Verfahrensinformation

Die Klägerin, die eine Anlage zur Herstellung von Papier betreibt, wendet sich gegen die anteilige Rücknahme einer Zuteilung von Emissionsberechtigungen. Sie und die Firma S. E. GmbH bilden die S. Holding. Die S. E. GmbH betreibt ein mit fossilen Brennstoffen befeuertes Heizkraftwerk. Seit 2009 besteht es auch aus einem Ersatzbrennstoff-Wirbelschichtkessel (EBS-Kessel), der seit 2012 fast ausschließlich die Wärme an die Papiermaschinen der Klägerin liefert. Das zuständige Landesamt des Landes Schleswig-Holstein stellte im Dezember 2012 für die sog. 3. Handelsperiode fest, dass der EBS-Kessel nicht mehr den Pflichten nach dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz unterliegt. Die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) teilte der Klägerin für die Jahre 2013 bis 2020 insgesamt 667.937 Berechtigungen zu und wies darauf hin, dass ein wesentlicher Teil der Anlage, von der die Anlage Wärme beziehe, in der 3. Handelsperiode nicht mehr unter den Anwendungsbereich des TEHG falle. Die Änderung sei noch nicht durch die Europäische Kommission geprüft worden, so dass der Bescheid im Falle der Nichtablehnung dieser Änderung voraussichtlich anzupassen sei. In der Folgezeit änderte die DEHSt die Gesamtzahl der auszugebenden Berechtigungen für die Jahre 2013 bis 2020, nahm die Zuteilung an die Klägerin zurück, soweit eine Zuteilung von mehr als 337.693 Emissionsberechtigungen erfolgt sei, und forderte 87.267 Emissionsberechtigungen von der Klägerin zurück. Die Klage vor dem Verwaltungsgericht blieb ohne Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht wies die Berufung zurück, weil der Zuteilungsbescheid zum Teil rechtswidrig sei. Weder habe die Klägerin in den Fortbestand des Bescheids vertraut noch sei ein etwaiges Vertrauen schutzwürdig. Das öffentliche Interesse an der Teilrücknahme bestehe. Das Recht zur Rücknahme sei nicht verwirkt. Insbesondere lägen keine besonderen Umstände vor, die die Rücknahme treuwidrig erscheinen ließen.


Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin.


Urteil vom 18.03.2021 -
BVerwG 7 C 1.20ECLI:DE:BVerwG:2021:180321U7C1.20.0

Rücknahme der Zuteilung von Emissionsberechtigungen

Leitsätze:

1. Nach § 14 ZuV 2020 kommt es bei Wärmeflüssen zwischen Anlagen darauf an, dass die Anlage, von der Wärme bezogen wird, in der relevanten Zuteilungsperiode nicht dem Treibhausgas-Emissionshandelsregime unterliegt.

2. Art. 9 des Beschlusses 2011/278/EU der Europäischen Kommission verpflichtet die zuständige nationale Behörde nicht, den maßgeblichen Bezugszeitraum für die Beurteilung der historischen Aktivitätsraten einer Anlage selbst zu bestimmen.

  • Rechtsquellen
    Beschluss 2011/278/EU Art. 9, Art. 13
    TEHG 2011 § 9 Abs. 2
    VwVfG § 45 Abs. 1 Nr. 3, § 48 Abs. 1, 2 und 4
    ZuV 2020 § 9 Abs. 2 Nr. 1, § 14

  • VG Berlin - 01.11.2018 - AZ: VG 10 K 220.16
    OVG Berlin-Brandenburg - 29.10.2019 - AZ: OVG 12 B 51.18

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 18.03.2021 - 7 C 1.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:180321U7C1.20.0]

Urteil

BVerwG 7 C 1.20

  • VG Berlin - 01.11.2018 - AZ: VG 10 K 220.16
  • OVG Berlin-Brandenburg - 29.10.2019 - AZ: OVG 12 B 51.18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 18. März 2021
durch
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer, Dr. Günther, Dr. Löffelbein und Dr. Wöckel
für Recht erkannt:

  1. Die Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen eine teilweise Rücknahme der Zuteilung von Emissionsberechtigungen.

