Beschluss vom 16.03.2021 -
BVerwG 8 B 3.21ECLI:DE:BVerwG:2021:160321B8B3.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 16.03.2021 - 8 B 3.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:160321B8B3.21.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 3.21

  • VG Frankfurt am Main - 18.11.2020 - AZ: VG 11 K 4011/19.F

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. März 2021
durch die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 18. November 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 67 192,91 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Klägerin wendet sich gegen einen Rückforderungs- und Leistungsbescheid der Beklagten, mit dem von ihr als Erbin ihres verstorbenen Ehemannes eine Hauptentschädigung in Höhe von 67 192,91 € zurückgefordert wird. Die nach erfolglosem Beschwerdeverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Revision gegen sein Urteil hat es nicht zugelassen. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.

2 1. Die Klägerin hat keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in einer § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise bezeichnet.

3 Mit ihrer Rüge, das Verwaltungsgericht habe ihren Sachvortrag zum Umstandsmoment der Verwirkung übergangen, legt sie keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) dar. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass eine Verwirkung der Rückforderung der Hauptentschädigung nur angenommen werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung der Forderung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Es hat nicht nur das von der Klägerin allein angesprochene Umstandsmoment, sondern auch den für die Annahme einer Verwirkung erforderlichen längeren Zeitablauf verneint, so dass das angegriffene Urteil auf dem behaupteten Verfahrensmangel nicht beruhen kann.

4 Unabhängig davon vermittelt Art. 103 Abs. 1 GG den Verfahrensbeteiligten zwar einen Anspruch darauf, dass das Gericht ihr Vorbringen vollständig in seine Entscheidungsfindung einbezieht. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Gericht das gesamte Vorbringen in den Entscheidungsgründen abhandeln muss. Vielmehr muss es auch in einem Urteil nur diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Gründe angeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Daher kann aus dem Umstand, dass das Gericht einen Aspekt des Vorbringens eines Beteiligten in den Gründen nicht erwähnt hat, nicht geschlossen werden, es habe ihn nicht in Erwägung gezogen. Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt zudem keinen Schutz davor, dass ein Gericht aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts Parteivorbringen nicht weiter aufnimmt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2018 - 10 C 8.17 - BVerwGE 162, 244 Rn. 26 m.w.N.).

5 Nach diesem Maßstab ist eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht dargetan. Das Verwaltungsgericht hat das von der Klägerin zur Gerichtsakte gereichte Schreiben des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 27. Juni 2011 im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausdrücklich erwähnt und seinen Inhalt als Teil des Klagevorbringens wiedergegeben. Es hat ihm allerdings nicht diejenige materiell-rechtliche Bedeutung beigemessen, die die Klägerin in ihrer Klagebegründung geltend gemacht hat. Vielmehr ist es davon ausgegangen, dass sich aus der bloßen Untätigkeit einer Behörde keine Verwirkung ergeben könne und auch dem Schreiben der Beklagten vom 26. August 2010 über die Aussetzung der Vollziehung der Rückforderung kein Verzicht auf deren Geltendmachung entnommen werden könne. Dieses Schreiben ist Bestandteil des Verwaltungsvorgangs der Behörde, in den der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Akteneinsicht genommen und den das Verwaltungsgericht ausdrücklich zum Gegenstand seiner Entscheidung gemacht hat. Seine Verwertung konnte für die Klägerin mithin nicht überraschend sein.

6 Darin liegt auch kein Verstoß gegen die Hinweispflicht des Gerichts (§ 86 Abs. 3 VwGO). Aus dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs folgt keine allgemeine Aufklärungs- und Hinweispflicht des Gerichts. Es darf zwar nicht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht. Es ist indessen grundsätzlich nicht verpflichtet, den Beteiligten mitzuteilen, welche tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte es für entscheidungserheblich hält und welche Rechtsauffassungen es seiner Entscheidung zugrunde zu legen gedenkt. Danach musste die anwaltlich vertretene Klägerin auch ohne gerichtlichen Hinweis damit rechnen, dass das Verwaltungsgericht das Schreiben der Beklagten vom 26. August 2010 zur Grundlage seiner Entscheidung machen würde.

7 Soweit die Klägerin schließlich die fehlerhafte Anwendung der §§ 1973, 1974 BGB durch das Verwaltungsgericht rügt, beanstandet sie lediglich dessen materiell-rechtliche Ausführungen zu diesen Vorschriften, ohne einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO aufzuzeigen.

8 2. Die Revision ist auch nicht wegen einer Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Die Klägerin benennt keinen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem die Vorinstanz einem vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hätte. Ihr Vortrag beschränkt sich auf die Kritik an der einzelfallbezogenen Rechtsanwendung des § 349 Abs. 5 Satz 4 LAG durch das Verwaltungsgericht. Eine Abweichung von einem dazu in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Rechtssatz legt die Klägerin indessen nicht dar.

9 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.