Beschluss vom 08.08.2018 -
BVerwG 1 B 46.18ECLI:DE:BVerwG:2018:080818B1B46.18.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 08.08.2018 - 1 B 46.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2018:080818B1B46.18.0]
Beschluss
BVerwG 1 B 46.18
- VG Berlin - 31.08.2017 - AZ: VG 23 K 1506.16 A
- OVG Berlin-Brandenburg - 21.03.2018 - AZ: OVG 3 B 28.17
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. August 2018
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph
und Dr. Wittkopp
beschlossen:
- Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. März 2018 wird verworfen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1 1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wird abgelehnt, weil die Rechtsverfolgung - wie sich aus den nachstehenden Gründen ergibt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 und § 121 Abs. 1 ZPO).
2 2. Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (2.1), der Divergenz (2.2) und eines Verfahrensmangels (2.3) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
3 2.1 Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
4 a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris Rn. 3).
5 Für die Zulassung der Revision reicht, anders als für die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO/§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 - BVerwGE 70, 24 <26>), eine Tatsachenfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aus. Die Klärungsbedürftigkeit muss vielmehr in Bezug auf den anzuwendenden rechtlichen Maßstab, nicht die richterliche Tatsachenwürdigung und -bewertung bestehen; auch der Umstand, dass das Ergebnis der zur Feststellung und Würdigung des Tatsachenstoffes berufenen Instanzgerichte für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung ist, lässt für sich allein nach geltendem Revisionszulassungsrecht eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu. Der Gesetzgeber hat insoweit auch für das gerichtliche Asylverfahren an den allgemeinen Grundsätzen des Revisionsrechts festgehalten und für das Bundesverwaltungsgericht keine Befugnis eröffnet, Tatsachen(würdigungs)fragen grundsätzlicher Bedeutung in "Länderleitentscheidungen", wie sie etwa das britische Prozessrecht kennt, zu treffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 28 - zur Feststellung einer extremen Gefahrenlage) haben sich allerdings die Berufungsgerichte nach § 108 VwGO (erkennbar) mit abweichenden Tatsachen- und Lagebeurteilungen anderer Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe auseinanderzusetzen.
6 b) Den Anforderungen an die Darlegung dieses Zulassungsgrundes (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) genügt die Beschwerde nicht.
7 Sie macht geltend, das Oberverwaltungsgericht ... habe "selbst im Zulassungsbeschluss (...) ausgeführt (...), (...) die Rechtssache (hat) grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die Tatsachenfragen, ob unverfolgt ausgereisten Syrern bei einer Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen einer Wehrdienstentziehung zielgerichtete Verfolgung droht, wenn es sich um Männer im wehrdienstfähigen Alter von 18 bis 42 Jahren handelt." Dies bezeichnet bereits im Ansatz keine Rechts-, sondern nur eine Tatsachenfrage (möglicherweise) grundsätzlicher Bedeutung.
8 Das weitere Vorbringen, der Umstand, dass "die Oberverwaltungsgerichte in der Bundesrepublik Deutschland dies bei gleicher Erkenntnismittelgrundlage unterschiedlich beantworten", belege, es handele sich nicht mehr nur um eine grundsätzlich zu klärende Tatsachenfrage, sondern eine grundsätzlich zu klärende Rechtsfrage, weshalb die Revision zuzulassen sei, verkennt die revisionsrechtliche Unterscheidung von umstrittenen Tatsachenfragen von grundsätzlich zu klärenden Rechtsfragen.
9 Ebenfalls allein auf eine Tatsachenfrage gerichtet ist die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, "inwiefern Personen, die auf der sogenannten 'schwarzen Liste' (...) stehen, als Oppositionelle angesehen werden und damit als Flüchtlinge anzuerkennen sind."
10 2.2 Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz zuzulassen.
11 a) Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).
12 b) Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht, das Urteil des Berufungsgerichts verstoße "gegen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und Bundesverfassungsgerichts (...), denn es beachtet nicht Art. 3 GG i.V.m. mit angewandter Verwaltungspraxis und führt die entsprechende Prüfung durch, ob die Beklagte hätte nach ihren Maßstäben abhelfen müssen."