2 Sie betreibt eine Anlage zur Herstellung von Papier. Die S. E. GmbH, die ein mit fossilen Brennstoffen befeuertes Heizkraftwerk betreibt, das seit 2009 auch aus einem Ersatzbrennstoff-Wirbelschichtkessel (EBS-Kessel) besteht, liefert seit 2012 fast ausschließlich die Wärme für die Papiermaschinen der Klägerin. Die Klägerin und die Firma S. E. GmbH bilden die S. Holding.

3 Das Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein (Landesamt) stellte mit Bescheid vom 18. Dezember 2012 an die S. E. GmbH für die sogenannte dritte Handelsperiode vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2020 fest, dass der EBS-Kessel als Abfallverbrennungsanlage im Sinne von § 2 Abs. 5 Nr. 3 TEHG 2011 einzustufen ist und nicht (mehr) den Pflichten nach den §§ 5 bis 7 TEHG 2011 unterliegt. Zuvor hatte das Umweltbundesamt als Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) die Auffassung vertreten, die Gesamtanlage der S. E. GmbH sei nach wie vor emissionshandelspflichtig.

4 Nachdem die Klägerin als maßgeblichen Bezugszeitraum die Jahre 2009 bis 2010 gewählt hatte, teilte ihr die DEHSt mit Bescheid vom 18. Februar 2014 für die Jahre 2013 bis 2020 insgesamt 667 937 Berechtigungen zu. Der Bescheid enthält den Hinweis, dass ein wesentlicher Teil der Anlage, von der die Klägerin ihre Wärme beziehe, in der dritten Handelsperiode nicht mehr in den Anwendungsbereich des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes falle. Diese Änderung sei noch nicht durch die Europäische Kommission geprüft worden, so dass der Bescheid bei einer Nichtablehnung der Änderung voraussichtlich anzupassen sei.

5 Mit Bescheid vom 19. Februar 2014 teilte die DEHSt der S. E. GmbH für deren Anlage für die Jahre 2013 bis 2020 insgesamt 13 806 Emissionsberechtigungen zu. In den Gründen hieß es, aus der Feststellung des Landesamts ergäben sich keine Änderungen an der Zuteilungsmenge. Mit weiterem Bescheid vom selben Tage an die S. E. GmbH änderte die DEHSt die Gesamtzahl der auszugebenden Berechtigungen für die Jahre 2013 bis 2020 um minus 13 806 Berechtigungen und wies die jährlichen Ausgabemengen mit jeweils "Null" Berechtigungen aus.

6 Mit Bescheid vom 16. Februar 2015 nahm die DEHSt die Zuteilung gegenüber der Klägerin durch den Bescheid vom 18. Februar 2014 zurück, soweit eine Zuteilung von mehr als 337 693 Emissionsberechtigungen erfolgt sei, änderte die jährlichen Ausgabemengen für die Jahre 2013 bis 2020 und forderte unter Anordnung sofortiger Vollziehung binnen acht Wochen nach Bekanntgabe 87 267 Emissionsberechtigungen von der Klägerin zurück.

