Beschluss vom 28.07.2006 -
BVerwG 9 B 3.06ECLI:DE:BVerwG:2006:280706B9B3.06.0

Leitsatz:

Wie weit die Substantiierungs- und Mitwirkungspflicht des Einwenders im Planfeststellungsverfahren nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz reicht, wenn er nicht mit weiterem, seine Einwendung ergänzenden Vorbringen im anschließenden gerichtlichen Verfahren gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 AEG materiellrechtlich präkludiert sein soll, ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Fachplanungsrecht bereits hinreichend geklärt.

  • Rechtsquellen
    AEG § 20 Abs. 2 Satz 1

  • VGH Mannheim - 28.10.2005 - AZ: VGH 5 S 1382/04 -
    VGH Baden-Württemberg - 28.10.2005 - AZ: VGH 5 S 1382/04

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.07.2006 - 9 B 3.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:280706B9B3.06.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 3.06

  • VGH Mannheim - 28.10.2005 - AZ: VGH 5 S 1382/04 -
  • VGH Baden-Württemberg - 28.10.2005 - AZ: VGH 5 S 1382/04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Juli 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte und Domgörgen
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger zu 5 und 6 gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger zu 5 und 6 tragen je zur Hälfte die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde ist unbegründet. Der Beschwerdevortrag rechtfertigt eine Zulassung der Revision nicht.

2 1. Die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen entscheidungserheblicher Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts sind nicht erfüllt. Eine Abweichung im Sinne dieser Vorschrift liegt nur dann vor, wenn sich der Verwaltungsgerichtshof in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat; die Beschwerdebegründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, stRspr; vgl. z.B. Beschlüsse vom 21. Juli 1988 - BVerwG 1 B 44.88 - Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 32 und vom 12. Dezember 1991 - BVerwG 5 B 68.91 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302). Daran fehlt es hier.

3 a) Die Beschwerde sieht eine Abweichung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zunächst darin, dass der Verwaltungsgerichtshof sich für seine Auslegung des § 20 Abs. 2 AEG auf Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts gestützt habe, in denen diese Vorschrift gar nicht erwähnt sei. Divergierende Rechtssätze werden mit dieser Beanstandung nicht dargelegt.

4 b) Die Beschwerde sieht eine Abweichung von zu § 20 Abs. 2 AEG ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ferner darin, dass der Verwaltungsgerichtshof den Kläger zu 6 mit den im Klageverfahren als Planungsmangel gerügten, weil unberücksichtigt gebliebenen betrieblichen (Anlieger-)Interessen als nach § 20 Abs. 2 AEG präkludiert behandelt und in diesem Zusammenhang ausgeführt habe, zur Vermeidung des Einwendungsausschlusses müsse das Einwendungsvorbringen eines Betroffenen so konkret sein, dass die Planungsbehörde erkennen könne, in welcher Weise sie bestimmte Belange einer näheren Betrachtung unterziehen soll. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern dieser Rechtssatz den Rechtssätzen widersprechen soll, die die Beschwerde aus dem von ihr herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 2004 - BVerwG 9 A 15.03 - (Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 40) anführt. Dass die Beschwerde der Auffassung ist, der Verwaltungsgerichtshof habe diese Rechtssätze hier fehlerhaft angewandt, weil er zu strenge Anforderungen an die Mitwirkungslast der Beschwerdeführer im Anhörungsverfahren gestellt habe, reicht zur Darlegung einer Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht aus.

5 Hinsichtlich der in diesem Zusammenhang weiter herangezogenen Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. März 1997 - BVerwG 11 A 5.96 - (NVwZ-RR 1998, 92) und vom 8. Juli 1998 - BVerwG 11 A 30.97 - (Buchholz 442.09 § 20 AEG Nr. 21) fehlt es schon an der Anführung divergenzfähiger abstrakter Rechtssätze, die in diesen Entscheidungen aufgestellt wurden. Dass die Beschwerde, ohne dies auszuführen, möglicherweise meint, aus der Sachverhaltswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts in jenen Einzelfällen auf solche Rechtssätze schließen zu können, reicht zur Begründung einer Abweichungsrüge ebenfalls nicht aus.

