Beschluss vom 23.03.2009 -
BVerwG 20 F 11.08ECLI:DE:BVerwG:2009:230309B20F11.08.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.03.2009 - 20 F 11.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:230309B20F11.08.0]

Beschluss

BVerwG 20 F 11.08

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 23. März 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kugele und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:

  1. Der Antrag des Klägers wird abgelehnt.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 € festgesetzt,

Gründe

I

1 Der Kläger, von Beruf Rechtsanwalt und Publizist, begehrt in verschiedenen Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht von der Beklagten Auskunft über Daten, die zu seiner Person beim Bundesamt für Verfassungsschutz gespeichert sind. Gegenstand des Hauptsacheverfahrens, das diesem Zwischenverfahren zugrunde liegt, sind Auskünfte über Daten, die nach dem Erlass des Bescheids des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 5. Juni 2000 erhoben oder gespeichert worden sind (vgl. den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 1. April 2008 - 20 K 6178/05).

2 Bereits im Vorverfahren und auch noch während des gerichtlichen Verfahrens hat das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Kläger einige über ihn gespeicherte Daten bekannt gegeben. Die gewünschte vollständige Auskunft hat es jedoch im Wesentlichen mit der Begründung verweigert, eine Ermessensprüfung habe ergeben, dass zum Schutz von Informanten, zur Gewährleistung der den Verfassungsschutzbehörden übertragenen Aufgabenerfüllung und zum Schutz von Drittinteressen dem Kläger über den bisher bekannt gegebenen Umfang hinaus keine weiteren Daten bekannt gegeben werden dürften. Mit Schreiben vom 29. Juli 2008 hat der Beigeladene als oberste Aufsichtsbehörde des Bundesamts für Verfassungsschutz eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO abgegeben. Mit Schreiben vom 22. August 2008 hat er diese Erklärung ergänzt. Danach dürfen zahlreiche nach Blattzahlen bezeichnete Dokumente nur mit teilweisen Schwärzungen oder gar nicht vorgelegt werden. Einige Blätter wurden ausgetauscht.

II

3 Der gegen die Sperrerklärung gerichtete Antrag des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Die Weigerung der Beklagten, dem Verwaltungsgericht die von ihm angeforderten und zur Entscheidungsfindung benötigten Akten uneingeschränkt vorzulegen, ist rechtmäßig.

4 1. Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluss vom 1. April 2008 der Beklagten die Vorlage der umstrittenen Akte aufgegeben und damit zu erkennen gegeben, dass es diese Akte als entscheidungserheblich ansieht. Einer weiteren Beschlussfassung anlässlich der Vorlage der Hauptsacheakten an den Fachsenat bedurfte es nicht.

5 2. Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des Bundes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <127 f.>; BVerwG, Beschluss vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 27 und vom 1. August 2007 - BVerwG 20 F 10.06 - juris, m.w.N.).

6 Gemäß § 15 Abs. 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl I S. 2954) erteilt das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltliche Auskunft, soweit er hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Zweck dieser Regelung ist es u.a., der Gefahr der Ausforschung zu begegnen (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2000 - 1 BvR 586/90, 1 BvR 673/90 - DVBl 2001, 275). Der Auskunftsanspruch des § 15 BVerfSchG ist allerdings nur beschränkt gewährleistet. Er setzt voraus, dass dem Antrag keine legitimen Belange entgegenstehen, die das Recht des Antragstellers auf Kenntnisgewähr überwiegen. Ist ein solcher Fall gegeben, muss die Behörde dem Antragsteller die Gründe der völligen oder teilweisen Auskunftsverweigerung darlegen. Dabei darf sie Belange der Geheimhaltung berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2000 a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 21. März 1986 - BVerwG 7 C 71.83 - BVerwGE 74, 115 <120>). Wird der Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht, werden diese Vorgaben und Entscheidungskriterien nach dem Fachgesetz durch die gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gebotenen Ermessensgesichtspunkte verdrängt. Die oberste Aufsichtsbehörde hat zusätzlich in den Blick zu nehmen, dass das angerufene Gericht auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu kommen. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO überlässt der obersten Aufsichtsbehörde die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht. Insofern ist die Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Verhältnis zu den fachgesetzlich geregelten Auskunftsansprüchen - hier im Verhältnis zu § 15 Abs. 2 BVerfSchG - eine prozessrechtliche Spezialnorm (Beschluss vom 1. August 2007 a.a.O.). Das bedeutet, dass der obersten Aufsichtsbehörde auch in den Fällen Ermessen zugebilligt ist, in denen das Fachgesetz der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt.