13 Die Beschwerde versäumt es, einen von dem Berufungsgericht aufgestellten abstrakten Rechtssatz zu bezeichnen, der von den in der Beschwerde wiedergegebenen Rechtssätzen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts abweicht. Stattdessen beanstandet die Beschwerde die fehlerhafte Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG, überdies ohne auf die begrenzte Reichweite des Art. 3 Abs. 1 GG im Bereich der einzelfallbezogenen Rechtsanwendung durch die Gerichte im Rahmen der Feststellung und Würdigung der entscheidungserheblichen Tatsachen einzugehen. Eine solche vermag indes - wie dargelegt - eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO bereits im Ansatz nicht zu begründen.
14 Entsprechendes gilt, soweit die Beschwerde mit dem Vorbringen zu Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Selbstbindung der Verwaltung geltend machen wollte, nach der eigenen Anerkennungspraxis gehe das Bundesamt der Beklagten davon aus, dass Personen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, bei Rückkehr nicht nur eine Behandlung drohe, die eine Feststellung subsidiären Schutzes rechtfertige, sondern wegen einer Anknüpfung an Verfolgungsgründe, unter anderem auch einer (tatsächlichen oder zugeschriebenen) oppositionellen oder regimekritischen Haltung, eine Zuerkennung von Flüchtlingsschutz gebiete. Auch insoweit liegt eine Revisionszulassung wegen einer nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO beachtlichen Divergenz fern. Bei der Flüchtlingsanerkennung handelt es sich zudem um eine rechtlich gebundene, durch Unions- und nationales Gesetzesrecht vorgeprägte Entscheidung, bei welcher für die Grundsätze der Selbstbindung der Verwaltung oder eines gleichheitskonformen Ermessensgebrauchs allenfalls in - hier nicht ersichtlichen - Ausnahmefällen Raum ist.
15 2.3. Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (Verfahrensmängel durch Verletzung des rechtlichen Gehörs sowie durch unzureichende Sachaufklärung) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Verfahrensmängel schon nicht hinreichend dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) sind.
16 a) Der von der Beschwerde gerügte Verstoß gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) wird nicht mit dem Hinweis darauf hinreichend dargelegt, das Berufungsgericht sei Einzelheiten zu einer im Internet zugänglichen Liste, die aus Beständen der syrischen Geheimdienste stammen soll und auf der sich auch der Name des Klägers befindet, nicht näher nachgegangen.
17 Diese Liste hat auch im Rahmen der informatorischen Anhörung eines aus Syrien stammenden Rechtsanwalts zu Fragen des Umgangs der syrischen Behörden bei Nichtbefolgung der Wehrpflicht und Wehrdienstentziehung Erwähnung gefunden. Ausweislich der Entscheidungsgründe hat das Berufungsgericht in Bezug auf die Einzelheiten dieser Liste keinen weiteren Aufklärungsbedarf gesehen, weil die Nennung auf der Liste angesichts der großen Zahl von 1,5 Millionen aufgelisteten Personen es nicht beachtlich wahrscheinlich mache, dass es sich aus der Sicht des Assad-Regimes um Oppositionelle handele, die in dessen Blickpunkt stehen. Dies gelte in besonderem Maße bezogen auf das Delikt (Wehrdienstentziehung), dessentwegen sich der Kläger auf dieser Liste befinden soll.
18 Die Beschwerde legt nicht dar, aus welchen Gründen sich bei dieser Bewertung dem Gericht eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen oder diese Bewertung nicht ohne eine weitere Sachaufklärung hätte vorgenommen werden dürfen. Das Vorbringen, es sei seitens des Gerichts nur eine unzureichende Auseinandersetzung mit dieser sogenannten "schwarzen Liste" erfolgt, ersetzt dies nicht. Überdies fehlt es an förmlichen Beweisanträgen, die nach § 86 Abs. 2 VwGO förmlich hätten beschieden werden müssen.
19 b) Der Verfahrensmangel einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist ebenfalls nicht dargelegt.
20 Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG vorschreibt, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist daher nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 -1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>). Anhaltspunkte hierfür ergeben sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.
21 Das Berufungsgericht hat sich bereits ausweislich der Beschwerdebegründung mit der Eintragung des Klägers auf dieser Liste auseinandergesetzt und diese gewürdigt. Anhaltspunkte dafür, dass es diese Liste oder die flüchtlingsrechtliche Einordnung von auf Wehrdienstentziehung bezogenes Vorbringen des Klägers nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen habe, folgen auch nicht aus dem Vorwurf, das Gericht habe sich "nur unzureichend" mit dieser Liste auseinandergesetzt.
22 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
23 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.