Verfahrensinformation

Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen mit Sitz in Deutschland, sie gehört als Tochterunternehmen zu einem Schweizer Mutterkonzern, der weltweit über Produktionsstätten verfügt und im Besitz der Erlaubnis zum Arzneimittelgroßhandel nach schweizerischem Recht ist. Die Klägerin erwirbt ihre Arzneimittel von dem Schweizer Mutterkonzern; diese werden jedoch unmittelbar aus Frankreich von einem dort ansässigen Schwesterunternehmen geliefert, welches im Besitz einer von den französischen Behörden ausgestellten Herstellungserlaubnis ist. Die kaufmännische Abwicklung über die Schweiz („swiss invoicing“) geht nach Angaben der Klägerin im Wesentlichen auf steuerliche Gründe zurück.


Die Bezirksregierung Düsseldorf beanstandete dieses Vertriebsmodell mit Bescheid vom 6. Juni 2016, weil der Schweizer Lieferant nicht über die Berechtigung zur Abgabe von Lebensmitteln an die deutsche Klägerin verfüge. Die in der Schweiz erteilte Genehmigung reiche hierfür nicht aus.


Die hiergegen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass grundsätzlich für alle Akteure der Arzneimittel-Lieferkette eine von einem EU-Mitgliedstaat erteilte Genehmigung vorliegen müsse. Dies gelte auch dann, wenn - wie hier - die Arzneimittel selbst in der Europäischen Union hergestellt werden und diese nicht verlassen.


Mit der bereits vom Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.


Urteil vom 25.02.2021 -
BVerwG 3 C 1.20ECLI:DE:BVerwG:2021:250221U3C1.20.0

Bezug von Arzneimitteln, die von einem Schweizer Lieferanten erworben, aber in Frankreich hergestellt werden

Leitsatz:

Arzneimittelgroßhändler dürfen ihre Vorratsbestände an Arzneimitteln nur bei Personen beschaffen, die über eine von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union erteilte Erlaubnis verfügen. Eine nach schweizerischem Recht erteilte Erlaubnis zum Großhandel mit Arzneimitteln genügt hierfür nicht.

  • Rechtsquellen
    RL 2001/83/EG Art. 40 Abs. 3, Art. 77 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1, Art. 85a, 85b Abs. 1 Unterabs. 2
    AMG § 4 Abs. 22 und 32, §§ 52a, 52c, 69 Abs. 1 Satz 1, § 72 Abs. 1 Satz 1
    AM-HandelsV § 1 Satz 1, § 4a Abs. 1

  • VG Düsseldorf - 21.06.2017 - AZ: VG 16 K 8045/16
    OVG Münster - 19.11.2019 - AZ: OVG 13 A 1951/17

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 25.02.2021 - 3 C 1.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:250221U3C1.20.0]

Urteil

BVerwG 3 C 1.20

  • VG Düsseldorf - 21.06.2017 - AZ: VG 16 K 8045/16
  • OVG Münster - 19.11.2019 - AZ: OVG 13 A 1951/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Februar 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß und Dr. Kenntner
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. November 2019 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Rechtsstreit betrifft die Voraussetzungen für den Bezug von Arzneimitteln, die von einem Schweizer Lieferanten verkauft, aber in Frankreich hergestellt und von dort in die Bundesrepublik geliefert werden.

2 Die Klägerin, ein pharmazeutisches Unternehmen mit Sitz in Deutschland, ist Inhaberin einer Herstellungserlaubnis sowie einer Erlaubnis zum Großhandel mit Arzneimitteln und vertreibt im Bundesgebiet Arzneimittel. Sie gehört als Tochterunternehmen zu einem Schweizer Mutterkonzern, der weltweit über Produktionsstätten verfügt und im Besitz einer Erlaubnis zum Arzneimittelgroßhandel nach schweizerischem Recht ist. Die Klägerin hat mit ihrem Mutterkonzern eine Vereinbarung getroffen, auf deren Grundlage sie Arzneimittel von ihm erwirbt. Die Arzneimittel werden in einem in Frankreich ansässigen Schwesterunternehmen, das im Besitz einer von den französischen Behörden ausgestellten Herstellungserlaubnis ist, hergestellt und unmittelbar von dort an die Klägerin geliefert. Die kaufmännische Abwicklung über die Schweiz beruht nach Angaben der Klägerin auf steuerlichen Gründen.

