Beschluss vom 23.02.2021 -
BVerwG 9 B 2.20ECLI:DE:BVerwG:2021:230221B9B2.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.02.2021 - 9 B 2.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:230221B9B2.20.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 2.20

  • VGH München - 25.10.2019 - AZ: VGH 8 A 16.40030

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Februar 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Martini und Dr. Dieterich
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

3 1. Die Frage,
ob es die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG i.V.m. § 2 Abs. 6 Nr. 2 UVPG verletzt, wenn eine anerkannte Umweltvereinigung im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss die Nichtdurchführung eines Raumordnungsverfahrens nicht zur gerichtlichen Prüfung stellen kann,
ist nicht entscheidungserheblich.

4 Der Verwaltungsgerichtshof hat entscheidungstragend darauf abgestellt, dass nach der zum maßgeblichen Zeitpunkt (Erlass des Planfeststellungsbeschlusses, hier: 24. Mai 2016) anwendbaren Rechtsgrundlage (hier: Art. 24 Abs. 1 BayLPlG) keine Pflicht zur erneuten Durchführung eines Raumordnungsverfahrens bestand und dies näher erläutert (UA Rn. 47 ff.). Als weitere - selbständig tragende - Begründung hat er angeführt, dass ein Raumordnungsverfahren - seine Erforderlichkeit unterstellt - weder formelle noch materielle Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Planfeststellung sei; selbst ein rechtswidriger Verzicht führe nicht zur Rechtswidrigkeit der Planfeststellung (UA Rn. 51 f.). Schließlich hat er - drittens - angenommen, dass der Kläger - ungeachtet seiner Stellung als Umwelt- und Naturschutzverband - nach den Regelungen des Bayerischen Landesplanungsgesetzes keinen Anspruch auf Durchführung eines Raumordnungsverfahrens habe, sodass er sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen könne, ein solches Verfahren sei zu Unrecht unterblieben (UA Rn. 53 ff.).

5 Die oben genannte Frage betrifft die dritte Begründung. Wird ein Urteil aber wie hier auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, muss gegen jede der tragenden Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden, der die Zulassung rechtfertigt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 2020 - 9 B 61.19 - juris Rn. 7). Daran fehlt es. Die Beschwerde setzt sich weder mit der Annahme des Gerichts auseinander, nach bayerischem Landesrecht (Art. 24 Abs. 1 BayLPlG) bedürfe es im vorliegenden Fall keiner erneuten Durchführung eines Raumordnungsverfahrens noch mit der Annahme, selbst ein rechtswidriger Verzicht führe nicht zur Rechtswidrigkeit der Planfeststellung. Es kommt hinzu, dass die erste tragende Annahme die Auslegung des nicht revisiblen Landesrechts betrifft, an die das Bundesverwaltungsgericht in einem etwaigen Revisionsverfahren nach § 560 ZPO i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO gebunden wäre.

6 2. Die Frage,
ob gemäß § 77 WHG, ungeachtet der Regelungen des § 78 WHG, eine eigenständige, nachvollziehende Abwägung dahingehend erforderlich ist, dass das Interesse an der Integrität einer natürlichen Rückhaltefläche dem Interesse an einem Eingriff in ein festgesetztes oder faktisches Überschwemmungsgebiet gegenübergestellt wird,
rechtfertigt ebenfalls keine Zulassung der Revision. Denn die Beschwerde setzt sich auch insoweit nicht hinreichend mit den tragenden Erwägungen des angegriffenen Urteils auseinander.

7 Der Kläger stützt seine Auffassung, aus § 77 WHG 2010 ergebe sich eine eigenständige Abwägungspflicht, auf den Wortlaut der Norm (Sätze 1 und 2). Danach sind Überschwemmungsgebiete im Sinne des § 76 WHG 2010 in ihrer Funktion als Rückhalteflächen zu erhalten. Soweit überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit dem entgegenstehen, sind rechtzeitig die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu treffen.

