Beschluss vom 02.03.2021 -
BVerwG 8 B 56.20ECLI:DE:BVerwG:2021:020321B8B56.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.03.2021 - 8 B 56.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:020321B8B56.20.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 56.20

  • VG Schwerin - 28.09.2017 - AZ: VG 4 A 3185/15 SN
  • OVG Greifswald - 27.05.2020 - AZ: OVG 2 LB 838/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. März 2021
durch die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 27. Mai 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 149 788,24 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme einer Zuwendung. Der Beklagte nahm deren Bewilligung zurück, weil sich aus den vom Kläger eingereichten Unterlagen ergebe, dass dieser unter Verstoß gegen ihre Nebenbestimmungen vor der Genehmigung des vorzeitigen Beginns der Maßnahme einen Auftrag an einen Handwerksbetrieb erteilt habe. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies er zurück.

2 Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil geändert und den Rücknahmebescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben. Zur Überzeugung des Senats habe der Kläger vor der Genehmigung des vorzeitigen Baubeginns keinen unbedingten Vertrag mit dem betreffenden Handwerksbetrieb geschlossen. Es könne offenbleiben, ob ein bedingter Vertrag zustande gekommen sei. Eine Förderpraxis des Beklagten, nach der der Abschluss eines bedingten Vertrages förderschädlich gewesen wäre, habe es nach Auskunft von dessen Vertreter in der mündlichen Verhandlung nicht gegeben. Zudem wäre ein bedingter Vertrag nach Angaben des Beklagten bei ordnungsgemäßer Dokumentation der Bedingung als förderunschädlich angesehen worden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

3 Die hiergegen erhobene Beschwerde des Beklagten, der sich auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) beruft, hat keinen Erfolg.

4 1. Verfahrensmängel des angegriffenen Urteils sind nach den Darlegungen des Beklagten in seiner Beschwerdebegründung (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) nicht gegeben.

5 a) Dessen Rüge, das Urteil verkürze den Rechtsschutz des Beklagten durch ein fehlerhaftes Verständnis einer Prozesserklärung, bleibt unsubstantiiert. Der Beklagte konkretisiert weder, welche Prozesserklärung der in der mündlichen Berufungsverhandlung protokollierten Auskunft seines Vertreters zu entnehmen sein soll, noch ergibt sich aus seinem Vortrag, unter welchem Gesichtspunkt die Würdigung dieser Auskunft durch das Oberverwaltungsgericht das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzen könnte.

6 b) Das Beschwerdevorbringen legt nicht dar, dass das angegriffene Urteil den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) oder das Recht des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt.

7 Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Es darf nicht einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse aus seiner Würdigung ausblenden. Im Übrigen darf es zur Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise frei würdigen. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist deshalb nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Diese Grenzen sind erst dann überschritten, wenn das Gericht nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen. Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts darf vom Revisionsgericht nicht daraufhin überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel deshalb grundsätzlich nicht begründen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2017 - 6 B 31.16 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2017:​070217B6B31.16.0] - juris Rn. 10 m.w.N.). Nach diesem Maßstab lässt sich dem Vortrag des Beklagten keine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes entnehmen.

8 Der Beklagte macht geltend, die protokollierte Aussage seines Vertreters in der mündlichen Berufungsverhandlung trage nicht die Feststellung des angegriffenen Urteils, es habe keine Förderpraxis gegeben, nach welcher der Abschluss eines bedingt abgeschlossenen Vertrages vor dem zugelassenen Beginn der geförderten Maßnahme förderschädlich gewesen wäre. Sie belege vielmehr, dass der Abschluss eines aufschiebend bedingten Vertrages die Förderung nur bei hinreichender Dokumentation und Vorlage einer Urkunde über die Bedingung nicht ausgeschlossen hätte. Mit diesem Einwand legt der Beklagte lediglich sein von der Würdigung des Oberverwaltungsgerichts abweichendes Verständnis der protokollierten Äußerung dar. Es war jedoch weder willkürlich noch denkfehlerhaft, aus dem Hinweis auf das Fehlen eines einschlägigen praktischen Falls oder einschlägiger Verwaltungsvorschriften zu schließen, dass bei der Bewilligung der Zuwendung an den Kläger noch keine Förderpraxis zu bedingt geschlossenen Verträgen bestand.