3 Nachdem die Bezirksregierung Düsseldorf im März 2016 eine Inspektion in den Räumen der Klägerin durchgeführt hatte, verfasste sie unter dem 6. Juni 2016 einen Inspektionsbericht, der in Ziffer 6.2 "schwerwiegende Fehler und Mängel" feststellte. Unter Ziffer 6.2.6 (Vertriebsmodell ..., ...) heißt es dort:
"Die ... GmbH bezieht die im Vertrag genannten Arzneimittel von der ..., Schweiz. Für diese globalen Produkte führt die ... GmbH keinen Herstellungsschritt durch, sie ist jedoch für die meisten Produkte der pharmazeutische Unternehmer. Obwohl die Arzneimittel körperlich aus der EU (Frankreich) geliefert werden, erfolgt der Handel mit der in der Schweiz (Drittland) ansässigen Firma ... Die ... verfügt nicht über eine Erlaubnis zum Großhandel mit Arzneimitteln in der EU. Somit werden die Arzneimittel von einem nicht zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Großhändler bezogen (§ 4a (1) AM-HandelsV)."

4 Mit Bescheid vom 6. Juni 2016 erließ die Bezirksregierung Düsseldorf Anordnungen zur Beseitigung der festgestellten Verstöße. Sie forderte die Klägerin darin u.a. auf, die im Inspektionsbericht unter 6.2 genannten Mängel innerhalb von drei Monaten nach Zugang des Bescheids abzustellen und dies unter Vorlage geeigneter Nachweise schriftlich anzuzeigen.

5 Gegen den auf Ziffer 6.2.6 des Inspektionsberichts Bezug nehmenden Teil der Verfügung hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben. Das gewählte Vertriebsmodell stehe im Einklang mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften. Nach Art. 85a Satz 2 und 3 der Richtlinie 2001/83/EG sei der Bezug von Arzneimitteln aus Drittländern ausdrücklich erlaubt, wenn der Verkäufer eine nach den einschlägigen Vorschriften des Drittstaats erteilte Großhandelsgenehmigung besitze. Aus § 4a der deutschen Arzneimittelhandelsverordnung ergebe sich nichts anderes, weil die Vorschrift auch in Drittländern erteilte Berechtigungen zur Abgabe von Arzneimitteln umfasse. Die von dem Beklagten befürchtete Sicherheitslücke könne nicht entstehen, weil die Arzneimittel innerhalb der Europäischen Union und mit gültiger Erlaubnis hergestellt und von dort unmittelbar nach Deutschland geliefert würden.

6 Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat die Klage abgewiesen; die hiergegen gerichtete Berufung hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückgewiesen. Mit dem Erwerb von Arzneimitteln von ihrer in der Schweiz ansässigen Konzernmutter verstoße die Klägerin gegen § 4a Abs. 1 der Arzneimittelhandelsverordnung. Die von einem Drittstaat ausgestellte Berechtigung zur Abgabe von Arzneimitteln genüge den Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht. Dies folge zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm, die einschränkende Auslegung sei aber schon mit Blick auf die unionsrechtlichen Vorgaben geboten. Danach müsse grundsätzlich für alle Akteure der Lieferkette eine von einem EU-Mitgliedstaat erteilte Genehmigung vorliegen. Die von der Klägerin in Anspruch genommene Ausnahmeregelung in Art. 85a Satz 2 der Richtlinie 2001/83/EG erfasse nur die Ausfuhr und damit nicht die vorliegende Fallgestaltung. Entgegen der Auffassung der Klägerin werde sie dadurch auch nicht schlechter gestellt als im Fall der physischen Einführung der Arzneimittel aus der Schweiz; vielmehr bedürfe sie hierfür der in §§ 72 und 72a des Arzneimittelgesetzes geregelten Erlaubnis.