7 Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren von der Klägerin erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Das Oberverwaltungsgericht hat ihre Berufung mit Urteil vom 29. Oktober 2019 zurückgewiesen: Die Teilrücknahme des Zuteilungsbescheids stütze sich auf § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, der gemäß § 9 Abs. 6 Satz 2 TEHG 2011 im Emissionshandelsrecht anwendbar sei. Der Zuteilungsbescheid vom 18. Februar 2014 sei zum Zeitpunkt seines Erlasses im Hinblick auf die Höhe der Emissionsberechtigungen rechtswidrig gewesen. Die weiteren Voraussetzungen für eine Rücknahme lägen ebenfalls vor. Es könne dahinstehen, ob der Zuteilungsbescheid eine Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewähre. Weder habe die Klägerin in den Fortbestand des Bescheids vertraut noch sei ein etwaiges Vertrauen schutzwürdig. Aus dem Hinweis im Zuteilungsbescheid an die S. E. GmbH, die Entlassung des EBS-Kessels aus der Handelspflicht habe keine Auswirkungen auf die Zuteilung, könne die Klägerin nicht ableiten, eine solche Entlassung habe keine Auswirkungen auf ihre Zuteilung. Vielmehr habe die DEHSt in dem Zuteilungsbescheid an die Klägerin auf eine anstehende Stellungnahme der Europäischen Kommission und auf die sich hieraus ergebenden Folgen hingewiesen. Das öffentliche Interesse an der Teilrücknahme bestehe. Die Jahresfrist für eine Rücknahme sei gewahrt. Diese Frist habe frühestens mit dem Erlass des streitgegenständlichen Zuteilungsbescheids zu laufen begonnen. Das Recht zur Rücknahme sei nicht verwirkt. Der Rücknahmebescheid leide auch nicht an Ermessensfehlern. Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens sei ausgeschlossen. Eine nachträgliche Änderung des gewählten Bezugszeitraums sei ebenso ausgeschlossen wie eine Wiedereinsetzung in die Antragsfrist.

8 Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend: Der Zuteilungsbescheid sei nicht rechtswidrig. Das Berufungsgericht habe § 9 Abs. 6 TEHG 2011 und § 14 ZuV 2020 bundesrechtswidrig ausgelegt. Der Zuteilungsanspruch könne nicht deshalb gekürzt werden, weil eine Anlage nach Beginn der Handelsperiode nicht mehr der Emissionshandelspflicht unterliege. Weder der Wortlaut von § 14 ZuV 2020 noch die dieser Vorschrift zugrundeliegende Richtlinie 2003/87/EG und der Beschluss 2011/278/EU könnten dieses Ergebnis stützen. Da § 14 ZuV 2020 auf den Zeitraum vor der Handelsperiode 2013 bis 2020 abstelle, seien für Beschränkungen im Zeitraum der Handelsperiode nur die Bestimmungen des 4. Abschnitts der Zuteilungsverordnung 2020 heranzuziehen. Die englische Fassung von Art. 13 des Beschlusses 2011/278/EU spreche für einen ausschließlich historischen Wärmebezug wegen des verwendeten Begriffs "historically". Auch die ungarische Sprachfassung des Beschlusstextes trage die Kürzung des Zuteilungsanspruchs nicht. Eine Überausstattung sei dem System aufgrund der Wahlmöglichkeiten gemäß § 8 Abs. 1 ZuV 2020 immanent. Die Aufhebung der Zuteilungsentscheidung setze nach § 9 Abs. 6 Satz 1 TEHG 2011 einen bindenden und zur Rücknahme verpflichtenden Rechtsakt der Europäischen Union voraus, der nicht vorliege. Vielmehr begründe die Eintragung von Anlagen in die von einem Mitgliedstaat übermittelte Liste im Sinne von Art. 11 der Richtlinie 2003/87/EG als endgültige Zuteilung den Schutz des Anlagenbetreibers. Jedenfalls sei die Rücknahmebefugnis durch die Beklagte verwirkt. Die Beklagte habe lange vor Erlass des Teilaufhebungsbescheids und des Zuteilungsbescheids vom 18. Februar 2014 Kenntnis von einer angeblichen Teilrechtswidrigkeit gehabt.

9 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. Oktober 2019 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 1. November 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Mai 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Anlage "P. G." 87 267 Emissionsberechtigungen auszugeben, soweit die Europäische Kommission die Zuteilung von insgesamt 330 244 Emissionsberechtigungen an die Klägerin nicht ablehnt,
sowie
die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

10 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

11 Sie verteidigt das Urteil des Berufungsgerichts.

II

12 Die Revision der Klägerin ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts ohne Bundesrechtsverstoß zurückgewiesen (§ 137 Abs. 1 VwGO).

