Beschluss vom 19.08.2004 -
BVerwG 5 B 90.03ECLI:DE:BVerwG:2004:190804B5B90.03.0

Beschluss

BVerwG 5 B 90.03

  • VGH Baden-Württemberg - 26.05.2003 - AZ: VGH 9 S 1077/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. August 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. R o t h k e g e l und
Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:

  1. Die Beschwerden des Beklagten und der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 26. Mai 2003 werden zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs sind unbegründet.
1. Die vom Beklagten als alleiniger Zulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt der Rechtssache nicht zu.
Die von dem Beklagten aufgeworfene Frage,
ob "ein Kirchenaustritt im Rahmen des der Hauptfürsorgestelle (jetzt: Integrationsamt) zustehenden Ermessens gemäß § 15 SchwbG (jetzt: § 85 SGB IX) grundsätzlich zu einer Ermessensreduzierung auf Null (führt), so dass die hiernach erforderliche Zustimmung auch dann erteilt werden muss, wenn eine Neueinstellung des Arbeitnehmers in Anbetracht seiner Behinderung und seines Alters nur schwerlich erwartet werden kann, eine Beschäftigungsalternative beim kirchlichen Arbeitgeber aber nicht vorhanden ist,"
betrifft die einzelfallbezogene Anwendung des § 15 SchwbG in einem Fall, in dem als nicht mit der Schwerbehinderung zusammenhängender Kündigungsgrund der Austritt einer an einer kirchlichen Einrichtung tätigen Person aus der Kirche herangezogen wird, und lässt eine fallübergreifende, rechtsgrundsätzliche Klärung bislang nicht geklärter Fragen des § 15 SchwbG nicht erwarten.
In Bezug auf die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung behandelten Fragen der arbeitsrechtlichen Gewichtung und Bewertung eines in einem Kirchenaustritt eines kirchlichen Mitarbeiters liegenden "Loyalitätsverstoßes" ist geklärt, dass in den Fällen, in denen - wie nach den nicht mit beachtlichen Zulassungsrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts im vorliegenden Fall - das Verhalten des Arbeitnehmers, das den Kündigungsgrund bildet, in keinerlei Zusammenhang mit seiner Schwerbehinderteneigenschaft steht, von der Hauptfürsorgestelle grundsätzlich nicht zu prüfen ist, ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist (Urteil vom 2. Juli 1992 - BVerwG 5 C 51.90 - BVerwGE 90, 287 <294>), mithin hier die Frage der sozialen Rechtfertigung einer von einem kirchlichen bzw. kirchlich gebundenen Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung wegen Kirchenaustritts seines Arbeitnehmers nicht vom Beklagten zu entscheiden ist. In der von dem Berufungsgericht herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist weiterhin geklärt, dass der Beklagte eine Ermessensentscheidung zu treffen hat, bei der das Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes abzuwägen ist (Urteil vom 19. Oktober 1995 - BVerwG 5 C 24.93 - BVerwGE 99, 336 = Buchholz 436.61 § 15 SchwbG Nr. 10; s. auch Urteil vom 2. Juli 1992 - BVerwG 5 C 51.90 - a.a.O. = Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1986 Nr. 6). Es versteht sich von selbst und bedarf keiner revisionsgerichtlichen Klärung, dass bei einem kirchlichen oder kirchlich gebundenen Arbeitgeber der Austritt eines Arbeitnehmers aus der Kirche als "Loyalitätsverstoß" ein Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses begründen kann, dem indes das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Erhalt entgegenstehen kann, und dass bei der bundesrechtlich gebotenen - und hier von dem Berufungsgericht auch vorgenommenen - Abwägung eine Reduktion des Ermessens, das der Beklagten eingeräumt ist, auf eine bestimmte Entscheidung weder nach allgemeinen Grundsätzen noch mit Blick auf die für Betriebsschließungen oder -einschränkungen geregelten Einschränkungen der Ermessensentscheidung (§ 19 SchwbG) ausgeschlossen ist. Ob im Einzelfall die Voraussetzungen einer