Beschluss vom 19.06.2024 -
BVerwG 7 VR 3.24ECLI:DE:BVerwG:2024:190624B7VR3.24.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 19.06.2024 - 7 VR 3.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:190624B7VR3.24.0]
Beschluss
BVerwG 7 VR 3.24
In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Juni 2024
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Günther und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:
- Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt für die "Fahrrinnenanpassung in der Unteren Havel-Wasserstraße, UHW km 32,61 bis km 54,25 - Flusshavel -" vom 12. Dezember 2023 anzuordnen, wird abgelehnt.
- Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller je zur Hälfte.
- Der Streitwert wird auf 40 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt für die "Fahrrinnenanpassung in der Unteren Havel-Wasserstraße, UHW km 32,61 bis km 54,25 - Flusshavel -" vom 12. Dezember 2023.
2 Der Antragsteller zu 1 ist ein Verband, der nach seinen Angaben die deutsche Aquakultur und Binnenfischerei in allen Belangen auf nationalem, gemeinschaftlichem und internationalem Gebiet vertritt. Seine Mitglieder sind unter anderem sowohl Landesfischereiverbände und regionale Berufsfischerverbände, etwa die Fischereischutzgenossenschaft "Havel" Brandenburg e. G., als auch einzelne natürliche und juristische Personen. Der Antragsteller zu 2 verfügt in dem vom Planfeststellungsbeschluss betroffenen Gebiet über eigene Fischereirechte und übt dort die Binnenfischerei aus.
3 Die Antragsteller, die mit ihrer Klage (BVerwG 7 A 2.24 ) in erster Linie die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses begehren, beanstanden, dass eine Planrechtfertigung für das Vorhaben fehle und die Abwägung defizitär erfolgt sei. Es mangele an der notwendigen Sachverhaltsaufklärung zu im Beteiligungsverfahren dargelegten Alternativen, so etwa zur Erhöhung des Stauniveaus um 20 cm. Die planfestgestellte Maßnahme beeinträchtige Fischereirechte.
II
4 Der Antrag ist teilweise unzulässig (1.) und insgesamt unbegründet (2.).
5 1. a) Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich aus § 14e Abs. 1 Nr. 1 Bundeswasserstraßengesetz (WaStrG) i. V. m. § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO. Das planfestgestellte Vorhaben ist wegen der Herstellung der Deutschen Einheit in der Anlage 2 (Nr. 1: Untere Havel-Wasserstraße) zu § 14e Abs. 1 WaStrG aufgeführt. Die Fahrrinnenanpassung der Flusshavel ist Teil des Verkehrsprojektes Deutsche Einheit Nr. 17 (VDE 17), das den Ausbau der Wasserstraßenverbindung Hannover-Magdeburg-Berlin zum Inhalt hat (vgl. Abschnitt 1 Nr. 1 der Anlage zu § 1 Abs. 1 Bundeswasserstraßenausbaugesetz vom 23. Dezember 2016 - WaStrAbG).
6 b) Die Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Satz 1 WaStrG, der hier eine Ausbaumaßnahme betrifft, hat keine aufschiebende Wirkung. Dies ergibt sich aus § 14e Abs. 2 Satz 1 WaStrG. Dagegen ist hier der von den Antragstellern gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthaft. Die Frist gemäß § 14e Abs. 2 Satz 1 WaStrG, wonach der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses gestellt und begründet werden muss, haben die Antragsteller gewahrt.
7 c) Der Antragsteller zu 2 ist in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Da er vorträgt, im betroffenen Gebiet aufgrund eigener Fischereirechte die Binnenfischerei auszuüben, ist es zumindest möglich, dass er durch den Planfeststellungsbeschluss in seinen Rechten verletzt ist. Daran fehlt es bei dem Antragsteller zu 1 als Interessenverband, bei dem es sich nicht um eine anerkannte Umweltvereinigung im Sinne des § 3 UmwRG handelt. Eine mögliche Verletzung eigener Rechte - und nicht nur etwaiger Rechte seiner Mitglieder - hat er nicht dargelegt. Fischereirechte stehen nicht dem Verband, sondern - gegebenenfalls - einzelnen seiner Mitglieder zu. Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers zu 1 ist daher mangels Antragsbefugnis unzulässig.
8 2. Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage steht im Ermessen des Gerichts der Hauptsache (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die in diesem Rahmen vorzunehmende Abwägung zwischen dem Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin und dem Suspensivinteresse des Antragstellers zu 2 geht zu dessen Lasten aus. Dies beruht vor allem darauf, dass sich die Klage bei summarischer Prüfung ihrer Erfolgsaussichten als voraussichtlich unbegründet erweist.