13 1. a) Zu Recht hat das Berufungsgericht die Anwendung von § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG als Rechtsgrundlage für die Teilrücknahme des Zuteilungsbescheids für rechtmäßig erachtet. Nach § 9 Abs. 6 Satz 1 des Gesetzes über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen (Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz - TEHG 2011) vom 21. Juli 2011 (BGBl. I S. 1475) ist die Zuteilungsentscheidung aufzuheben, soweit sie auf Grund eines Rechtsakts der Europäischen Union nachträglich geändert werden muss. Dieser Fall liegt nicht vor. Im Übrigen bleiben die §§ 48 und 49 VwVfG nach § 9 Abs. 6 Satz 2 TEHG 2011 unberührt.

14 b) Das Berufungsgericht hat mit Recht einen formellen Mangel des Rücknahmebescheids wegen unterbliebener Anhörung der Klägerin nach § 28 Abs. 1 VwVfG vor seinem Erlass verneint. Der Anhörungsmangel ist im Widerspruchsverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG geheilt worden. Das Vorbringen der Klägerin hat die DEHSt zum Anlass genommen, ihre Rücknahmeentscheidung zu überdenken. Sie hat sich im Widerspruchsbescheid eingehend mit den klägerischen Argumenten auseinandergesetzt. Entgegen der Auffassung der Revision scheitert die Heilung des Anhörungsmangels nicht an der Nichtigkeit des Teilrücknahmebescheids nach § 44 VwVfG. Die Heilung ist gemäß § 45 Abs. 1 VwVfG zwar ausgeschlossen, wenn eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG nichtig macht. So liegt es hier aber nicht. Die von der Klägerin geltend gemachte Nichtigkeit wegen einer Vorfestlegung der DEHSt hat das Berufungsgericht mit Recht bereits deshalb zurückgewiesen, weil sich aus dem klägerischen Vorbringen hierfür nichts ergibt.

15 2. Der Teilrücknahmebescheid ist auch materiell rechtmäßig.

16 a) Das Berufungsgericht hat ohne Bundesrechtsverstoß die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG als gegeben angesehen. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Frage der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts beurteilt sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2004 - 6 C 24.03 - BVerwGE 121, 226 <229>). Nachträgliche Änderungen der rechtlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen eines Verwaltungsakts können nur Anlass und Rechtfertigung für einen Widerruf nach § 49 VwVfG sein (vgl. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 VwVfG zu nachträglich eingetretenen Tatsachen oder geänderten Rechtsvorschriften).

17 Mit Recht hat das Berufungsgericht die teilweise Rechtswidrigkeit des Zuteilungsbescheids vom 18. Februar 2014 bejaht, soweit der Klägerin mehr als 337 693 Emissionsberechtigungen zugeteilt wurden. Die Zuteilung weiterer Emissionsberechtigungen erfolgte entgegen § 14 der Verordnung über die Zuteilung von Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Handelsperiode 2013 bis 2020 (Zuteilungsverordnung 2020 - ZuV 2020) vom 26. September 2011 (BGBl. I S. 1921), geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2354), weil der EBS-Kessel gemäß Bescheid des Landesamtes vom 18. Dezember 2012 in der dritten Zuteilungsperiode nicht (mehr) der Emissionshandelspflicht unterlag. Die Auffassung der Revision, nachträgliche Änderungen einer Zuteilung seien allein nach den Regelungen des 4. Abschnitts der Zuteilungsverordnung 2020 zulässig, übersieht, dass sich die Rechtmäßigkeit der Zuteilung am Maßstab des § 14 ZuV 2020 bestimmt.

18 § 14 ZuV 2020 enthält eine Kürzungsregelung hinsichtlich der zuzuteilenden Berechtigungen, soweit in einem Zuteilungselement mit Produkt-Emissionswert messbare Wärme aus einer nicht in den Anwendungsbereich des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes fallenden Anlage oder anderen Einrichtung bezogen wurde. In diesem Fall wird die nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 ZuV 2020 berechnete vorläufige jährliche Anzahl der dem betreffenden Zuteilungselement zuzuteilenden Berechtigungen vermindert um die Anzahl Berechtigungen, die dem Produkt entspricht aus erstens der Wärmemenge, die in den die Aktivitätsrate des Zuteilungselements bestimmenden Jahren des nach § 8 Abs. 1 ZuV 2020 gewählten Bezugszeitraums bezogen wurde, und zweitens dem Wärme-Emissionswert für messbare Wärme gemäß Anhang 1 der einheitlichen EU-Zuteilungsregeln. § 14 ZuV 2020 setzt Art. 13 des Beschlusses 2011/278/EU der Europäischen Kommission vom 27. April 2011 zur Festlegung EU-weiter Übergangsvorschriften zur Harmonisierung der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten gemäß Art. 10a der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates um (BT-Drs. 17/6850 S. 32) und ist unionsrechtskonform auszulegen.

