Beschluss vom 07.06.2021 -
BVerwG 8 B 52.20ECLI:DE:BVerwG:2021:070621B8B52.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 07.06.2021 - 8 B 52.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:070621B8B52.20.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 52.20

  • VG Cottbus - 18.06.2020 - AZ: VG 1 K 2531/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Juni 2021
durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 18. Juni 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 264 540 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Rechtsvorgänger der Beigeladenen veräußerte 1938 ein in S. belegenes, mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück an den Rechtsvorgänger des Klägers. Die Beigeladene zu 3 meldete deswegen vermögensrechtliche Ansprüche an. Bis 1994 baute der Kläger das Wohnhaus zur eigenen Nutzung um. 1996 wurde ihm gestattet, das Grundstück investiv zur "Schaffung von 10 Eigenheimen" zu verwenden. Von den durch Teilung aus dem Grundstück hervorgegangenen Flurstücken veräußerte der Kläger neun, die jeweils mit einem neuen Eigenheim bebaut wurden. Bezüglich der übrigen - einschließlich der verfahrensgegenständlichen, mit seinem Wohnhaus und Nebengebäuden bebauten Flurstücke - wurde er als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Mit Bescheid vom 3. April 2008 lehnte die Beklagte den Restitutionsantrag ab und stellte fest, den Beigeladenen stehe ein Anspruch auf Erlösauskehr oder Verkehrswertersatz zu. Mit Bescheid vom 23. August 2017 nahm die Beklagte ihren Bescheid vom 3. April 2008 hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Flurstücke zurück und restituierte sie an die Beigeladenen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage hiergegen abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

2 Die auf alle Zulassungsgründe gestützte Beschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.

3 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Dies würde voraussetzen, dass die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht.

4 Die Frage,
ob durch einen Investitionsvorrangbescheid auch Investitionen geschützt werden, die bei fehlender Information zum Vorliegen von Restitutionsansprüchen als Bestandteil einer Gesamtinvestition erbracht worden sind und für die erst nach Ausführung und damit Teilausführung des Gesamtvorhabens ein Investitionsvorrangbescheid erteilt wurde,
würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil sie für das angegriffene Urteil nicht entscheidungserheblich war. Das Verwaltungsgericht hat den Investitionsvorrangbescheid vom 30. Mai 1996 dahingehend ausgelegt, dass er keine Eigeninvestitionen in einen nicht zum Verkauf vorgesehenen Teil des Grundstücks gestattete. Die vom Kläger aufgeworfene Frage hat es daher ausdrücklich offengelassen (UA S. 15).

5 2. Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht dargetan. Der Kläger benennt keinen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem die Vorinstanz einem vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hätte. Er entnimmt dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Dezember 1999 - 7 C 42.98 - (BVerwGE 110, 226) den Rechtssatz, dass die Behörde bei der Ausübung ihres Rücknahmeermessens alle im Einzelfall maßgebenden Umstände beachten muss, arbeitet aber keinen abstrakten, das angegriffene Urteil tragenden Rechtssatz heraus, der diesem Rechtssatz widerspräche. Seine Ausführungen beanstanden lediglich die seines Erachtens unzutreffende Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 114 VwGO im konkreten Fall.

6 3. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat weder den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO noch die Gewährleistung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) dadurch verletzt, dass es den Kläger nicht ausdrücklich auf seine Absicht hingewiesen hat, seine Entscheidung auch auf dessen informatorische Befragung in der mündlichen Verhandlung vom 16. März 2012 im beigezogenen Verfahren - VG 1 K 392/08 - zu stützen.

7 § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet das Gericht, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Die Vorschrift ist insbesondere verletzt, wenn die angegriffene Entscheidung auf Tatsachen gestützt wird, die nicht in das Verfahren eingeführt wurden, oder wenn die Sachverhaltswürdigung des Gerichts sich als denkgesetzwidrig oder sonst willkürlich erweist. Solche Mängel trägt der Kläger nicht vor. Er hat keine wirksamen Rügen gegen die im Tatbestand des angegriffenen Urteils enthaltene Feststellung erhoben, das Verwaltungsgericht habe die Streitakte des Verfahrens - VG 1 K 392/08 - beigezogen, in der sich das Protokoll der informatorischen Anhörung befand, und diese Akte zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Verfahren gemacht. Ebenso wenig hat der Kläger die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Inhalt seiner im beigezogenen Verfahren protokollierten Äußerungen gerügt.

8 Deren Verwertung verletzt auch nicht das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör. Insbesondere liegt keine unzulässige Überraschungsentscheidung vor. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG wird in § 108 Abs. 2 VwGO konkretisiert und gewährleistet, dass die Beteiligten sich zu allen entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen äußern können. Er verbietet, eine Gerichtsentscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt zu stützen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht rechnen musste. Dagegen bedarf es keines Hinweises, wenn ein solcher Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens damit rechnen musste, dass ein rechtlicher Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich sein könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>; Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189 <204> und Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 <409>).

9 Hier musste der Kläger davon ausgehen, dass das Verwaltungsgericht das Ergebnis der informatorischen Anhörung auch ohne ausdrücklichen Hinweis berücksichtigen würde. Eine solche Verwertung seiner Angaben musste er schon in Betracht ziehen, weil die betreffende Akte beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 2020 gemacht worden war. Außerdem kam es auch nach seinem eigenen Vortrag zur restitutionsausschließenden Wirkung des Investitionsvorrangbescheides maßgeblich auf die Frage an, ob dieser Bescheid nur die Schaffung neuer Eigenheime auf zu veräußernden Flurstücken oder auch den bereits zwei Jahre zuvor abgeschlossenen Umbau seines Wohnhauses auf den nicht zur Veräußerung vorgesehenen Flächen deckte.

10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.