7 Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts entspreche das beanstandete Vertriebsmodell den Voraussetzungen der Arzneimittelhandelsverordnung, weil ihr Lieferant über eine Schweizer Großhandelserlaubnis verfüge und damit zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigt sei. Da die Arzneimittel physisch von einem großhandelsbefugten Hersteller aus einem anderen EU-Mitgliedstaat beschafft würden, bedürfe es auch keiner zusätzlichen Sicherheitsprüfung. Hieran ändere die rein buchhalterische Abwicklung der Bestellung über ein Unternehmen in der Schweiz nichts. Diese Einordnung folge im Übrigen bereits aus dem Erfordernis einer richtlinienkonformen Auslegung. Denn nach Art. 85a Satz 2 und 3 der Richtlinie 2001/83/EG reiche es aus, dass der Lieferant über eine Zulassung in seinem Land verfüge. Unabhängig hiervon müsse von einer unmittelbar gesetzlichen Berechtigung des Schweizer Lieferanten ausgegangen werden. Dies folge aus einem Erst-Recht-Schluss, weil eine physische Einfuhr aus der Schweiz gemäß § 72 des Arzneimittelgesetzes erlaubnisfähig sei, und das gewählte Vertriebsmodell, bei dem die Arzneimittel in Frankreich hergestellt und die Europäische Union niemals verlassen würden, nicht schlechter gestellt werden dürfe.

8 Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verweist darauf, dass das Genehmigungserfordernis nicht zuletzt dazu diene, den zuverlässigen Schutz gegen das Einbringen gefälschter Lebensmittel in die legale Lieferkette auch bei unübersichtlichen Lieferketten sicherzustellen. Vertriebsmodelle, bei denen Akteure aus Drittländern beteiligt würden, seien hierfür besonders anfällig. Schließlich liege die vorgetragene Schlechterstellung nicht vor, weil bei einem physischen Import der Arzneimittel aus der Schweiz eine Einfuhrerlaubnis und ein Einfuhrzertifikat benötigt würden und damit strengere Voraussetzungen erfüllt werden müssten.

II

9 Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet, das angefochtene Berufungsurteil verletzt kein revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Arzneimittelgroßhändler dürfen ihre Vorratsbestände nur bei Personen beschaffen, die über eine von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union erteilte Erlaubnis verfügen. Eine nach schweizerischem Recht erteilte Erlaubnis zum Großhandel mit Arzneimitteln genügt hierfür nicht (1.). Dies steht mit den Vorgaben des Unionsrechts in Einklang (2.).

10 1. Rechtsgrundlage der angegriffenen Verfügung ist § 69 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz - AMG) vom 24. August 1976 (BGBl. I S. 2445), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. April 2020 (BGBl. I S. 960). Danach trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Diesen Voraussetzungen entspricht die streitige Anordnung, den Mangel abzustellen, der in der Beschaffung von Arzneimitteln bei der in der Schweiz ansässigen ... liegt. Nach § 4a Abs. 1 der Verordnung über den Großhandel und die Arzneimittelvermittlung (Arzneimittelhandelsverordnung - AM-HandelsV) vom 10. November 1987 (BGBl. I S. 2370), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397), dürfen Arzneimittel nur von zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Betrieben erworben werden. Dies setzt eine von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union erteilte Erlaubnis voraus.

