Beschluss vom 14.06.2021 -
BVerwG 9 B 52.20ECLI:DE:BVerwG:2021:140621B9B52.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.06.2021 - 9 B 52.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:140621B9B52.20.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 52.20

  • VG Gießen - 25.01.2018 - AZ: VG 3 K 43/16.GI
  • VGH Kassel - 12.10.2020 - AZ: VGH 5 A 3073/19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Juni 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Martini und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Sieveking
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2 293,74 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, die auf Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützt ist, hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

3 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dass diese Voraussetzungen hier erfüllt wären, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen.

4 a) Die Frage,
ob § 114 Satz 1 VwGO auch im Zusammenhang mit gebundenen Entscheidungen Anwendung findet,
war für die Entscheidung des Berufungsgerichts ohne Bedeutung. Denn das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Erlass eines Erstattungsbescheids in Fällen wie dem hier vorliegenden, in denen der Beklagte neben dem Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Unterhaltung eines Grundstücksanschlusses nach § 12 des Hessischen Gesetzes über kommunale Abgaben (KAG HE) in Verbindung mit § 22 der Entwässerungssatzung des beklagten Abwasserverbands (EWS) einen zivilrechtlichen Anspruch auf Ersatz dieser Kosten gegen einen Dritten hat, gerade keine gebundene Entscheidung, sondern eine Ermessensentscheidung darstellt, weil dem Abwasserverband ein Auswahlermessen zusteht. Im Übrigen bedürfte es zur Klärung der Frage auch nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Denn bereits aus dem Wortlaut von § 114 Satz 1 VwGO ergibt sich ohne Weiteres, dass diese Regelung auf gebundene Entscheidungen keine Anwendung findet, weil sie ausdrücklich nur gilt, soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln.

5 b) Die der Sache nach vom Kläger eigentlich für klärungsbedürftig gehaltene Frage,
ob bei Erlass eines Bescheids über die Erstattung von Grundstücksanschlusskosten ein Ermessen im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO besteht, wenn der Anspruchsberechtigte daneben einen zivilrechtlichen Anspruch auf Ersatz dieser Kosten gegenüber einem Dritten hat,
betrifft keine Frage des revisiblen Bundesrechts.

6 Die bundesrechtliche Regelung des § 114 Satz 1 VwGO setzt zwar eine Ermächtigung der Verwaltungsbehörde, nach Ermessen zu handeln, voraus, regelt aber selbst nicht, ob eine solche Ermächtigung besteht. Dies beurteilt sich vielmehr anhand einer Auslegung des materiellen Rechts, auf dessen Grundlage der angefochtene Verwaltungsakt ergangen ist (vgl. etwa Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 Rn. 68; Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 114 Rn. 1a), hier also nach den nicht revisiblen landesrechtlichen Regelungen des § 12 KAG HE und des § 22 EWS. Dementsprechend wäre eine Klärung der Frage im Revisionsverfahren auch nicht zu erwarten. Denn die Auslegung dieser Bestimmungen im Sinne eines Auswahlermessens durch das Berufungsgericht ist im Revisionsverfahren nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 560 ZPO für das Bundesverwaltungsgericht bindend. Soweit der Beklagte im Übrigen diese Auslegung für unrichtig hält, weil der Erlass des Kostenerstattungsbescheids eine gebundene Entscheidung sei, rügt er lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung, die allein der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung verleiht (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 19. November 2020 - 9 B 40.19 - juris Rn. 15).

7 2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.

8 Die Rüge, das Berufungsgericht habe seine Pflicht zur Amtsermittlung nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt, weil es den Sachverhalt hinsichtlich der Frage, ob die streitbefangene Anschlussleitung durch Wurzeleinwuchs eines im öffentlichen Straßenbereich gepflanzten Baumes beschädigt worden sei, nicht hinreichend aufgeklärt habe, genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Danach wäre in der Beschwerdebegründung insbesondere substantiiert darzulegen gewesen, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f.). Daran fehlt es.

9 Zwar nennt der Beklagte als mögliche weitere Aufklärungsmaßnahme eine Befragung der Stadt H. Seinen Ausführungen lässt sich aber schon nicht entnehmen, welche tatsächlichen Feststellungen aufgrund einer solchen Befragung getroffen worden wären. Die Beschwerdebegründung stellt vielmehr lediglich in den Raum, dass im Falle eines Bestreitens der Verursachung des Leitungsschadens durch die Wurzeln eines städtischen Baumes seitens der Stadt weitere Sachaufklärung erforderlich gewesen wäre, ohne etwaige weitere Aufklärungsmaßnahmen zu bezeichnen. Zudem lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen, dass der Beklagte auf eine weitere Sachaufklärung hingewirkt oder diese sich von sich aus aufgedrängt hätte.

10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.