19 aa) Die Auslegung des § 14 ZuV 2020 anhand seines Wortlauts führt nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. Das Tatbestandsmerkmal "soweit Wärme ... bezogen wurde" weist zwar möglicherweise auf einen bereits vergangenen Bezug von Wärme aus einer Anlage hin, so dass der Import der Wärme aus einer Anlage, die in einer früheren Handelsperiode dem Anwendungsbereich des Emissionshandelsrechts unterlag, maßgeblich sein könnte. Andererseits lässt die weitere Formulierung "aus einer nicht unter den Anwendungsbereich ... fallenden Anlage oder anderen Einrichtung" ein Verständnis der Vorschrift in der Weise zu, dass die aktuelle rechtliche Einordnung der Anlage entscheidend ist.

20 Auch der Wortlaut von Art. 13 des Beschlusses 2011/278/EU ist nicht eindeutig, zumal er in den verschiedenen Sprachfassungen nicht einheitlich ist. Nach Art. 13 des Beschlusses 2011/278/EU wird, soweit in einen Anlagenteil mit Produkt-Benchmark messbare Wärme aus einer nicht unter das EHS fallenden Anlage oder anderen Einrichtung importiert wurde, die gemäß Art. 10 Abs. 2 Buchst. a des Beschlusses 2011/278/EU berechnete vorläufige jährliche Anzahl der dem betreffenden Anlagenteil mit Produkt-Benchmark kostenlos zuzuteilenden Emissionszertifikate um die Wärmemenge gekürzt, die in dem betreffenden Jahr aus einer nicht unter das EHS fallenden Anlage oder anderen Einrichtung historisch importiert wurde, multipliziert mit dem Wert der Wärme-Benchmark für messbare Wärme gemäß Anhang I. Die deutsche Sprachfassung verwendet danach zweimal die Worte "importiert wurde", beim zweiten Mal ergänzt um den Begriff "historisch". Daraus folgt aber nicht, dass für den Tatbestand auf Zeiträume vor dem Beginn der dritten Zuteilungsperiode 2013 bis 2020 Bezug genommen wird. Das Merkmal "nicht unter das EHS fallende Anlage" in der Gegenwartsform deutet eher darauf hin, dass keine Anknüpfung an frühere Bezugszeiträume entscheidend sein soll. Mit der Vergangenheitsform wird lediglich klargestellt, dass der Anwendungsbereich von Art. 13 des Beschlusses 2011/278/EU eröffnet ist, wenn von der Herkunftsanlage bereits während des vorangegangenen Bezugszeitraums Wärme bezogen wurde. Für den maßgeblichen Zeitpunkt der Emissionshandelspflicht wird die Gegenwartsform "fallende Anlage" verwendet. Insoweit geht die Argumentation der Revision fehl, dass die ungarische Sprachfassung, die ebenfalls die Formulierung "importiert wurde" verwende und dazu "in der Vergangenheit erfolgten", ihre Auffassung stütze.

21 Auch aus anderen Sprachfassungen lässt sich nicht das von der Revision gewünschte Ergebnis herleiten. Die englische Sprachfassung des Beschlusses verwendet nicht die Vergangenheitsform "importiert wurde", sondern das Wort "imported" ("importiert") als Partizip; zudem wird die Präsenz-Formulierung "encompasses measurable heat" ("umfasst messbare Wärme") gebraucht. Entsprechendes gilt für die französische Sprachfassung " ... comprend de la chaleur ... importée", die spanische Sprachfassung " ... abarque calor ... importado", die italienische Sprachfassung " ... comprende calore ... importato" und die niederländische Sprachfassung "Als een productbenchmark-subinstallatie meetbare warmte omvat die wordt ingevoerd uit een ... ".