6 c) Die Beschwerde rügt schließlich, der Verwaltungsgerichtshof weiche mit der Auffassung, es habe dem Kläger zu 6 als Betriebsinhaber oblegen, im Anhörungsverfahren auf Auswirkungen wie die (teilweise) Verlagerung des Betriebsgeschehens in andere Bereiche des Betriebsgrundstücks und auf die finanzielle Größenordnung dieser Auswirkungen aufmerksam zu machen, „im Ergebnis“ von der in der Beschwerde zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zur Präklusion und Substantiierungspflicht des Einwenders in atom- und straßenrechtlichen Planfeststellungsverfahren ab. Damit macht die Beschwerde in Wahrheit gleichfalls keinen Widerspruch abstrakter Rechtssätze, sondern nur eine fehlerhafte Anwendung solcher Rechtssätze im vorliegenden Einzelfall geltend. Auf diese Weise kann eine Revisionszulassung wegen Abweichung jedoch nicht begründet werden.

7 Dasselbe gilt für die Rügen der Beschwerde,
- der Verwaltungsgerichtshof weiche mit der genannten Auffassung von den bereits erwähnten Rechtssätzen aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 2004 ab,
- das bloße Abstellen des Verwaltungsgerichtshofs auf das „eigentliche“ Einwendungsschreiben vom 24. Januar 2002 weiche von einem Rechtssatz ab, den die Beschwerde aus der Sachverhaltswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 23. August 1996 - BVerwG 4 A 30.95 - (Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 122) herleiten will, und
- die Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs, der Kläger zu 6 könne mangels (hinreichend) konkreter Angaben in diesem Einwendungsschreiben auch keine entsprechend abwägende Auseinandersetzung des Planfeststellungsbeschlusses mit seinen Betroffenheiten bzw. Interessen erwarten, weiche vom dafür in Bezug genommenen Rechtssatz des zuletzt genannten Urteils ab.

8 2. Entgegen der Annahme der Beschwerde hat die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dies wäre nur der Fall, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Auch daran fehlt es hier.

9 a) Die von der Beschwerde sinngemäß aufgeworfene Frage,
wie weit die Substantiierungs- und Mitwirkungspflicht des Einwenders im Planfeststellungsverfahren nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz reicht, wenn er nicht mit weiterem, seine Einwendung ergänzenden Vorbringen im anschließenden gerichtlichen Verfahren gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 AEG materiellrechtlich präkludiert sein soll,
ist - soweit sie sich in dieser Allgemeinheit im vorliegenden Verfahren stellt - durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Fachplanungsrecht bereits hinreichend geklärt. Dass diese Rechtsprechung zur Reichweite der Verwirkungspräklusion auf alle vergleichbaren Regelungen dieses Rechtsinstituts im Fachplanungsrecht und deshalb auch im eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsverfahren anwendbar ist, bedarf ebenfalls keiner weiteren revisionsgerichtlichen Klärung (vgl. Beschluss vom 12. November 1992 - BVerwG 7 ER 300.92 - Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 22 S. 44). Danach muss eine Einwendung erkennen lassen, in welcher Hinsicht Bedenken gegen die in Aussicht genommene Planfeststellung - aus der Sicht des Einwendenden - bestehen könnten. Das Vorbringen muss so konkret sein, dass die Planfeststellungsbehörde erkennen kann, in welcher Weise sie bestimmte Belange einer näheren Betrachtung unterziehen soll (vgl. Beschlüsse vom 12. Februar 1996 - BVerwG 4 VR 19.95 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 109 S. 78 und vom 16. Oktober 2001 - BVerwG 4 VR 20.01 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 165 S. 83). Zu den Einwendungen, mit denen Betroffene ausgeschlossen sind, wenn sie sie innerhalb der Einwendungsfrist nicht erhoben haben, zählen auch Umstände, die für die Planfeststellungsbehörde nicht erkennbar sind, beispielsweise weil sie auf baulichen Eigenschaften eines Grundstücks beruhen, die von außen nicht sichtbar sind. Denn schon nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen ist es zunächst Sache des Betroffenen, nicht offenkundige oder nahe liegende Tatsachen, die in seiner Sphäre liegen, vorzutragen (vgl. Beschluss vom 11. Januar 2001 - BVerwG 4 B 37.00 - NVwZ 2001, 1398 <1399>). Versäumt es ein Betroffener, innerhalb der Einwendungsfrist auf seine besondere betriebliche Disposition hinzuweisen, so ist er mit darauf gestützten Einwendungen gegen den Plan deshalb ausgeschlossen, wenn im Hinblick auf diese Disposition jedenfalls das Risiko planbedingter Nachteile aus den ausgelegten Unterlagen für ihn erkennbar war (vgl. Urteil vom 22. September 2004 - BVerwG 9 A 59.03 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 183 S. 180 ff.). Eine genauere Umschreibung der daraus folgenden Darlegungspflicht des einzelnen Grundstückseigentümers bzw. Betriebsinhabers entzieht sich der rechtsgrundsätzlichen Klärung.