9 a) Das Vorhaben ist planerisch gerechtfertigt. Die Planrechtfertigung folgt hier aus § 1 Abs. 2 WaStrAbG. Das Netz der Bundeswasserstraßen wird nach dem Bedarfsplan für die Bundeswasserstraßen ausgebaut, der dem Bundeswasserstraßenausbaugesetz als Anlage beigefügt ist. Wie bereits angesprochen, ist in dieser Anlage der Ausbau der Wasserstraßenverbindung Hannover-Magdeburg-Berlin als Nr. 1 des Abschnitts 1 aufgeführt. Die Feststellung dieses Bedarfs ist gemäß § 1 Abs. 2 WaStrAbG unter anderem für die Planfeststellung - hier nach § 14 WaStrG - verbindlich. Zudem ergibt sich aus § 14e Abs. 1 i. V. m. Anlage 2 zu § 14e Abs. 1 WaStrG, dass der Gesetzgeber den darin genannten Vorhaben eine besondere Priorität zuerkennt. Die gesetzliche Bedarfsfeststellung ist für die Planfeststellung und das gerichtliche Verfahren grundsätzlich verbindlich und vom Gericht nur darauf zu überprüfen, ob der Gesetzgeber den ihm insoweit zukommenden weiten Gestaltungs- und Prognosespielraum überschritten hat, weil die Bedarfsfeststellung evident unsachlich ist, es also für das Vorhaben offensichtlich keinen Bedarf gibt, der die Annahme des Gesetzgebers rechtfertigen könnte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Mai 2022 - 9 A 7.21 - BVerwGE 175, 312 Rn. 17). Dies ist hier nicht der Fall. Der Planfeststellungsbeschluss führt zudem plausibel aus, dass mit der Fahrrinnenanpassung der Flusshavel zugleich eine Lücke im Transeuropäischen Verkehrsnetz geschlossen werde. Mit dem Abschluss der Fahrrinnenanpassung der Flusshavel als letztem Streckenabschnitt des VDE 17 in der Unteren Havel-Wasserstraße werde ein wesentlicher Beitrag zum Abschluss des Gesamtprojekts geleistet (PFB S. 62 f.).
10 b) Der Planfeststellungsbeschluss leidet bei summarischer Prüfung an keinen Mängeln der Abwägung.
11 aa) Die Alternativenprüfung ist voraussichtlich nicht zu beanstanden. Das fachplanerische Abwägungsgebot (§ 14 Abs. 1 Satz 2 WaStrG) verlangt, sich ernsthaft anbietende Alternativlösungen bei der Zusammenstellung des abwägungserheblichen Materials zu berücksichtigen und mit der ihnen objektiv zukommenden Bedeutung in die vergleichende Prüfung der von den möglichen Alternativen jeweils berührten öffentlichen und privaten Belange einzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 2023 - 7 VR 3.23 - BVerwGE 179, 226 Rn. 29). Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit wären nur überschritten, wenn der Behörde beim Auswahlverfahren infolge fehlerhafter Ermittlung, Bewertung oder Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen wäre oder sich eine andere Variante unter Berücksichtigung aller Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Urteile vom 8. Januar 2014 - 9 A 4.13 - NVwZ 2014, 1008 Rn. 117 und vom 5. Oktober 2021 - 7 A 13.20 - BVerwGE 173, 296 Rn. 67 ff.).
12 Soweit im Planfeststellungsverfahren vorgeschlagen wurde, zur vollständigen Übereinstimmung des Vorhabens mit den Belangen der Fischerei eine Stauerhöhung um 20 cm vorzunehmen und damit die geplante Fahrrinnentiefe nicht über eine Vertiefung der Gewässersohle zu erreichen, dürfte es sich nicht um eine als geeignet in Betracht zu ziehende Alternative handeln. Im Planfeststellungsbeschluss wird hierzu ausgeführt, es sei nicht sicher, ob mit einer Stauerhöhung verlässliche Fahrrinnentiefen zu erreichen seien, da es unter anderem vom Wasserdargebot abhängig sei, ob die höheren Stauziele gehalten werden könnten. Bei einer Stauerhöhung sei mit Betroffenheiten zu rechnen, die über die durch das beantragte Vorhaben ausgelösten Betroffenheiten hinausgehen könnten. Dazu gehörten infrastrukturelle Belange sowie Belange der Landwirtschaft und des Hochwasserschutzes. So sei nicht auszuschließen, dass infolge der Stauerhöhung die Anhebung von Brücken für Straße und Schiene erforderlich sei, um weiterhin eine ausreichende Durchfahrtshöhe für den Schiffsverkehr zu gewährleisten; in Teilbereichen könne die Errichtung von Deichen notwendig werden (PFB S. 284). Abgesehen davon hat die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der baulichen Situation am Wehr Brandenburg eine Aufstauung aus technischen Gründen nicht erreichbar sei. Damit dürfte es sich bei dem Vorschlag sogar um ein anderes Projekt handeln, das nicht die Identität des Vorhabens wahrt und damit keine Alternative im fachplanungsrechtlichen Sinne, sondern ein Aliud gegenüber der vorgegebenen Planung darstellt. Ein solches Vorhaben muss nicht in die Alternativenprüfung einbezogen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Oktober 2021 - 7 A 13.20 - BVerwGE 173, 296 Rn. 80).