22 bb) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 - C-397/16 u.a. [ECLI:​EU:​C:​2017:​992] - Rn. 31). Auch danach bestätigt sich nicht die Auffassung der Revision, sondern vielmehr die gegenteilige Position.

23 Art. 13 des Beschlusses 2011/278/EU spiegelt die Systematik des Beschlusses 2011/278/EU wider. Nach Satz 1 des 16. Erwägungsgrunds des Beschlusses 2011/278/EU soll die Menge der Zertifikate, die Bestandsanlagen kostenlos zuzuteilen ist, auf historischen Produktionsdaten beruhen. Art. 9 des Beschlusses 2011/278/EU bestimmt, dass für Bestandsanlagen die Mitgliedstaaten die historischen Aktivitätsraten der einzelnen Anlagen auf Basis der gemäß Art. 7 des Beschlusses 2011/278/EU erhobenen Daten für den Bezugszeitraum 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2008 oder, soweit sie höher sind, für den Bezugszeitraum 1. Januar 2009 bis 31. Dezember 2010 bestimmen. Die Anknüpfung an einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum erfolgt gemäß Satz 2 des 16. Erwägungsgrunds des Beschlusses 2011/278/EU, um für die Produktionsdaten sicherzustellen, dass der Bezugszeitraum so weit wie möglich für die Industriezyklen repräsentativ ist und eine Zeitspanne umfasst, für die zuverlässige Daten vorliegen, und um den Einfluss besonderer Umstände wie vorübergehende Anlagenschließungen möglichst zu begrenzen.

24 Entsprechendes gilt für § 14 ZuV 2020. Die Zuteilungsverordnung 2020 regelt in § 8 die maßgebliche Aktivitätsrate. Nach dessen Absatz 1 bestimmt sich für Bestandsanlagen die maßgebliche Aktivitätsrate entsprechend der Regelung in Art. 9 des Beschlusses 2011/278/EU. Auf diese Weise kann die Höhe des Zuteilungsanspruchs auf Grundlage möglichst repräsentativer Produktionsdaten ermittelt werden. Die Bestimmung der zukünftigen Berechtigungen erfolgt aufgrund eines der Handelsperiode vorangegangenen Bezugszeitraums. Hiervon ist der Fall zu unterscheiden, dass die Wärme nicht mehr aus einer in den Anwendungsbereich des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes fallenden Anlage bezogen wird. Wenn die Herkunftsanlage von Wärmeimporten aus der Emissionshandelspflicht herausfällt, ist der historische Wärmeimport dieser Anlage nicht mehr repräsentativ für den Wärmeimport aus dem Emissionshandelssystem der Zuteilungsperiode.

25 Die an Sinn und Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung von § 14 ZuV 2020 bestätigt, dass es allein darauf ankommt, ob die Anlage, von der Wärme bezogen wird und die nicht dem Treibhausgas-Emissionshandelsregime unterliegt, in der relevanten Zuteilungsperiode, für die die Zuteilung erfolgt, vom Handel bzw. von der Pflicht zum Einsatz von Emissionsberechtigungen freigestellt ist. § 14 ZuV 2020 will verhindern, dass eine Anlage für einen Wärmeverbrauch, der außerhalb des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes anfällt und für den keine Emissionsberechtigungen aufgewandt werden müssen, Emissionsberechtigungen erhält. Es soll daher keine kostenlose Zuteilung für den Verbrauch von Wärme gewährt werden, die von Anlagen oder anderen Einrichtungen außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2003/87/EG bereitgestellt wird (BT-Drs. 17/6850 S. 32).