11 a) Das beanstandete Vertriebsmodell der Klägerin weist zwar Parallelen zu einem Einfuhrtatbestand auf, weil die Arzneimittel von einem Schweizer Unternehmen erworben werden. Eine Einfuhr im Sinne des Arzneimittelgesetzes liegt aber nicht vor, weil die Arzneimittel nicht aus einem Drittstaat in den zollrechtlich freien Verkehr des Europäischen Wirtschaftsraums überführt werden (vgl. § 4 Abs. 32 Satz 2 AMG). Die Arzneimittel werden vielmehr in Frankreich hergestellt und dort auch freigegeben (vgl. den Gesprächsvermerk vom 18. Juli 2016, Behördenakte Bl. 101). Dies ist von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat ausdrücklich bestätigt worden. Die Beschaffung stellt daher einen Großhandel mit Arzneimitteln dar (vgl. § 4 Abs. 22 AMG) und unterliegt den Vorgaben der Arzneimittelhandelsverordnung (§ 1 Satz 1 AM-HandelsV).

12 b) Nach § 4a Abs. 1 AM-HandelsV dürfen Arzneimittel nur von zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Betrieben erworben werden. Abweichend vom Wortlaut der Norm in der ursprünglichen Fassung vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 2031), der noch auf die Erlaubnisse aus § 13 und § 52a AMG Bezug genommen hatte, fehlt in der aktuellen Formulierung zwar eine ausdrückliche Bestimmung der geforderten Berechtigung. Bereits die Entstehungsgeschichte der Regelung macht aber deutlich, dass der Normgeber mit der Streichung der Bezugnahme auf die nach dem deutschen Arzneimittelgesetz erteilten Erlaubnisse durch Gesetz vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2192) die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311 S. 67) umsetzen (vgl. BT-Drs. 17/9341 S. 72) und damit die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erteilten Erlaubnisse einbeziehen wollte.

13 Dieser Zusammenhang wird insbesondere an der Änderung des § 4a Abs. 3 AM-HandelsV in der Fassung vom 2. Juli 2018 (BGBl. I S. 1080) deutlich. Denn mit dieser Novellierung ist neben der Erlaubnis nach § 52a AMG ausdrücklich die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union für den Großhandel mit Arzneimitteln erteilten Genehmigung nach Art. 77 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG gestellt worden. Ausweislich der Entwurfsbegründung sollte damit klargestellt werden, "dass Arzneimittel nicht nur von Erlaubnisinhabern im Inland, sondern auch von entsprechenden Erlaubnisinhabern im EU-Ausland bezogen werden können" (BR-Drs. 143/18 S. 13 zu Nummer 1 Buchst. b).

14 Genehmigungen, die von Drittstaaten erteilt worden sind, werden von dieser Änderung nicht erfasst. Die Entstehungsmaterialien bieten auch sonst keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Normgeber mit § 4a Abs. 1 AM-HandelsV in der Fassung vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2192) auch in Drittstaaten erteilte Genehmigungen einbeziehen wollte. Vielmehr hat er mit der Einführung des Erlaubnisvorbehalts in § 4a AM-HandelsV das Ziel verfolgt, das Eindringen gefälschter Arzneimittel in die legale Lieferkette zu verhindern (vgl. BT-Drs. 15/2109 S. 40 sowie BT-Drs. 17/9341 S. 72). Gerade unübersichtliche Bezugswege mit Beteiligten aus Drittstaaten erhöhen aber ein solches Risiko. Sinn und Zweck der Norm stehen einer Ausdehnung der Berechtigung auf die von Drittstaaten erteilten Genehmigungen daher ebenfalls entgegen.

15 c) Die Regelung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Mit ihren Rügen geht die Klägerin von einem zu engen Begriff der Arzneimittelsicherheit aus. Die Einbeziehung aller Akteure der Arzneimittellieferkette in die arzneimittelrechtliche Kontrolle ist eine Maßnahme zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit.