7 3. In der Sperrerklärung vom 29. Juli 2008, ergänzt mit Schreiben vom 22. August 2008, hat der Beigeladene das ihm eingeräumte Ermessen erkannt. So hat er ausgeführt, dass bei der gebotenen Güterabwägung nicht nur das Interesse an einer lückenlosen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch das private Interesse des Klägers an der begehrten Auskunft zu berücksichtigen sei. Dabei seien alle Aspekte des Einzelfalls, namentlich die Aktualität der in Rede stehenden Angaben und der jeweilige Grad einer möglichen Gefährdung für die zukünftige Aufgabenerfüllung des Bundesamts für Verfassungsschutz im Falle ihrer Offenlegung, die Folgen der Zurückhaltung dieser Aktenbestandteile für die gerichtliche Sachverhaltsaufklärung als einem wesentlichen Element des Rechtsstaatsprinzips und die Individualinteressen des Klägers zu berücksichtigen.

8 Bei seiner Abwägung ist der Beigeladene unter Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten des Einzelfalls nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip verfahren und hat nach verschiedenen Geheimhaltungsinteressen geordnete Gruppen gebildet und untersucht. Dabei ist es - wie der Senat bereits entschieden hat (Beschluss vom 1. August 2007 a.a.O. Rn. 6 f.) - nicht zu beanstanden, dass er in der Sperrerklärung die Gesichtspunkte Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel (Abschnitt IV 1 a), Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter (Abschnitt IV 1 b), Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise (Abschnitt IV 1 c), Hervorhebungen und Unterstreichungen (Abschnitt IV 1 d) und Schutz der Persönlichkeitsrechte und sonstiger Belange Dritter (Abschnitt IV 1 e) als für eine Geheimhaltung der Akten sprechend berücksichtigt hat (S. 2 bis 9 der Sperrerklärung).

9 Vorgangsvorblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen sind grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren und Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung zu ermöglichen (Beschlüsse vom 7. November 2002 a.a.O. und vom 1. August 2007 a.a.O.). Sie lassen Rückschlüsse auf geheime Einschätzungen und Entscheidungsbildungen der Sicherheitsbehörde auch in Sachfragen zu. Unter dem vom Beigeladenen angeführten Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ist es als milderes Mittel auch zulässig, Seiten, bei denen eine Schwärzung aus praktischen Gründen nicht möglich erscheint, komplett durch eine „unbearbeitete“ Seite zu ersetzen, auch wenn ein solches Vorgehen dazu führt, dass der Betroffene nicht erkennen kann, in welchem Umfang die Originalseite geheimhaltungsbedürftige Informationen enthält.

10 Der Senat hat die geschwärzten und die vom Beigeladenen als ausgetauscht bezeichneten Dokumente vom 29. Juli 2008 und vom 22. August 2008 sowie die ihm vorgelegten uneingeschränkt lesbaren Dokumente im Einzelnen durchgesehen und miteinander verglichen. Dabei hat sich ergeben, dass der Beigeladene keine Eintragungen geschwärzt hat, die nicht den oben aufgeführten Kriterien entsprechen und gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheimhaltungsbedürftig sind.

11 Ebenso ist nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene im Rahmen einer Einzelfallabwägung (vgl. S. 9 ff. der Sperrerklärung) sämtliche Namen, die sich auf natürliche Personen zurückführen lassen, oder Daten, die dem Quellenschutz dienen oder Methoden der operativen Arbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz bei einer Offenlegung offenbaren würden, entweder durch Schwärzungen teilweise unleserlich gemacht oder die jeweiligen Dokumente nicht vorgelegt hat. Der Beigeladene hat dabei ausführlich - nunmehr im Sinne einer Einzelfallabwägung - je Seite(n) den jeweiligen Grund für den Geheimnisschutz erläutert (S. 9 bis 28 der Sperrerklärung vom 29. Juli 2008). Auch insoweit hat eine Überprüfung durch den Senat keine Beanstandungen ergeben.

12 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Werts des Streitgegenstands ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.