26 Das Berufungsgericht hat hierzu eine zutreffende vergleichende Betrachtung angestellt. Wenn für den Wärmebezug aus einer im Bezugszeitraum noch nicht handelspflichtigen Anlage, die in der dritten Handelsperiode dem Handelssystem unterliegt, eine Kürzung der Zuteilung vorzunehmen wäre, obwohl die Wärmeproduktion nunmehr der Pflicht der Abgabe von Emissionsberechtigungen unterliegt, wäre dies ein mit dem Gesetzeszweck nicht übereinstimmendes Ergebnis. So läge es umgekehrt auch, wenn eine Kürzung ausgeschlossen wäre, obwohl die Anlage in der dritten Handelsperiode nicht mehr der Abgabepflicht unterliegt. Dies führte zu einer Zuteilung von Emissionsberechtigungen, der gegenwärtig keine Abgabepflicht für die Wärmeproduktion gegenübersteht. Solche Ergebnisse sind weder vom Unionsrecht noch vom nationalen Recht beabsichtigt.

27 cc) Die Auslegungshinweise der Europäischen Kommission im Guidance Document No 6 on the harmonized free allocation methodology for the EU-ETS post 2012 stehen entgegen der Auffassung der Klägerin diesem Auslegungsergebnis nicht entgegen. Das Guidance Document No 6 ist rechtlich nicht bindend und gibt nicht den offiziellen Standpunkt der Europäischen Kommission wieder (S. 3 unter 1.1 ; vgl. auch EuGH, Urteil vom 8. September 2016 - C-180/15 [ECLI:​EU:​C:​2016:​647], Borealis u.a. - Rn. 75; BVerwG, Beschluss vom 22. November 2018 - 7 C 10.17 - Buchholz 406.256 TEHG Nr. 4 Rn. 24). Zudem sind Nr. 2.3 der Auslegungshinweise nur Aussagen für den Grundfall zu entnehmen, dass Wärme von einer nichthandelspflichtigen zu einer handelspflichtigen Anlage geführt wird. Für die Annahme der Revision, die dortigen Hinweise beträfen einen Wärmebezug aus einer in der Vergangenheit und vor Beginn der Handelsperiode nicht emissionshandelspflichtigen Anlage, fehlt jeder Anhaltspunkt. Entsprechendes gilt für das Dokument "Question & Answers on the harmonised free allocation methodology for the EU-ETS post 2012" vom 9. November 2011 und insbesondere für die Antwort auf die Frage 2.7 "How does the allocation for a heat consumer change when its heat supply changes during the baseline period?". Die Frage betrifft einen Wechsel der wärmeliefernden Anlage innerhalb des Bezugszeitraums.

28 dd) Soweit die DEHSt in ihrer Stellungnahme vom 29. November 2012 gegenüber dem Landesamt die Auffassung vertreten hat, dass die Anlage der S. E. GmbH weiterhin emissionshandelspflichtig sei, hat diese Äußerung keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Zuteilungsbescheids. Vielmehr ist der Ausschluss von der Handelspflicht mit Bescheid vom 18. Dezember 2012 bestandskräftig festgestellt worden.

29 ee) Einer von der Revision angeregten Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung der Frage, ob Art. 13 des Beschlusses 2011/278/EU dahingehend auszulegen ist, dass eine nachträgliche (Teil-)Aufhebung einer kostenlos für einen Wärmebezug einem Antragsteller gewährten Zuteilung ausscheidet, falls dieser Wärmebezug aus einer Anlage erfolgt, die nur vor Beginn und insbesondere während des vom Antragsteller gewählten Bezugszeitraums, aber nicht mehr nach Beginn der Handelsperiode 2013 bis 2020 dem Anwendungsbereich des Emissionshandels unterlag, bedarf es angesichts des eindeutigen Auslegungsergebnisses nicht.

