Beschluss vom 24.08.2022 -
BVerwG 2 B 26.22ECLI:DE:BVerwG:2022:240822B2B26.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.08.2022 - 2 B 26.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:240822B2B26.22.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 26.22

  • VG Dresden - 15.09.2020 - AZ: 10 K 528/19.D
  • OVG Bautzen - 14.01.2022 - AZ: 12 A 786/20.D

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. August 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden
und Dr. Meister
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. Januar 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 1. Der Rechtsstreit betrifft ein Disziplinarverfahren wegen eines außerdienstlichen Dienstvergehens.

2 Der Beklagte stand zuletzt als Polizeihauptkommissar (Besoldungsgruppe A 11 BBesO) im Dienst der Klägerin. Mit Ablauf des Monats Mai 2016 wurde er wegen Erreichens der Altersgrenze in den Ruhestand versetzt.

3 Das Amtsgericht H. verurteilte den Beklagten mit rechtskräftigem Urteil vom April 2017 wegen Untreue in mehreren Fällen zum Nachteil eines Vereins, dessen Kassierer der Beklagte gewesen war, zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen. Daraufhin hat die Klägerin nach Durchführung eines Disziplinarverfahrens Disziplinarklage mit dem Ziel der Aberkennung des Ruhegehalts gegen den Beklagten erhoben.

4 Das Verwaltungsgericht hat dem Beklagten wegen eines außerdienstlichen Dienstvergehens das Ruhegehalt aberkannt. Die Berufung hiergegen ist vor dem Oberverwaltungsgericht erfolglos geblieben.

5 2. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde des Beklagten hat weder eine Abweichung gemäß § 69 BDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO noch einen Verfahrensmangel i. S. v. § 69 BDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO dargelegt.

6 a) Die Divergenzrüge genügt bereits nicht den Darlegungsanforderungen.

7 Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt nicht den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 15. Januar 2020 - 2 B 38.19 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 Nr. 99 Rn. 14).

8 Die Beschwerde rügt, das Sächsische Oberverwaltungsgericht sei nicht für alle entlastenden Umstände offen gewesen und damit von der Rechtsprechung des Senats abgewichen, wonach Delikte mit einer möglichen Variationsbreite der Begehungsformen einer sorgsamen Würdigung der Einzelfallumstände bedürften und die Disziplinargerichte für eine solche Betrachtung und Ausschöpfung des Orientierungsrahmens — nach oben wie nach unten — unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände offen sein müssten (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 17. Juni 2019 - 2 B 82.18 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 67 Rn. 15). Die im Urteil aufgeführten entlastenden Umstände habe das Gericht unzutreffenderweise sämtlich für "geringfügig oder gar selbstverständlich" gehalten. Nicht hinreichend berücksichtigt worden sei auch, dass es sich beim Beklagten um einen Ruhestandsbeamten handele.

9 Dieser Vortrag zeigt keinen vom Berufungsgericht aufgestellten Rechtssatz auf, der von einem Rechtssatz eines divergenzfähigen Gerichts abweicht. Die Rüge macht vielmehr allein eine vorgeblich fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht geltend, mit der eine Divergenz nicht begründet werden kann.

10 Soweit der Beklagte der Sache nach vorträgt, in seinem Beschluss vom 17. Juni 2019 - 2 B 82.18 - (Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 67) habe der Senat ausgeführt, bei außerdienstlichen Verfehlungen dürfe nicht nur eine allgemeine Abwägung (der be- und entlastenden Gesichtspunkte) vorgenommen werden, sondern es sei zu prüfen, ob ein Ausnahmefall vorliege, der es rechtfertige den Orientierungsrahmen auszuschöpfen, hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung keinen abweichenden Maßstab zugrunde gelegt. Die Frage, ob die ausschließende Würdigung diesen Vorgaben entspricht, betrifft die Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall, die eine Divergenz nicht zu begründen vermag.

11 Gleiches gilt schließlich auch für den Vortrag, das Oberverwaltungsgericht habe mit seiner Entscheidung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen sowie den allgemeinen Gleichheitssatz nicht beachtet und weiche damit von verschiedenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ab. Die Ausführungen dazu in der Beschwerdebegründung erschöpfen sich in einer allgemeinen Kritik an der Entscheidung im Stile einer Berufungsbegründung und sind daher nicht geeignet, den Revisionszulassungsgrund der Divergenz zu begründen.

12 b) Der geltend gemachte Verfahrensfehler in Form einer Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.

13 Das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet jedem Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, zu dem gesamten Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung zu nehmen. Das Gericht darf bei seiner Entscheidung nur solche Teile des Prozessstoffes berücksichtigen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Dies setzt deren Kenntnis vom Prozessstoff voraus (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Februar 1994 - 1 BvR 765/89 u. a. - BVerfGE 89, 381<392> und vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <129>). Darüber hinaus darf das Gericht bei seiner Entscheidung nicht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht (stRspr, BVerfG, Beschlüsse vom 7. Oktober 2003 - 1 BvR 10/99 - BVerfGE 108, 341 <345 f.>; Kammerbeschluss vom 15. Februar 2011 - 1 BvR 980/10 - NVwZ-RR 2011, 460 Rn. 13). Das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte indes nicht, einem tatsächlichen Umstand die vom Kläger erwünschte Bedeutung beizumessen oder seiner Rechtsansicht zu folgen (BVerwG, Beschluss vom 14. Oktober 2014 - 2 B 59.14 - juris Rn. 3 m. w. N.).

14 Die Beschwerde trägt in diesem Zusammenhang vor, bei der Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Disziplinarmaßnahme hätten zunächst noch einmal die entlastenden Umstände betrachtet werden müssen. Wenn diese mit Blick auf den Orientierungsrahmen ausgeschöpft worden wären und beachtet worden wäre, dass aus strafrechtlicher Sicht "nur von einem mittleren Bereich" auszugehen gewesen sei, hätte das Berufungsgericht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf die Höchstmaßnahme erkannt.

15 Mit dieser Rüge ist kein Anhörungsmangel dargetan. Der Beklagte wendet sich vielmehr gegen die rechtliche und gegebenenfalls tatsächliche Würdigung des Berufungsgerichts. Einen Anspruch darauf, dass das Gericht seiner Auffassung folgt, ergibt sich aus dem Recht auf rechtliches Gehör — wie dargelegt — für ihn jedoch nicht.

16 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil die Gerichtsgebühren gesetzlich festgelegt sind (§ 78 Satz 1 BDG i. V. m. Nr. 62 der Anlage zu § 78 BDG).