Beschluss vom 18.05.2020 -
BVerwG 1 B 21.20ECLI:DE:BVerwG:2020:180520B1B21.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.05.2020 - 1 B 21.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:180520B1B21.20.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 21.20

  • VG Regensburg - 23.04.2018 - AZ: VG RN 11 K 17.34256
  • VGH München - 02.03.2020 - AZ: VGH 20 B 19.30716

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Mai 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 2. März 2020 wird verworfen.
  3. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 I. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

2 II. Die Beschwerde, mit der Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend gemacht werden, bleibt ohne Erfolg.

3 1. Ein Verfahrensfehler mit Blick auf die formgerechte Begründung der Berufung der Beklagten innerhalb der Monatsfrist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO ist schon nicht dargelegt.

4 Gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO ist die - hier durch den Verwaltungsgerichtshof zugelassene - Berufung innerhalb einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Berufungsbegründungsschrift ist hier innerhalb dieser Frist eingegangen. Sie wahrt auch die gesetzlich vorgesehene Form. Sie ist ausweislich des in der Gerichtsakte befindlichen Prüfprotokolls nicht über das elektronische Gerichts- oder Verwaltungspostfach (EGVP) - so die Beschwerdebegründung -, sondern auf einem sicheren Übertragungsweg (§ 55a Abs. 4 Nr. 3 VwGO), nämlich über ein besonderes elektronisches Behördenpostfach an das Berufungsgericht, gelangt. Der Berufungsbegründungsschriftsatz weist auch eine bestimmte natürliche Person als die für diesen Schriftsatz verantwortliche Person aus.

5 Daran ändert der vorgetragene Umstand nichts, dass im Prüfprotokoll dieser Name nicht erneut erwähnt wird oder ein anderer Name erscheint. Dies berührt nicht die in dem Berufungsbegründungsschriftsatz selbst hinzugefügte einfache Signatur. Für die ordnungsgemäße Übermittlung aus einem besonderen Behördenpostfach ist dies ebenfalls unschädlich. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV kann ein - wie hier - nicht selbst qualifiziert signiertes Dokument schriftformersetzend auf dem sicheren Übermittlungsweg eines besonderen elektronischen Behördenpostfachs übermittelt werden, "bei dem feststellbar ist, dass das elektronische Dokument vom Postfachinhaber versandt wurde". Dies war hier ausweislich des von der Beschwerde nicht in Zweifel gezogenen Prüfprotokolls bei der Übermittlung der Berufungsbegründung der Fall; es weist das in dem Verfahren zur Vertretung befugte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als den Inhaber des Postfachs aus, über das die Versendung erfolgt ist (s.a. BVerwG, Beschluss vom 4. Mai 2020 - 1 B 16.20 -). Die Nennung des Namens einer weiteren natürlichen Person bzw. einer Referatsbezeichnung, die bzw. das in den Absendevorgang eingebunden gewesen sein mag, ändert hieran nichts. § 6 Abs. 1 ERVV fordert auch nicht, dass die Person, die für den Schriftsatz verantwortlich zeichnet, auch selbst Inhaber des besonderen Behördenpostfachs sein muss, welches auch nur für Behörden sowie juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Postfachinhaber eröffnet werden kann (§§ 7, 8 ERVV). Die für das besondere elektronische Anwaltspostfach diskutierte Frage, ob eine wirksame Einreichung bestimmender Schriftsätze aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nur möglich ist, wenn der Aussteller das Dokument eigenhändig aus seinem Postfach versendet (dazu OLG Braunschweig, Beschluss vom 8. April 2019 - 11 U 146/18 -, NJW 2019, 2176; dazu etwa Lapp jurisPR-ITR 17/2019 Anm. 3; Radke, jM 2019, 272), stellt sich für das einer Organisation zugeordnete besondere Behördenpostfach von vornherein nicht.

6 Die in der Beschwerdeschrift herangezogenen Ausführungen des Thüringer Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 28. Januar 2020 - 3 ZKO 796/19 -) betreffen den anders gelagerten Fall, dass die Identität der Beklagten als Postfachinhaberin nicht feststellbar war, weil dort die Nachricht ohne den erforderlichen vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis unter Nutzung des EGVP und daher nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg (§ 55a Abs. 3 Halbs. 2 VwGO) bei dem Verwaltungsgericht eingereicht worden war. Vielmehr war wegen eines wohl technischen Fehlers die Nachricht zwar elektronisch unter Nutzung der auch durch das besondere Behördenpostfach benutzten Technologie, aber gerade ohne eine funktionsfähige Einbindung des beBPo-vHN-(Signatur-)Zertifikats übermittelt worden.

7 2. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Verwaltungsgerichtshof ist ebenfalls nicht hinreichend dargelegt.