30 b) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Zuteilungsbescheid als begünstigender Verwaltungsakt nur unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG zurückgenommen werden durfte. Dabei konnte es dahinstehen lassen, ob der Zuteilungsbescheid eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung im Sinne von § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG gewährt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - 3 C 3.95 - BVerwGE 104, 289 = juris Rn. 36 f.). Denn auch unter den strengeren Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG durfte die Rücknahme erfolgen. Ein etwaiges Vertrauen der Klägerin ist nicht schutzwürdig. Demgemäß kommt es nicht zu einer Abwägung nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG von schutzwürdigem Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsakts mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts. Für die Klägerin war es auf Grund des Zuteilungsbescheids vom 18. Februar 2014 erkennbar, dass die DEHSt wegen des Ausscheidens des Anlagenteils aus der Handelspflicht, aus dem die Klägerin Wärme bezieht, eine Neubewertung und Neuberechnung vornehmen würde, wenn die Europäische Kommission die mitgeteilten Änderungen der Zuteilungsmengen nicht ablehnt. Damit waren sämtliche Äußerungen der DEHSt (etwa) in ihrer Stellungnahme vom 29. November 2012 überholt. Soweit die Klägerin aus Ausführungen der DEHSt im Bescheid vom 19. Februar 2014 an die S. E. GmbH Vertrauen gewonnen haben will, weist das Berufungsgericht mit Recht darauf hin, dass die Klägerin bei der von ihr herangezogenen Textpassage eine hinreichende Trennung der jeweiligen Bescheidadressaten vermissen lässt. Die Entlassung des EBS-Kessels aus der Emissionshandelspflicht hatte für die S. E. GmbH keine Auswirkungen. Schutzwürdiges Vertrauen hätte bei der Klägerin auch dann nicht entstehen können, wenn sie sich über die Rechtslage im Unklaren gewesen wäre.

31 Zudem kann sich die Klägerin nicht auf Vertrauen berufen, weil sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG). Mit Rücksicht auf den im Zuteilungsbescheid vom 18. Februar 2014 enthaltenen Hinweis der voraussichtlichen Änderung der Zuteilung musste die Klägerin von der anstehenden Änderung der Zuteilung ausgehen. Für den Fall, dass diese Umstände für den Ausschluss von Vertrauensschutz nicht genügen, wären sie jedenfalls als maßgebliche Umstände im Rahmen der Abwägung nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG zum Nachteil der Klägerin zu berücksichtigen.

32 c) Die Rücknahmefrist nach § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG von einem Jahr seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme von Tatsachen, die die Rücknahme rechtfertigen, ist eingehalten. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Rücknahmefrist bereits deshalb gewahrt ist, weil der Rücknahmebescheid vom 16. Februar 2015 der Klägerin vor Ablauf eines Jahres seit dem Erlass des Zuteilungsbescheids vom 18. Februar 2014 zugegangen ist. Die Bekanntgabe des zurückgenommenen Verwaltungsakts ist aber der frühest denkbare Zeitpunkt für den Beginn des Laufs der Frist nach § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG.

33 d) Ohne Bundesrechtsverstoß hat das Berufungsgericht auch eine Verwirkung der Rücknahmebefugnis der Beklagten verneint. Soweit die Revision geltend macht, die DEHSt habe bei ihr wegen des Zuteilungsbescheids an die S. E. GmbH vom 19. Februar 2014 die Vorstellung geweckt, von der Rücknahmemöglichkeit keinen Gebrauch zu machen, führt dies nicht auf einen Umstand, der eine Verwirkung begründen könnte. Einer solchen Annahme steht der Hinweis auf eine mögliche spätere Änderung und Rücknahme in dem Zuteilungsbescheid vom 18. Februar 2014 entgegen. Auch verfängt die von der Revision geltend gemachte Verzögerung der Rücknahme trotz Kenntnis der die Rücknahme begründenden Tatsachen nicht. Mit Rücksicht auf die für den Lauf der gesetzlichen Rücknahmefrist gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG bestehenden Maßstäbe ist der Vorwurf der Verzögerung als Voraussetzung einer Verwirkung unbegründet.

34 3. Die Rückforderung von 87 267 Emissionsberechtigungen gemäß Ziffer 3 des Teilaufhebungsbescheids vom 16. Februar 2015 hat das Berufungsgericht zutreffend gemäß § 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG als rechtmäßig beurteilt. Die begehrte Rückgabe der Emissionsberechtigungen kann die Klägerin mangels erfolgreicher Anfechtungsklage nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO beanspruchen.

35 Einer Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren bedarf es nicht, weil die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.

36 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.