16 Nach § 52c Abs. 1 AMG darf auch ein Arzneimittelvermittler im Bundesgebiet nur tätig werden, wenn er hier oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum einen Sitz hat. Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber Gefahren für die Arzneimittelsicherheit nicht nur bei der körperlichen Verbringung von Arzneimitteln sieht. Zur Einhaltung der Anforderungen einer guten Vertriebspraxis für Arzneimittel hält der Gesetzgeber vielmehr einen umfassenden Schutz der Lieferkette vor dem Eindringen von Arzneimittelfälschungen für erforderlich (vgl. BT-Drs. 17/9341 S. 58 f.).

17 Die Einbeziehung selbst der Arzneimittelvermittler in das System einer umfassenden mitgliedstaatlichen Kontrolle geht auf Art. 85b Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der durch die Richtlinie 2011/62/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 (ABl. L 174 S. 74) geänderten Fassung zurück. Danach müssen auch Personen, die Arzneimittel nur vermitteln, u.a. über eine ständige Anschrift in der Europäischen Union verfügen, um den zuständigen Behörden eine Überwachung ihrer Tätigkeiten zu ermöglichen. Erwägungsgrund Nr. 6 Satz 3 und 4 der Richtlinie 2011/62/EU macht dabei deutlich, dass alle Akteure der Arzneimittellieferkette für überwachungsbedürftig gehalten werden, unabhängig davon, ob sie selbst Eigentum an den Arzneimitteln erwerben oder "physisch" mit ihnen umgehen. Nur so hält der Unionsgesetzgeber einen ausreichenden Schutz der Patienten vor einem Eindringen gefälschter Arzneimittel in die legale Lieferkette für gewährleistet (vgl. Erwägungsgrund Nr. 3 der Richtlinie 2011/62/EU). Diese Erwägungen waren auf alle Akteure des "immer komplexeren Vertriebsnetzes für Arzneimittel" bezogen, bei denen es sich nicht unbedingt um Großhändler handele (vgl. Erwägungsgrund Nr. 6 Satz 2 der Richtlinie 2011/62/EU). Sie gelten für Arzneimittelgroßhändler erst recht und in besonderer Weise.

18 Dass die Verantwortlichkeit des Arzneimittelgroßhändlers nicht nur die physische Herstellung, Kontrolle und Verbringung der Arzneimittel betrifft, ergibt sich im Übrigen unmittelbar aus den unionsrechtlichen Vorgaben. Art. 80 der Richtlinie 2001/83/EG verpflichtet den Inhaber einer Großhandelsgenehmigung nicht nur zur physischen Kontrolle der von ihm beschafften Arzneimittel (Buchst. ca) und zur Bereithaltung eines Rücknahmeplans (Buchst. d), er hat vielmehr umfassend die Grundsätze und Leitlinien guter Vertriebspraktiken für Arzneimittel einzuhalten (Buchst. g). Dies schließt auch "buchhalterische" Vorgänge wie die Aufbewahrung, Speicherung und Zurverfügunghaltung aller für die Ein- und Ausgänge maßgeblichen Unterlagen für Prüfzwecke der zuständigen Behörden ein (Buchst. e und f).

19 Die Arzneimittelsicherheit, die Einschränkungen der Berufsfreiheit von Arzneimittelgroßhändlern zu rechtfertigen vermag und das Erfordernis einer durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union erteilten Erlaubnis trägt (vgl. Erwägungsgrund 35 Satz 1 der Richtlinie 2001/83/EG), ist daher sowohl unionsrechtlich als auch im nationalen Arzneimittelrecht weit gezogen. Sie kann auch durch nur "buchhalterische" Vorgänge gefährdet werden.

20 d) Schließlich liegt der von der Klägerin behauptete Wertungswiderspruch zu einer physischen Direktlieferung aus einem Drittstaat nicht vor. In diesem Fall hätte der Lieferant vielmehr strengere Anforderungen zu erfüllen.

