 2 VwGO), und nicht Rechtsanwendung.

8 2. Die Revision ist ferner nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO als Divergenzrevision zuzulassen. Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts widerspricht (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712; stRspr).

9 a) Die Beschwerde macht geltend, dass das Oberverwaltungsgericht dem Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts die Gefolgschaft verweigert habe, „dass Folge einer unzureichenden Ermittlung des erheblichen Sachverhalts die Verwerfung der Norm sein muss“ (Beschwerdebegründung S. 38). Einen derartigen Rechtssatz enthält jedoch weder der zitierte Beschluss vom 7. Oktober 1980 - 2 BvR 584/76, 2 BvR 599/76, 2 BvR 604/76 - (BVerfGE 56, 298) noch der in Bezug genommene Beschluss vom 27. November 1978 - 2 BvR 165/75 - (BVerfGE 50, 50). Im Beschluss vom 7. Oktober 1980 (a.a.O. S. 319) heißt es unter Hinweis auf die Entscheidung vom 27. November 1978 stattdessen: „Der Verordnungsgeber hat den für seine Entscheidung über Lage und Umfang der einzelnen Lärmschutzzonen erheblichen Sachverhalt vollständig zu ermitteln und der Verordnung zugrunde zu legen“. Eine generelle Aussage des Inhalts, dass die Norm andernfalls verworfen werden muss, fehlt. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beschränken sich auf die Frage, ob eine Gemeinde in ihrer durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützten Planungshoheit verletzt wird, wenn der Verordnungsgeber die ihm obliegenden Aufklärungspflichten verletzt hat. Art. 28 Abs. 2 GG spielt im vorliegenden Verfahren aber keine Rolle. Auch verfahrensrechtlich geht es um unterschiedliche Rechtsfragen: Das Bundesverfassungsgericht war in seinem Beschluss vom 7. Oktober 1980 mit der Verfassungsbeschwerde einer Gemeinde nach § 93 Abs. 1 Nr. 4b GG gegen die Festsetzung eines Lärmschutzbereichs befasst, die Rechtsfolge ergab sich aus § 95 Abs. 1 und 3 BVerfGG. Dagegen hatte das Oberverwaltungsgericht über einen Antrag nach § 43 VwGO zu entscheiden, in dem die Feststellung begehrt wurde, dass die Regelung des Abflugverfahrens in einer Verordnung die Kläger in ihren Rechten verletzt.

10 b) Die Beschwerde rügt ferner (Beschwerdebegründung S. 40) eine Divergenz zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Klage nur dann Erfolg haben kann, wenn das Interesse eines Klägers am Schutz vor unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen willkürlich unberücksichtigt geblieben ist (Urteil vom 28. Juni 2000 - BVerwG 11 C 13.99 - a.a.O. S. 283), bzw. wonach auch unterhalb der Zumutbarkeitsschwelle Lärmbetroffene Belastungen nicht hinzunehmen brauchen, die sich zur Erreichung des mit einer bestimmten Maßnahme verfolgten Zwecks objektiv als unnötig erweisen (Urteil vom 24. Juni 2004 - BVerwG 4 C 15.03 - juris Rn. 31). Sie zeigt indes nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht einen davon abweichenden Rechtssatz formuliert hat, sondern beanstandet, dass das Oberverwaltungsgericht die „Willkürrechtsprechung“ des Bundesverwaltungsgerichts fehlerhaft angewandt habe (Beschwerdebegründung S. 41). Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist damit nicht dargetan (vgl. nur Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328).

11 3. Auch eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO scheidet aus. Mit sämtlichen Verfahrensrügen (Beschwerdebegründung S. 42 ff.) greift die Beschwerde den Befund des Oberverwaltungsgerichts an, die Auswertungen der Messstelle 16 in Köln-Marienburg dokumentierten für die zu ihr in hinreichender Nähe gelegenen klägerischen Grundstücke eine unter planungsrechtlichen Gesichtspunkten zumutbare Lärmbelastung (UA S. 32 ff.). Den Rügen braucht nicht im Einzelnen nachgegangen zu werden, da sie im Erfolgsfall nicht geeignet wären, die Rechtslage zu Gunsten der Kläger zu verändern. Nach der Würdigung des Oberverwaltungsgerichts müssten die Kläger die verordnete Route nämlich auch dann dulden, wenn die entstehenden Lärmbelastungen für sie unzumutbar wären (UA S. 38 f.). Dem liegt die tatrichterliche, den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindende Erkenntnis zugrunde, dass es sich um einen bloßen „Verteilungsfall“ handelt, zu dessen Lösung keine Flugroute festgesetzt werden könnte, bei der die Lärmbelastungen in dem betroffenen Bereich geringer wären als bei der verordneten Route.

12 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.