9 Auch mit seiner Rüge, das Urteil würdige Erkenntnismittel selektiv und übergehe sein Vorbringen zu Ungereimtheiten und Widersprüchen der Einlassungen des Klägers und des Zeugen sowie zu deren gleichgerichteter Interessenlage, legt der Beklagte weder eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes noch seines Rechts auf rechtliches Gehör hinreichend dar. Das Oberverwaltungsgericht hat die aus Sicht des Beklagten für einen unbedingten Vertragsschluss vor der Genehmigung des vorzeitigen Beginns der Maßnahme sprechende Auftragsbestätigung des Handwerksbetriebes berücksichtigt, ihr aber wegen der fehlenden Unterschrift des Klägers und der Aussagen des Betriebsinhabers in drei Zeugenvernehmungen im Rahmen seiner Beweiswürdigung keine ausschlaggebende Bedeutung zuerkannt. Auf die vom Kläger eingereichten Unterlagen zum Beleg einer späteren Auftragserteilung hat es nicht abgestellt und musste sich deshalb nicht mit den Einwänden des Beklagten gegen deren Beweiskraft auseinandersetzen.

10 c) Die Rüge, das Urteil enthalte keine hinreichend tragfähige Begründung für die Annahme, der Kläger habe vor dem genehmigten Baubeginn im September 2012 noch keinen unbedingten Vertrag abgeschlossen, ist nicht berechtigt. Die Begründungspflicht des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verlangt, dass in den Urteilsgründen die tatsächlichen Umstände und rechtlichen Erwägungen wiedergegeben werden, die das Gericht zu seiner Entscheidung bestimmt haben. Das Urteil muss erkennen lassen, dass das Gericht den ermittelten Tatsachenstoff wertend gesichtet hat und in welchen konkreten Bezug es ihn zu den angewandten Rechtsnormen gesetzt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. September 1997 - 8 B 144.97 - juris Rn. 22). Gemessen daran liegt kein Begründungsmangel des Urteils hinsichtlich seiner in der Beschwerde bezeichneten entscheidungstragenden Erwägung vor. Das Oberverwaltungsgericht stützt seine Schlussfolgerung, der Abschluss eines unbedingten Vertrages im oder gar vor September 2012 könne nicht nachgewiesen werden, auf Zeugenaussagen des Inhabers des Handwerksbetriebes bei seiner polizeilichen Vernehmung, vor dem Verwaltungsgericht und vor dem Berufungsgericht. Danach habe der Kläger eine verbindliche Willenserklärung zum Vertragsabschluss nicht vor der Erteilung der Genehmigung für die Maßnahme durch den Beklagten abgeben wollen. Die in der Urteilsbegründung wiedergegebenen Aussagen des Zeugen lassen einen inhaltlichen Bezug zu der Schlussfolgerung des Oberverwaltungsgerichts erkennen und geben die aus seiner Sicht leitenden Erkenntnisse der Beweiserhebung wieder. Damit genügt das Urteil der Begründungspflicht aus § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

11 2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund ist nur gegeben, wenn die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Beklagte legt in seiner Beschwerdebegründung nicht dar, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

12 Die vom Beklagten aufgeworfenen Rechtsfragen,
ob eine Bewilligung auch dann versagt bzw. zurückgenommen werden kann, wenn eine vom Zuwendungsempfänger geltend gemachte aufschiebende oder auflösende Bedingung seiner vor der Bewilligung erfolgten vertraglichen Bindung gegenüber einem mit der Realisierung des Fördervorhabens betrauten Dritten nicht oder nicht schriftlich belegbar ist,
und - für den Fall, dass eine nicht schriftliche Bedingung materiell-rechtlich beachtlich sei - ergänzend sinngemäß,
ob allein eine Zeugenaussage des Vertragspartners des Zuwendungsempfängers ausreicht, um eine mündlich vereinbarte Bedingung zu belegen,
wären in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Sie entziehen sich einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung durch das Revisionsgericht, weil sie die einzelfallbezogene, dem materiellen Recht zuzuordnende Beweiswürdigung des Tatsachengerichts betreffen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2017 - 6 B 31.16 - juris Rn. 10 m.w.N.).

13 Schließlich verleiht auch die vom Beklagten behauptete Abweichung des angegriffenen Urteils von den Entscheidungen anderer Obergerichte der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Das Berufungsurteil führt die von der Beschwerde in Bezug genommenen Rechtsprechungszitate lediglich zum Beleg seiner Auffassung an, ein bedingter Vertrag werde bei ordnungsgemäßer Dokumentation in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung vielfach als förderunschädlich angesehen, ohne auf diesen Gesichtspunkt entscheidungstragend abzustellen.

14 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.