21 Nach § 4 Abs. 32 Satz 2 AMG ist Einfuhr jede Überführung von unter das Arzneimittelgesetz fallenden Produkten aus Drittstaaten in den zollrechtlich freien Verkehr. Eine physische Lieferung von Arzneimitteln aus der Schweiz, die nicht Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist, an die Klägerin zum Zweck des Weitervertriebs innerhalb der Europäischen Union stellt damit eine Einfuhr dar (vgl. auch BT-Drs. 16/12256 S. 42). Hierfür ist gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 AMG eine Einfuhrerlaubnis sowie grundsätzlich auch ein Zertifikat nach § 72a Abs. 1 Satz 1 AMG erforderlich.

22 Die von der Klägerin in Anspruch angenommene Ausnahme für reimportierte Arzneimittel greift nicht, weil die Lieferung aus der Schweiz kein Reimport ist. Dieser umfasst nur die Verbringung eines Produkts von einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen (vgl. Kügel, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Aufl. 2016, Vor § 72 Rn. 4 f. m.w.N.). Dementsprechend betreffen auch die vom Gerichtshof der Europäischen Union entschiedenen Konstellationen des "Re-" oder "Parallel-"Imports nur Fallgestaltungen, bei denen die Arzneimittel aus einem anderen EU-Mitgliedstaat, in dem sie zugelassen waren, importiert worden sind (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 1. April 2004 - C-112/02, Kohlpharma [ECLI:​EU:​C:​2004:​208] - Slg. 2004, I-3369 Rn. 13). Die Verbringung eines Arzneimittels aus der Schweiz in den Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes ist kein Reimport in diesem Sinne; jedenfalls kann für diesen Fall eine Ausnahme von den Voraussetzungen der §§ 72, 72a AMG nicht angenommen werden.

23 Aus dem Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 20. April 1998 - 4St RR 46/98 - (NStZ 1998, 578) sowie der ihm folgenden Rechtsprechung (vgl. etwa Landgericht Oldenburg, Beschluss vom 7. August 2014 - 1 Qs 279/14 -) und Literatur (vgl. etwa Kügel, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 2. Aufl. 2016, § 72a Rn. 3 m.w.N.) ergibt sich nichts anderes. Die dort vertretene Auffassung, "Herkunft" aus einem Drittland könne nur angenommen werden, wenn das Arzneimittel auch in dem Drittland hergestellt worden sei, entspricht nicht der hier maßgeblichen Rechtslage. Durch § 4 Abs. 32 AMG in der Fassung vom 17. Juli 2009 (BGBl. I S. 1990) hat der Gesetzgeber die Begriffe "Verbringen" und "Einfuhr" definiert. Er hielt es gerade im Hinblick auf die Voraussetzungen für das Verbringen und die Einfuhr von Arzneimitteln oder Wirkstoffen nach §§ 72 ff. AMG für erforderlich, die Begriffe klarzustellen (vgl. BT-Drs. 16/12256 S. 42). Maßgeblich ist danach aber nicht, wo das Arzneimittel hergestellt wurde. "Verbringen" ist vielmehr die Beförderung in den, durch den oder aus dem Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes. "Einfuhr" ist die Überführung von unter das Arzneimittelgesetz fallenden Produkten aus Drittstaaten, die nicht Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, in den zollrechtlichen freien Verkehr. An diese Einfuhr knüpfen die Genehmigungs- bzw. Zertifikaterfordernisse aus § 72 Abs. 1 Satz 1 und § 72a Abs. 1 Satz 1 AMG an.

24 2. Die dargelegte Auslegung des § 4a Abs. 1 AM-HandelsV ist mit Unionsrecht vereinbar.

25 a) Nach Art. 80 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG darf sich der Inhaber einer Großhandelsgenehmigung seine Vorratsbestände an Arzneimitteln nur bei Personen beschaffen, die entweder selbst Inhaber einer Großhandelsgenehmigung sind oder die gemäß Art. 77 Abs. 3 - also aufgrund des Besitzes einer Herstellungserlaubnis - von dieser Genehmigung befreit sind.