8 Der Verwaltungsgerichtshof verneint eine eigenständige, von der planerischen Abwägung zu trennende Abwägungspflicht und begründet dies wie folgt:

9 Zwar gelte § 77 WHG 2010 auch für sog. faktische, also weder förmlich festgesetzte noch vorläufig gesicherte Überschwemmungsgebiete. Die Norm enthalte aber für wasserrechtliche Planfeststellungen keine zwingenden rechtlichen Vorgaben. Dies folge zum einen aus der Sonderregelung des § 68 Abs. 3 Nr. 1 WHG 2010, der bereits als materiell-rechtliche Anforderung festlege, dass ein Plan nur festgestellt werden dürfe, wenn eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, vor allem eine Zerstörung natürlicher Rückhalteflächen, nicht zu erwarten sei. Zum anderen verdeutliche § 67 Abs. 1 WHG 2010, dass das Erfordernis, natürliche Rückhalteflächen zu erhalten, eine spezielle, im Rahmen der Abwägung zu beachtende Anforderung für den Gewässerausbau darstelle. Diese Regelung erfülle die Funktion, Planungsleitlinien aufzustellen, die die planerische Abwägung steuern, und enthalte kein dem planerischen Abwägungsvorgang vorgelagertes, zwingendes Recht. Insofern werde § 77 WHG 2010 für derartige Planfeststellungen verdrängt.

10 Selbst wenn dem Kläger gefolgt würde und § 77 WHG 2010 auch im Planfeststellungsverfahren für den Gewässerausbau gemäß § 68 Abs. 1 i.V.m. § 67 Abs. 2 Satz 1 und 3 WHG 2010 eine eigenständige, von der planerischen Abwägung zu trennende (nachvollziehende und gerichtlich voll überprüfbare) Abwägungsentscheidung fordern würde, könnte dies im Übrigen dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden.

11 Insbesondere würden weder nachteilige Auswirkungen auf die Abflussverhältnisse noch auf die Wasserstände verbleiben. Vielmehr sei ein Gewinn an Retentionsraum zu bilanzieren. Der Funktionserhalt wäre durch das Vorhaben gewährleistet.

12 Soweit er einen Verstoß gegen § 77 WHG 2010 verneint, stützt der Verwaltungsgerichtshof dies damit auf zwei selbständig tragende Gründe. Zum einen hält er § 77 WHG 2010 für durch § 68 Abs. 3 Nr. 1 und § 67 Abs. 1 WHG 2010 als spezielle Regelungen für den Gewässerausbau verdrängt. Zum anderen geht er davon aus, dass § 77 WHG 2010, seine Anwendbarkeit unterstellt, nicht verletzt ist, weil die Überschwemmungsgebiete in ihrer Funktion als Rückhalteflächen erhalten bleiben. Es hätte deshalb - wie oben ausgeführt - gegen jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden müssen, der die Zulassung der Revision rechtfertigt. Dies ist jedoch nicht geschehen.

13 Die vom Kläger aufgeworfene Grundsatzfrage zielt nach der Beschwerdebegründung darauf ab, ob § 77 Satz 2 WHG 2010 mit der Voraussetzung, dass überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit dem Erhalt der Überschwemmungsgebiete entgegenstehen, eine Abwägung erfordert, bei der das Interesse an der Integrität einer natürlichen Rückhaltefläche dem Interesse an einem Eingriff in ein festgesetztes oder faktisches Überschwemmungsgebiet gegenübergestellt wird. Sie betrifft daher die Auslegung dieser Regelung und damit nur die Gründe, aus denen der Verwaltungsgerichtshof, die Anwendbarkeit des § 77 WHG 2010 unterstellt, dessen Verletzung verneint hat. Sie bezieht sich aber nicht auf die Begründung dafür, dass § 77 WHG 2010 durch die speziellen Regelungen zum Gewässerausbau verdrängt wird. Damit hat sich die Beschwerdebegründung vielmehr in keiner Weise auseinandergesetzt und dementsprechend insoweit auch keine Zulassungsgründe dargelegt.

14 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.