13 bb) Die Belange des Antragstellers zu 2 als Fischereirechtsinhaber und Berufsfischer wurden in der Abwägung voraussichtlich hinreichend berücksichtigt.
14 (1) Derzeit ist nicht ersichtlich, dass mit dem zugelassenen Vorhaben ein dauerhafter oder temporärer Verlust von Fischfangplätzen verbunden sein wird. Zwar liegen im betroffenen Gewässerabschnitt der Flusshavel mehrere Reusenfangplätze. Darunter befinden sich auch die Fangplätze bei UHW-km 34,50 (rechtes Ufer) und UHW-km 35,75 (linkes Ufer), die der Antragsteller zu 2 in der Antragsbegründung als Standorte seines Fischereibetriebs angibt. Diese Fangplätze können durch die Baggerarbeiten zum Erreichen der Ausbautiefen und der erforderlichen Ausbaubreiten betroffen sein (PFB S. 281). Die - vorübergehenden - Sohlbaggerungen führen jedoch aller Voraussicht nach nicht dazu, dass die Fischerei dort aufgehoben oder eine der Bedeutung nach gleiche Folge herbeigeführt wird. Die Anordnung A.III.9.1 des Planfeststellungsbeschlusses bestimmt, dass sich der Vorhabenträger mit den betroffenen Berufsfischern rechtzeitig vor Beginn der Sohlbaggerungen abzustimmen hat (PFB S. 45). Diese Regelung soll der Vermeidung von Beeinträchtigungen der betroffenen Reusenfangplätze dienen. Dadurch sollen die Auswirkungen auf ein Minimum beschränkt werden (PFB S. 308). Gründe, warum dies nicht der Fall sein könnte, legt die Antragsbegründung nicht dar.
15 (2) Der Antragsteller zu 2 kann sich bei summarischer Prüfung voraussichtlich nicht mit Erfolg auf drohende Ertragsverluste seines Fischereibetriebs infolge der Baggerarbeiten berufen. Die Belange von Berufsfischern haben gegenüber dem Ausbau einer Bundeswasserstraße, die in erster Linie verkehrlichen Interessen zu dienen bestimmt ist, insoweit nur geringes Gewicht. Bestimmte Fangchancen oder ein bestimmter Fischbestand sind nicht geschützt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 2017 - 7 A 1.17 - juris Rn. 52, 54 f.). Abgesehen davon wurden im Zuge der Bewertung der Umweltauswirkungen des Vorhabens im Planfeststellungsbeschluss die durch die Baggerungen hervorgerufenen Trübungen und das Risiko einer Aufnahme von Schadstoffen durch aufgewirbelte Schwebstoffe betrachtet. Das Risiko einer Aufnahme von Schadstoffen durch die Fische wurde anhand der vorliegenden Schwebstoff- und Sedimentuntersuchungen als gering bewertet. Im schlimmsten Fall könne danach eine Trübungsfahne eine Verhaltensreaktion der Fische auslösen, die zu einer Meidung der betroffenen Bereiche führen könne (PFB S. 76). Sich daraus etwa ergebenden Auswirkungen auf die Fangchancen der Fischereibetriebe soll mit der zuvor genannten Anordnung A.III.9.1 begegnet werden.
16 Durch die Vermeidungsmaßnahme VZ1 (LBP, Anhang 1, S. 39 f. - Anlage 1 zur Antragserwiderung) und die - diese erweiternde - Anordnung A.III.4.2 (PFB S. 41) soll gewährleistet werden, dass der Sauerstoffgehalt nicht für längere Zeit unter 4 mg O2/l sinkt. Hierzu wird bestimmt, dass die Vermeidungsmaßnahme VZ1, die Kontrollmessungen des Sauerstoffgehaltes und bei Unterschreitung des kritischen Grenzwertes an fünf aufeinander folgenden Tagen die Einstellung der Bautätigkeit vorsieht, in den zu überwachenden Bereichen kontinuierlich während der Bauzeit durchzuführen ist (s. a. PFB S. 80).
17 Mit den genannten Regelungen und Ausführungen im Planfeststellungsbeschluss setzt sich die Antragsbegründung nicht auseinander. Ebenso legt sie nicht dar, dass die Ablehnung der Forderung nach Entschlammung von Altarmen als Kompensationsmaßnahme im Planfeststellungsbeschluss (PFB S. 283) Auswirkungen auf den Fischereibetrieb des Antragstellers zu 2 haben könnte.
18 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.