Ermessensreduktion vorliegen, entzieht sich dann ebenso der revisionsgerichtlichen Klärung wie die einzelfallbezogene Gewichtung des durch den Kirchenaustritt bewirkten Interesses des kirchlichen oder kirchlich gebundenen Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerde hat das Berufungsgericht bei seiner einzelfallbezogenen Abwägung auch nicht in fallübergreifender Klärung zugänglicher Weise dahin erkannt, dass unabhängig von den vom Berufungsgericht erkannten (S. 12 unten des Berufungsurteils) Interessen der Klägerin bei einem kirchlichen oder kirchlich gebundenen Arbeitgeber der Austritt eines Arbeitnehmers aus der Kirche grundsätzlich oder gar stets eine Ermessensreduktion bewirke; ein solches Verständnis des Berufungsurteils ist bereits im Hinblick darauf ausgeschlossen, dass der Verwaltungsgerichtshof bei seiner Abwägung auf das Selbstverständnis der Klägerin, die Zielsetzung ihrer Tätigkeit, die Ausgestaltung der arbeitsvertraglichen Beziehungen zur Beigeladenen sowie den Umstand abgestellt hat, dass die Beigeladene als leitende Stationsschwester zu den leitenden Mitarbeitern rechne (S. 13 des Berufungsurteils).
2. Auch die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision ist nicht begründet. Die geltend gemachte Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor.
Entgegen der Behauptung der Beschwerde weicht das Berufungsurteil nicht von der in dem Urteil des erkennenden Senats vom 19. Oktober 1995 (a.a.O., S. 337 f.) getroffenen Aussage ab, dass die Hauptfürsorgestelle bei der Ausübung des besonderen Kündigungsschutzes nach § 15 SchwbG, soweit nicht die besonderen Voraussetzungen des § 19 SchwbG erfüllt seien, eine Ermessensentscheidung treffe, bei welcher das Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes abzuwägen sei. Das Berufungsgericht ist in einzelfallbezogener Anwendung dieses nicht bestrittenen Grundsatzes ohne Bildung eines entgegenstehenden Rechtssatzes lediglich zu einem bestimmten Abwägungsergebnis gelangt. Der von der Beschwerde dem Berufungsurteil "sinngemäß" entnommene Rechtssatz, dass es "- jedenfalls bei Mitarbeitern in Führungsfunktionen - von der Hauptfürsorgestelle hingenommen werden (müsse, wenn) ein christlich-kirchlicher Arbeitgeber die Zugehörigkeit zu einer christlichen Glaubensgemeinschaft (fordere) und ... den Kirchenaustritt als Abkehr vom christlichen Glauben (werte)", ist so von dem Berufungsgericht nicht aufgestellt worden und umschreibt lediglich das Ergebnis der einzelfallbezogenen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
Entgegen der Annahme der Beschwerde liegt eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auch nicht in der von der Beigeladenen aus dem Berufungsurteil herausgelesenen und als "abstrakten Rechtssatz" verstandenen Aussage, dass "die Belange des schwerbehinderten Arbeitnehmers keine Berücksichtigung finden, liegt ein solcher Loyalitätsverstoß vor"; einen solchen Rechtssatz hat das Berufungsgericht nicht aufgestellt, das die einer Kündigung widerstreitenden Belange der Beigeladenen erkannt und berücksichtigt hat und lediglich bei der einzelfallbezogenen Anwendung des § 15 SchwbG nicht hat durchschlagen lassen. Schon aus diesem Grund besteht insbesondere auch keine Divergenz gegenüber dem in dem Urteil des Senats vom 28. Februar 1968 - BVerwG 5 C 33.66 - (BVerwGE 29, 140 <142>) enthaltenen Rechtssatz, dass die Verwaltungsgerichte nicht die vertretbaren Ansichten der Verwaltungsbehörden korrigieren dürfen, weil sie sonst in das behördliche Ermessen eingreifen würden. Soweit die Beigeladene die Voraussetzungen einer Ermessensreduktion nicht als gegeben sieht, mag dies als fehlerhafte Rechtsanwendung zu bewerten sein; eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, die eine Abweichung im abstrakten Rechtssatz voraussetzt, wäre darin aber nicht zu sehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.