26 Auf diese Vorgaben geht § 4a Abs. 1 AM-HandelsV zurück (vgl. BT-Drs. 17/9341 S. 72). Die hiervon abweichende Bezugnahme auf den "Erwerb" ist von der Begriffsbestimmung der Beschaffung im Anhang der auf Grundlage des Art. 84 Satz 1 der Richtlinie 2001/83/EG von der Europäischen Kommission veröffentlichten Leitlinien vom 5. November 2013 für die gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln (ABl. C 343 S. 1 - GDP-Leitlinien -) umfasst; danach ist Beschaffung das Erlangen und Beziehen, der Erwerb oder Kauf von Arzneimitteln von Herstellern, Importeuren oder anderen Großhändlern.

27 Die Richtlinie 2001/83/EG knüpft damit nicht nur das Inverkehrbringen von Arzneimitteln an die Genehmigung der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats (vgl. Art. 6 Abs. 1 und Art. 76 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG), auch der Arzneimittelgroßhandel bedarf der Genehmigung eines Mitgliedstaats (Art. 77 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG). Mit diesem Genehmigungserfordernis will der Europäische Gesetzgeber alle Akteure der Arzneimittellieferkette - und damit auch die einzelnen Vertriebsvorgänge - erfassen (vgl. Erwägungsgrund 6 der Richtlinie 2001/62/EU). In der Genehmigung muss angegeben werden, für welche Räumlichkeiten im Hoheitsgebiet des Ausstellungsstaats sie gültig ist. Um die Großhandelsgenehmigung zu erlangen, muss der Antragsteller nicht nur über geeignete und ausreichende Räumlichkeiten, Anlagen und Einrichtungen sowie über sachkundiges Personal verfügen, sondern auch die ihm gemäß Art. 80 der Richtlinie 2001/83/EG obliegenden Verpflichtungen einhalten (vgl. Art. 79 Buchst. c der Richtlinie 2001/83/EG). Hierzu gehört u.a., dass er sich seine Vorratsbestände an Arzneimitteln nur bei Personen beschafft, die selbst Inhaber einer Großhandelsgenehmigung oder einer Herstellungserlaubnis sind (vgl. Art. 80 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG). Das Unionsrecht nimmt so auch den Erwerber der Arzneimittel dafür in die Pflicht, dass der Großhändler, bei dem er sich seine Vorratsbestände beschafft, tatsächlich über eine Großhandelsgenehmigung verfügt und die Grundsätze und Leitlinien der guten Vertriebspraxis einhält (Art. 80 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG). Entsprechendes gilt bei der Beschaffung bei einem Hersteller oder Einführer (Art. 80 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG) sowie bei der Einschaltung eines Arzneimittelvermittlers (Art. 80 Abs. 4 der Richtlinie 2001/83/EG).

28 b) Die von der Klägerin in Anspruch genommene Ausnahme in Art. 85a Satz 2 der Richtlinie 2001/83/EG betrifft nur Fälle, in denen die Arzneimittel zum alleinigen Zweck der Ausfuhr bezogen werden. Sie findet auf das Vertriebsmodell der Klägerin daher keine Anwendung.

29 Nach Art. 85a Satz 1 der Richtlinie 2001/83/EG finden Art. 76 und Art. 80 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2001/83/EG im Fall des Großhandelsvertriebs an Drittländer keine Anwendung. Ferner finden gemäß Satz 2 der Vorschrift Art. 80 Abs. 1 Buchst. b und ca keine Anwendung, wenn ein Arzneimittel direkt aus einem Drittland bezogen, jedoch nicht eingeführt wird. In diesem Fall entfällt damit auch die Anforderung, dass sich der Großhändler seine Arzneimittel nur bei Inhabern einer von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union erteilten Genehmigung beschaffen darf.