10 b) Die von der Beschwerde sinngemäß weiter aufgeworfene Frage,
wann ein Vorbringen im gerichtlichen Verfahren als neue und deshalb präkludierte Einwendung und wann es als zulässige Ergänzung und Konkretisierung einer rechtzeitig erhobenen Einwendung zu werten ist,
ist eine Frage der konkreten Sachverhaltswürdigung, die sich einer generellen Klärung im Revisionsverfahren entzieht.

11 c) Im Rahmen der Prüfung, ob sich die Beschwerdeführer die planfestgestellte Veränderung ihrer Grundstückszufahrt gefallen lassen müssen, hält die Beschwerde zunächst folgende Frage für klärungsbedürftig:
„Kann der Eigentümer eines vermieteten Grundstückes, welcher gegenüber seinem Mieter nicht zu baulichen Veränderungen der Mietsache berechtigt ist, durch die öffentlich-rechtliche Planfeststellung hierzu verpflichtet werden, weil in Vollzug der Planung die Mietsache in ihrer bisherigen Substanz ohne bauliche Veränderung für den Mieter nicht mehr gemäß dem mietvertraglich vorausgesetzten Zweck genutzt werden kann, insbesondere weil ein Teil der bisherigen ‚Mietsache’ in Wegfall kommt, da aus einer Stellfläche eine Zufahrt wird?“

12 Diese Frage war für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs nicht von Bedeutung. Denn dieser hat nicht angenommen, der Planfeststellungsbeschluss verpflichte die Klägerin zu 5 dazu, zugunsten des Klägers zu 6 bauliche Veränderungen des an diesen vermieteten Grundstücks vorzunehmen.

13 d) Im selben Rahmen bezeichnet die Beschwerde folgende Frage als grundsätzlich bedeutsam:
„Müssen Mieter und insbesondere der Eigentümer, bezogen auf ein rechtlich selbständiges Teilgrundstück des vermieteten Geländes, Einwirkungen, die sich hinsichtlich der dauerhaften Nutzungsänderung und -intensivierung ergeben, hinnehmen, sofern diese aus einer planbedingten Verlegung der Zufahrt auf dem Nachbargrundstück resultieren?“

14 Dies ist eine Frage der konkreten Sachverhaltswürdigung am Maßstab des Abwägungsgebots und entzieht sich deshalb einer generellen Klärung im Revisionsverfahren.

15 e) Im selben Rahmen wirft die Beschwerde folgende weitere Frage auf:
„Liegt ein angemessener Ersatz für eine planbedingt aufzuhebende Zu- und Abfahrt eines Gewerbebetriebes, welche im Planfeststellungsverfahren gem. § 18 AEG beseitigt werden soll, auch dann vor, wenn durch die Verlegung der Zufahrt die gewerbliche Nutzung des Grundstückes in seiner Wirtschaftlichkeit gefährdet wird, weil die Betriebsabläufe auf dem Gelände nicht mehr sinnvoll organisiert werden können, ohne umfangreiche weitere bauliche Änderungen vorzunehmen?“

16 Diese Frage war für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs nicht von Bedeutung, da dieser nicht festgestellt hat, dass durch die Verlegung der Zufahrt die gewerbliche Nutzung des Grundstücks der Beschwerdeführer in seiner Wirtschaftlichkeit gefährdet wird. Vielmehr hat der Verwaltungsgerichtshof die dahingehenden Einwendungen des Klägers zu 6 als präkludiert angesehen.

17 f) Im selben Rahmen will die Beschwerde schließlich folgende Frage im Revisionsverfahren geklärt wissen:
„Liegt angemessener Ersatz auch dann noch vor, wenn durch die Verlegung der Zufahrt zu einem Teilgrundstück die dauerhafte Nutzung eines anderen Teilgrundstückes als Zufahrts- und Verkehrsfläche notwendigerweise festgelegt wird, ohne zu berücksichtigen, dass nach dem Willen von Eigentümer und Mieter diese Fläche bisher dem parkenden Verkehr vorbehalten war und überdies die Möglichkeit besteht, die bestehende einheitliche Nutzung der rechtlich selbständigen Teilgrundstücke aufzuheben, dies faktisch aber nach Verlegung der Zufahrt nicht mehr möglich sein wird?“

18 Auch die Beantwortung dieser Frage hängt wiederum von der konkreten Sachverhaltswürdigung ab und entzieht sich damit genereller Beantwortung in einem Revisionsverfahren.

19 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. § 5 ZPO.