8 2.1 Nach § 130a Satz 1 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören (§ 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ist das sich auf die Begründetheit oder Unbegründetheit der Berufung beziehende Einstimmigkeitserfordernis (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 1998 - 3 B 1.98 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 19 S. 11 f.) erfüllt, steht die Entscheidung, ob ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss befunden wird, im Ermessen des Gerichts. Die Grenzen des dem Berufungsgericht eingeräumten Ermessens sind weit gezogen. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung für die Durchführung des vereinfachten Berufungsverfahrens nur darauf überprüfen, ob das Oberverwaltungsgericht von seinem Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. März 1999 - 4 B 112.98 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 35 S. 5 m.w.N. und vom 25. September 2003 - 4 B 68.03 - Buchholz 140 Art. 6 MRK Nr. 9 S. 16). Ein Absehen von einer mündlichen Verhandlung ist seitens des Revisionsgerichts nur zu beanstanden, wenn es auf sachfremden Erwägungen oder einer groben Fehleinschätzung des Berufungsgerichts beruht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Februar 1999 - 4 B 4.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 33 S. 2 m.w.N.) oder wenn im konkreten Fall Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) beziehungsweise Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gebieten.

9 Auch wenn § 130a VwGO keine ausdrücklichen Einschränkungen enthält, hat das Berufungsgericht bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass sich die Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nach der Ausgestaltung des Prozessrechts als gesetzlicher Regelfall und Kernstück auch des Berufungsverfahrens erweist (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 1 VwGO). Bei der Ermessensentscheidung gemäß § 130a Satz 1 VwGO dürfen die Funktionen der mündlichen Verhandlung und ihre daraus erwachsende Bedeutung für den Rechtsschutz nicht aus dem Blick geraten. Das Gebot, im Rahmen einer mündlichen Verhandlung die Rechtssache auch im Interesse der Ergebnisrichtigkeit mit den Beteiligten zu erörtern, wird umso stärker, je schwieriger die vom Gericht zu treffende Entscheidung ist. Mit dem Grad der Schwierigkeit der Rechtssache wächst daher zugleich auch das Gewicht der Gründe, die gegen die Anwendung des § 130a VwGO und für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sprechen (vgl. BVerwG, Urteile vom 21. März 2000 - 9 C 39.99 - BVerwGE 111, 69 <74> und vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <214> und Beschluss vom 20. Oktober 2011 - 2 B 63.11 - juris Rn. 6). Die Grenzen von § 130a Satz 1 VwGO sind erreicht, wenn im vereinfachten Berufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, obwohl die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht außergewöhnliche Schwierigkeiten aufweist (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213>); abzustellen ist insoweit auf die Gesamtumstände des Einzelfalles (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 24 und Beschluss vom 24. April 2019 - 1 B 24.19 - juris Rn. 22).

10 2.2 Daran gemessen ist nicht dargelegt, dass die Durchführung des vereinfachten Berufungsverfahrens hier nach § 130a VwGO ermessensfehlerhaft gewesen sein könnte.

11 Das Berufungsgericht hat die Beteiligten zu seiner Absicht, durch Beschluss nach § 130a VwGO zu Lasten der Klägerin zu entscheiden, vorab gehört. Es hat auch das Vorbringen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ersichtlich zur Kenntnis genommen und erwogen, dass die Ehe mit ihrem im Bundesgebiet als Flüchtling anerkannten Ehemann bereits in Syrien geschlossen worden sei, und den Antrag, hierüber Beweis durch Einvernahme des Ehemannes zu erheben, nicht als wesentliche Änderung der Prozesssituation gewertet, die eine mündliche Verhandlung oder doch eine neuerliche Anhörung nach § 130a VwGO gebiete. Dies hat es damit begründet, dass die Klägerin bislang keinen Nachweis über eine Eheschließung in Syrien mit dem als Zeugen benannten Ehemann vorgelegt habe und dieser in seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben habe, er habe die Klägerin in Libyen geheiratet, sodass ein Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 26 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 AsylG nicht gegeben sei. Auf der Grundlage der mit der Beschwerde angegriffenen Rechtsauffassung, dass für eine Anwendung des § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG die Ehe im Verfolgerstaat geschlossen sein muss und es nicht ausreiche, dass die Eheleute in dem Verfolgerstaat vor der Ausreise bereits zusammengelebt haben, ist hiergegen nichts zu erinnern. Für die Frage einer Verletzung des rechtlichen Gehörs kommt es entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht darauf an, ob diese dem materiellen Recht zuzurechnende Rechtsauffassung auch zutreffend ist; denn für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung oder einer erneuten Anhörungsmitteilung ist auf die Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts abzustellen.

12 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.