30 Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, knüpft die Regelung des Satzes 2 an die in Satz 1 enthaltene Vorschrift an und nimmt auf sie Bezug. Aufbau und Wortlaut der Norm machen deutlich, dass auch Satz 2 nur den Fall des Großhandelsvertriebs an Drittländer betrifft. Die Vorschrift stellt klar, dass Art. 80 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG nur dann keine Anwendung findet, wenn ein Arzneimittel nicht eingeführt wird.

31 Dieses Verständnis ergibt sich auch aus dem systematischen Kontext. Dass bei den von Art. 85a der Richtlinie 2001/83/EG geregelten Fällen des Großhandelsvertriebs mit Drittländern Arzneimittel an Personen geliefert werden dürfen, die nicht Inhaber einer von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union erteilten Genehmigung sind (Satz 1), liegt auf der Hand. Satz 4 der Vorschrift verpflichtet die Unionsgroßhändler aber darauf, Arzneimittel nur an Personen zu liefern, die gemäß den Vorschriften des betreffenden Drittlandes zum Erhalt berechtigt sind. Auch die Beschaffung im Drittland muss nicht vom Inhaber einer von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union erteilten Genehmigung erfolgen (Satz 2). Auch insoweit werden die Unionsgroßhändler aber verpflichtet, die Beschaffung nur bei Personen oder Stellen vorzunehmen, die gemäß den Vorschriften des betreffenden Drittlandes zur Lieferung berechtigt sind (Satz 3). Die in Art. 85a Satz 2 der Richtlinie 2001/83/EG enthaltene Regelung zur Beschaffung betrifft nach dem Regelungsgefüge daher nur Fälle, in denen die Arzneimittel nicht eingeführt, also nicht in den europäischen Arzneimittelmarkt überführt werden sollen. Wie sich aus Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 2011/62/EU ergibt, hat der Unionsgesetzgeber insoweit an Vorgänge in Freilagern oder Freihandelszonen gedacht.

32 Schließlich entspricht nur ein auf den Großhandelsvertrieb an Drittländer begrenztes Verständnis der in Art. 85a Satz 2 der Richtlinie 2001/83/EG enthaltenen Regelung Sinn und Zweck der Norm (vgl. Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 2011/62/EU). Die Bezugnahme auf die Zulassungsvorschriften des jeweiligen Drittlands als Mindestanforderung für den Vertrieb an ein Drittland ist zur Wahrung der Grundsätze guter Vertriebspraxis ausreichend. Damit wird beim Vertrieb an Drittländer die Einhaltung der Zulassungsvorschriften des jeweiligen Drittlands gewährleistet und als eigenständige unionsrechtliche Anforderung statuiert. Im Fall der Überführung der Arzneimittel in den europäischen Arzneimittelmarkt dagegen würde die Vorschrift eine Absenkung der hierfür vorgesehenen Standards bewirken, die nicht in das Regelungsgefüge passt und für die ein Sachgrund auch nicht ersichtlich ist.

33 Die in Art. 85a der Richtlinie 2001/83/EG enthaltenen Regelungen geben daher keinen Anhaltspunkt für die Sichtweise der Klägerin her. Derartige Gesichtspunkte sind auch im Übrigen nicht ersichtlich. Nach Art. 40 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG ist vielmehr auch für die Einfuhr mit Herkunft aus Drittländern eine Erlaubnis in entsprechendem Maße wie für die Herstellung erforderlich. Gemäß Art. 51 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG hat der Inhaber einer Herstellungserlaubnis bei aus Drittländern eingeführten Arzneimitteln jede Arzneimittelcharge der erforderlichen Qualitätsprüfung zu unterziehen, "unabhängig davon, ob sie in der Gemeinschaft hergestellt wurden". Es ist damit hinreichend klar, dass im Unionsrecht keine Privilegierung für die Beschaffung von Arzneimitteln von Großhändlern aus Drittländern besteht und auch Art. 85a Satz 2 der Richtlinie 2001/83/EG nur Fälle zum alleinigen Zweck der Ausfuhr erfasst. Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedarf es daher nicht.

34 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.